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Angehörige berühren ihre Hände durch einen Plastikfolienschirm und ein Glas, um eine Ansteckung mit Covid-19 zu vermeiden, im San Raffaele Zentrum in Rom, Italien, 22. Dezember 2020. © 2020 Cecilia Fabiano/LaPresse via AP

(Genf) - Das erste Jahr der Covid-19-Pandemie hat Menschenrechtskrisen auf der ganzen Welt ausgelöst, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Ein Jahr, nachdem die Weltgesundheitsorganisation die weltweite Ausbreitung von Covid-19 zur Pandemie erklärt hat, sollten viele Länder dringend ihren Kurs ändern, um einen menschenrechtskonformen Ausweg aus dieser Gesundheitskrise zu finden. Die Regierungen sollten zusammenarbeiten, um die Herstellung und Verteilung von Impfstoffen auszuweiten und um einen allgemeinen und gerechten Zugang zu Impfstoffen sicherzustellen.

Der 54-seitige Bericht, “Future Choices: Charting an Equitable Exit from the Covid-19 Pandemic“ dokumentiert, wie die Covid-19-Pandemie systemische Schwachstellen im Schutz der Grundrechte offengelegt und eine Kaskade von Menschenrechtsverletzungen ausgelöst hat. Human Rights Watch empfiehlt auf der Grundlage der eigenen Recherchen im Jahr 2020 und Anfang 2021 Änderungen, um künftige Menschenrechtsverletzungen zu verhindern. Begleitet wird der Bericht von einer Reihe von Essays. Die befassen sich mit China und der Impfdiplomatie, den Auswirkungen der Pandemie auf die Rechte von Frauen, Armut und Ungleichheit, den Rechten von Beschäftigten im Gesundheitswesen, den Rechten älterer Menschen, einem gerechten Zugang zu Impfstoffen und den Rechtsproblemen durch den Einsatz von neuen Technologien zur Bekämpfung der Pandemie.

„Regierungen und Unternehmen haben die Mittel, und auch die Impfstoffe, um die Pandemie in den Griff zu bekommen und zu beenden. Die Frage ist nur, ob sie den moralischen Mut und den politischen Willen haben, dies auch umzusetzen”, sagte Tirana Hassan, stellvertretende Exekutivdirektorin und Programmleiterin bei Human Rights Watch. „Um einen für alle gerechten Ausweg aus der Covid-19-Pandemie zu finden, sollten die Regierungen den universellen Zugang zu Impfstoffen sicherstellen. Andernfalls riskieren sie, die Ungleichheiten weiter zu verschärfen und die Menschenrechte auf Jahre zu untergraben.”

Die Covid-19-Pandemie hat 2,5 Millionen Menschen das Leben gekostet. Mindestens weitere 110 Millionen haben sich infiziert, viele davon hatten schwere Krankheitsverläufe. Human Rights Watch und zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen, Menschenrechtsbeobachter, Journalisten und andere haben die verheerenden sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie überall auf der Welt dokumentiert.

Zwar waren einige Einschränkungen der Rechte durch die Bedrohung der öffentlichen Gesundheit gerechtfertigt, viele Regierungen ignorierten jedoch die Richtlinien der öffentlichen Gesundheit und nutzten die Pandemie sogar aus, um ihre Macht auszuweiten und Rechte auszuhebeln, wie Human Rights Watch feststellte.

Einige Regierungen ordneten Bewegungseinschränkungen an, die unverhältnismäßig oder unangebracht waren angesichts der Bedrohung der öffentlichen Gesundheit. Die Regierungen führten diskriminierende Maßnahmen ein, und die Behörden wiederum setzten die Maßnahmen auf diskriminierende Weise und mit exzessiver - und manchmal tödlicher - Gewalt durch.

Die Pandemie zeigte deutlich die strukturellen Schwächen in den öffentlichen Gesundheitssystemen und trug zu massiven Ungleichheiten beim Zugang zu einer lebensrettenden Versorgung bei. Zudem machten Regierungen große Abstriche bei der sexuellen und reproduktiven Gesundheitsversorgung. Das Gesundheitspersonal war ernsthaften Risiken für die eigene Gesundheit und Sicherheit ausgesetzt. Darüber hinaus hatte Covid-19 verheerende und unverhältnismäßige Auswirkungen auf ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen, insbesondere in Pflegeheimen und anderen Gemeinschaftseinrichtungen, in denen sich das Virus schnell verbreiten kann.

Menschen in Haft werden häufig in überfüllten Einrichtungen ohne angemessene sanitäre und hygienische Ausstattung oder Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung festgehalten, wodurch Millionen von inhaftierten Menschen einem stark erhöhten Risiko ausgesetzt sind, sich mit Covid-19 zu infizieren. Zwar ließen viele Regierungen einige Menschen frei, um die Ausbreitung des Virus zu stoppen, zu solchen Freilassungen kam es jedoch zu selten. Zudem schlossen sie oft Aktivisten und Kritiker aus, darunter auch solche, die wegen ihrer Kritik an der Reaktion der jeweiligen Regierung auf die Pandemie inhaftiert worden waren.

Berichte über geschlechtsspezifische Gewalt, insbesondere häusliche Gewalt gegen Frauen und Mädchen, nahmen während der Pandemie weltweit zu. In dem Bestreben, die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen, schlossen Regierungen auf der ganzen Welt im April die Schulen, wodurch schätzungsweise 1,4 Milliarden Schüler in Vor-, Grund- und weiterführenden Schulen in 192 Ländern vom Unterricht ausgeschlossen wurden. Es besteht die große Sorge, dass Kinder, die während der Pandemie den Zugang zu Bildung verloren haben, hinter ihre Altersgenossen zurückzufallen, in Kinderehen gedrängt werden oder in den Arbeitsmarkt eintreten. Dies wiederum macht es unwahrscheinlicher, dass sie in die Schule zurückkehren.

Viele Regierungen ordneten social distancing, Quarantänen und Geschäftsschließungen an. Das hatte enorme wirtschaftliche Auswirkungen. Arbeiterinnen und Arbeiter mit niedrigem Einkommen, Menschen, die in Bereichen wie dem Einzelhandel, der Gastronomie und dem informellen Sektor arbeiten, waren unverhältnismäßig stark betroffen, da es für sie keine Möglichkeit gibt, von zuhause aus zu arbeiten.

Die Pandemie hat auch gezeigt, wie wichtig der Schutz der Arbeitnehmerrechte ist, insbesondere eine garantierte, bezahlte Kranken- und Familientage. Die wirtschaftliche Unterstützung während der Pandemie hat viel dazu beigetragen, den Anstieg der Armut einzudämmen, allerdings wurden viele, die dringend Unterstützung benötigen, außen vor gelassen. Die Abhängigkeit der Regierung von schlecht konzipierten Algorithmen und Technologien zur Verteilung von Hilfen hat ebenfalls den Zugang zu wichtigen Hilfsleistungen verzögert oder blockiert und zudem datenschutzrechtliche Probleme verursacht.

In den kommenden Monaten werden in vielen Ländern Hilfsmaßnahmen auslaufen, wodurch einkommensschwache Gruppen einem erhöhten wirtschaftlichen Risiko ausgesetzt sind. Ohne umfangreichere Maßnahmen zum Schutz sozialer und wirtschaftlicher Rechte und ohne mehr wirtschaftliche Unterstützung und gerechte Verteilungsmöglichkeiten werden Armut und Ungleichheit weiter zunehmen.

Viele Regierungen haben auch die digitale Überwachung zur Eindämmung des Virus initiiert und ausgeweitet, von Apps zur Kontaktverfolgung über Kameras zur Gesichtserkennung, um Quarantänemaßnahmen durchzusetzen, bis hin zu algorithmischen Risikobewertungen. Praktisch alle diese Technologien bedeuten ernsthafte Risiken für die Privatsphäre und die Menschenrechte.

Regierungen haben die Pandemie auch genutzt, um gegen die Meinungsfreiheit und das Recht auf friedliche Versammlung vorzugehen. Militär- oder Polizeikräfte griffen Journalisten, Blogger und Demonstranten körperlich an, darunter auch einige, welche die Reaktionen der Regierung auf die Covid-19-Pandemie kritisiert hatten. In einigen Ländern gibt es noch immer Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit.

Anfang 2021 hatten sich mehrere Impfstoffe als sicher und wirksam erwiesen, und Regierungen auf der ganzen Welt begannen damit, bestimmte Gruppen zu impfen. Allerdings spiegelte die Entwicklung der Impfstoffe weitgehend die Ungerechtigkeiten wider, die den Rest der Pandemie kennzeichneten: Regierungen reicher Länder machten undurchsichtige Geschäfte und reservierten sich den Großteil der Impfstofflieferungen im Voraus, anstatt zu kooperieren, um ärmeren Ländern einen erschwinglichen Zugang zu Impfstoffen zu ermöglichen. Diese Versäumnisse sorgen dafür, dass die Pandemie - ebenso wie die Ungleichheit und die Menschenrechtsverletzungen, die sich in dieser Zeit entwickelt haben - in vielen Ländern noch jahrelang anhalten werden.

Die internationalen Menschenrechtsnormen garantieren jedem Menschen das Recht auf Leben, Gesundheit und einen angemessenen Lebensstandard und verpflichten die Regierungen, Maßnahmen zu ergreifen, um Bedrohungen der öffentlichen Gesundheit zu verhindern und medizinische Versorgung erschwinglich und zugänglich zu machen. Im Zusammenhang mit ernsten Bedrohungen der öffentlichen Gesundheit und öffentlichen Notfällen können Einschränkungen einiger Rechte gerechtfertigt sein, aber sie müssen eine gesetzliche Grundlage haben, unbedingt notwendig und verhältnismäßig sein angesichts ihres Ziels. Sie dürfen weder willkürlich noch diskriminierend sein.

„Während der Pandemie haben Regierungen den Gesundheitsnotstand ausgenutzt, um ihre Macht auszuweiten, Rechte zu verletzen und einige Minderheiten systematisch vernachlässigt”, sagte Hassan. „Die Regierungen müssen ihre rechteverletzende Politik beenden und einen gerechten Zugang zu Impfstoffen ermöglichen, sowohl um die Pandemie zu beenden als auch um allen Menschen ihre Rechte zu gewährleisten.“


 

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