(Brüssel) – Viele Kinder aus Kriegsgebieten fliehen, oft alleine, vor Misshandlung in ihren Heimatländern in die Europäische Union, so Human Rights Watch. Sie suchen oft Schutz vor der Rekrutierung als Kindersoldaten, vor Zwangsheirat oder nach Angriffen auf Schulen und andere Bildungseinrichtungen. Andere fliehen vor den Folgen der Kriege in Syrien und Afghanistan oder vor Diskriminierung, der afghanische Geflüchtete im Iran ausgesetzt sind.
Nahc Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR), der griechischen Polizei und Küstenwache erreichten im Jahr 2014 mehr als 6.100 minderjährige Asylsuchende und Migranten Griechenland, die Mehrzahl von ihnen auf dem Seeweg. Etwa 1.100 davon wurden als „unbegleitet“ oder „ohne Familienangehörige reisend“ registriert. Die tatsächlichen Zahlen sind wahrscheinlich höher, da viele allein reisende Kinder behaupten, 18 Jahre oder älter zu sein. Nur so können sie der übermäßig langen Inhaftierung entgehen, die ihnen droht, bis die Behörden für sie einen Platz in speziellen Unterkünften für unbegleitete Minderjährige finden.
Vierzehn der befragten Minderjährigen stammten aus Afghanistan und sind aus dem Iran geflohen. Dort wird neu ankommenden Afghanen systematisch das Recht verwehrt, einen Asylantrag zu stellen oder sich als Flüchtlinge registrieren zu lassen. Viele durften nicht zur Schule gehen oder konnten die Gebühren nicht bezahlen und gerieten so in ausbeuterische Arbeitsverhältnisse.
Zwei Familien flüchteten aus Afghanistan, um zu verhindern, dass ihre Kinder verheiratet werden. Ein afghanisches Paar, das im April 2015 aus Herat geflohen ist, berichtete, dass ein 65 Jahre alter Mann mit Verbindungen zu den Taliban um die Hand ihrer 10-jährigen Tochter anhielt. „Wenn wir abgelehnt hätten, hätten sie uns umgebracht“, sagt die Mutter. „Wir sind in derselben Nacht geflohen.“
Einige Kinder entschieden selbst, ihre Heimat zu verlassen und wurden dabei von ihrer Familie unterstützt. Typischerweise bezahlten die Minderjährigen oder ihre Familien Schlepper mit erspartem oder geliehenem Geld. Die Familien mancher Kinder verkauften ihr Haus, um ihre Reise zu finanzieren.
Kinder nehmen lebensgefährliche Reisen auf sich, um nach Griechenland zu gelangen. Einige Afghanen schilderten, dass sie 12 bis 14 Stunden lang durch hüfthohen Schnee über ein Gebirge gewandert sind, um die iranisch-türkische Grenze zu überqueren. Unterwegs wurden sie von der iranischen Grenzpolizei beschossen. Für viele war der beschwerlichste Teil ihrer Reise, das Ägäische Meer in überfüllten Schlauchbooten zu überqueren. Für die Überfahrt mussten sie den Schleppern zwischen 700 und 1.800 Euro pro Person zahlen.
Nach ihrer Ankunft in Griechenland können unbegleitete Minderjährige deutlich länger inhaftiert werden als Erwachsene, während die Behörden nach einem Platz für sie in griechischen Einrichtungen für Kinder suchen. Obwohl diese Heime dazu dienen sollen, die Kinder zu schützen, erleben viele von ihnen die lange Haft als Strafe. Daher behaupteten sie, 18 oder 19 Jahre alt zu sein, um entlassen zu werden und ihre Reise nach Athen oder in andere EU-Staaten fortsetzen zu können.
Der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Inhaftierung von Minderjährigen auf Grund ihres Aufenthaltsstatus‘ immer eine Verletzung ihrer Rechte darstellt, und hat alle Länder aufgefordert, solche Praktiken „schnell und vollständig abzuschaffen“.
Griechenland soll angemessene Aufnahmebedingungen auf den Inseln schaffen und dabei insbesondere die Bedürfnisse von Kindern und das Kindeswohl berücksichtigen, auch mit Blick auf allein reisende Minderjährige. Entsprechend der Empfehlungen des Ausschusses für die Rechte des Kindes sollen die griechischen Behörden die Anträge von Familien mit Kindern und unbegleiteten Kindern schneller bearbeiten und vermeiden, Minderjährige zu inhaftieren.
Die griechische Regierung soll genügen Heimplätze für unbegleitete Kinder zur Verfügung stellen, um die Haftzeit vor dem Umzug in ein Heim so weit wie möglich zu begrenzen. Die EU soll Griechenland finanziell dabei unterstützen, dieses Ziel zu erreichen. Die EU-Mitgliedstaaten sollen die Vorschläge unterstützen, Griechenland zu entlasten. Sie sollen Menschen aufnehmen, die Anspruch auf internationalen Schutz haben, und gewährleisten, dass ein solches Aufnahmeprogramm das Wohl der Kinder berücksichtigt, die in Begleitung ihrer Familie oder alleine geflüchtet sind. Alle Maßnahmen, die sichere und legale Wege in die EU fördern, sollen die besonderen Bedürfnisse minderjähriger Asylsuchender und Migranten mitbedenken.
Die Regierungen von Syrien und Afghanistan sollen Minderjährige vor Menschenrechtsverletzungen in bewaffneten Konflikten oder durch andere Praktiken wie Kinderehe schützen. Die iranische Regierung soll das Recht afghanischer Kinder auf Bildung achten und Maßnahmen ergreifen, um ausbeuterische Kinderarbeit und Polizeigewalt zu beenden. Geberländer sollen bessere Systeme zum Schutz von Kindern in deren Herkunftsländern fördern sowie in Ländern, in denen große Zahlen geflüchteter Menschen leben.
„Kinder, die dazu gezwungen sind, vor Misshandlungen oder Lebensgefahr zu fliehen und die auf ihren Wegen noch größeren Gefahren ausgesetzt sind, dürfen nicht erneut misshandelt und vernachlässigt werden, wenn sie in Europa ankommen“, so Becker. „Ihre eigenen Länder, die Länder, in denen sie ankommen, und andere müssen viel mehr tun, um diese Kinder zu schützen und ihnen zu helfen.“