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Im Vorfeld des Gipfeltreffens der sechs Mitgliedsstaaten der Shanghai-Kooperationsorganisation, das gerade in Taschkent stattfindet, griffen die usbekischen Behörden zu immer drastischeren Mitteln, um friedliche Demonstrationen zu verhindern und politische Aktivisten zum Schweigen zu bringen, erklärte Human Rights Watch heute.

In den letzten Wochen wurden hier friedliche Demonstrationen abgebrochen, politische Aktivisten und auch ihre Kinder völlig wahllos verhaftet und potentielle Demonstranten in ihren Häusern festgehalten, um die Kundgebungen zu verhindern. Außerdem wurden Polizeikontrollen an den Haustüren verschiedener Menschenrechtler und Aktivisten durchgeführt. Einige von ihnen wurden zum Verhör beordert. Zwei Fälle sind bekannt, in denen unbekannte Angreifer Aktivisten kurz vor geplanten Protestmärschen zusammengeschlagen haben. Da die Opfer auch vor diesen Attacken schon Drohungen und Druck seitens der Polizei erfahren mussten, liegt ein politisches Motiv für die Überfälle nahe.

Während der letzten Woche, als die Teilnehmer des Gipfels nach und nach in Taschkent ankamen, häuften sich auch die Razzien.

Auf dem am 16. und 17. Juni stattfindenden Gipfeltreffen, diskutieren die Mitgliedstaaten der Shanghai-Kooperationsorganisation – China, Russland, Kasachstan, Kirgisien, Tadschikistan und Usbekistan – über eine verstärkte Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheit. Der usbekische Außenminister erklärte den verstärkten Kampf gegen „die drei Übel: Terrorismus, Separatismus und Extremismus sowie Drogenhandel“ zum Hauptziel des Gipfels.

„Gerade der Schutz der grundlegenden Menschenrechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit sollte aber in der Sicherheitspolitik der Region eine Schlüsselrolle spielen,“ forderte Rachel Denber, amtierende Direktorin der Europa und Zentralasien Abteilung von Human Rights Watch. „Usbekistan hat sich zur Einhaltung des Völkerrechts in dieser Hinsicht verpflichtet. Der Staat muss die Bürger bei der Ausübung der friedlichen freien Meinungsäußerung schützen.“

Zahlreiche Aktivisten wurden von der Polizei davor gewarnt, während des Gipfeltreffens zu demonstrieren. Die politische Aktivistin und Menschenrechtlerin Gavkhar Aripowa wurde von einem Polizeibeamten aufgefordert, „ihr Land nicht vor den Gästen zu blamieren.“

„Usbekistan ist zwar leider dafür bekannt, dass Andersdenkenden der Mund verboten wird,“ erläuterte Denber, „aber für Demonstranten braucht sich kein Land zu schämen. Im Gegenteil: Friedliche Opposition und die Möglichkeit sich – z.B. anlässlich solcher Gipfeltreffen – Gehör verschaffen zu können, sind Zeichen einer gesunden Demokratie.“

An solchen Möglichkeiten der öffentlichen Kritik mangelt es in Usbekistan ganz gewaltig. Offiziell gibt es keine Oppositionsparteien und auch nur zwei offizielle unabhängige Menschenrechtsgruppen. Den Aktivitäten von staatlich unregistrierten Gruppen werden strikte Grenzen gesetzt. Auch die Pressefreiheit ist stark eingeschränkt und öffentliche Veranstaltungen sind nur nach langwierigen Genehmigungsprozeduren möglich.

Übergriffe auf Aktivisten

Am 13. Juni wurde die Menschenrechtlerin und Mitglied der politischen Partei Erk (Freiheit) Gavkhar Aripowa von zwei unbekannten Frauen getreten und geschlagen. Die Angreiferinnen verletzten Aripowa dabei an den Nieren und brachen ihr ein Bein. Da die Aktivistin zuvor von der Polizei wegen ihres politischen Engagements Drohungen erhalten hatte, liegt die Vermutung nahe, dass der Überfall politisch motiviert war. Am Tag zuvor war Aripowa ins Polizeipräsidium bestellt worden, wo man ihr, so erklärte sie später, die Warnung gegeben hätte: „Wenn Sie morgen demonstrieren, brechen wir Ihnen die Beine.“ Für Aripowa handelte es sich dabei nicht um den ersten Vorfall dieser Art. Am 1. Juni wollte sie an den für diesen Tag geplanten Demonstrationen teilnehmen, wurde aber von vier Frauen daran gehindert, die sie umzingelten, sie mit den Fäusten ins Gesicht schlugen und wissen wollten, warum sie „Ärger machte“ und „schlecht über die Regierung“ spreche.

Bakhodir Tschoriew, ein Landwirt aus Schakhrizabs in Südusbekistan, versucht seit längerem den Staat an der Konfiszierung seiner landwirtschaftlichen Genossenschaft zu hindern. Am 21. Mai wurde er von zwei unbekannten Männern aus seinem Auto heraus entführt. Sie fesselten ihn und legten ihm eine Augenbinde um. Dann fuhren sie mit ihm an eine abgelegene Stelle außerhalb von Taschkent und schlugen ihn zusammen bis er das Bewusstsein verlor.

Zuvor hatte Tschoriew bei der Stadtverwaltung von Taschkent die Genehmigung für eine politische Versammlung am 1. Juni beantragt. Bei dieser Protestveranstaltung plante er den usbekischen Präsidenten Islam Karimow zum Rücktritt aufzufordern. Die wiederholt gestellten Anträge vom 20.April, 5. Mai sowie 20. Mai wurden, so Tschoriew, in keiner Weise beantwortet. Die Behörden behaupten allerdings, man habe dem Antragsteller eine Absage erteilt. In den Tagen vom 10. bis zum 21. Mai erschien Tschoriew zu täglichen Protesten vor dem Bürgermeisteramt und verlangte eine Antwort auf seinen Antrag. Manchmal trug er dabei ein T-Shirt, auf dem der Rücktritt von Präsident Karimow gefordert wurde.

Auch nach dem Überfall hielt Tschoriew eisern an seinem Vorsatz fest, am 1. Juni die Versammlung abzuhalten. In den Tagen davor erhielt er zwei Drohanrufe. Der unbekannte Anrufer warnte Tschoriew und sagte, die Schläge seien wohl nicht „genug“ gewesen und wenn er seine Aktivitäten nicht aufgebe, würde man seine schwangere Frau und seine Kinder umbringen.“

Am Morgen des 1. Juni – dem Tag, an dem die Versammlung stattfinden sollte – nahmen Polizeibeamte Tschoriews neun Jahre alten Sohn mit und hielten ihn acht Stunden lang im Polizeipräsidium von Khamza fest. Mitarbeiter von Human Rights Watch beobachteten, dass Tschoriews Wohnung von Beamten in Zivil und Uniform umstellt waren. Auch die Mahalla (Nachbarschaftsversammlung) entsandte mehrere ihrer Vertreter. Dadurch wurde es Tschoriew und seine Familie unmöglich gemacht, das Haus zu verlassen und den Mitgliedern von Human Rights Watch es zu betreten. Später zwangen die Polizeibeamten Tschoriew und ungefähr 18 seiner Verwandten, die extra für das Treffen nach Taschkent gekommen waren, in einen Bus zu steigen und brachte die Familie an einen Ort cirka 70 Kilometer außerhalb von Taschkent. Dort verhörte man die Leute offensichtlich und nahm ihnen ihre Pässe ab.

Interessierte, die am Ort der geplanten Kundgebung erschienen waren, wurden von Beamten der Antiterrorismus-Abteilung des Innenministeriums mit der Absage des Treffens konfrontiert. Die Beamten zeigten ein Schreiben aus dem Bürgermeisteramt vor, in dem der Antrag auf die Versammlung abgelehnt wurde.

Inhaftierungen

Am 14. Juni beschlagnahmte die Polizei ein Plakat von Juri Konopliow, einem Aktivisten der immer wieder versucht friedliche Proteste zu organisieren, und hinderte ihn daran, das Haus zu verlassen und an einer Demonstration in Taschkent teilzunehmen. Durch die Demonstration sollte auf die Menschenrechtsprobleme in Usbekistan aufmerksam gemacht werden. Man appellierte dabei auch an die anderen Mitgliedstaaten der Shanghai-Kooperationsorganisation, Usbekistan zur Einhaltung der Menschenrechte zu drängen. Etwas später am selben Morgen nahm die Polizei mehrere Aktivisten in der Nähe einer U-Bahnstation in der Nähe des Intercontinental Hotels fest, wo die Kundgebung stattfinden sollte. Fünf Demonstranten – einer davon zusammen mit seinem zehnjährigen Kind – wurden zum Polizeipräsidium von Jonusobad gebracht, wo man sie mehrere Stunden lang festhielt, sie wegen ihrer politischen Aktivitäten verhörte und sie davor warnte zu demonstrieren. Dann wurden sie ohne Anklage entlassen.

Auf die Nachfrage von Human Rights Watch hin leugneten die Beamten des Junusobad-Polizeipräsidiums, dass man dort Demonstranten festhielte – und dies, obwohl ein Mitarbeiter von Human Rights Watch mit eigenen Augen gesehen hatte, wie einer der Verhafteten in die Wache gezogen wurde. Auf weitere Fragen verweigerte die Polizei die Auskunft.

Am selben Tag wurde auch Abdujalil Baimatow, ein Mitglied der Menschenrechtsgesellschaft von Usbekistan im Polizeipräsidium von Khamza wegen leichtem Rowdytum festgehalten. Der Aktivist wollte ebenfalls an der oben erwähnten Demonstration teilnehmen und wurde in der Nähe des Hotels verhaftet.

Erst am nächsten Tag, dem 15.Juni, wurde er wieder auf freien Fuß gesetzt, nachdem ein Richter ihn offiziell verwarnt hatte. Auch Baimatow war zuvor schon von der Polizei vor einer Teilnahme an der Demonstration gewarnt worden (siehe unten).

Am 15. Juni wurde Elena Urlawewa, die am Tag zuvor unter den fünf verhafteten und wieder freigelassenen Aktivisten gewesen war, erneut verhaftet. Angeblich hatte sie Beamtenbeleidigung begangen, als sie auf der Wache erschienen war und die Freilassung Baimatows gefordert hatte. Zu ihrer Anhörung vor Gericht erschien sie mit einer kleinen Schnittwunde am Kopf und an ihrem Bein, sowie Kratzern an Hals und Armen – Verletzungen die offensichtlich durch grobe Polizeibeamten verursacht wurden. Ihre Gerichtsverhandlung wurde auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.

Am 8. Juni – an dem ebenfalls ein Demonstration geplant war – verhafteten Polizeibeamte aus Khamza Tschoriew und Baimatow unabhängig voneinander und hielten sie mehrere Stunden lang fest. Man hielt Tschoriew die möglichen strafrechtlichen Folgen seiner politischen Aktivitäten als Drohung vor Augen und versuchte ihn zum Unterlassen solcher Aktivitäten zu nötigen. Die Beamten erklärten ihm, wenn er sich beschweren wolle, so solle er Beschwerdebriefe schreiben, anstatt sich auf Demonstrationen zu äußern.

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