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Europarat: Riskante Reform des EGMR abwenden

Pläne Großbritanniens können Zugang zu Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte einschränken

(London) ­ Die Mitgliedsstaaten des Europarats sollen die Vorschläge Großbritanniens zur Reform des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zurückweisen, so Human Rights Watch. Die geplanten Änderungen können den Zugang zum Gericht für diejenigen einschränken, die ihn am dringendsten brauchen. Der Antrag wird als einer von mehreren Reformvorschlägen ab dem 18. April während einer dreitägigen Konferenz in der englischen Stadt Brighton diskutiert.

Der Reformentwurf Großbritanniens enthält viele positive Vorschläge, einschließlich einiger Maßnahmen, welche die Implementierung von Gerichtsurteilen durch nationale Behörden verbessern sollen. Zwei Reformvorschläge jedoch sind äußerst problematisch und könnten die Arbeit des Gerichts untergraben. Einer will die Möglichkeit des Gerichts einschränken, Fälle schwerer Menschenrechtsverletzungen anzuhören, während ein anderer den Regierungsinteressen zu Gute kommen würde, anstatt den Interessen potenzieller Opfer von Menschenrechtsverletzungen. Großbritannien hat zurzeit den Vorsitz im Ministerkomitee des Europarates, dem wichtigsten Entscheidungsorgan der Organisation.

„Diese Vorschläge riskieren, ein zweistufiges System zu schaffen, welches diejenigen ausschließt, die den Schutz des Gerichtshofes am dringendsten brauchen“, so Benjamin Ward, stellvertretender Direktor für Europa und Zentralasien von Human Rights Watch. „Die Regierungen, die Mitglied des Europarates sind, sollen diese riskanten Pläne zurückstellen und sich stattdessen auf die Ideen konzentrieren, die die Implementierung von Entscheidungen in den Mitgliedsstaaten erleichtern.“

Großbritannien hat die Reform des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zur Priorität seiner Präsidentschaft gemacht. Das Gericht hat einen Arbeitsrückstand von 150.000 Fällen, und das Ziel der Reformvorschläge ist es, dieses Problem anzugehen.

Einige Schritte wurden dazu schon in die Wege geleitet. So modernisierte das Gericht seine Beschlussfassung und wendet nun Prioritätskriterien an, damit nur Fälle mit schweren Menschenrechtsverletzungen angehört werden.

Ein Mechanismus, der sicherstellen soll, dass die Regierungen Gerichtsurteile umsetzen (auch bekannt als Protokoll 14), ist seit weniger als zwei Jahren in Kraft. Wenn Regierungen systematische Probleme nicht angehen, so führt dies oft dazu, dass sich Fälle mit ähnlichen Menschenrechtsverletzungen wiederholen, was der Hauptgrund für den Rückstau ist. Die Vorschläge Großbritanniens, die Implementierung in den Mitgliedsstaaten zu verbessern, sind daher ein wertvoller Beitrag.

Auch die zwei problematischen Reformvorschläge könnten einen Effekt auf den Rückstau haben, wenngleich auf Kosten des Menschenrechtsschutzes, so Human Rights Watch.

Der erste würde erfordern, dass der EGMR einen Antrag ablehnt, wenn ein nationales Gericht die jeweiligen Menschenrechtsfragen bereits behandelt hat und Entscheidungen des EGMR aus früheren ähnlichen Fällen berücksichtigt hat. Eine Ausnahme würde gelten, wenn der Gerichtshof ersthaft in Frage stellt, dass seine Rechtsprechung korrekt interpretiert wurde.

Diese Änderung könnte bedeuten, dass der EGMR einige Fälle ablehnen muss, auch wenn schwere Menschenrechtsverletzungen vorliegen. Dies ist besonders besorgniserregend im Hinblick auf Mitgliedstaaten des Europarates wie die Türkei, Aserbaidschan und Russland, wo bei den nationalen Gerichten große Defizite auf dem Gebiet der Menschenrechte zu erkennen sind.

Der zweite problematische Vorschlag würde die Konvention in der Hinsicht ändern, dass nationale Regierungen vom Gerichtshof die Entscheidungsfreiheit darüber erhalten, wie gewisse Rechte angewandt werden („Ermessensspielraum“ genannt). Außerdem sollen die nationalen Behörden gemäß dem Subsidiaritätsprinzip mehr Entscheidungsgewalt gegenüber dem EGMR erhalten.

Diese beiden Prinzipien werden bereits ausreichend vom Gerichtshof berücksichtigt, wie auch das Prinzip, dass der zentrale Kern eines Menschenrechts nicht eingeschränkt werden darf und dass der Schutz der Menschenrechte zweckmäßig und effektiv sein soll, so Human Rights Watch.

Die Kodifizierung von Prinzipien, die Regierungsinteressen unterstreichen, ist jedoch unnötig. Dies würde den Regierungsinteressen zu großes Gewicht verleihen im Verhältnis zu anderen Prinzipien, die sicherstellen, dass Menschenrechte tatsächlich geschützt werden. Es besteht außerdem das Risiko, dass einige Regierungen die Entwicklung nutzen, um von den Menschenrechtsverletzungen im eigenen Land abzulenken.

Die zwei problematischen Vorschläge haben große Kritik bei führenden Menschenrechtsgruppen und zivilgesellschaftlichen Organisationen in ganz Europa hervorgerufen. Die Intensität und der Umfang des Widerstands soll den Mitgliedsstaaten des Europarates zu einer Denkpause verhelfen.

„Für viele Opfer von Menschenrechtsverletzungen in Europa bietet der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die einzige Möglichkeite, Gerechtigkeit zu erlangen“, so Ward. „Den Zugang zum Gericht in solchem Maße einzuschränken, wie es Großbritannien plant, würde dies aufs Spiel setzen.“

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