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Demonstrierende in Myanmar versammeln sich mit selbstgebastelten Schilden und Schutzausrüstung, um sich während der gewaltsamen Übergriffe nach dem Militärputsch am 1. Februar 2021 gegen die Sicherheitskräfte zu verteidigen. © 2021 Private

(Genf, 13. Januar 2022) – Autokraten sahen sich im vergangenen Jahr erheblichem Gegenwind ausgesetzt, doch die Demokratie wird sich im Wettstreit mit der Autokratie nur durchsetzen können, wenn ihre Entscheidungsträger*innen den globalen Gegenwartsproblemen wirksamer entgegentreten als ihre autokratischen Gegenspieler*innen, so Kenneth Roth, Executive Director von Human Rights Watch heute anlässlich der Veröffentlichung des Human Rights Watch World Report 2022.

Von Kuba bis nach Hongkong trugen Menschen ihre Forderung nach mehr Demokratie auf die Straße, während ihre unverantwortlichen Regierungsoberhäupter – wie so oft – ihre eigenen Interessen vor die ihrer Bürger*innen stellten, so Roth. Viele demokratische Entscheidungsträger*innen waren zu sehr mit kurzfristigen Belangen und politischen Punktgewinnen beschäftigt, um schwerwiegenden Problemen wie dem Klimawandel, der Covid-19-Pandemie, Armut und Ungleichheit, ethnischem Unrecht oder den Gefahren neuer Technologien wirksam entgegenzutreten.

„In einem Land nach dem anderen gingen Menschen – trotz des Risikos, verhaftet oder erschossen zu werden – in großer Zahl auf die Straße. Dies zeigt, welch enorme Anziehungskraft die Demokratie immer noch besitzt“, so Roth. „Dennoch müssen die gewählten Staatschefs mehr tun, um den großen Herausforderungen entgegenzutreten. Sie müssen beweisen, dass die Demokratie ihre Versprechen hält und sich auszahlt.“

Der Human Rights Watch World Report 2022, der in diesem Jahr in seiner 32. Ausgabe erscheint, beschreibt die Menschenrechtslage in fast allen 100 Staaten, in denen Human Rights Watch arbeitet.

In seinem einleitenden Essay äußert Roth Zweifel an der gängigen Meinung, die Autokratie befinde auf dem Vormarsch, während die Demokratie an Boden verliere. Viele Autokraten behaupten zwar, sie dienten ihrem Volk erfolgreicher als demokratisch gewählte Vertreter*innen, doch sie bedienen meist vor allem sich selbst und versuchen den Wahlprozess so zu manipulieren, dass die Bürger*innen sie nicht abwählen können. Um abzulenken, appellieren die Autokraten an rassistische, sexistische, fremdenfeindliche oder homophobe Vorurteile.

Covid-19 wirft ein Licht auf diese Tendenz zur Selbstbedienung. Viele autokratische Machthaber spielten die Pandemie herunter, lehnten wissenschaftliche Beweise ab, verbreiteten Falschinformationen und versäumten es, grundlegende Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit und des Lebens ihrer Bevölkerung zu ergreifen.

Eine wichtige und fortschreitende Entwicklung, die sicherlich viele Autokraten beunruhigt, war die Bildung breiter Parteienbündnisse, die über politische Differenzen hinwegsahen, um ihr gemeinsames Interesse an der Absetzung korrupter Politiker*innen oder repressiver Machthaber*innen zu verfolgen.

In der Tschechischen Republik setzte sich eine ungewöhnliche Koalition gegen Premierminister Andrej Babiš durch. In Israel beendete eine noch ungewöhnlichere Koalition die langjährige Herrschaft von Premierminister Benjamin Netanjahu. Ähnliche Allianzen oppositioneller Parteien bildeten sich vor den Wahlen in Ungarn und in der Türkei, wo sie gegen Viktor Orban bzw. Recep Tayyip Erdoğan antreten werden. In den USA trug eine vergleichbare Strömung innerhalb der Demokratischen Partei dazu bei, dass Joe Biden bei den Präsidentschaftswahlen 2020 als Gegenkandidat zu Donald Trump aufgestellt wurde.

Da die Autokraten sich für den Machterhalt nicht mehr auf subtil manipulierte Wahlen verlassen können, greift eine wachsende Anzahl von ihnen – von Nicaragua bis nach Russland – zu offenkundigem Wahltheater, das zwar das erwünschte Resultat garantiert, jedoch nicht die Legitimierung bietet, welche die Machthaber sich von der Abhaltung von Wahlen versprechen. Die wachsende Unterdrückung sei kein Zeichen der Stärke, sondern der Schwäche, so Roth.

Die Klimakrise stellt eine verheerende Bedrohung für die gesamte Menschheit dar. Demokratische Entscheidungsträger*innen begegneten ihr jedoch nur zaghaft. Sie schienen nicht in der Lage, den nationalen Blickwinkel und ihre Eigeninteressen zu überwinden und die weitreichenden Maßnahmen zu ergreifen, die nötig wären, um die katastrophalen Folgen der Erderwärmung abzuwenden. Der World Report 2022 untersucht die Klimapolitik der 10 größten Treibhausgas-Emittenten weltweit und von mehr als einem Dutzend anderer Staaten, in denen es bedeutende politische Entwicklungen im Hinblick auf die Klimakrise gegeben hat.

Die Covid-19-Pandemie stellte Schwächen der demokratischen Entscheidungsträger*innen bloß. Einige Demokratien reagierten auf die Pandemie mit der bemerkenswert raschen Entwicklung hocheffizienter mRNA-Impfstoffe, es gelang ihnen jedoch nicht, auch Menschen in Staaten mit geringen Einkommen an dieser lebensrettenden Erfindung teilhaben zu lassen. Einige demokratische Regierungen ergriffen Maßnahmen zur Eindämmung der wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Lockdowns. Bei dem weitreichenden und fortdauernden Problem der verbreiteten Armut und Ungleichheit herrschte jedoch weiterhin Nachholbedarf, wie auch beim Aufbau angemessener sozialer Sicherungssysteme für die unvermeidliche nächste Wirtschaftskrise.

In Demokratien wird regelmäßig über die Bedrohungen durch neue Technologien debattiert, etwa die Verbreitung von Falschinformationen und Hassrede in den sozialen Medien; Geschäftsmodelle, die auf weitreichenden Eingriffen in die Privatsphäre beruhen; die Zudringlichkeit neuer Überwachungsinstrumente oder die Reproduktion von Vorurteilen durch Systeme der künstlichen Intelligenz. Demokratische Entscheidungsträger*innen gingen diese Probleme jedoch nur äußerst zaghaft an.

Auch außenpolitisch verhielten sich viele Demokratien nicht besser. Sie ließen gingen allzu häufig realpolitische Kompromisse ein und förderten autokratische „Freunde“, um die Migration einzudämmen, den Terrorismus zu bekämpfen oder vermeintliche „Stabilität“ zu sichern, statt demokratische Prinzipien zu schützen.

US-Präsident Biden brach mit Trumps Offenheit gegenüber „freundlichen“ Autokraten und versprach eine von den Menschenrechten geleitete Außenpolitik. Dennoch lieferten die USA weiterhin Waffen nach Ägypten, Saudi-Arabien, Israel und in die Vereinigten Arabischen Emirate, trotz der andauernden Repression in diesen Staaten. Obwohl in Zentralamerika vielerorts autokratische Tendenzen zu beobachten waren, gab Biden den Bemühungen zur Eindämmung der Migration meist den Vorrang vor der Bekämpfung der Autokratie.

Andere westliche Regierungsoberhäupter zeigten ähnliche Schwächen bei der Verteidigung der Demokratie. Die Regierung der scheidenden Bundeskanzlerin Angela Merkel trug zwar dazu bei, eine weltweite Verurteilung der Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch die chinesische Regierung in Xinjiang zu koordinieren, doch sie setzte sich im Rahmen der EU-Präsidentschaft auch für ein Investitionsabkommen der EU mit China ein, obwohl Peking Angehörige der uigurischen Volksgruppe als Zwangsarbeiter*innen einsetzte.

Die Regierung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron war ebenfalls an der Koordinierung einer breiten Verurteilung der chinesischen Politik in Xinjiang beteiligt. Vor der katastrophalen Menschenrechtslage in Ägypten verschloss sie jedoch die Augen.

„Wer Demokratie fördern will, muss für demokratische Institutionen wie unabhängige Gerichte, freie Medien, handlungsfähige Parlamente und lebendige Zivilgesellschaften einstehen, selbst wenn dies unerwünschte Zweifel und Kritik an der eigenen Politik mit sich bringt“, so Roth. „Es bedeutet auch, öffentliche Debatten zu würdigen und zu bereichern, statt Ressentiments zu schüren; demokratische Prinzipien in die Tat umzusetzen, statt nur über die zu sprechen; und Menschen im Angesicht einer Gefahr zusammenzubringen, statt sie – für den Gewinn einer weiteren tatenlosen Amtszeit – gegeneinander auszuspielen.“

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