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Fotos von Israelis, die am 7. Oktober bei dem von der Hamas geführten Angriff als Geiseln verschleppt wurden. Die Bilder wurden bei einer Demonstration für die Freilassung der Geiseln am 17. Okotber 2023 auβerhalb der HaKirya-Militärbasis in Tel Aviv aufgehängt. © 2023 Kobi Wolf/Bloomberg via Getty Images

(Jerusalem) – Die Praxis der Hamas und des Islamischen Dschihad, Videos von israelischen Geiseln zu veröffentlichen, ist eine Form der unmenschlichen Behandlung, die einem Kriegsverbrechen gleichkommt, so Human Rights Watch heute.

Am 9. November 2023 veröffentlichte der Islamische Dschihad ein Video, das zwei israelische Geiseln zeigt, die um ihre Freilassung bitten, darunter ein Kind. Es ist das dritte Video dieser Art, das die bewaffneten Gruppen seit der Geiselnahme von mehr als 240 Menschen am 7. Oktober im Süden Israels veröffentlicht haben.

„Die Hamas und der Islamische Dschihad halten nicht nur unrechtmäßig Zivilisten als Geiseln fest, darunter auch Kinder, sondern zeigen der Weltöffentlichkeit Bilder der Geiseln in einem äußerst verwundbaren Moment“, sagte Omar Shakir, Direktor der Abteilung Israel und Palästina bei Human Rights Watch. „Anstatt ein vollkommen verängstigtes Kind zu filmen, sollten die Gruppen es unversehrt freilassen und seiner Familie übergeben.“

Sowohl die Geiselnahme als auch die „Beeinträchtigung der persönlichen Würde“ von Gefangenen sind schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht oder das Kriegsrecht. Die Hamas und der Islamische Dschihad sind verpflichtet, den Geiseln Kontakt zu ihren Familien zu ermöglichen. Stattdessen veröffentlichen sie Videoerklärungen, zu denen die Geiseln möglicherweise gezwungen werden.

Die Hamas und der Islamische Dschihad sollten unverzüglich und bedingungslos alle von ihnen festgehaltenen Zivilist*innen freilassen und ihnen bis dahin die Möglichkeit geben, mit ihrer Familie über nicht öffentliche Kanäle zu kommunizieren. Zudem sollten sie von einer unparteiischen humanitären Organisation aufgesucht werden können.

Das am 9. November veröffentlichte Video zeigt angeblich zwei Geiseln, die als Hannah Katzir und der 13-jährige Yagil Yaakov aus Nir Oz im Süden Israels identifiziert wurden. Auf Hebräisch bitten sie die israelische Regierung, eine Vereinbarung zu treffen, damit sie nach Hause zurückkehren können. Israelischen Medien zufolge ist Katzir 77 Jahre alt. Yagil Yaakov bedankt sich in dem Video bei den Kämpfern des Islamischen Dschihad dafür, ihn zu „beschützen“.

Die Hamas hat zwei ähnliche Videos veröffentlicht, in denen die Geiseln ebenfalls darum bitten, nach Hause zurückzukehren. Wie in einem früheren Video kritisieren die beiden Geiseln die Politik des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu und geben an, gut behandelt zu werden.

In einem kurz davor veröffentlichten Video erklärt ein maskierter Mann auf Arabisch, dass Saraya al-Quds, der militärische Flügel des Islamischen Dschihad, bereit sei, die beiden Geiseln Katzir und Yaakov aus „humanitären Gründen“ freizulassen, und dass die israelische Blockade des Gazastreifens ihre medizinische Versorgung erschweren könnte. In der Bildunterschrift zu diesem Video wird der Mann als Abu Hamza, Sprecher von Saraya al-Quds, benannt. Die Videos wurden offenbar zuerst auf in einem Telegram-Kanal veröffentlicht, der angeblich Saraya al-Quds zuzuordnen ist. Human Rights Watch konnte keine Versionen dieser Videos finden, die vor dem 9. November ins Netz gestellt wurden.

In einem Audioclip aus einem Facebook-Post gab sich Renana Gome als Mutter von Yagil Yaakov und seinem 16-jährigen Bruder Or zu erkennen und sagte, die beiden Jungen seien am 7. Oktober aus ihrem Haus in Nir Oz entführt worden. Die Geschichte der beiden entführten Jungen wird in einem kurzen Animationsfilm behandelt, den Gome auf ihrer Facebook-Seite postete.

Am 7. Oktober griffen bewaffnete Kämpfer unter der Führung der Hamas den Süden Israels an, ermordeten Hunderte von Zivilist*innen und nahmen nach Angaben israelischer Behörden mehr als 240 Geiseln. Unter den von der Hamas und dem Islamischen Dschihad entführten Geiseln sind auch Kinder und ältere Menschen. Vier Frauen wurden inzwischen freigelassen und das israelische Militär konnte eine fünfte Geisel bei Bodenoperationen befreien. Darüber hinaus hält die Hamas seit beinahe einem Jahrzehnt zwei israelische Zivilist*innen mit psychosozialen Einschränkungen gefangen.

Nach dem Angriff kappte Israel die Strom- und Wasserversorgung des Gazastreifens und blockierte die Einfuhr von Treibstoff und Lebensmitteln sowie auch, von wenigen Ausnahmen abgesehen, humanitäre Hilfe, was die 16 Jahre andauernde illegale Blockade des Gazastreifens zusätzlich verschärft. Damit verstößt Israel gegen das humanitäre Völkerrecht, das eine kollektive Bestrafung verbietet. Die israelischen Streitkräfte führen außerdem eine intensive Luft- und Bodenoffensive in Gaza durch. Nach Angaben der Behörden in Gaza wurden dort seit dem 7. Oktober fast 11.000 Palästinenser*innen, darunter mehr als 4.000 Kinder, getötet. Die Hamas und der Islamische Dschihad haben seit Beginn des Kriegs Erklärungen abgegeben, wonach sie bereit wären, weitere Geiseln freizulassen, wenn im Gegenzug palästinensische Gefangene freigelassen würden, darunter etwa 2.000 Palästinenser*innen, die ohne Gerichtsverfahren oder Anklageerhebung in israelischen Gefängnissen in Verwaltungshaft sitzen.

Nach dem humanitären Völkerrecht müssen die bewaffneten palästinensischen Gruppen alle zivilen Geiseln sofort und bedingungslos freilassen.

Die Hamas und andere bewaffnete palästinensische Gruppen haben einige Geiseln unrechtmäßig der Öffentlichkeit vorgeführt, als sie sie nach Gaza brachten, und Fotos und Videos von ihnen veröffentlicht. Die Hamas sollte es den Gefangenen gestatten, entweder ihre Familien direkt zu kontaktieren oder aber, indem entsprechende Informationen an eine unabhängige humanitäre Organisation wie das Internationale Komitee vom Roten Kreuz weitergegeben werden.

Der gemeinsame Artikel 3 der vier Genfer Konventionen von 1949, der für alle Parteien des bewaffneten Konflikts in Israel und Palästina gilt, sieht vor, dass Kriegsgefangene „unter allen Umständen menschlich behandelt werden müssen“. Zu den verbotenen Handlungen gehören „Beeinträchtigung der persönlichen Würde, insbesondere eine erniedrigende und entwürdigende Behandlung“. Verstöße gegen den gemeinsamen Artikel 3 stellen Kriegsverbrechen dar.

Zu den Straftatbeständen des für Palästina zuständigen Internationalen Strafgerichtshofs wird „Beeinträchtigung der persönlichen Würde“ als eine Handlung definiert, bei der „der Täter eine Person erniedrigt, entwürdigt oder auf andere Weise in ihrer Würde verletzt hat und die Schwere der Erniedrigung, Entwürdigung oder sonstigen Verletzung so groß war, dass sie allgemein als Beeinträchtigung der persönlichen Würde anerkannt wird“. Videos von Geiseln zu veröffentlichen, ist eine Beeinträchtigung der persönlichen Würde, so Human Rights Watch.

„Entführung“ ist eines der sechs schweren Verbrechen gegen Kinder, die in den Resolutionen des UN-Sicherheitsrats aufgezählt werden.

„Die Familien der in Gaza festgehaltenen Geiseln suchen verzweifelt den Kontakt zu ihren Angehörigen“, sagte Shakir. „Die Hamas und der Islamische Dschihad sollten die zivilen Geiseln freilassen oder ihnen zumindest die Möglichkeit geben, ihre Familien privat und unter würdigen Bedingungen zu kontaktieren.“

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