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Südostasien: Auf Booten geflüchtete Rohingya berichten

Rechtlosigkeit in Burma und Bangladesch fördert Menschenhandel und gefährliche Flucht auf Booten

(Bangkok, 27. Mai 2015) - Rohingya und andere Überlebende gefährlicher Bootsüberfahrten aus Burma und Bangladesch schildern, dass sie von skrupellosen Schleppern und Menschenhändlern grausam behandelt und an Bord der Schiffe misshandelt und vernachlässigt wurden, so Human Rights Watch heute. Bei einem regionalen Treffen am 29. Mai 2015 in Bangkok müssen Lösungen für den sogenannten Exodus der Bootsflüchtlinge gefunden werden.

Die befragten Rohingya berichteten, dass sie zwei Monate auf Booten überlebt haben. Sie waren unter Deck auf engstem Raum zusammengepfercht, mit begrenzten Nahrungs- und Wasservorräten und unter sehr schlechten sanitären Bedingungen. Auf jedem Boot befanden sich etwa 100 Frauen und Männer, die meisten von ihnen Rohingya. Alle Passagiere wurden an einem ihnen unbekannten Ort an der thailändischen Küste zurückgelassen, wo sie auf sich selbst gestellt waren, bis die thailändischen Behörden sie entdeckten. Internationalen Organisationen zufolge befinden sich noch immer schätzungsweise 3.000 bis 4.000 Personen auf Booten.

„Die Überlebenden schilderten, dass sie vor Verfolgung in Burma geflohen sind, um dann Menschenhändlern und Erpressern in die Hände zu fallen. Sehr viele von ihnen haben miterlebt, wie andere starben, und überlebten Misshandlungen und Hunger“, so Brad Adams, Leiter der Asien-Abteilung bei Human Rights Watch. „Aus Gesprächen mit Behörden und anderen Akteuren geht hervor, dass brutale Netzwerke von der Verzweiflung und dem Leid einer der weltweit am meisten verfolgten und vernachlässigten Gruppen profitieren - und, dass Regierungsangehörige in Burma, Bangladesch, Thailand und Malaysia daran beteiligt sind.“

Die Staaten in der Region und andere Regierungen, die dazu in der Lage sind, sollen ihre Such- und Rettungsaktionen verdoppeln und sicherstellen, dass Tausende Rohingya und Bangladescher, als Asylsuchende und Migranten vollen Zugang zu Verfahren haben, durch die sie internationalen Schutz und humanitäre Unterstützung erhalten können.

„Burma und Bangladesch müssen aufhören, die Rohingya zu verfolgen. Thailand und Malaysia müssen unverzüglich alle Lager schließen, in denen Bootsflüchtlinge festgehalten werden. Nur so können sie die Menschenrechtsverletzungen beenden und weitere Massengräber auf ihrem Boden verhindern.“

In den vergangenen Wochen sind in Thailand, Malaysia und Indonesien unzählige Boote mit asylsuchenden oder flüchtenden Rohingya aus Burma und Bangladesch angekommen. Zunächst reagierten die drei Regierungen darauf, indem sie die Schiffe ins Meer zurückdrängen ließen. Dafür wurden sie in ihren eigenen Ländern und international verurteilt, was sie dazu zwang, ihre Praktiken zu überdenken. Nach anhaltendem Druck trafen sich die Außenminister der drei Länder am 21. Mai in Kuala Lumpur. Malaysia und Indonesien vereinbarten, die Schiffe zukünftig anlegen zu lassen, unter der Bedingung, dass die internationale Gemeinschaft humanitäre Unterstützung leistet und sie dabei unterstützt, alle Migranten innerhalb eines Jahres umzusiedeln oder in ihr Heimatland zurückzubringen.

Die Lebensbedingungen der Rohingya in Burma sind außerordentlich schlecht. Als Fluchtgründe nennen sie, dass sie kaum Zugang zu Bildung und zum Arbeitsmarkt haben und weder Reise- noch Religionsfreiheit genießen. Einige flüchten freiwillig aus diesem äußerst schwierigen Umfeld. Andere werden von Schleppern dazu verleitet oder gezwungen, die Seereise anzutreten, ohne zu erfahren, welche Risiken jene bergen. Manche Schlepper reichen ihre Opfer an Menschenhändler weiter.

Ein 13-jähriges Mädchen erzählte, dass sie vor den Augen ihrer Familie von Männern gepackt wurde: „Sie zerrten mich zu dem Boot, sie hatten Stöcke und drohten, mich zu schlagen. Ich schrie und weinte laut. Meine Eltern weinten auch, aber sie konnten nichts tun.“

Ein 16-jähriges Mädchen berichtete:

Es war eine Gruppe von sechs Männern, sie waren arakanesische Buddhisten aus Bangladesch und hatten Messer und Pistolen. Sie zwangen mich, an Bord eines Bootes zu gehen. Sie sagten, dass ich Myanmar [Burma] verlassen würde. Sie stießen mich zu dem kleinen Boot, ich fiel ins Wasser, das mir bis zu den Schultern ging. Fünfzehn andere Rohingya waren auf dem Boot. Keiner von ihnen war freiwillig da.

Eine dritte junge Frau schilderte, dass sie zusammen mit ihrem Ehemann und Kind von Menschenhändlern verschleppt wurde: „Ich war zusammen mit meinem Mann auf dem Weg zu meinem Schwiegervater, als ein Mittelsmann und viele andere Männer uns verschleppten. Sie zwangen uns, an Bord eines größeren Schiffes zu gehen. Dort konnte ich die Sprache [der Menschenhändler] nicht verstehen, ich spreche weder Burmesisch noch Arakanesisch. Ich weiß nicht, wer sie waren.“

Alle Überlebenden berichteten von schrecklichen Zuständen an Bord. Eine junge Rohingya sagte:

Wir haben zwei Monate an Bord verbracht, die ganze Zeit über kamen mehr und mehr Menschen aus kleineren Booten dazu. Wir [die Frauen] waren unter Deck, in einem ganz kleinen Raum. Ich konnte nicht nach draußen sehen, nur spüren, wie sich das Boot auf und ab bewegte. Viele Menschen haben sich ständig übergeben, mir war ständig übel, und ich habe mich unwohl gefühlt.

Eine andere Frau berichtete: „Als ich auf das große Schiff kam... Ich kann meine Gefühle nicht beschreiben, ich hatte solche Angst. Wir waren 16 Personen in einem kleinen Raum. Die Tür war immer abgeschlossen. Die Schlepper haben Essen und Wasser durch einen kleinen Spalt geschoben, wir haben sie nie zu Gesicht bekommen.“

An Land gehen die Misshandlungen weiter. Am 25. Mai gaben Sprecher der malaysischen Regierung bekannt, dass sie 139 ähnliche Gräber in 28 Lagern auf der malaysischen Seite der Grenze gefunden haben. Früher im Mai waren bereits Massengräber in Thailand entdeckt worden. Thailand und Malaysia müssen dringend sämtliche noch bestehenden Lager schließen und den Überlebenden Hilfe und Schutz anbieten.

Überlebende Rohingya und Bangladedscher berichteten, dass sie in Lagern in Thailand und Malaysia festgehalten und erpresst wurden. Wer das Lösegeld nicht zahlen konnte, wurde geschlagen und misshandelt. Eine weibliche Rohingya, die in so einem Lager auf der thailändischen Seite der Grenze festgehalten wurde, schilderte, dass die Erpresser sie schwer verletzten, um ihre Verwandten zum Zahlen zu zwingen: „Die Mittelsmänner schlugen mich mit Stöcken und Bambus-Stäben und verbrannten meine Beine und Knöchel mit Zigaretten, weil ich die Summe nicht aufbringen konnte.“

Befeuert wurde die aktuelle Krise durch die Entdeckung von Massengräbern, in denen mutmaßlich Rohingya und Bangladescher begraben wurden. Die thailändische Regierung gab vor, nichts davon gewusst zu haben, dass Rohingya und andere auf ihren Weg nach Malaysia häufig in thailändische Lager verschleppt werden. Am 1. Mai begann Thailand, dort großangelegte Razzien durchzuführen.

Die Menschenrechtsverletzungen an den Rohingya kommentieren regionale Amtsträger gleichgültig und kalt. Die politische Führung in Burma leugnet die Existenz der Rohingya und bezeichnet sie als „illegale Bengalen“. Burmanische Amtsträger bestritten zunächst, dass die Menschen auf den Booten aus Burma kamen. Die Premierministerin von Bangladesch, Sheikh Hasina Wajed, nannte die Arbeitsmigranten aus ihrem Land „geisteskrank“ und schwor, alle Personen zu bestrafen, die illegal ausreisen. Der australische Premierminister Tony Abbot fand die Bootsflüchtlinge „leichtsinnig“ und beantwortete die Frage, ob Australien in Betracht zöge, als Flüchtlinge anerkannte Rohingya aufzunehmen, mit „Nein, nein, nein“.

Im Vorfeld des regionalen Treffens zu „Irregulärer Migration im Indischen Ozean“, das von der thailändischen Regierung am 29. Mai in Bangkok anberaumt wurde, soll die politische Führung von Burma, Bangladesch, Thailand, Malaysia und Indonesien die Rechte der Rohingya und Bangladescher auf den Booten anerkennen und respektieren. Die Flüchtlingsbehörde der Vereinten Nationen UNHCR und andere internationale Organisationen sollten Zugang zu den Überlebenden der Bootsfluchten erhalten, um ihre Schutzbedürftigkeit auf der Grundlage internationaler Standards zu prüfen und festzustellen, wer vor Verfolgung geflohen sind, wer Menschenhandel zum Opfer gefallen sind, und wer aus wirtschaftlichen Gründen ausgewandert ist. Burma und Bangladesch sollen alle zur Verantwortung ziehen, die Menschenrechtsverletzungen an Rohingya und anderen begangen haben, indem sie diese gezwungen oder bewusst getäuscht und so dazu verleitet haben, an Bord von Booten zu gehen, auf denen die Lebensbedingungen grauenhaft sind.

„Thailand, Malaysia und Indonesien müssen übereinkommen, niemals mehr Menschen zurückzuweisen, die auf dem Meer festsitzen. Sie sollen sich dazu verpflichten, alle sich noch auf See befindlichen Boote zu finden, die Menschen an Bord zu sicheren Häfen zu bringen und zu gewährleisten, dass deren Rechte gewahrt werden“, so Adams. „Genauso wichtig ist es, dass es keine langfristige Lösung geben wird, bevor Burmas Regierung nicht ihre menschenrechtswidrige und diskriminierende Politik gegenüber den Rohingya beendet. Auch muss sie sich am Kampf gegen Schlepper und Menschenhändler beteiligt, die die Rohingya misshandeln und ausnutzen.“

Hintergrundinformationen über Menschenrechtsverletzungen an den Rohingya in Burma und Aussagen von Überlebenden finden Sie unten.

 

Aussagen von überlebenden Rohingya

Ich habe mein ganzes Leben in meinem Dorf verbracht. Ich war nie draußen. Ich bin nie zur Schule gegangen. Ich kann nur den Koran lesen. Um 16 Uhr ist Sperrstunde, danach dürfen wir das Haus nicht mehr verlassen. Burmesische Polizisten kommen oft ins Dorf und klauen, was immer sie wollen. Die arakanesischen Männer kamen in mein Haus, ungefähr zwölf waren das. Sie schrien mich an: „Dein Bruder ist in Malaysia, du musst gehen!“ Sie zerrten mich zu dem Boot, sie hatten Stöcke und drohten, mich zu schlagen. Ich schrie und weinte laut. Meine Eltern weinten auch, aber sie konnten nichts tun. Ich ging mit drei Männern zusammen an Bord. Als ich auf das große Schiff kam... Ich kann meine Gefühle nicht beschreiben, ich hatte solche Angst. Das Boot war etwa 15 Meter lang. Es hatte vier Ebenen unter Deck, alle etwa einen Meter hoch, mit getrennten Räumen, Frauen auf der einen, Männer auf der anderen Seite, nur Männer auf dem Oberdeck. Wir waren 16 Personen in einem kleinen Raum. Die Tür war immer abgeschlossen. Die Schlepper haben Essen und Wasser durch einen kleinen Spalt geschoben, wir haben sie nie zu Gesicht bekommen. Wir durften nur einmal am Tag die Toilette benutzen. Es waren viele Leute an Deck, aber ich weiß nicht, wer die Schlepper waren.

- Yasmine, ein 13-jähriges Mädchen aus der Gemeinde Maungdaw in Rakhaing-Staat

Meine Familie hatte Ärger mit der Regierung, mein Bruder war Lehrer, sie bedrohten ihn, schlossen die Moschee, und er musste nach Malaysia gehen. Burmesische Soldaten verhafteten und verprügelten meinen Vater und nach seiner Entlassung wurde meine Familie gewarnt, dass wir sterben würden, wenn wir bleiben. Die Regierung nahm uns unser Haus weg und gab es an arakanesische Buddhisten aus Bangladesch [, die im Jahr 2013 von dort geflohen waren]. Es war eine Gruppe von sechs Männern, sie waren arakanesische Buddhisten aus Bangladesch, sie hatten Messer und Pistolen. Sie zwangen mich, an Bord eines Bootes zu gehen, sie sagten, dass ich Myanmar verlassen würde. Sie stießen mich zu dem kleinen Boot, ich fiel ins Wasser, das mir bis zu den Schultern ging. Fünfzehn andere Rohingya waren auf dem Boot. Keiner von ihnen war freiwillig da. Wir mussten durch das Wasser gehen. Es dauerte ungefähr sechs Stunden mit dem kleinen Boot, bis wir das große erreichten. Dort waren 95 Menschen. Ich habe zwei Monate an Bord verbracht. Ich war mir nicht sicher, dachte mir nur, dass ich nach Malaysia gebracht werde. Ich war krank, habe mich viel übergeben, lebte an Bord wie eine Tote. Ich weiß nicht, was ich in Malaysia tun soll, ich habe kein Geld. Ich habe Heimweh nach Myanmar, aber ich weiß, dass ich nicht zurückgehen kann.
- Arefa, eine 16-Jährige aus der Gemeinde Maungdaw in Rakhaing-Staat

Ich war zusammen mit meinem Mann auf dem Weg zu meinem Schwiegervater, als ein Mittelsmann und viele andere Männer uns verschleppten. Sie zwangen uns, an Bord eines größeren Schiffes zu gehen. Dort konnte ich die Sprache [der Menschenhändler] nicht verstehen, ich spreche weder Burmesisch noch Arakanesisch. Ich weiß nicht, wer sie waren. Ich habe zwei Monate auf dem Boot verbracht. Ich war unter, mein Mann über Deck. An einem Tag kam mein Mann zu mir herunter, er blutete an Kopf, Schulter und Arm. Die Schlepper haben ihn so zugerichtet, er wusste nicht, warum. Ich habe ihn nicht wiedergesehen, bis wir auf der Insel ausgesetzt wurden. Die thailändische Marine kam und brachte uns an unterschiedliche Orte. Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, hatte er immer noch Schmerzen.
- Sameera, eine 16-Jährige aus der Gemeinde Maungdaw in Rakhaing-Staat

Mein Bruder in Malaysia hat einen Mittelsmann kontaktiert, der mir dazu riet, nach Malaysia zu gehen, er sagte, es sei sicherer, dort zu arbeiten. Ich habe in den Nachrichten gehört, dass viele Menschen auf den Weg sterben, aber ich kann nicht länger in meinem Heimatland bleiben. Ich kann niemanden in meinem Dorf heiraten, weil wir arm sind und uns nicht leisten können, den [burmesischen] Beamten für die Genehmigung zu bezahlen, es kostet ungefähr 600.000 Kyat [600 €]. Ich bin nie zur Schule gegangen, weil die Anmeldung zu teuer ist. Der Mittelsmann brachte mich und sechs andere nachts mit einem Schiff [durch die Flüsse] an die Küste. Wir gingen an Bord eines größeren Bootes, da waren insgesamt 95 Menschen. Wir haben zwei Monate an Bord verbracht, die ganze Zeit über kamen mehr und mehr Menschen aus kleineren Schiffen dazu. Wir [die Frauen] waren unter Deck, in einem ganz kleinen Raum. Ich konnte nicht nach draußen sehen, nur spüren, wie sich das Boot auf und ab bewegte. Viele Menschen haben sich ständig übergeben, mir war ständig übel und ich habe mich unwohl gefühlt. Ich habe die ganze Zeit lang die gleiche Kleidung getragen, ich konnte mich nicht waschen. Die Überfahrt nach Thailand hat zehn Tage gedauert. Wir wurden nachts mit kleinen Booten auf die Insel gebracht, das dauerte etwa eine Stunde, während der wir uns verstecken mussten. Als ich auf die Insel kam, dachte ich, dass ich sterben würde. Es gab kein Essen und kein Wasser. Wir verbrachten dort zwei Tage. Dann kam die thailändische Marine, gab uns zu essen und zu trinken, fotografierte uns und brachte uns nach Thailand. Ich möchte nur, dass mein Bruder und meine Eltern wissen, dass ich hier bin. Ich kann nicht nach Hause gehen, Myanmar [Burma] ist nicht mein Land.

- Hafsa, eine 14-Jährige aus der Gemeinde Maungdaw in Rakhaing-Staat

Die Schlepper kamen in unser Dorf und boten uns an, umsonst nach Malaysia zu gehen, um dort unsere Ehemänner oder die Männer zu treffen, denen wir versprochen waren. Nach der Gewalt im Jahr 2012 sind die meisten Männer nach Malaysia geflohen. Die Schlepper sagten, es sei umsonst, aber als wir an Bord gingen, fragten sie nach Geld und wir hatten keins. Sie sperrten uns unter Deck, wir konnten nichts sehen. Die Leute waren unterschiedlich lange auf dem Boot, manche zwei Monate, manche acht Tage. Aber sobald du es betrittst, bleibst du da, du kannst dich nicht bewegen.

- Raziyaa, eine 18-Jährige aus der Gemeinde Buthidaung in Rakhaing-Staat

Ich weiß nicht, wo mein Ehemann ist. Es gab keine Arbeit in meinem Dorf, deshalb beschloss ich, nach Malaysia zu gehen und meinen Vater zu suchen. Der Mittelsmann ist ein Rohingya, ich kannte ihn nicht, dachte aber, dass ich gehen sollte. Er wollte mein Gehalt von zwei Monaten für die Reise [nach Malaysia]. An Bord waren 250 Menschen, überwiegend Männer. Die Überfahrt nach Thailand dauerte zwei Monate. Wir dachten, wir würden sterben, weil es immer weniger Nahrung und Wasser gab, wir bekamen nur Reis und Salz und ein Glas Wasser am Tag. [Ende des Jahres 2014] kamen wir in Satun an. Ich verbrachte zwei Nächte im Dschungel-Lager in Satun, da waren etwa 200 Menschen. Ich hörte, dass es 74 solcher Lager gibt. Nach zwei Nächten wurde ich zusammen mit 20 anderen Frauen in einem Lieferwagen nach Malaysia gebracht. Es war so heiß und eng, und der Fahrer fuhr zu schnell. Die Polizei hielt uns an und verhaftete uns alle.

- Minara, eine 18-Jährige aus der Gemeinde Buthidaung in Rakhaing-Staat

Ich lebte in einem Lager für Binnenflüchtlinge, das war schwer. Ich wurde hereingelegt und ging an Bord eines Bootes, weil mir Arbeit versprochen worden war. Ich wollte nicht nach Malaysia. Im Lager waren etwa 370 Personen, überwiegend Rohingya und etwa 50 Bangladescher. Mit einem kleinen wurde ich zu einem größeren Boot gebracht, da waren burmesische Schlepper aus Kawthaung [Südburma]. Von diesem Boot aus wurden wir in ein Lager in der Nähe von Padang Besar [an der thailändisch-malaysischen Grenze] gebracht. Ich versuchte, aus dem Dschungel-Lager zu fliehen, aber ich traf einen Thai, der mich zurückbrachte. Die Leute [thailändische Zivilisten], die in der Umgebung des Lagers leben, wissen, dass sie 5.000 Baht [150 €] bekommen, wenn sie Rohingya ins Lager zurückbringen. Die Mittelsmänner schlugen mich mit Stöcken und Bambus-Stäben und verbrannten meine Beine und Knöchel mit Zigaretten, weil ich die Summe nicht aufbringen konnte, die ich zahlen sollte, um nach Malaysia zu gehen. Ich war da einen Monat lang. Als ich zum zweiten Mal entkam, entdeckten mich thailändische Arbeiter auf einer Kautschukplantage und übergaben mich der [thailändischen] Polizei. Ich war fünf Monate lang im Gefängnis, und jetzt kann ich nicht nach Sittwe zurück, aber ich will dahin und meine Kinder holen.

- Khalida, eine 25-jährige Frau aus einem Lager für Binnenflüchtlinge in Sittwe in Rakhaing-Staat

Langjährige Menschenrechtsverletzungen an den Rohingya in Burma

Die Zahl der Bootsflüchtlinge, die Westburma und Bangladesch verlassen, steigt dramatisch an. Diese Entwicklung geht darauf zurück, dass die staatenlose Minderheit der muslimischen Rohingya seit Jahrzehnten unterdrückt wird und praktisch rechtslos ist. Im Jahr 1978 vertrieb die burmesische Armee in einer Militäroperation mehr als 250.000 Rohingya ins benachbarte Bangladesch, deren Regierung viele von ihnen kurz darauf zur Rückkehr zwang.

Den Rohingya werden ihre Bürgerrechte verwehrt, weil das diskriminierende Staatsbürgerschaftsrecht aus dem Jahr 1982 es ihnen beinahe unmöglich macht, ihren Anspruch auf Staatsbürgerschaft nachzuweisen. Im Jahr 1991 vertrieben burmesische Sicherheitskräfte Hunderttausende Rohingya gewaltsam nach Bangladesch. Im Jahr 1995 schob Bangladesch viele Rohingya nach Burma ab. Diese leben seitdem mehrheitlich in den Gemeinden Buthidaung und Maungdaw in der Nähe der Grenze unter restriktiven Bedingungen. Ihre Bewegungsfreiheit ist massiv eingeschränkt, genau wie die Möglichkeit, Arbeit zu finden und der Zugang zu grundlegenden sozialen Diensten sowie die Religionsfreiheit. Die burmesische Regierung lehnt die Bezeichnung „Rohingya“ ab und bezeichnet sie als „illegale Bengalen“.

In Bangladesch leben etwa 30.000 als Flüchtlinge anerkannte Rohingya in Flüchtlingslagern des UNHCR, die dort vor dem Jahr 1993 angekommen sind. Seitdem haben Rohingya keine Möglichkeit mehr, in Bangladesch einen Asylantrag zu stellen, obwohl sie potenziell Anspruch auf internationalen Schutz haben. Aus diesem Grund leben weitere, schätzungsweise 30.000 Personen ohne Flüchtlingsstatus in behelfsmäßigen Unterkünften in der Umgebung dieser Lager in der Nähe von Teknaf in Cox’s Bazaarm. Weitere 250.000 bis 300.000 Rohingya leben ohne Aufenthaltstitel in dieser Gegend. Diejenigen, die außerhalb der UNHCR-Lager leben, erleben häufig Misshandlung und Diskriminierung durch ortsansässige Beamte und Zivilisten.

Seit dem Jahr 2005 legen kleine Boote mit Rohingya und Arbeitsmigranten aus Bangladesch von der südlichen Küste Bangladeschs ab. Sie bringen überwiegend Männer nach Malaysia, die dort als Arbeitsmigranten leben. Diese kleinen Schiffe legen oft in Thailand an und nutzen ein Netz aus Schmuggelwegen von dort nach Malaysia. Die Zahl der ankommenden Schiffe stieg graduell an, bis die thailändischen Behörden Gegenmaßnahmen ergriffen. Im Jahr 2009 schleppten thailändische Sicherheitskräfte mehrere Schiffe weit ins Meer hinaus, was einen massiven internationalen Aufschrei und kritische Medienberichte zur Folge hatte. Daraufhin änderte die thailändische Regierung ihren Kurs hin zu einer so genannten „Hilfspolitik“: Beamte erhielten die Anordnung, Boote in thailändischem Hoheitsgewässer humanitär zu versorgen, sie davon abzuhalten, in Thailand anzulegen, und sie Richtung Süden nach Malaysia zu schicken.

Allerdings wurde diese Politik im Laufe der Zeit immer mehr von Korruption durchzogen. Die Boote wurden vermehrt Banden in die Hände geschickt, die die Menschen an Bord in Dschungel-Lagern festhielten und erpressten, bevor sie nach Malaysia weiterreisen durften. Der Exodus umfasst inzwischen Zehntausende Rohingya und Bangladescher, von denen einige vor Gewalt und Diskriminierung fliehen, andere Arbeit suchen. Das Büro des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge schätzt in einem aktuellen Bericht, dass in den ersten drei Monaten des Jahres 2015 25.000 Personen Burma und Bangladesch per Boot verlassen haben. Schätzungsweise 300 Menschen starben dabei an Hunger, Durst oder den Schlägen der Schlepper-Crews oder in Folge von Auseinandersetzungen an Bord der Schiffe.

Ethnisch motivierte Konflikte zwischen arakanesischen Buddhisten und Rohingya sowie anderen Muslimen brachen erstmals im Juni 2012 aus. Eine zweite Welle der Gewalt im Oktober 2012 mündete in von der Regierung unterstützte Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Im Zuge einer ethnischen Säuberung sollten alle Rohingya aus den urbanen Gebieten in Rakhaing-Staat vertrieben werden. Insgesamt starben mindestens 167 Menschen, zahlreiche Gebäude wurden zerstört. Bis heute leben mehr als 140.000 binnenvertriebene Rohingya und Arakanesen überall in Rakhaing-Staat in Lagern. Viele Rohingya erhalten nur rudimentäre, unangemessene Unterstützung, da staatliche Restriktionen bestehen und internationale, humanitäre Helfer von arakanesischen Ultranationalisten eingeschüchtert werden.

Die burmesische Regierung führte im März und April 2014 mit Unterstützung des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen eine Volkszählung durch, bei der niemand erfasst wurden, der sich als Rohingya bezeichnete. Im August veröffentlichte, vorläufige Schätzungen besagen, dass 1.09 Millionen Menschen nicht mitgezählt wurden. In Reaktion auf die langjährige Vertreibung entwickelte die Regierung den Entwurf eines Rakhaing-Aktionsplanes, der im September von den Medien enthüllt wurde. Dieser Plan enthielt diskriminierende Vorschriften, die im Falle seiner Umsetzung die langfristige Segregation der vertriebenen Rohingya und ihre Staatenlosigkeit als nationalen, politischen Grundsatz festschreiben würde. Auch Monate nach seiner angekündigten Freigabe wurde der Rakhaing-Aktionsplan immer noch nicht offiziell veröffentlicht, was die Sorge der betroffenen Gemeinschaften verstärkt.

Im Jahr 2015 hat die burmesische Regierung den Rohingya das Recht entzogen, befristete Identifikationsdokumente zu besitzen. Diese so genannten weißen Karten berechtigten sie dazu, sich am Verfassungsreferendum im Jahr 2008 und an den landesweiten Wahlen im Jahr 2010 zu beteiligen, verlieh ihnen allerdings nicht alle Staatsbürgerrechte. Mehr als 400.000 Rohingya haben vor dem Stichtag am 31. Mai ihre Karten abgegeben, da die burmesische Regierung zugesagt hatte, ihnen zukünftig ein anderes Ausweisdokument auszustellen, sofern sie sich nicht als Rohingya, sondern als „Bengalen“ bezeichnen. Darüber hinaus ist die Verabschiedung von vier sogenannten Rasse- und Religionsgesetzen außerordentlich besorgniserregend, die von vielen Akteuren als Gesetze gegen die muslimische Minderheit im Allgemeinen und die Rohingya im Besonderen betrachtet werden. Zu ihnen zählt das kürzlich verabschiedete Gesetz über Bevölkerungskontrolle und Gesundheit, das dazu genutzt werden kann, die Geburtenraten der Rohingya zu beschränken. Diese Entwicklungen und die seit dem Jahr 2012 eskalierende Gewalt gegen die Rohingya tragen massiv zum gegenwärtigen Exodus bei.

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