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(Moskau, 14. März 2011) – Die weißrussischen Behörden haben Hunderte Personen willkürlich verhaftet und misshandelt, nachdem diese gegen die Wiederwahl von Präsident Lukaschenko am 19. Dezember 2010 demonstriert hatten. Auch läuft seitdem eine Kampagne, mit der die Zivilgesellschaft und die freie Meinungsäußerung unterdrückt werden soll, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht.

Der 31-seitige Bericht „Shattering Hopes: Post-Election Crackdown in Belarus” dokumentiert Menschenrechtsverletzungen, die seit der Wahl begangen worden sind, einschließlich der Verfolgung von Oppositionskandidaten und Aktivisten, der Misshandlung von Gefangenen, Verfahren hinter verschlossenen Türen sowie Razzien gegen Menschenrechtsorganisationen. Der Bericht geht auch im Einzelnen Anschuldigungen nach, dass die Haftbedingungen extrem schlecht seien, Rechtsbeistand verweigert werde und die Regierung gegen Rechtsanwälte vorgehe, die Mandanten vertreten, die wegen der Proteste nach der Wahl angeklagt worden waren. Diese und andere Menschenrechtsverletzungen tragen dazu bei, dass sich die bereits besorgniserregende Menschenrechtslage in Belarus noch weiter verschlechtert hat. Der Bericht stützt sich auf Interviews, die im Februar 2011 in Minsk geführt worden waren.

„Seit mehr als einem Jahrzehnt hat die weißrussische Regierung ihr Vorgehen gegen die Zivilgesellschaft verschärft“, so Anna Sevortian, Russland-Direktorin von Human Rights Watch. „Die neue Verfolgungswelle ist eine Krise, die eine starke Antwort der UN erfordert.“

Human Rights Watch und mehr als einhundert weitere Menschenrechtsorganisationen und Aktivisten fordern den UN-Menschenrechtsrat, der zurzeit in Genf tagt, auf, eine Resolution zu verabschieden, in der die Menschenrechtsverletzungen nach den Präsidentschaftswahlen am 19. Dezember verurteilt und Maßnahmen genannt werden, welche die weißrussische Regierung einhalten muss, um die Situation zu verbessern.

Mehr als 30.000 Menschen gingen am 19. Dezember in der Hauptstadt Minsk friedlich auf die Straße, weil sie befürchteten, dass ihnen ein weiteres Mal die Wahl gestohlen würde. Als Lukaschenkos unangefochtener Wahlsieg erklärt wurde, schlugen einige wenige Dutzend Personen Fenster des Hauptregierungsgebäudes ein. Polizei und Sicherheitskräfte griffen ein und schlugen auf jeden – meist friedliche Demonstranten - ein, der sich in Reichweite befand, traten diejenigen, die zu Boden fielen, und jagten und ergriffen Personen, einschließlich Passanten, in den umliegenden Straßen.

In dieser Nacht und den folgenden Tagen verhaftete die Polizei Hunderte Menschen. Während der folgenden zwei Wochen verurteilten Verwaltungsgerichte mindestens 725 Personen zu zehn bis 15 Tagen „Verwaltungshaft“, weil sie an nicht genehmigten Versammlungen teilgenommen hatten. Die Verhandlungen fanden hinter verschlossenen Türen statt, und die Anhörungen dauerten in der Regel zwischen zehn und 15 Minuten. In den meisten Fällen hatten die Angeklagten keinen Rechtsbeistand und durften keine Zeugen aufrufen.

Die Häftlinge verbüßten ihre Strafe in überfüllten Zellen, in denen sie am Boden schlafen mussten, die Betten mit anderen Häftlingen teilten oder abwechselnd schliefen. Viele berichteten, dass es in den Zellen extrem kalt war und keine Toiletten vorhanden waren.

Die Behörden führen im Zusammenhang mit den Protesten vom 19. Dezember 2010 gegen mehr als 48 Personen Untersuchungen durch, die beschuldigt werden, für Aufruhr verantwortlich zu sein. Darunter sind sieben Präsidentschaftskandidaten, Führer der politischen Opposition und Aktivisten. Vier von ihnen wurden zu bis zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Mindesten 30 Personen – unter ihnen zwei ehemalige Präsidentschaftskandidaten – waren Ende Februar 2011 immer noch im Gefängnis. Zwar hatten einige der Festgenommenen während der Vernehmungen Anwälte an ihrer Seite, aber keiner von ihnen konnte sich mit den Anwälten unter vier Augen treffen. Die Rechtsanwälte einiger Gefangener gaben bekannt, dass sie vom Justizministerium inoffiziell gewarnt worden waren, in der Öffentlichkeit über ihre Klienten und deren Fälle zu sprechen. Im März 2011 wurden vier der Rechtsanwälte die Zulassung entzogen und einer erhielt Berufsverbot.

„Der Druck auf die Rechtsanwälte ist beispiellos und sendet ein abschreckendes Zeichen an alle im Justizsystem, von heiklen Fällen die Finger zu lassen“, so Sevortian. „ Alle Rechtsanwälte müssen die Freiheit haben, ihre Klienten zu verteidigen, ohne Angst vor Verfolgung oder Repressalien.“

In der Nacht der Proteste haben Sicherheitskräfte die Büros von zwei Organisationen, des Menschenrechtszentrums Visna und von Charter 97, durchsucht. Zehn Angestellte von Visna wurden verhaftet sowie Computer und Kommunikationsausrüstung beschlagnahmt. Außerdem hat die Polizei den Herausgeber der Charter 97 und andere Schlüsselfiguren der Opposition an unterschiedlichen Orten festgenommen. In den folgenden Wochen wurden diese und andere Organisationen wiederholt durchsucht und deren Angestellte verhört. Da es in Weißrussland eine Straftat ist, in nicht-eingetragenen Organisationen aktiv zu sein und die Regierung die meisten zivilgesellschaftlichen Organisationen verboten hat, riskieren Aktivisten ständige Verfolgung.

Polizei und Sicherheitskräfte haben darüber hinaus die Räumlichkeiten von vier unabhängigen Medien sowie die Häuser von zwölf Journalisten durchsucht und ihre Ausrüstung konfisziert. Darüber hinaus hat die weißrussische Regierung der letzten unabhängigen Radiostation die Sendeerlaubnis entzogen. Die Regulierung des Internets, die letztes Jahr in Kraft trat, gibt der Regierung mehr Möglichkeiten, um das Internet stärker zu kontrollieren.

„Seit Jahren kontrolliert die Regierung Zeitungen, Radio und Fernsehen sowie Online-Nachrichten, so dass die Websites von Nichtregierungsorganisationen die einzigen Quellen für unabhängige Informationen sind“, so Sevortian. „Jetzt sind auch diese Quellen bedroht.“

Human Rights Watch rief die weißrussische Regierung dazu auf:

• eine gründliche und unabhängige Untersuchung der Vorfälle vom 19. Dezember 2010 durchzuführen;
• diejenigen, die keine Gewalttaten verübt haben, sofort freizulassen;
• allen Festgenommenen ungehinderten und vertraulichen Zugang zu rechtlichem Beistand zu gewähren;
• die Unterdrückung von Rechtsanwälten und der Zivilgesellschaft unverzüglich zu beenden.

Außerdem haben Human Rights Watch und 130 weitere nationale wie internationale Organisationen und Aktivisten den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen angerufen, dass dieser Druck auf die Regierung ausübt, damit die geforderten Maßnahmen eingeleitet werden.

„Die Regierung hat eine ernste Menschenrechtskrise in Weißrussland herbeigeführt und der UN-Menschenrechtsrat soll dazu nicht schweigen“, so Sevortian. „Eine Resolution des Rates würde ein starkes Zeichen an die weißrussische Regierung senden, dass die anhaltenden Razzien enden müssen.“

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