Skip to main content

Ägypten: Regierung untergräbt Umweltgruppen

COP27-Länder sollten Kairo drängen, Einschränkungen für NGOs zu beenden und deren Teilnahme am Klimagipfel zu ermöglichen

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und Sameh Shoukry, Außenminister Ägyptens, beim Petersberger Klimadialog im Auswärtigen Amt in Berlin, 19. Juli 2022. Der Petersberger Klimadialog dient der Vorbereitung der UN-Klimakonferenz, die 2022 in Sharm El Sheikh, Ägypten, stattfinden wird. © Florian Gaertner/picture-alliance/dpa/AP Images

(Beirut) – Die ägyptische Regierung hat die Möglichkeiten von Umweltgruppen, vor Ort tätig zu sein sowie unabhängige politische Arbeit und Lobbyaktivitäten zu verrichten, die für den Schutz der natürlichen Umwelt des Landes unerlässlich sind, erheblich eingeschränkt, so Human Rights Watch. Mit diesen Einschränkungen im Vorfeld des COP27-Klimagipfels im November 2022 verletzt Gastgeber Ägypten das Recht auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit und bedroht eigene Umwelt- und Klimaschutzverpflichtungen.

„Die ägyptische Regierung hat willkürliche Einschränkungen in den Bereichen Finanzierung, Recherche und Registrierung verhängt, die zur Schwächung lokaler Umweltgruppen geführt haben. In der Folge mussten einige Aktivisten ins Exil, andere konnten ihrer wichtigen Arbeit nicht länger nachgehen“, sagte Richard Pearshouse, Umweltdirektor von Human Rights Watch. „Die Regierung sollte ihre hinderlichen Restriktionen für unabhängige Nichtregierungsorganisationen, einschließlich Umweltgruppen, sofort aufheben.“

Im Juni befragte Human Rights Watch 13 Aktivist*innen, Akademiker*innen, Wissenschaftler*innen und Journalist*innen, die in Ägypten im Umweltbereich tätig sind. Alle stehen oder standen mit ihrer Arbeit in irgendeiner Weise mit dem Klimaschutz in Verbindung, sei es fachlich oder im Rahmen von Advocacy-Arbeit. Einige arbeiten derzeit noch für Nichtregierungsorganisationen (NGOs), während andere diese Arbeit aus Sicherheitsgründen eingestellt oder das Land verlassen haben. Aus Sorge vor Repressalien wollten alle bei der Befragung anonym bleiben. Sechs weitere Personen lehnten ein Interview aufgrund von Sicherheitsbedenken ab oder erklärten, dass sie durch staatliche Restriktionen gezwungen gewesen seien, ihre Umweltarbeit einzustellen.

Die Befragten beschrieben, dass der Raum für unabhängige Umwelt- und Klimaarbeit seit dem Amtsantritt der Regierung von Präsident Abdel Fattah al-Sisi im Jahr 2014 stark eingeschränkt sei. Sie berichteten von Schikanen und Einschüchterungstaktiken, wie zum Beispiel Verhaftungen und Reisebeschränkungen, die eine allgemeine Atmosphäre der Angst schaffen würden. Diese Beschreibungen decken sich mit den Taktiken, mit denen ägyptische Behörden seit 2014 gegen unabhängige lokale und internationale Gruppen als Teil ihres scharfen Durchgreifens gegen die Zivilgesellschaft vorgegangen sind.

Gleichzeitig erklärten einige Personen, dass jüngst mehr Spielraum von Seiten der Behörden zu spüren sei, wenn es um Umweltschutzmaßnahmen geht, die sich gut mit den Prioritäten der Regierung vereinbaren lassen und nicht als regierungskritisch wahrgenommen werden. Eine wachsende Zahl von Umweltgruppen arbeitet vor allem zu technischen Bereichen wie Müllentsorgung, Recycling, erneuerbare Energien, Ernährungssicherheit und Klimafinanzierung. „Wenn es um den Globalen Norden, dessen Kohlenstoffemissionen und deren Beitrag zum Klimawandel geht, wird nimmt der Diskurs der Regierung zunehmend radikale Töne an, einfach nur, weil sich dies mit ihren Interessen überschneidet, etwa beim Thema Finanzmittel“, sagte eine Person.

Mitarbeiter*innen von kritischen Menschenrechts- und Umweltgruppen sagten jedoch, dass sie aus Angst vor Repressalien auf der COP27 womöglich nicht öffentlich auftreten werden. „Der Sicherheitsapparat wird sich jetzt wahrscheinlich mehr als je zuvor auf die zivilgesellschaftliche Umweltbewegung in Ägypten konzentrieren“, sagte eine Aktivistin außerhalb des Landes. „Wenn die COP zu Ende ist, fangen sie vielleicht an zu schauen, wer was macht oder wer zum Beispiel von wo Geld bekommen hat.“

Human Rights Watch stellte fest, dass die größte Brisanz bei Umweltthemen zu finden ist, die das Versagen der Regierung beleuchten, Menschen vor Schäden zu schützen, die auf Unternehmensinteressen zurückgehen. Unter anderem geht es dabei um Themen wie Wassersicherheit, industrielle Verschmutzung sowie Umweltschäden durch Immobilien, Tourismusentwicklung und die Agrarindustrie.

Aktivist*innen sagten auch, dass die Umweltauswirkungen der umfangreichen und undurchsichtigen Geschäftstätigkeiten von Ägyptens Militär, wie etwa umweltschädliche Steinbrucharbeiten, Wasserabfüllanlagen und einige Zementfabriken, besonders gravierend seien. Das Gleiche gelte für „nationale“ Infrastrukturprojekte wie die geplante Verwaltungshauptstadt, die größtenteils vom Büro des Präsidenten oder dem Militär ausgehen.

„[Diese nationalen Infrastrukturprojekte sind] eine rote Linie“, sagte eine Person. „Ich bin nicht in der Lage, dazu zu arbeiten.“

Mehrere Personen sagten, dass ihre Organisationen, die weithin als in Ägypten führend anerkannt seien, durch staatliche Beschränkungen und ein umgreifendes Gefühl der Angst und Unsicherheit stark geschwächt wurden. Dadurch seien sie nicht mehr in der Lage, ihre Rolle als „Wächter“ über den Machtmissbrauch der Regierung zu erfüllen.

„Sie sind durch die Vorstellung, was passieren könnte, so gelähmt, dass sie nichts tun“, sagte ein langjähriger Aktivist aus Kairo.

Von den Einschränkungen bei der Finanzierung sind viele Umweltgruppen betroffen. Mehrere Gesetze, die seit 2014 erlassen wurden, darunter eine Änderung des Strafgesetzbuchs aus dem Jahr 2014 sowie das alte und das neue NGO-Gesetz, schränken willkürlich Zuschüsse und Spenden aus Quellen im In- und Ausland ein. Vornehmlich seit 2014 hat die Regierung Dutzende von unabhängigen Menschenrechts- und zivilgesellschaftlichen Organisationen, von denen einige im Umweltbereich tätig sind, wegen der Annahme ausländischer Gelder strafrechtlich verfolgt und gegen führende Aktivist*innen Reiseverbote verhängt und ihre Vermögen eingefroren. Mit diesem Vorgehen haben sie solche Gruppen wirkungsvoll abgeschreckt.

Mehrere Personen gaben an, dass ihre Gruppen erhebliche Schwierigkeiten haben, sich als NGOs registrieren zu lassen. Alle befragten Aktivist*innen erklärten, dass sie zunehmend davon absehen, wichtige Recherchen vor Ort durchzuführen, weil sie zum einen befürchten, dass sie oder die Personen, die sie interviewen, verhaftet werden. Zum anderen, weil es fast unmöglich geworden ist, eine entsprechende Genehmigung zu erhalten, da sie in der Regel die Zustimmung einer oder mehrerer Sicherheitsbehörden erfordert.

Im Februar 2020 erklärten sieben UN-Expert*innen, die diese und andere repressive Gesetze überprüften, dass „die Gesamtheit dieser gesetzlichen Erlasse und ihre miteinander verbundenen und kumulativen Auswirkungen kollektive und zerstörerische Folgen für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte“ haben.

Durch das repressive Vorgehen der Regierung sahen sich Dutzende von führenden zivilgesellschaftlichen Aktivist*innen und Gruppen in Ägypten, darunter auch solche, die sich mit Umwelt- und Menschenrechtsfragen befassen, gezwungen, das Land zu verlassen oder ihre Arbeit zu reduzieren bzw. aufzugeben. Eine Reihe ausländischer Menschenrechts- und Umweltorganisationen hat seit 2014 ihre Büros in Ägypten geschlossen. „Wir haben [in diesen Tagen] nicht einmal daran gedacht, zu protestieren“, sagte ein Umweltaktivist. Ein anderer sagte Folgendes: „Vor 2011 war der Raum nicht so geschlossen [wie heute]. Jetzt ist es sehr gefährlich.“

Human Rights Watch hat den ägyptischen Behörden am 23. August Fragen zur Situation der Umweltgruppen geschickt, aber keine Antwort erhalten. Die ägyptischen Behörden sollten die Repressionskampagne gegen unabhängige zivilgesellschaftliche Gruppen dringend beenden. Dazu gehört auch ein Ende der jahrelangen Verfolgung, des Einfrierens von Vermögen und der Reiseverbote gegen Mitarbeiter*innen von Menschenrechts- und Umweltgruppen. Die Regierung sollte das NGO-Gesetz von 2019 im Einklang mit der Verfassung und den internationalen Verpflichtungen zum Schutz der Vereinigungsfreiheit drastisch ändern. Außerdem sollte die Regierung alle Webseiten mit Nachrichten und Menschenrechtsthemen freigeben.

Das Sekretariat des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (UNFCCC) und andere an den COP27-Verhandlungen beteiligte Regierungen sollten mit der ägyptischen Regierung zusammenarbeiten, um Raum für eine vielfältige Beteiligung der Zivilgesellschaft an den Klimaverhandlungen zu schaffen. Dazu gehört, dass die Räumlichkeiten inklusiv und für alle zugänglich sind und dass Beobachter*innen, einschließlich regierungskritischer Gruppen, Zugang zur Registrierung und zu den Verhandlungen bekommen und die Möglichkeit haben, zu protestieren und ihre Meinungen frei zu äußern. Das UNFCCC sollte außerdem Menschenrechtskriterien entwickeln, zu deren Einhaltung sich die Gastgeberländer künftiger COPs im Rahmen der Gastgebervereinbarung verpflichten müssen.

Es ist außerdem entscheidend, dass die ägyptischen Behörden rechtzeitig Visa für die Teilnehmer*innen der COP27 ausstellen und ihre rechtswidrigen Überwachungs- und Einschüchterungstaktiken einstellen.

„Die Welt braucht mehr Klimaaktivismus, nicht weniger, und es kann keinen effektiven Aktivismus geben, wenn die Regierung zivilgesellschaftliche Gruppen als Bedrohung und nicht als Bereicherung ansieht“, so Pearshouse. „Die Mitgliedsstaaten der UN-Klimarahmenkonvention und das Sekretariat sollten die ägyptische Regierung drängen, dafür zu sorgen, dass sich Umweltgruppen während und nach der COP sicher fühlen.“

Your tax deductible gift can help stop human rights violations and save lives around the world.