(New York, 31. März 2011) – Die Europäische Union, die USA und andere Länder sollen den UN-Menschenrechtsrat auffordern, die sich verschlechternde Menschenrechtslage in China zu thematisieren, so Human Rights Watch.
Es sollen allen verfügbaren Möglichkeiten genutzt werden, einschließlich der „Menschenrechtsdialoge“, um der chinesischen Regierung deutlich zu machen, dass die Verhaftung und Verschleppung von Dutzenden der bekanntesten chinesischen Rechtsanwälte, Menschenrechtsverteidiger und Internetaktivisten während der letzten Wochen nicht akzeptabel sind. Die Regierungen dieser Länder sollen auch ein weiteres Mal betonen, dass China die Verpflichtungen internationaler Menschenrechtsstandards bricht und dass die Menschenrechtsverletzungen dringend beendet werden müssen.
„Ein derartiges Vorgehen gegen Aktivisten in China hat es seit zehn Jahren nicht mehr gegeben”, so Sophie Richardson, Advocacy-Direktorin der Asien-Abteilung von Human Rights Watch. „Wenn Regierungen die Menschenrechte in China wirklich wichtig sind, dann sollen sie nicht wie gewohnt weiter machen, während friedliche Kritiker nacheinander verhaftet werden.“
Seit 16. Februar 2011 sind mindestens 25 Rechtsanwälte, Aktivisten und Blogger von den Behörden festgehalten, verhaftete oder verschleppt worden. Zwischen 100 und 200 andere Personen sind Opfer von repressiven Maßnahmen, die von polizeilichen Vorladungen bis Hausarrest reichen. Die chinesische Regierung hat auch die Internetzensur spürbar verschärft, mehrere Herausgeber liberaler Zeitungen zum Rücktritt gezwungen und neue Einschränkungen für ausländische Medien in Peking verhängt.
Sechs der bekanntesten Menschenrechtsanwälte -– Teng Biao, Tang Jitian, Jiang Tianyong, Liu Shihui, Tang Jingling, and Li Tiantian – sind seit Mitte März von der Polizei verschleppt worden, und es besteht die ernsthafte Gefahr, dass sie gefoltert und misshandelt werden. Aus dem Umfeld von Tang Jitian wird berichtet, er sei schwer gefoltert worden. Liu Shihui wurde von Sicherheitsbeamten gewaltsam angegriffen, kurz bevor er verschwunden ist.
Drei bekannte Anwälte, Ran Yunfei, Ding Mao und Chen Wei, wurden zwischen dem 25. und 28. März offiziell verhaftet. Ihnen wurde vorgeworfen, zur Untergrabung der Staatsgewalt und zum Umsturz des sozialistischen Systems aufgerufen zu haben, und es drohen ihnen langjährige Haftstrafen. Am 25. März wurde der langjährige Demokratieaktivist Liu Xianbin zu einer zehnjährigen Gefängnisstrafe verurteilt, auf Grund derselben Vorwürfe, weil er eine Reihe von Artikeln auf einer ausländischen Website veröffentlicht hatte.
Andere Verhaftete, denen auch eine Anklage wegen Untergrabung der Staatsgewalt droht, sind ua. die Blogger und Aktivisten Cheng Wei, Guo Weidong, Hua Chunhui, Liang Haiyi, Liu Huiping, Quan Lianzhao, Sun Desheng und Zhu Yufu. Es ist weiter unklar, wo sich mehr als ein Dutzend andere Aktivisten befinden, die von der Polizei verschleppt wurden.
Zeitlich unbegrenzter Hausarrest und das erzwungene Verschwindenlassen – die Behörden bestätigen nicht, dass sie eine Person festhalten, oder veröffentlichen keine Informationen über deren Schicksal oder Verbleib – kennzeichnen zunehmend das repressive Vorgehen gegen Menschenrechtsaktivisten und ihre Verwandten.
Andere bekannte Fälle, die den gegenwärtigen Maßnahmen vorangingen, schließen Liu Xia ein, die Frau des Nobelpreisgewinners Liu Xiaobo. Liu Xia wurde unter Hausarrest gestellt und ihr wurde immer mehr die Möglichkeit genommen, mit der Außenwelt zu kommunizieren, nachdem im Oktober 2010 die Verleihung des Nobelpreises bekannt gemacht worden war. Chen Guangcheng, ein Aktivist für Landrechte, steht seit seiner Entlassung aus dem Gefängnis im September unter Hausarrest. Gao Zhisheng, ein Menschenrechtsanwalt, gilt - mit Unterbrechung - seit zwei Jahren als vermisst und hat mehrere detaillierte Berichte über Folter durch die Polizei übermittelt.
Zugleich hat sich die chinesische Regierung immer aggressiver gezeigt, wenn es um willkürliche Verhaftung und das Verschwindenlassen von Personen geht. Am 29. März hat der Sprecher des Außenministeriums versichert, dass jegliche Anschuldigung wegen Verschleppung in China grundlos ist und dass dahinter weiterführende Motive steckten. Diese Mitteilung folgte einer Warnung einige Tage zuvor, dass es keinen Schutz für Personen in China gebe, die Probleme verursachen wollten.
Am 7. März hat Außenminister Yang Jiechi auf die Frage nach der Misshandlung mehrerer ausländischer Journalisten durch die Polizei in Peking, die aufgezeichnet und in der ganzen Welt gesendet wurde, geantwortet, ein derartiges Problem, dass chinesische Polizeibeamte ausländische Journalisten schlagen, existiere nicht.
„Dass sich die chinesische Regierung weigert, über den Verbleib von Personen Auskunft zu geben, die sich bekanntermaßen in Haft befinden, soll umgehend und öffentlich in allen diplomatischen Foren, einschließlich dem UN-Menschenrechtsrat, verurteilt werden“, so Richardson. „Die chinesische Regierung muss auf die weitreichende Unterdrückung von friedlichen Kritikern antworten, die nichts anderes getan haben, als den Staat aufzufordern, die eigenen Gesetze zu achten.“
In den letzten Monaten haben einige Mitglieder der internationalen Gemeinschaft Chinas Verpflichtungen aus internationalen Verträgen hervorgehoben. Andere Länder sollen diesem Beispiel folgen. Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navanethem Pillay, forderte am 24. März die chinesischen Behörden auf, alle Personen freizulassen, die wegen der Ausübung ihres Rechts auf Meinungsfreiheit verhaftet worden waren. Der amerikanische Botschafter in China, Jon Huntsman, hat Anfang Februar einen symbolischen Besuch bei dem behinderten Menschenrechtsanwalts Ni Yulan gemacht. Am 28. März hat die UN-Arbeitsgruppe zu willkürlicher Verhaftung die chinesische Regierung aufgefordert, nicht nur
Gao Zhisheng freizulassen, sondern auch eine Wiedergutmachung wegen dessen rechtswidriger Behandlung zu leisten.
Doch relativ wenige Regierungen und Institutionen haben öffentlich ihre Sorge über das Vorgehen geäußert. Die Antwort der internationalen Gemeinschaft ist nicht ausreichend angesichts des Ausmaßes und der Ernsthaftigkeit der sich verschlechternden Menschenrechtslage in China. Und zu viele Regierungen verlassen sich weiterhin auf bevorstehende „Menschenrechtsdialoge“, um das Thema aufzugreifen.
Diese bilateralen Dialoge der EU, der USA und anderer Länder haben bisher keine substantiellen Ergebnisse gebracht. Stattdessen sind sie mitunter zu einer gefälligen Maßnahme geworden, um sensible Menschenrechtsdiskussion von Gipfeltreffen und anderen hochrangigen politischen Dialogen und Treffen mit China fernzuhalten.
„Diese Treffen riskieren hohl und intransparent zu werden, ohne dass Menschenrechtsverteidiger oder die Öffentlichkeit daran teilhaben können. Zudem stehen sie in Gefahr, dass sie dem politischen Druck von beiden Seiten unterliegen, das Ergebnis des Menschenrechtsdialogs als Erfolg verkaufen zu wollen“, so Richardson. „Wenn diese Dialoge eine Bedeutung haben sollen, dann müssen das Verschwindenlassen von Personen und die Verhaftung von Aktivisten der Zivilgesellschaft im Zentrum aller hochrangigen Treffen mit der chinesischen Regierung stehen und in dem wichtigsten Menschenrechtsforum der Welt thematisiert werden: dem UN-Menschenrechtsrat.”