- Anwält*innen in Myanmar, die Protestierende und Putschkritiker*innen verteidigen, wurden von der Militärjunta bedroht, verhaftet und strafrechtlich verfolgt. In der Haft wurden sie zudem gefoltert und misshandelt.
- Die Militärbehörden legen Anwält*innen systematisch Hürden und Einschränkungen auf und behindern ihre Arbeit. Die Junta hat in Gefängnissen Gerichte eingerichtet, um dort politisch brisante Fälle möglichst schnell und hinter verschlossenen Türen zu bearbeiten. Damit verletzt sie das Recht auf ein faires Verfahren.
- Die Junta Myanmars sollte dringend das zivile demokratische System wiederherstellen. Besorgte Regierungen sollten gezielte Sanktionen gegen Mitglieder der Junta verhängen, die in Menschenrechtsverletzungen involviert sind, dafür sorgen, dass sich der Internationale Strafgerichtshof des Falls Myanmar annimmt, und ein weltweites Waffenembargo verhängen.
(Bangkok) - Die Militärjunta von Myanmar hat Anwält*innen, die die Rechte von Demonstrierenden und anderen, seit dem Putsch vom 1. Februar 2021 willkürlich festgenommen Personen verteidigen wollen, bedroht und schikaniert, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht.
Der 39-seitige Bericht, „‚Our Numbers are Dwindling‘: Myanmar's Post-Coup Crackdown on Lawyers“ beleuchtet, wie die Militärjunta seit dem Putsch Anwält*innen schikaniert, überwacht, festnimmt und in einigen Fällen sogar foltert. Besonders betroffen sind diejenigen, die sich mit politischen Fällen befassen. Nach Angaben der Assistance Association for Political Prisoners wurden mindestens 32 Anwält*innen verhaftet und in Untersuchungshaft genommen, ohne dass es ausreichend Beweise für die gegen sie erhobenen Anschuldigungen gegeben hätte.
„Anwält*innen in Myanmar sind überall systematischen, von der Junta auferlegten Hürden und Beschränkungen ausgesetzt, die ihre Arbeit behindern,“ sagte Manny Maung, Myanmar-Expertin bei Human Rights Watch. „Die Militärbehörden sollten sofort alle willkürlich Inhaftierten freilassen und die Schikanen gegen Anwält*innen einstellen.“
Seit dem Putsch hat die Junta Tausende von Aktivist*innen und Putschkritiker*innen festgenommen und inhaftiert und viele von ihnen wegen Aufwiegelung und Terrorismus in Schnellverfahren angeklagt, die nicht den internationalen Standards für faire Prozesse entsprechen. Das ohnehin schon fragile Justizsystem Myanmars hat sich drastisch verschlechtert – so weit, dass das Recht auf ein ordnungsgemäßes Verfahren nicht mehr gewahrt ist. Die Junta hat „Sondergerichte“ geschaffen und politische Fälle werden direkt im Gefängnis in Schnellverfahren hinter verschlossenen Türen verhandelt. Militärtribunale führen Schnellverfahren in Gebieten durch, in denen das Kriegsrecht verhängt wurde. Trotz der systematischen Behinderungen durch die Militärbehörden versuchen Anwält*innen noch immer, die Menschenrechte von Inhaftierten zu verteidigen.
Human Rights Watch hat 19 Strafverteidiger*innen und 7 Rechtsberater*innen internationaler Nichtregierungsorganisationen befragt, die Prozesse innerhalb der Sondergerichte der Militärjunta von Myanmar führen. Alle 19 berichteten von Einschüchterung und Überwachung durch die Junta. In einigen Fällen scheinen Anwält*innen ins Visier der Junta geraten zu sein, weil sie Aktivist*innen vertraten, die wegen Aufruhr, Aufwiegelung oder Terrorismus angeklagt waren.
Anwält*innen berichteten auch über Misshandlungen oder Folter von inhaftierten Kolleg*innen. Mehrere Personen, die um die Situation von Tin Win Aung, einem Anwalt am Obersten Gerichtshof in der Region Mandalay, wissen, berichteten, dass ihm ein Arm und ein Bein gebrochen wurden und ihm eine Ernährungssonde eingeführt werden musste, nachdem er in Untersuchungshaft von Sicherheitskräften geschlagen worden war.
Eine Anwältin, die mit Human Rights Watch kurz nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis sprach, sagte, die Polizei habe ihr die Augen verbunden, sie in „Stresspositionen“ gebracht und ihr während des Verhörs weder Essen noch Wasser gegeben.
In Prozessen vor den Sondergerichten sind Anwält*innen und ihre Mandant*innen mit unterschiedlichen Problemen konfrontiert. So dürfen sie vor den Anhörungen weder privat mit ihren Mandant*innen kommunizieren noch den jeweiligen Fall besprechen. Die Anwält*innen erklärten, dass Beamte der Junta sie häufig bei der Ausübung ihrer beruflichen Pflichten behinderten oder diese ganz unterbanden und den Verdächtigen ihr Recht auf ein ordnungsgemäßes Verfahren und einen fairen Prozess verweigerten.
In den 47 Gemeinden, in denen die Junta das Kriegsrecht verhängt hat, werden auch Zivilist*innen vor Militärgerichten angeklagt. Die Militärgerichte sind in der Regel in Gefängnissen platziert. Das bedeutet, dass Angeklagte oft keinen Zugang zu Rechtsbeistand haben und dass Prozesse im Schnellverfahren durchgeführt werden und ausnahmslos zu Verurteilungen und hohen Strafen führen.
Die Grundprinzipien der Vereinten Nationen zur Rolle von Rechtsanwält*innen legen Standards fest, die Regierungen in ihre nationale Gesetzgebung aufnehmen sollten, um sicherzustellen, dass Anwält*innen ihre Rolle ordnungsgemäß wahrnehmen können. Diese Grundsätze betreffen den Zugang zu Rechtsbeistand und juristischen Diensten, besondere Schutzvorkehrungen in der Strafjustiz sowie die Meinungs- und Vereinigungsfreiheit von Anwält*innen. Die Junta-Behörden Myanmars haben regelmäßig gegen diese Grundprinzipien verstoßen.
Dass Rechtsanwält*innen ihre Tätigkeit frei und unabhängig ausüben können, ist von zentraler Bedeutung für ein Justizsystem, das das Recht auf ein faires Verfahren schützt. Anwält*innen müssen vertraulich mit ihren Mandant*innen kommunizieren können, um sie schnell, ungehindert und genau beraten und das Recht auf ein faires Verfahren gewährleisten zu können. Obwohl Myanmar nicht Vertragspartei des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte ist, wird das Recht auf ein faires Verfahren als internationales Gewohnheitsrecht anerkannt, das heißt, als UN-Mitgliedstaat muss auch Myanmar dieses Recht achten.
Ausländische Regierungen und regionale Organisationen, die über die katastrophale Menschenrechtslage in Myanmar besorgt sind, sollten eine Reihe von Maßnahmen gegen die Militärjunta ergreifen, einschließlich gezielter Sanktionen gegen Junta-Mitglieder, die in Rechteverletzungen verwickelt sind, sowie gegen Unternehmen, die mit dem Militär in Verbindung stehen. Weitere Schritte sind die Verweisung Myanmars an den Internationalen Strafgerichtshof und ein weltweites Waffenembargo.
Alle Regierungen sollten nicht nur die Freilassung der politischen Gefangenen fordern, sondern auch die Schikanierung und Inhaftierung von Anwält*innen anprangern und ihnen Wege eröffnen, Menschen zu verteidigen, die oft jahrelang im Gefängnis sitzen, nur weil sie friedlich gegen Rechteverletzungen durch die Junta protestiert haben.
„Die Junta-Behörden legen die Regeln nach eigenem Gutdünken aus, um genau die Menschen zu unterdrücken und zu diskreditieren, die versuchen, das Grundrecht auf ein faires Verfahren zu schützen“, so Maung. „Besorgte Regierungen sollten schnell handeln, damit alle noch verbleibenden mutigen Anwält*innen, die versuchen, diese Rechte zu schützen, nicht zum Schweigen gebracht werden.“