(Tunis, 20. April, 2005) – Interviews mit ehemaligen Häftlingen in Tunesien würden enthüllen, dass einige mehr als zehn Jahre in Isolationshaft verbringen mussten, heißt es in einem neuen Bericht von Human Rights Watch.
Der 39 Seiten umfassende Bericht „Tunisia: Crushing the Person, Crushing a Movement” (Tunesien: Menschen und eine Bewegung zerstören) erläutert, dass die Isolationshaft nicht aus strafrechtlichen Gründen verhängt worden sei. Viel mehr ginge es darum, die sich in Haft befindlichen Führer der verbotenen En Nahda-Partei zu bestrafen und zu demoralisieren. Das ganze sei Teil der Bemühungen der Regierung, die islamische Bewegung in Tunesien zu zerstören.
„Die tunesische Regierung muss aufhören, politische Gefangene jahrelange in Isolationshaft zu sperren“, forderte Sarah Leah Whitson, Leiterin der Abteilung Naher Osten und Nordafrika von Human Rights Watch. „Es ist an der Zeit, dass Tunesien seine politischen Gefangenen begnadigt. Aber die Isolationshaft muss sofort aufgehoben werden.“
Freigelassene Führer von En Nahda erzählten, dass ihnen nie erklärt worden sei, warum und für wie lange sie in Isolationshaft sind oder wie sie dagegen Berufung einbringen könnten. Auch sei ihnen jeglicher Kontakt mit anderen Gefängnisinsassen verboten worden. Sie hätten auch keinen Zugang zu Ausbildungs- oder Kulturprogrammen gehabt und kaum Kontakt mit der Außenwelt. Ihre Familie hätte sie nur einmal pro Woche kurz besuchen dürfen.
Langzeit-Isolationshaft, wie sie von Tunesien praktiziert wird, verletzt internationale Strafrechtsprinzipien. Selbst die tunesische Gesetzgebung erlaubt Isolationshaft für nur maximal zehn Tage. Außerdem verstößt Tunesien damit gegen das Verbot unmenschlicher Behandlung und Bestrafung. Darüber hinaus besteht der Verdacht auf Folter. Ohne soziale Kontakte und geistige Anregungen, kann es laut Strafrechtlern zu psychischen Störungen bei Häftlingen kommen.
„Man konnte nur mit dem Wärter sprechen. Aber es gab Zeiten, da redeten auch sie kein einziges Wort mit uns. Das dauerte von einigen Stunden bis zu einer Woche“, erzählte Ali Laaridh, der vergangenen November freigelassen wurde. „Egal ob man nach einem Medikament oder dem Doktor verlangt hat, es kam nicht einmal ein ‚Ja’ oder ‚Nein’. Nach und nach wurde man mutlos und verzweifelt. Man wollte sich selbst oder dem Wärter etwas antun, nur um zu beweisen, dass man existiert.“
Von den 500 politischen Gefangenen in Tunesien befänden sich 40 in Langzeit-Isolationshaft, heißt es in dem Bericht. Sie seien entweder in Einzelhaft oder würden sich mit zwei bis vier anderen Häftlingen eine Zelle teilen, ohne Kontakt zu anderen Insassen. Viele versuchten durch Hungerstreiks, ihre Lage zu verbessern. Hamadi Jebali, ein Journalist von En Nahda, der sich seit 1991 in Haft befindet, ist seit 9. April dieses Jahres im Hungerstreik.
Internationale Richtlinien für den Strafvollzug schreiben vor, dass Einzelhaft nur einige Tage dauern darf. Sie muss unter strenger Aufsicht, mit medizinischer Betreuung stattfinden und kann nur aus rechtmäßigen Gründen verhängt werden. Die ehemaligen Häftlinge schilderten, dass sie keine besondere medizinische Betreuung gehabt hätten. Außerdem seien die einzigen Erklärungen für ihre Isolation beiläufige Kommentare gewesen wie, „du könntest die anderen aufhetzen“ oder „ich bin nicht für die Entscheidung verantwortlich“.
Alle Häftlinge, die sich in Tunesien in Langzeit-Isolationshaft befinden, sind Islamisten. Viele davon Führer der verbotenen En Nahda Partei. Nachdem Präsident Zine el-Abidine Ben Ali die Partei während seinen ersten Amtsjahren toleriert hatte, begann er 1990 ihre Mitglieder zu verfolgen. Laut tunesischer Regierung sei En Nahda eine extremistische Bewegung, die einen fundamentalistischen Staat anstrebe. 1992 verurteilte ein Militärgericht 265 Führer und Unterstützer von En Nahda, weil sie angeblich einen politischen Umsturz planten. Viele der sich in Isolationshaft befindenden Gefangenen gehörten zu dieser Gruppe.
Menschenrechtsorganisationen beschreiben die Verfahren von 1992 als unfair und kommen zu dem Schluss, dass es keine Beweise für die Vorbereitung eines Staatsstreichs gegeben habe. Weder die Angeklagten noch En Nahda könnten mit Gewalttaten in Verbindung gebracht werden. Auch gäbe es keine Hinweise auf Verhaltensweisen, die die Langzeit-Isolationshaft rechtfertigen könnten.
Vor genau einem Jahr verkündete der tunesische Justiz- und Menschenrechtsminister, Béchir Tekkari, dass das Internationale Rote Kreuz Gefängnisbesuche machen dürfe. Doch Verhandlungen zwischen der Regierung und der Organisation haben bis jetzt keine Besuchserlaubnis zustande gebracht.