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EU: Bedeutender Schritt hin zu entwaldungsfreien Lieferketten

Unternehmen sind aufgefordert, die Umwelt zu schützen und Menschenrechte in Lieferketten zu achten

Europäische Abgeordnete stimmen über Fragen des Klimawandels im Europäischen Parlament in Straßburg ab, Dienstag, 13. September 2022. © 2022 AP Photo/Jean-Francois Badias © 2022 AP Photo/Jean-Francois Badias

(Berlin) – Die Europäische Union ist dabei, eine neue Verordnung zu verabschieden, der zufolge in der EU ansässige Unternehmen sicherstellen müssen, dass ihre Importe und Exporte „frei von Entwaldung“ sind und keine Menschenrechte verletzen. Mit der Verordnung werden die rechtlichen Vorgaben festgelegt, die europäische Unternehmen beim Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen und den Verlust von Biodiversität in ihren internationalen Lieferketten einhalten müssen.

Das Europäische Parlament stimmte am 19. April für die EU-Verordnung zur Eindämmung der weltweiten Entwaldung (EUDR), die kurz nach der erwarteten Zustimmung im Europarat Ende April in Kraft treten wird.

„Europäische Agrarunternehmen sind verschiedene freiwillige Verpflichtungen in Bezug auf ihre Lieferketten eingegangen, es ist ihnen jedoch nicht gelungen, Entwaldung und Menschenrechtsverletzungen zu stoppen“, sagte Luciana Téllez Chávez, Umweltforscherin bei Human Rights Watch. „Verbindliche Vorschriften wie die EU-Verordnung zur Eindämmung der weltweiten Entwaldung sind erforderlich, damit Unternehmen Verantwortung für die Auswirkungen ihrer globalen Aktivitäten auf Umwelt und Menschenrechte übernehmen.“

Die EU-Verordnung zur Eindämmung der weltweiten Entwaldung verbietet es in EU-Mitgliedsstaaten registrierten Unternehmen, Holz, Palmöl, Soja, Kaffee, Kakao, Kautschuk und Rinder zu importieren oder zu exportieren, die auf Flächen produziert werden, die nach dem 31. Dezember 2020 entwaldet wurden. Die Verordnung verpflichtet Unternehmen, den Ursprung der Waren bis zu dem Landstück zurückzuverfolgen, auf dem sie erzeugt wurden, oder – im Fall von Rindern – die jeweiligen Flächen, auf denen die Tiere gehalten wurden.

Die Verordnung verlangt zudem von Unternehmen sicherzustellen, dass diese sieben Agrargüter unter Bedingungen produziert werden, die der „relevanten Gesetzgebung“ des Herkunftslandes entsprechen. Darunter fallen Rechte zur Landnutzung, Arbeitsrechte, international verankerte Menschenrechte, eine freiwillige, vorherige und informierte Einverständniserklärung, wie sie in der Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker gefordert ist, sowie Anti-Korruptions-Gesetze.

Was den Anteil am globalen Ausstoß von Treibhausgasen angeht, liegt die Entwaldung hinter den fossilen Energieträgern an zweiter Stelle und heizt damit den Klimawandel maßgeblich an. Weltweit gesehen ist die industrielle Landwirtschaft wiederum der wichtigste Treiber der Entwaldung. Im Zusammenhang mit der industriellen Landwirtschaft kommt es immer wieder zu einer ganzen Reihe an Menschenrechtsverletzungen, einschließlich: Zwangs- und Kinderarbeit, gesundheitsgefährdende Pestizideinsätze, Zwangsräumungen und -vertreibungen, Inbesitznahme traditioneller Territorien indigener Völker, Gewaltausübung und Einschüchterung gegenüber Umweltaktivist*innen usw.

Die EU importiert jährlich Holz und Agrarprodukte aus aller Welt im Wert von mehreren Milliarden Euro. Die den EU-Importen zugerechnete Entwaldung liegt, so eine Studie des World Wildlife Fund (WWF) und Trase von 2021, auf dem zweiten Platz nach China. Hier sind einige Beispiele aufgeführt:

  • Laut Daten der Handelsdatenbank Observatory of Economic Complexity (OEC) ging beinahe ein Zehntel (9,6 Prozent) der Schnittholzexporte von Malaysia 2021 in die EU. Die Holzbranche Malaysias ist maßgeblich für die weiträumige Entwaldung verantwortlich ebenso wie für die mutmaßliche Landnahme in indigenen Gebieten ohne vorherige Konsultation oder freiwillige und informierte Einwilligung.
  • Beinahe die Hälfte aller Kakaobohnen (44 Prozent) und mehr als die Hälfte (54 Prozent der Kakaopaste, die in die EU importiert wurden, stammten 2021 laut Daten der OEC aus der Elfenbeinküste. Die Kakaoindustrie der Elfenbeinküste treibt die Entwaldung in erschreckendem Maße voran, fördert den illegalen Holzhandel und war wiederholt in Fälle von Kinderarbeit verwickelt.
  • Mehr als ein Viertel (26 Prozent) des aus Brasilien exportierten Leders geht, gemessen am Wert, in den EU-Markt, so die Zahlen der brasilianischen Lederindustrie. Angaben der OEC zufolge stammte 2021 mehr als die Hälfte (54 Prozent) des von der EU importierten gefrorenen Rindfleischs aus Brasilien. Viehzucht ist der größte einzelne Treiber der größtenteils illegalen Abholzung im Amazonas; brasilianische Viehzüchter*innen waren ebenfalls an der Landnahme in indigenen Territorien beteiligt.
  • Der OEC zufolge stammte 2021 mehr als ein Zehntel (11 Prozent) der EU-Kaffee-Importe aus Vietnam. Die vietnamesische Kaffeebranche ist in erschreckendem Ausmaß für Entwaldung verantwortlich und beschäftigt mutmaßlich Kinder ab einem Alter von sechs Jahren, vornehmlich aus ethnischen Minderheiten.
  • Daten der OEC zufolge geht mehr als ein Drittel (39 Prozent) der kolumbianischen Palmölexporte in EU-Länder. Einige Palmölplantagen in Kolumbien werden mit großflächiger Entwaldung und der Landnahme in indigenen Gebieten in Verbindung gebracht sowie mit Massakern in ländlichen Gemeinschaften.

Nach der neuen Verordnung müssen europäische Unternehmen zudem sicherstellen, dass auch im Inland produzierte Waren den Bestimmungen entsprechen. Daraus ergeben sich Fragen zu den Praktiken bestimmter EU-Mitgliedsstaaten. Beispielsweise hat die schwedische Holzindustrie des Öfteren Landflächen in Besitz genommen, die die indigenen Sami für ihre Rentierzucht benötigen, die ein wesentlicher Aspekt ihrer kulturellen Identität ist.

Einer der Grundpfeiler für die erfolgreiche Umsetzung der Verordnung wird das Risiko-Benchmarking sein. Innerhalb von 18 Monaten nach Inkrafttreten wird die EU-Kommission bekanntgeben, in welche Kategorie die produzierenden Länder – inklusive EU-Mitgliedsstaaten – fallen: niedriges, mittleres oder hohes Risiko. Grundlage der Einstufung sind unter anderem die Entwaldungsrate und das Maß an Walddegradation sowie das Vorhandensein, die Einhaltung und effektive Durchsetzung von Gesetzen zum Schutz von Menschenrechten sowie der Rechte indigener Völker, lokaler Gemeinschaften und anderer traditioneller Inhaber*innen von Landrechten.

Produkte aus Ländern, die in die Kategorie mit „hohem Risiko“ fallen, werden sich strengeren Zollkontrollen ausgesetzt sehen, während europäische Unternehmen angehalten sein werden, umfassendere Due-Diligence-Prozesse durchzuführen, wenn sie Waren aus diesen Standorten beziehen.

Die Kommission wird politischem Druck von Handelspartnern und den eigenen EU-Mitgliedsstaaten widerstehen müssen, will sie gewährleisten, dass das Benchmarking tatsächlich die Bedingungen vor Ort widerspiegelt und zu einer effektiven Durchsetzung der Verordnung beiträgt, so Human Rights Watch.

Größere Unternehmen werden nach dem Inkrafttreten der Verordnung 18 Monate Zeit haben, um die erforderlichen Anpassungen vorzunehmen, bevor bei Zuwiderhandeln Strafen fällig werden. Während die Mitgliedsstaaten die Strafen exakt beziffern werden, macht die Verordnung bereits gewisse Vorgaben für Strafen in allen Ländern. Die Mitgliedsstaaten sind angehalten, die Strafen abzustimmen, um zu verhindern, dass manche Länder zu einer Art „Zufluchtsort“ für „schmutzige“ Waren werden, so Human Rights Watch.

Die Verordnung sieht vor, dass interessierte Parteien gegen EU-Behörden rechtlich vorgehen können, wenn sie der Ansicht sind, dass die EU die Verordnung nicht in angemessener Weise durchsetzt. Diese Option stärkt die Durchsetzung der Verordnung und bietet Gemeinschaften, die von Unternehmen geschädigt wurden, die Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen, so Human Rights Watch. Die EU-Mitgliedsstaaten sollten allerdings sicherstellen, dass diese Option spätestens 18 Monate nach Inkrafttreten der Verordnung tatsächlich zur Verfügung steht.

Wie effektiv die Umsetzung ausfällt, wird davon abhängen, ob die Mitgliedsstaaten zuständige Durchsetzungsstellen einsetzen und zudem gewährleisten, dass diese Stellen und die Zollbeamt*innen über eine angemessene Schulung und Ressourcen verfügen, um für eine Einhaltung der Vorgaben zu sorgen, so Human Rights Watch. Die Strafen, die die Mitgliedsstaaten festlegen, sollten eine deutlich abschreckende Wirkung haben, damit Strafzahlungen nicht einfach nur ein Teil der Betriebskosten werden.

Die EU sollte ihr Augenmerk auf Partnerschaften legen, die große produzierende Länder dabei unterstützen, nachhaltige Lieferketten und effektive Durchsetzungsmechanismen zu etablieren. Derartige Partnerschaften sollten darauf ausgerichtet sein, produzierende Länder bei der Einhaltung ihrer eigenen Klimaziele zu unterstützen, die sie im Rahmen des Pariser Abkommens und des Globalen Biodiversitätsrahmens 2022 definiert haben, erklärte Human Rights Watch.

Die Verordnung ist Teil eines weitergehenden Trends zu Beschränkungen auf der Nachfrageseite, bei dem große Abnehmer landwirtschaftlicher Produkte ihre Marktmacht dazu nutzen, nachhaltige Produktionsbedingungen einzufordern. Großbritannien stimmte kürzlich einer ähnlichen Bestimmung zu, auch US-Kongressabgeordnete haben einen ähnlichen Gesetzesentwurf eingebracht. Im März kündigte die chinesische Regierung eine gemeinsame Initiative mit der größten brasilianischen Lobbyorganisation der Rindfleischproduzenten an. Dabei sollen Rindfleischexporte gefördert werden, die nicht mit Entwaldung einhergehen.

In den kommenden Monaten wird Human Rights Watch gemeinsam mit lokalen und internationalen Organisationen Fakten sammeln und entsprechende Empfehlungen formulieren, die dabei helfen sollen, eine robuste Infrastruktur zur Umsetzung zu entwickeln.

„Die EU-Verordnung zur Eindämmung der weltweiten Entwaldung ist sehr vielversprechend. Wie effektiv sie jedoch sein wird, wird von der strikten Umsetzung durch jeden einzelnen EU-Mitgliedsstaat und von der konkreten Unterstützung abhängen, die die EU ihren Handelspartnern anbieten wird, um die Einhaltung der Vorgaben zu fördern“, sagte Téllez Chávez.

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