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Sri Lanka: Bootsflüchtlinge berichten über erschütternde Lage in der Schutzzone

UN-Sicherheitsrat und Menschenrechtsrat müssen dringend handeln

(Kakinada, Indien, 6. Mai 2009) – Erschütternde Berichte von srilankischen Bootflüchtlingen zeigen, dass bei den Kämpfen in Sri-Lanka sowohl die Regierungstrupppen als auch die Rebellenorganisation „Befreiungstiger von Tamil Eelam“ (LTTE) ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung handeln. Human Rights Watch rief den UN-Sicherheitsrat und den UN-Menschenrechtsrat auf, die Lage in Sri Lanka mit höchster Dringlichkeit zu behandeln, um weitere zivile Opfer zu verhindern.

„Die Regierung Sri Lankas versucht zu verhindern, dass Berichte über das menschliche Leid an die Weltöffentlichkeit gelangen“, so Meenakshi Ganguly, Researcherin in der Asien-Abteilung von Human Rights Watch. „Man muss sich Zehntausende solcher Berichte vorstellen, um das ganze Ausmaß des Grauens für die Menschen zu erfassen, die auf dem Gebiet der Tamilen-Tiger festsitzen und von den Regierungstruppen beschossen werden.“

Human Rights Watch befragte eine Gruppe srilankischer Flüchtlinge im indischen Bundesstaat Andhra Pradesh. Sie waren am 29. April 2009 in indischen Gewässern gerettet worden, wo sie bereits neun Tage lang umhertrieben. Sie waren aus der Schutzzone geflohen, die die Regierung in der nördlichen Provinz Mullaitivu ausgewiesen hatte. Berichte von Flüchtlingen sind besonders wichtig, da die srilankische Regierung unabhängigen Journalisten und Beobachtern seit langem den Zugang zu den Kampfgebieten verweigert. Die detaillierten Aussagen der Geflohenen widersprechen Behauptungen der Regierung, in der „Schutzzone“ würden keine schweren Waffen eingesetzt.

Indra Kumar, Fahrer eines Motorrad-Taxis, sagte im Gespräch mit Human Rights Watch, seine Familie sei in das Küstendorf Putumattalan geflohen, nachdem die Regierung das Gebiet als Schutzzone ausgewiesen habe. „Wir lebten in großer Angst. Es wurde ständig geschossen. Am 5. oder 6. April wurden unsere Nachbarn bei einem Artillerieangriff verletzt. Eine Granate schlug direkt in den Bunker ein. Zehn Menschen wurden verletzt, fünf von ihnen starben. Es gab keine Betäubungsmittel. Die Ärzte mussten einem Mädchen ohne Narkose die Hand amputieren. Meine kleine Tochter hatte Angst und weinte. Da entschied ich, dass wir fort mussten.“

Kumar sagte, der Beschuss habe manchmal so lange gedauert, dass die Menschen den Bunker nicht einmal für die Toilette verlassen konnten. „Solange wir beschossen wurden, blieben wir im Bunker. Der Beschuss war sehr schwer und die Leute verrichteten ihre Notdurft innerhalb des Bunkers. Ich nahm einen Eimer, um den Dreck einzusammeln und im Sand zu vergraben.“

Sein Bruder, S. Indra Meenan, ein 25-jähriger Ingenieur, berichtete: „In dem Dorf hatte jedes Haus einen Bunker. In jedem saßen fünf oder sechs Menschen, manchmal drei oder vier Stunden lang.“ Er fügte hinzu, dass die Tamilen-Tiger manchmal aus der Nähe bewohnter Gebiete schossen und die Bewohner in die Schusslinie von Vergeltungsattacken brachten. „Wir flohen am 20. April [mit dem Boot], weil wir Angst hatten. Es schlugen so viele Bomben und Granaten ein. Jeden Tag wurde mindestens drei oder vier Stunden lang geschossen. Der Beschuss kam von der srilankischen Armee.“

Der Maurer Sivadasa Jagdeshwaran, dessen Frau und dessen 4-jähriger Sohn auf der Überfahrt nach Indien starben, beschrieb den Albtraum, den seine Familie durchgemacht hatte: „Anfangs, bevor wir in die Schutzzone kamen, gab es noch das öffentliche Krankenhaus. Meine Frau hatte gerade ein Kind zur Welt gebracht und brauchte Medikamente. Aber in dem Krankenhaus gab es keine. Ich wartete einen ganzen Tag auf die Medikamente.“

Das IKRK (Internationale Komitee vom Roten Kreuz) verteilte Zelte, konnte den Bedarf aber nicht decken. Wir bauten eine Unterkunft aus Kokosblättern. Und wenn es regnete oder wenn geschossen wurde, rannten wir zum Bunker. Es gab nicht genug zu essen. Einmal stand ich für Nahrung an, als wir plötzlich unter Beschuss kamen. Ich rannte weg und hörte später, dass 40 Menschen gestorben waren.“

Jagdeshwaran beschrieb, wie er versuchte, seinen Vater zu begraben, der in der Schutzzone beim Fahrradfahren durch eine Artilleriegranate getötet wurde: „Viele Menschen starben. Immer wenn sie hörten, dass es Leichen gab, wurden sie eingesammelt, um sie zu begraben. Vor zwei Monaten verschwand mein Vater. Ich ging zum Krankenhaus, um ihn zu suchen. Ich fand seine Leiche. Die Rückseite seines Kopfes fehlte. Nur sein Gesicht war noch da. Wir baten den Arzt, etwas mit seinem Kopf zu machen, damit wir ihn begraben konnten, aber er sagte, wir sollten froh sein, dass wir eine Leiche hätten, die wir begraben könnten.“

Die Flüchtlinge beschrieben die Bedingungen in dem flachen, sandigen Küstenstreifen, wo zurzeit gekämpft wird. Manche erhielten Zelte vom IKRK, andere suchten in selbst gebauten Hütten aus Decken und Palmwedeln Zuflucht. Es war unmöglich, im Sand irgendeine Art von Bunker zu bauen. Einige Flüchtlinge, die Boote besaßen, vergruben diese als Fundament im Sand und bauten ein Dach aus Kokosholz und Kokosblättern. Dieses war ihr einziger Schutz vor dem Artilleriefeuer. Die Befragten berichteten auch über den Mangel an Nahrung und Medikamenten. Der Taxifahrer S. Indra Kumar sagte: „Die Regierung schickte Getreide. Doch während wir 100 Kilo gebraucht hätten, schickten sie 25 Kilo. Es waren keine NGOs [Nichtregierungsorganisationen] dort, keine Medikamente.“

Bei den Befragungen durch Human Rights Watch beschrieben die Flüchtlinge ihre leidvollen Erfahrungen bei der Überfahrt nach Indien, auf der viele von ihnen starben. Der Bootsbesitzer Mariyada Yesudas verlor auf der Fahrt seinen Vater, seine Schwester, einen Neffen, zwei Brüder und einen Onkel, den Kapitän des Bootes. Er sagte, sie hätten keinen anderen Ausweg gesehen, als die Schutzzone zu verlassen: „Die Armee war sehr nah, die LTTE ebenfalls. Wir dachten, die Kämpfe hätten uns erreicht. Also beschlossen wir zu fliehen, bevor es zu spät war... Die Armee ist sehr mächtig und die Tamilen-Tiger waren auf dem Rückzug. Wie konnten wir so noch sicher sein?“
Die Berichte verdeutlichen die dringende Notwendigkeit humanitärer Korridore für Zivilisten, die vor den Kämpfen fliehen.

Der Ingenieur S. Indra Meenan sagte: „Wir flohen in der Nacht, als der Beschuss aufhörte. Wir waren 21 Menschen. Niemand sah unser Boot, weder die Tamlien-Tiger, noch die Armee. Niemand versuchte, uns aufzuhalten. Der Kapitän hatte gesagt, er werde ausreichend Nahrung und Wasser für uns mitnehmen.“

Meenan fuhr fort, der Kapitän des Bootes habe ihnen gesagt, die Überfahrt dauere neun Stunden. Doch sie seien vom Kurs abgekommen, der Motor sei ausgefallen und ihnen sei der Treibstoff ausgegangen. Dann seien sie einfach umhergetrieben, bis ihnen das Essen und das Wasser ausging: „Wir tranken Salzwasser. Die Leute starben, einer nach dem anderen. Zuerst die Kinder. Die kleine Tochter meines Bruders starb.“

Der Maurer Jagdeshwaranthe erzählte Human Rights Watch über seine Flucht mit dem Boot zusammen mit seiner Frau, seinen beiden Kindern und Verwandten seiner Frau: „Mein Sohn starb am 24. April, vier Tage, nachdem wir in das Boot gestiegen waren. Wir hatten kein Wasser und kein Essen an Bord. Dann starb ihr Vater. Ihre beiden Brüder sprangen ins Meer. Meine Frau stand unter Schock. Sie war schwach und konnte sich kaum bewegen. An jenem Morgen, dem 29. April, bat sie mich um Wasser. Wir gaben ihr Meerwasser. Sie erbrach und wurde bewusstlos.“ Ihr acht Monate alter Sohn, den die Mutter bis zu ihrem Tod gestillt hatte, überlebte.

Human Rights Watch appellierte an den UN-Menschenrechtsrat in Genf, eine Sondersitzung über die aktuelle Lage in Sri Lanka einzuberufen. Human Rights Watch wiederholte auch die Forderung an den UN-Sicherheitsrat, Sri Lanka auf die Tagesordnung zu setzen und eine Untersuchungskommission zu bilden, um den Völkerrechtsverletzungen beider Seiten nachzugehen.

„Der Menschenrechtsrat unternimmt nichts und der Sicherheitsrat spricht über Sri Lanka in einer Weise, die nicht das geringste Eingreifen rechtfertigt“, so Ganguly. „Die Schwere der Lage macht es unerlässlich, dass beide UN-Organe dem Ausmaß der Katastrophe ins Gesicht sehen.“

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