Skip to main content

China: Tibetaner werden durch Strafanklagen gezielt verfolgt

Todesstrafe gegen einen tibetischen Lama verdeutlicht anhaltende Unterdrückung

(New York, 9. Februar 2004) - "Die chinesische Regierung versucht durch gezielte Strafanklagen, die politischen, kulturellen und religiösen Freiheiten in tibetischen Gemeinschaften zu unterdrücken", sagte Human Rights Watch heute. Unter anderem wurde ein prominenter Lama zum Tode verurteilt.

Mit dem heute veröffentlichten 108-seitigen Bericht zeigt Human Rights Watch, dass die Verurteilung des Tenzin Delek Rinpoche, den Trend einer anhaltenden Unterdrückungspolitik gegenüber der tibetischen Bevölkerung in China wiederspiegelt. Tenzin Delek, ein hoch angesehener tibetischer Lama, wurde aufgrund von nicht erwiesenen Behauptungen, er sei an einem Bombensattentat beteiligt gewesen, zum Tode verurteilt. In den vergangenen Jahren hat die chinesische Regierung immer mehr säkulare Kontrolle auf tibetische Klöster ausgeübt.

"Trotz Chinas Fortschritt in Sachen Rechtsreformen wird im Fall Tenzin Delek deutlich, dass die chinesische Regierung, im Bezug auf Tibet, keine unkontrollierte politische oder religiöse Aktivität toleriert", sagte Mickey Spiegel, Senior Researcherin der Asien Abteilung von Human Rights Watch.

Human Rights Watch verlangte die sofortige Freilassung von Tenzin Delek, bis der Fall in einem neuen Verfahren, das internationalen Standards entspricht, entschieden wird.

Bislang wurde der Aufenthaltsort von Tenzin Delek geheim gehalten. Zum letzten Mal wurde er in einem Distriktgericht in der Provinz Sichuan, das ihn am 2. Dezember 2002 zum Tode verurteilte, gesehen. Die Vollsteckung wurde bis auf zwei Jahre mit der Auflage ausgesetzt, dass, wenn er sich gut führt, die Todesstrafe in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt werde. Sein angeblicher Gehilfe, Lobsang Dondrup wurde am 26. Januar 2003 sofort, nachdem ein Berufungsgericht die Berufungen der beiden Angeklagten abgewiesen hatten, hingerichtet.

Der Bericht von Human Rights Watch: "Trials of a Tibetan Monk: The Case of Tenzin Delek", beschreibt, wie Regierungsbeamte seit mehr als einem Jahrzehnt versucht hatten, Tenzin Delek zum Schweigen zu bringen. Human Rights Watch liefert neue Informationen, die darauf hinweisen, dass er aufgrund unzureichender Beweise wegen eines angeblichen Bombenattentats angeklagt wurde. Offiziellen chinesischen Angaben zufolge sollen Tenzin Delek und Lobsang Dondrup für eine Serie von Explosionen und für die Anstiftung von sogenannter "Absplitterung" - einem chinesischen Ausdruck für Unabhängigkeitsbestrebungen - verantwortlich gewesen sein.

Chinesische Beamte, die behaupten, dass Staatssicherheit eine Rolle spielte, lehnten ab, das Verfahren gegen Tenzin Delek einer öffentlichen Überprüfung zu unterziehen, bzw. die Anklage, das Urteil oder die Beweismittel offen zu legen. Rechtsanwälte, die von den Familien der Angeklagten für die Verteidigung vor dem Berufungsgericht bestimmt worden waren, wurden abgelehnt.

"Die chinesische Regierung benutzt einmal mehr eine Anklage wegen "Gefährdung der Staatssicherheit", um Tibetaner, die versuchen die Lebensbedingungen in ihren Gemeinden zu verbessern, zum Schweigen zu bringen", sagte Spiegel. "Obwohl sich Tenzin Delek an die Regeln der Regierung hielt, wurde er dennoch Opfer des Systems. Einer seiner Kollegen sagte, sie machen die Gesetze, aber sind diejenigen, die sie brechen".

Seit mehr als zehn Jahren kämpft Tenzin Delek dafür, soziale, medizinische, schulische und religiöse Einrichtungen in den verarmten tibetischen Gemeinden in der Provinz Sichuan zu errichten. Auch kämpfte er für die Erhaltung des empfindlichen ökologischen Gleichgewichts, das durch die sinnlose Abholzung und Minenindustrie gefährdet war. Als Reaktion auf sein Engagement wurden ihm seine Rechte von Bezirksbeamten immer mehr eingeschränkt. So wurde ihm verboten, sich mit seinen Gefolgsleuten zu treffen und frei mit ihnen zu kommunizieren und seinen Glauben frei zu praktizieren. In den Jahren 1997 und 2000 war er zwei Mal gezwungen in die nahegelegenen Berge zu flüchten, um einer Verhaftung zu entkommen.

Die Verfolgung von Tenzin Delek zielte gleichzeitig auf Bürger der Gemeinde Nyagchu (auf chinesisch, Yajiang) ab, dem Heimatgebiet Tenzin Deleks, die sich um den populären Lama scharten. Allein zwischen April 2002 und Januar 2003 wurden mehr als 60 tibetische Gemeindemitglieder vernommen. Mehr als 100 Bürger flohen aus Furcht vor harten Maßnahmen und Verhaftungen.

Mindestens sechs Gefolgsleute des Lama wurden zu Haftstrafen verurteilt. Wegen ihrer Verbindungen zu dem Lama erhielten zwei von ihnen lange Haftstrafen. Human Rights Watch fordert die sofortige Freilassung des Mönchs Tashi Phuntsog und des Geschäftsmannes Taphel, die jeweils eine siebenjährige und eine fünfjährige Haftstrafe absitzen.

"Es geht hier nicht nur um Tenzin Delek, es geht um die ganze tibetische Gemeinschaft", sagte Spiegel. "Es handelt sich hier um den Versuch der chinesischen Regierung, die tibetische Kultur und geistige Identität in den tibetischen Bezirken in ganz China zu unterdrücken".

Der Bericht enthält umfassende Interviews mit 47 Augenzeugen. Viele von ihnen haben auf der ganzen Welt Zuflucht gesucht und leben immer noch in Furcht vor Vergeltungsmaßnahmen seitens der chinesischen Regierung. Der Bericht enthält weiterhin eine Abschrift einer außergewöhnlichen Tonbandaufnahme auf der Tenzin Delek während seiner Verhaftung in 2000 seine Arbeit im Namen der ländlichen tibetischen Gemeinde erzählt und wie chinesische Beamte diese Arbeit als Straftaten auslegten. Der Bericht enthält zudem die Abschrift eines Interviews des Radio Freies Asien mit einem der Richter, die Tenzin Delek zum Tode verurteilt hatten.

Viele der befragten Personen unternahmen alles, damit die Geschichte über die Verhaftung Tenzin Deleks und seine geheime Verhandlung an die Öffentlichkeit kommt. Andere Personen unterstützten seine Arbeit in den 90iger Jahren, verschiedene Einrichtungen zu gründen und die Umwelt zu schützen. Insbesondere wurde sein Sieg über die lokalen Behörden gegen eine Abholzung des Waldes der Region unterstützt. Human Rights Watch fordert die internationale Gemeinschaft dazu auf, das Thema Tenzin Delek bei allen Treffen mit chinesischen Regierungsbeamten anzusprechen und die chinesische Regierung aufzufordern, diejenigen Beamten zur Verantwortung zu ziehen, die für die Unterdrückungen von Tenzin Delek und der ganzen tibetischen Gemeinschaft verantwortlich sind.

"Wenn China ernsthaft vor hat, sich der internationalen Gemeinschaft anzuschließen, dann müssen chinesische Behörden damit aufhören, kulturelle und religiöse Aktivitäten der Tibetaner als politische Verbrechen auszulegen", sagte Spiegel. "Die Freilassung Tenzin Deleks und seinen Gefolgsleuten wäre ein guter Anfang".

Tenzin Delek, in seinen eigenen Worten:

"Ich habe meine Arbeit immer für ein Land, die Volksrepublik China, ausgeführt. Die Arbeit, die ich geleistet habe, war, um Menschen zu vereinen, um ihr Wohlbefinden zu steigern, um die Umwelt zu schützen, um die wirtschaftliche Entwicklung für die Menschen zu fördern und um Bildung zu fördern….. Alles was ich tat wurde als ein Verbrechen ausgelegt".

"Als ich kürzlich zum "Religious Affairs Bureau" und zum "United Front Work Department" gebeten wurde, wurde mir gesagt: "Es ist dir nicht erlaubt Fotos vom 14. Dalai Lama, dem jungen Panchen Lama oder vor dir selbst zu besitzen." Auch sagten sie: "Die Bilder werden größer, und größer, und größer und darfst das nicht tun. Und darfst auch keinen Lama Titel tragen". Ich sagte ihnen ... , dass ich auf den Titel verzichten könne; auch auf den Mönchstitel. Aber auf den Titel als menschliches Wesen könne ich nicht verzichten."

"Ich erhielt einen unerwarteten Anruf eines Beamten der öffentlichen Sicherheit, der mich aufforderte zur Polizeistation in Dartsedo zu kommen, ohne irgendwem bescheid zu geben … aber ich wollte nicht dort hin, ohne jemandem bescheid zu geben. Sie sollen kommen und mich festnehmen. Meine Verhaftung soll öffentlich mit Hilfe von Lautsprechern auf einem Auto bekannt gegeben werden. Sie sollen mit Ketten kommen. Wenn ich ein Verbrechen verübt haben soll, sollen sie kommen und mich auf diese Weise festnehmen. Dann würde ich nicht zulassen, dass irgend jemand dagegen protestiert."

Your tax deductible gift can help stop human rights violations and save lives around the world.

Region/Land