(New York)- Fast fünfzehn Jahre nach dem Sturz des brutalen — vom Kalten Krieg begünstigten — Diktators, Hissène Habré, würden Dutzende seiner Handlanger noch immer Machtpositionen im Tschad inne haben, berichtet Human Rights Watch. Die Tausenden Opfer der Folterungen und Hinrichtungen unter dem US-gestützten Regime hätten während all dieser Jahre weder Entschädigungen noch Anerkennung von der Regierung des zentralafrikanischen Staates bekommen.
Habré, der aus dem Tschad am ersten Dezember 1990 floh, wurde in Senegal wegen Folter und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Die senegalesischen Gerichte entschieden jedoch, dass ein Verfahren gegen ihn nicht in Senegal eröffnet werden könne, wo er noch immer im Exil lebt. Ähnlichen Anklagen sieht Habré nun in Belgien entgegen, wo ein Richter Ermittlungen aufgenommen hat, die zu einem Auslieferungsgesuch führen könnten.
In dem 42seitigen Bericht, "Chad: The Victims of Hissène Habré Still Awaiting Justice" (Tschad: Die Opfer von Hissène Habré warten noch immer auf Gerechtigkeit), zeigt Human Rights Watch, dass 41 führende Figuren der Habré-Ära, von denen viele wegen Mordes und Folter angeklagt sind, noch immer Schlüsselpositionen im Tschad — darunter höchste Ämter in Militär, Polizei und Geheimdienst — inne haben.
„Hissène Habré mag zwar im Ausland einer Strafverfolgung entgegensehen, doch zuhause genießen seine Handlanger noch immer völlige Straflosigkeit", erklärte Reed Brody von Human Rights Watch, der die internationalen Bemühungen, Habré vor Gericht zu stellen, leitet. „Ehemalige Folterer haben führende Regierungsposten inne, während die Opfer und ihre Familien nie irgendeine Entschädigung erhalten haben."
Viele Kommandierende der gefürchteten politischen Polizei Habrés, der Dokumentations- und Sicherheitsabteilung (DDS), sind laut Human Rights Watch noch immer im Amt. Klagen, die gegen sie von Opfern an den Gerichtshöfen des Tschads eingebracht wurden, würden stocken, weil dem verantwortlichen Richter weder die notwendigen Mittel noch der Schutz gegeben wurden, um die Ermittlungen aufzunehmen.
Von den drei ehemaligen Direktoren von Habrés DDS sei einer der regionale Beauftragte, der Bundespolizei, ein weiterer regionaler Gouverneur und der Dritte würde für das Kommunikationsministerium arbeiten, so der Bericht. Ein ehemaliger Leiter einer DDS-Unterorganisation, der vor Gericht wegen Folter angeklagt ist, sei derzeit Staatsekretär des Bundespolizeichefs.
Im Bericht der Menschenrechtsorganisation werden auch die folgenden Ex-Komplizen angeführt: Die Wahrheitskommission des Tschads bezeichnete 1992 den jetzigen Polizeikommandeur eines Regierungsbezirks als einen der „brutalsten Folterer" des Landes. Ein ehemaliger stellvertretender Direktor der Nationalen Sicherheit soll inzwischen mächtiger Direktor der Gerichtspolizei sein. Ein Abteilungsleiter der DDS wiederum, gegen den zahlreiche Klagen wegen Folter erhoben wurden, soll derzeit das Amt des Sicherheitschef am internationalen Flughafen N’Djaména’s besetzen. Der frühere Leiter der Nationalen Sicherheit unter Habré, habe den Posten des nationalen stellvertretenden Koordinators der Erdölregion inne, während der frühere Gefängnisaufseher des „Locaux", eines der Internierungslager des DDS, nun Gefängnisaufseher des Hauptgefängnisses in der Hauptstadt N’Djaména sei.
Die Opfer und deren Angehörigen haben bis heute keine Entschädigung von der Regierung erhalten. Im März 2005, stellte die Vereinigung von Opfern politischer Unterdrückung und Verbrechen des Tschads (AVCRP), die mehr als 1.000 von Habrés Opfern vertritt, der Nationalversammlung offiziell einen Gesetzesentwurf vor, der Entschädigungsleistungen für Habrés Opfer vorsieht.
Die Regierung des Tschads hat auch die Empfehlungen der Wahrheitskommission aus dem Jahre 1992 nicht umgesetzt, ein Denkmal zu Ehren des Gedächtnisses der Opfer zu erbauen oder die früheren DDS Hauptquartiere und Untergrundgefängnisse in ein Museum umzuwandeln.
„Gegen Hissène Habré wird im Ausland ermittelt, aber wir, die Opfer, werden vergessen", meinte Ismaël Hachim Abdallah, Vorsitzender des AVCRP. „Wir warten noch immer darauf, dass die Regierung des Tschads und die Bevölkerung, das Leiden, das wir und unsere Familien erdulden mussten, anerkennen."
Als Beweis für die fortdauernde Macht der Handlanger, führte Human Rights Watch den Anschlag auf Jacqueline Moudeïna, Anwalt von Habrés Opfern im Rechtsfall gegen ehemalige DDS-Agenten, an. Moudeïna wurde 2001 durch eine Granatenattacke eines Polizeikommandos schwer verletzt. Kommandiert wurde die Einheit von Mahamat Wakaye, dem stellvertretenden Direktor der Nationalen Sicherheit unter Habré. Wakaye ist aufgrund von Strafanzeigen, die Moudeïna im Namen der Opfer Habrés erstattete, wegen Folter angeklagt. Auf Druck von tschadischen und internationalen Menschenrechtsgruppen stellte sich Wakaye dem Prozess, der auf den Anschlag folgte, wurde aber im November 2003 freigesprochen.
Im November 2004 erfuhr Human Rights Watch, dass ein weiterer der „meist gefürchtesten Folterer" des Tschads, Mahamat Djibrine, in der zivilen Polizei innerhalb der Mission der Vereinten Nationen in Côte d’Ivoire (ONUCI) tätig sei. Djibrine war in der UN-Friedensmission die Verantwortung übertragen worden, Beschwerden über die Verletzung von Menschenrechten nachzugehen. Bevor er nach Côte d’Ivoire entsandt wurde, war Djibrine der Stabschef für den Generaldirektor der Tschadischen Bundespolizei. Im Januar dieses Jahres, nach einer Beschwerde von Human Rights Watch bei den Vereinten Nationen, berief die Tschadische Regierung Djibrine ab.
Die Anschuldigungen gegen ehemalige DDS-Agenten im Bericht von Human Rights Watch basieren auf zurückgelassenen DDS-Ordnern, die von der Menschenrechtsorgainsation entdeckt wurden, Dossiers von AVCRP sowie 150 Interviews, die Human Rights Watch und die International Federation of Human Rights Leagues mit Opfern führten.
Hintergrund zum Fall Hissène Habré
Hissène Habré regierte die frühere französische Kolonie Tschad von 1982 bis zu seiner Absetzung durch den jetzigen Präsidenten Idriss Déby im Jahre 1990 und floh nach Senegal. Sein Einparteienregime, das von zahlreichen Gräueltaten gekennzeichnet war, wurde von der USA und Frankreich, die in ihm ein Bollwerk gegen Lybiens Muammar el-Qaddafi sahen, unterstützt. Unter Präsident Ronald Reagan bekam Habré von den USA verdeckte paramilitärische CIA Unterstützung für die Machtergreifung. Die USA blieben der stärkste Alliierte während seiner Regierungszeit, indem sie seine Regierung mit großen Mengen Kriegsmaterial belieferten. Ein Bericht der Wahrheitskommission aus dem Jahre 1992 beschuldigt Habrés Regime, ungefähr 40.000 politisch motivierte Morde begangen und Folter als Methode angewendet zu haben.
Habré wurde in Senegal im Februar 2000 wegen Folter und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Die senegalesischen Gerichte entschieden jedoch, dass ein Verfahren gegen ihn nicht in Senegal eröffnet werden könne. Habrés Opfer erhoben danach gestützt auf ein nunmehr aufgehobenes, weitreichendes „Universalzuständigkeitsgesetz" Klagen in Belgien. Senegal gab einem UN-Ersuchen statt, Habré in der Zeit eines rechtshängigen Auslieferungsverfahrens, festzuhalten. Ein belgischer Richter und ein Polizeiteam reisten im Jahr 2002 in den Tschad, wo sie Opfer und Amtsträger der Habré-Ära befragten, frühere Gefängnisse besuchten und die von Human Rights Watch entdeckten Ordner von Habrés gefürchteter politischen Polizei entgegennahmen.
Die Rechtssache wurde nicht durch die Aufhebung des belgischen „Universalzuständigkeitsgesetzes" berührt, da die Ermittlungen bereits begonnen hatten und mehrere Kläger belgische Bürger sind. Der belgische Richter führt seine Ermittlung fort und es bleibt zu hoffen, dass er Anklage gegen Hissène Habré erhebt und um seine Auslieferung ersucht.