(Jerusalem) – Die palästinensischen Raketenangriffe auf Israel sind offensichtlich willkürlich oder gegen die Zivilbevölkerung gerichtet, was sie zu Kriegsverbrechen macht. Die israelischen Angriffe auf Wohngebiete dürften bis hin zu verbotenen Akte kollektiver Bestrafung reichen.
Bewaffnete palästinensische Gruppen im Gazastreifen haben Israel seit dem 13. Juni 2014 verstärkt mit Raketen beschossen. Anscheinend feuerten sie willkürlich oder gezielt auf Zivilisten, was einen schwerwiegenden Verstoß gegen das Kriegsrecht darstellt. Israel hat zahllose Luftangriffe auf den Gazastreifen durchgeführt, darunter einen, der fünf Wohnhäuser zerstört hat, und einen anderen, bei dem sieben Menschen starben, davon mindestens drei Kinder. Angriffe gegen die Häuser von Kämpfern, die keinen unmittelbaren militärischen Zweck erfüllen, wie dies hier der Fall zu sein scheint, sind Akte kollektiver Bestrafung, die durch das Kriegsrecht verboten werden.
„Unabhängig davon, wer für die neuerliche Eskalation verantwortlich ist, verstoßen Angriffe auf die Zivilbevölkerung gegen grundlegende humanitäre Standards“, so Joe Stork, stellvertretender Leiter der Abteilung Naher Osten und Nordafrika von Human Rights Watch. „Das Kriegsrecht verbietet alle Angriffe, auch Vergeltungsschläge, die sich gegen Zivilisten richten oder zivile Opfer willkürlich in Kauf nehmen, Punkt.“
Aussagen einer bewaffneten Gruppe zufolge richteten sich die Raketenangriffe vom 7. Juli gegen israelische Dörfer und Städte, aus Rache für Menschenrechtsverletzungen der Israelis. Aber die Rechtsbrüche einer Konfliktpartei rechtfertigen nicht die Verstöße der anderen.
Die israelischen Behörden behaupteten, dass in den bombardierten Wohnungen palästinensische Kämpfer lebten. In zwei Fällen haben die israelischen Streitkräfte die Bewohner von Häusern in den südlichen Regierungsbezirken Rafah und Chan Yunis wenige Minuten vor den Angriffen gewarnt. Da absehbar ist, dass sämtliche Kämpfer die Gebäude daraufhin verlassen, sollten scheinbar die Häuser selbst zerstört werden, in denen auch Familienangehörige lebten, die mit den bewaffneten Gruppen nichts zu tun haben. Ein Sprecher des Militärs sagte am 8. Juli, dass vier Häuser von Hamas-Aktivisten, die an terroristischen Aktivitäten beteiligt gewesen seien, angegriffen wurden.
Einer israelischen Quelle zufolge feuerten bewaffnete Gruppen im Gazastreifen zwischen dem 13. Juni und dem 1. Juli 47 Raketen ab, die auf israelischem Gebiet einschlugen oder vom israelischen Raketenabwehrsystem „Iron Dome“ abgefangen wurden. Die UN zählte allein am 7. und 8. Juli 160 Raketenabschüsse, wobei unklar ist, wie viele Israel erreichten.
Am 24. Juni verfehlte eine Rakete ihr Ziel und tötete in Beit Lahiya ein dreijähriges, palästinensisches Mädchen und verletzte drei andere Kinder. Am 28. Juni traf eine Rakete eine Plastikfabrik in Sderot in Israel und verursachte einen Brand, der vier Zivilisten verletzte. Eine andere Rakete traf am 3. Juli eine Kinderkrippe in Sderot, verletze aber Medienberichten zufolge niemanden.
Die UN berichtete, dass israelische Luft- und Panzerangriffe zwischen dem 11. Juni und dem 6. Juli zwölf mutmaßliche Mitglieder palästinensischer, bewaffneter Gruppen und ein Kind töteten, 30 Menschen, überwiegend Zivilisten, verletzten, elf Schulen beschädigten sowie einen Brunnen, der 15.000 Menschen versorgte, ein Krankenhaus und ein Lager des UN-Hilfswerks für Palästinaflüchtlinge. Luftangriffe am 24. und 25 Juni zielten laut Angaben des israelischen Militärs auf Gebäude, die von bewaffneten Gruppen genutzt wurden, verletzten zehn Zivilisten und beschädigten acht Häuser sowie zwei Werkstätten. Israelische Luft- und Marineangriffe verletzten acht Zivilisten in Chan Yunis am 27. Juni; und am 26. und 28. Juni beschossen und verletzten an der Grenze zum Gazastreifen stationierte, israelische Soldaten drei Zivilisten, so die Vereinten Nationen.
Menschenrechtsorganisationen und das Gesundheitsministerium in Gaza berichteten, dass seit dem Beginn der Militäroperation am 7. Juli bis zum 9. Juli Berichten zufolge 35 Menschen in Folge der Angriffe gestorben sind, darunter neun Kinder, und mehr als 100 Personen verletzt wurden. Medienberichten und Menschenrechtsorganisationen zufolge haben Zeugen acht der 15 am 7. und 8. Juli getöteten Menschen als palästinensische Kämpfer identifiziert.
Nach Angaben palästinensischer Medien und der Menschenrechtsorganisation al-Mezan starben sieben Menschen, darunter sechs Kinder, am 8. Juli bei einem Luftangriff auf das Haus eines mutmaßlichen Angehörigen einer bewaffneten Gruppe in Chan Yunis, verletzt wurden 25 Personen. Menschenrechtsgruppen und Journalisten berichteten, dass unter den Opfern Zivilisten waren, die in Chan Yunis lebten und sich bei dem Gebäude versammelt hatten, um einen Luftangriff zu verhindern. Zuvor hatten die israelischen Streitkräfte als Warnung eine kleinere Rakete auf das Gebäude gefeuert.
Eine Warnung, die dazu beitragen kann, zivile Todesopfer zu vermeiden, entbindet die angreifende Partei nicht von ihrer Pflicht, ausschließlich militärische Ziele zu beschießen und von Angriffen abzusehen, bei denen die zu erwartenden zivilen Opfer und Schäden an zivilem Besitz in keinem Verhältnis zum erwarteten militärischen Nutzen stehen.
Palästinensische Kämpfer, die am Konflikt mit Israel beteiligt sind, können als Kriegsteilnehmer betrachtet werden, und Wohnungen, die bewaffnete Gruppen als Waffenlager oder für andere militärische Zwecke nutzen, als militärische Ziele. Aber Angriffe auf militärische Ziele müssen verhältnismäßig sein. Es liegen keine Berichte über Folgeexplosionen nach israelischen Luftangriffen vor, die darauf hinweisen würden, dass in den beschossenen Gebäuden Sprengstoff oder Raketen gelagert wurden. Israel hat nicht erklärt, welchen militärischen Vorteil es durch Angriffe auf Wohnhäuser erlangen will.
Sowohl der bewaffnete Flügel des Volkswiderstandskomitees als auch die Qassam-Brigaden, der bewaffnete Flügel der Hamas, haben sich zu Raketenabschüssen bekannt. Einer am 7. Juli per Email an Journalisten verschickten Stellungnahme zufolge „greifen die Qassam-Brigaden die israelischen Städte Aschdod, Aschkelon und Netiwot mit Duzenden Raketen an, als Vergeltung für die zionistische Aggression“. AFP berichtete von einer weiteren Stellungnahme von Qassam, in der die Gruppe sich auch zu Raketenangriffen auf Ofakim bekennt.
Mit den ungelenkten Raketen, die die bewaffneten Gruppen aus dem Gazastreifen abschießen, ist es grundsätzlich unmöglich, zwischen zivilen und militärischen Zielen in oder in der Nähe von Ballungszentren zu unterscheiden. Das Kriegsrecht verbietet sowohl willkürliche als auch vorsätzliche Angriffe auf die Zivilbevölkerung.
Über einen anscheinend Qassam-nahen Twitter-Account wurde verbreitet, dass die Raketenangriffe am 7. Juli israelische Menschenrechtsverletzungen gegen Palästinenser im Westjordanland vergelten sollten.
Die medizinischen Einrichtungen und das Personal im Gazastreifen sind schlecht dafür ausgestattet, große Zahlen Verwundeter zu versorgen. Dafür sind sowohl Israels bestrafende Importbeschränkungen für Treibstoff, Strom und Ausrüstung, die zur Reparatur der Stromleitungen benötigt wird, verantwortlich, als auch Ägyptens Weigerung, seine Grenzen für die Einfuhr von Gütern in den Gazastreifen zu öffnen.
Mahmoud Daher, der Leiter des Gaza-Büros der Weltgesundheitsorganisation, sagte, dass die Krankenhäuser gerade einmal ausreichend Treibstoff-Reserven haben, um ihre Stromgeneratoren zwei Wochen lang zu betreiben. Darauf sind sie auf Grund der regelmäßigen Stromausfälle angewiesen. Daher berichtete weiter, dass die Krankenhäuser sämtliche nicht unmittelbar notwendigen Operationen ausgesetzt haben. Darüber hinaus sind nach Angaben des Gesundheitsministeriums 30 Prozent der 122 Artikel zur medizinischen Grundversorgung und 53 Prozent aller medizinischen Einwegprodukte ausverkauft.
Der Gesundheitssektor in Palästina sei so schlecht ausgestattet wie nie zuvor, und jede Eskalation der [Sicherheits-]Lage könne zum Kollaps führen, weil die Krankenhäuser im Gazastreifen größere Zahlen von Verwundeten nicht versorgen könnten, warnte Daher.
Wenn die Kämpfe eskalieren, sollen Israel und Ägypten Lieferungen von medizinischen Gütern und Treibstoff an Krankenhäuser ermöglichen und gewährleisten, dass Palästinenser, die sich woanders medizinisch versorgen lassen möchten, den Gazastreifen verlassen können.
Das israelische Militär verkündete am 6. Juli, dass es das Gebiet, in dem Fischer aus dem Gazastreifen ihre Netze ausbringen dürfen, ohne Begründung von sechs Seemeilen auf drei halbiert hat. Israel behauptete nicht, dass Fischer in irgendeiner Weise für militärische Angriffe verantwortlich sind oder ein Sicherheitsrisiko darstellen. Das legte die Befürchtung nahe, dass es sich bei den Einschränkungen um kollektive Bestrafung handelt.
„Seit dem Jahr 2008 gibt es keine Gerechtigkeit für Dutzende gut dokumentierte, rechtswidrige Angriffe Israels auf den Gazastreifen. Auch die bewaffneten Gruppen in Gaza werden nicht dafür bestraft, dass sie immer wieder illegale Raketenangriffe starten“, sagt Stork. „Sowohl Israel als auch Palästina sollen versuchen, weitere Kriegsverbrechen zu verhindern, indem sie die Zuständigkeit an den Internationalen Strafgerichtshof übergeben.“