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Zentralasien: Fünf Jahre EU-Zentralasienstrategie

Fehlen klarer Erwartungen und politischer Konsequenzen hemmt Fortschritte bei Menschenrechten

(Brüssel) – Die Europäische Union verhindert eine wirksame Förderung der Menschenrechte in Zentralasien, weil sie weder klare Reformerwartungen artikuliert noch politische Konsequenzen zieht, wenn Erwartungen nicht erfüllt werden. Die EU-Außenminister werden am 25. Juni 2012 eine Zwischenbilanz der vor fünf Jahren verabschiedeten EU-Zentralasienstrategie veröffentlichen.

„Es ist nicht einfach, in Zentralasien positive Veränderungen zu bewirken. Es wäre jedoch ein guter Anfang, wenn klare Erwartungen formuliert und engere Beziehungen an Fortschritte bei den Menschenrechten geknüpft würden“, so Veronika Szente Goldston, Advocacy-Direktorin für Europa und Zentralasien bei Human Rights Watch. „Bislang hat sich die EU gegen solche Maßnahmen gesträubt. Für eine Kurskorrektur ist es jedoch noch nicht zu spät.“

Die EU und ihre Mitgliedstaaten verfolgen in ihren Beziehungen mit Zentralasien wichtige Interessen, etwa beim Zugang zu Rohstoffen und Energieträgern oder in Sicherheitsfragen, insbesondere im Hinblick auf Afghanistan. Diese Interessen sollen jedoch nicht als Begründung herangezogen werden, um das Engagement der EU für die Menschenrechte in der Region einzuschränken.

Die Regierungen der zentralasiatischen Staaten – Kasachstan, Kirgisien, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan – zeichnen sich ausnahmslos durch eine ausgesprochen schlechte Menschenrechtsbilanz aus. Sie widersetzen sich ernsthaften Reformschritten, wie ein Positionspapier von Human Rights Watch dokumentiert.

Besonders Turkmenistan und Usbekistan stechen durch Abschottung und Repression hervor. Sie unterdrücken die unabhängige Zivilgesellschaft und bringen Kritiker durch eine Kombination von Drohungen, Schikanen und politisch motivierter Inhaftierung zum Schweigen. Die Menschenrechtslage in Kasachstan, das im Vergleich mit seinen Nachbarn bislang besser abschnitt, hat sich in den vergangenen 18 Monaten erheblich verschlechtert. Unterdessen strebt das Land bessere Beziehungen zur EU an, in Form eines verbesserten Partnerschafts- und Kooperationsabkommens. Dadurch bietet sich der EU eine wichtige Gelegenheit, um dringend benötigte Reformen einzufordern.

Die Bilanz bei der Förderungen von Menschenrechtsreformen in Zentralasien war jedoch allenfalls Stückwerk. Die EU hob Sanktionen gegen Usbekistan auf, obwohl das Land die dafür erforderlichen Kriterien nicht erfüllt hatte. Ferner setzt sich die Union aktiv für eine Verbesserung ihrer Beziehungen zu Turkmenistan ein, ohne im Gegenzug Maßnahmen zur Verbesserung der Menschenrechtslage einzufordern.

Das Versprechen der Zentralasienstrategie, die Menschenrechte zu einem „Schlüsselgebiet“ der Zusammenarbeit zu machen, führte in der Praxis zu kaum mehr als sogenannten „strukturierten Menschenrechtsdialogen“. Bei diesen jährlichen, mit hochrangigen Diplomaten besetzten Gesprächen mit jedem zentralasiatischen Staat handelte es jedoch um abgeschottete Dialoge mit unklarer Zielsetzung und zweifelhaften Ergebnissen, die bislang offenbar keinen Einfluss auf die allgemeinen Beziehungen der EU mit den betreffenden Staaten hatten.

„Die EU soll nicht erlauben, dass die Menschenrechtsdialoge als Ausrede benutzt werden, um Menschenrechtsthemen nicht bei anderen – gewichtigeren – Anlässen zur Sprache zu bringen. Ansonsten werden diese Dialoge die Menschenrechtspolitik der EU nicht stärken, sondern schwächen“, so Szente Goldston. „Schon ein flüchtiger Blick auf Turkmenistan und Usbekistan macht schmerzhaft deutlich, dass Dialoge ohne bindende Abkommen keine nennenswerte Verbesserung der Menschenrechtslage hervorbringen.“

Die EU soll zudem stärker mit zivilgesellschaftlichen Gruppen in Zentralasien Kontakt aufnehmen und ernsthafte Partnerschaften eingehen. Sie soll dafür sorgen, dass Menschenrechtler, die zumeist unter extremem Druck und großen persönlichen Risiken arbeiten, sich von der EU gehört und unterstützt fühlen.

Gerade angesichts der Verschlossenheit und Abschottung zentralasiatischer Regierungen ist es wichtig, öffentlich über Menschenrechtsprobleme zu sprechen und so die Positionen und Ziele der EU in der Region zu Protokoll zu geben. Die Regierungen der Region versuchen in unterschiedlichem Maße, ein Monopol auf Informationen über die Bedingungen in ihren Ländern und ihre Beziehungen zur EU zu behaupten. In manchen zentralasiatischen Staaten, insbesondere in Usbekistan und Turkmenistan, waren von der EU initiierte Menschenrechtsdialoge die einzige Möglichkeit für Menschenrechtler, die Haltung ihrer Regierung zu einem bestimmten Menschenrechtsthema in Erfahrung zu bringen.

„Informationsaustausch und Konsultationen in privaten Treffen mit Mitgliedern der Zivilgesellschaft sind wichtig und begrüßenswert, doch sie sind kein Ersatz dafür, den Inhalt und die Ergebnisse der Menschenrechtsgespräche offiziel und transparent aufzuzeichnen“, so Szente Goldston.

Human Rights Watch ruft die EU auf, die Prüfung ihrer Zentralasienstrategie zum Anlass zu nehmen, daran die folgenden dringend notwendigen Änderungen vorzunehmen:

  • Bedingungen, Benchmarks und Reformschritten, die in dem jeweiligen Land angestrebt werden, sollen klar ausgesprochen werden. Im Falle Usbekistans wurden solche Schritte bereits durch die EU-Außenminister im Rahmen des Sanktionsprozesses formuliert, zuletzt im Oktober 2010. Im Falle Turkmenistans geschah dies durch das EU-Parlament, zunächst im Jahr 2008 und erneut im Jahr 2009. In beiden Fällen wurden die geforderten Reformschritte jedoch nicht aktiv eingefordert.
  • Die EU soll auf allen Ebenen aktiv und nachhaltig die Umsetzung ihrer strategischen Ziele kontrollieren und auswerten, um die Einhaltung von Benchmarks zu gewährleisten. Dies gilt insbesondere auch für die höchsten politischen Ebenen und für bilaterale Beziehungen der EU-Mitgliedstaaten. Menschenrechtsfragen sollen bei jeder Gelegenheit, auch öffentlicht, angesprochen werden, um deren Bedeutung für die Beziehungen deutlich zu machen.
  • Die EU soll den politischen Willen aufbringen, politische Konsequenzen zu ziehen, wenn Erwartungen nicht erfüllt werden. Im Falle von Turkmenistan und Kasachstan soll die Aussicht auf engere Beziehungen genutzt werden, um Fortschritte bei den Menschenrechten zu bewirken. Dazu sollen engere Beziehungen davon abhängig gemacht werden, ob es Fortschritte bei der Umsetzung erwarteter Reformen gibt. Gegenüber Usbekistan sollen die EU-Mitgliedstaaten einen klaren Zeitplan für die Umsetzungen der EU-Menschenrechtskriterien festsetzen, bei deren Nichteinhaltung konkrete Konsequenzen drohen, einschließlich erneuter Einschränkungen der Beziehungen. Im Dezember setzte das EU-Parlament ein positives Beispiel, indem es einer vorgeschlagenen Reduzierung der EU-Einfuhrzölle für Textilien aus Usbekistan nicht zustimmt, und zwar solange, bis die Regierung internationalen Beobachtern Zugang zur Baumwollernte gewährt und die Regierung konkrete Maßnahmen ergreift, um der Kinderarbeit ein Ende zu setzen. Damit führte das Parlament das dringend benötigte Prinzip der Konditionalität in die Beziehungen zwischen der EU und Usbekistan ein.

„Eine wirkungslose EU-Politik gegenüber Zentralasien ist kein abstrakter Missstand oder eine vergebene Gelegenheit, sondern hat reale Auswirkungen auf die Leben der Menschen dort“, so Szente Goldston. „Es ist Zeit für eine EU-Politik, bei der der Einsatz für handfeste Verbesserungen für die Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen in Zentralasien im Mittelpunkt steht.“

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