Nachdem die chinesische Regierung von ihrer drakonischen „Zero Covid“-Politik abgelassen und die Pandemiebeschränkungen vollständig aufgehoben hat, sendet sie nun eine neue Botschaft nach Europa: China ist offen für Geschäfte. Peking scheint seine aggressive „Wolfskrieger“-Diplomatie der letzten Jahre durch eine Charmeoffensive in Europa ersetzt zu haben, während die Beziehungen zu den USA auf wackligen Beinen stehen, wie der „Spionageballon“-Vorfall zeigt.
Diese Botschaft stößt bei einigen Politiker*innen und Unternehmen im Kern Europas auf offene Ohren. Im November flog Bundeskanzler Olaf Scholz mit einer großen Wirtschaftsdelegation nach China. Auch der französische Präsident Emmanuel Macron wird demnächst nach Peking reisen. Berichten zufolge waren Führungskräfte von Volkswagen in China, wo das Unternehmen zuletzt seine Investitionen ausgebaut hat. Dort sollen chinesische Behörden dafür gesorgt haben, dass Uigur*innen in dem Volkswagen-Werk in Xinjiang Zwangsarbeit verrichten. Mitte Februar wird der chinesische Außenminister Wang Yi auf der Münchner Sicherheitskonferenz erwartet.
Die Beziehungen zwischen Europa und China sind komplex. Die Europäische Union hat China zwar als „systemischen Rivalen“ bezeichnet, lässt aber die Tür für gemeinsame Interaktionen offen. Europa sollte bei einer Zusammenarbeit aber nicht über die Menschenrechtslage in China hinwegsehen, schließlich zeigt die Erfahrung mit Russland, dass Geschäfte mit rechteverletzenden Regimen ohne einen entsprechenden Menschenrechtsfokus mit erheblichen Folgekosten einhergehen.
Die europäischen Länder sollten sich vor Augen halten, dass die chinesische Regierung Sanktionen gegen europäische Diplomat*innen, Forschungsorganisationen und Parlamentsmitglieder verhängt hat, weil diese versucht haben, chinesische Beamt*innen für Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Xinjiang zur Verantwortung zu ziehen. Auch zahlreiche europäische Bürger*innen wie der schwedische Buchhändler Gui Minhai oder der britische pro-demokratische Medienmagnat Jimmy Lai werden in China weiterhin willkürlich festgehalten.
Eine nachhaltige bilaterale Beziehung muss auf gegenseitigem Vertrauen und gemeinsamen Werten aufbauen. Von den engen Beziehungen sollten daher vor allem die Menschen in China profitieren, die sich für Demokratie und Grundrechte einsetzen, etwa im Rahmen der landesweiten Proteste vor zwei Monaten.
Die Charmeoffensive der chinesischen Regierung ändert nichts an ihrem autoritären Führungsstil oder daran, dass Xi Jinping die repressiven Maßnahmen in Tibet und Xinjiang drastisch verschärft hat. Im ganzen Land werden Menschen akribisch überwacht und Meinungsäußerungen zensiert und in Hongkong nach und nach sämtliche Freiheiten abgebaut. Der lange Arm der Regierung erreicht mit Überwachung und Schikane auch die europäische Diaspora. Nicht zuletzt hat China versucht, sich und andere rechteverletzende Regime internationalen Kontrollmechanismen zu entziehen, und greift unermüdlich das internationale Menschenrechtssystem an.
Angesichts der Schwere dieser Verstöße ist eine neue Ära in den Beziehungen zwischen Europa und China kaum vorstellbar. Tatsächlich erinnert die aktuelle Entwicklung an die Situation nach dem Tiananmen-Massaker von 1989: Nachdem für einige Zeit Sanktionen gegen die chinesische Regierung verhängt worden waren, bauten ausländische Regierungen ihre Beziehungen zu Peking nach und nach wieder auf, taten aber wenig, um die Menschenrechtslage im Land maßgeblich zu verbessern. Westliche Politiker*innen gingen damals davon aus, dass mit Chinas Wirtschaftswachstum auch die Mittelschicht und damit politische Freiheiten gestärkt würden. Die Geschichte hat sie eines Besseren belehrt.
Trotzdem fordern jetzt wieder einige europäische Regierungsvertreter, angesichts des Tauwetters gegenüber China neue Prioritäten zu setzen.
Gibt es eine Alternative? Die Antwort liegt auf der Hand: Europa sollte seine Abhängigkeit von einer mächtigen, unzuverlässigen und verantwortungslosen Regierung verringern und sich Pekings zunehmenden Angriffen auf Menschenrechte im In- und Ausland widersetzen. Berichten zufolge verfolgen die Grünen in Deutschland mit ihrem Entwurf für eine China-Strategie eben dieses Ziel.
Die Bundesregierung sollte dafür sorgen, dass geplante neue EU-Gesetze, etwa zur menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht von Unternehmen oder zum Marktausschluss von Produkten, die in Zwangsarbeit hergestellt wurden, möglichst umfassend und rigoros sind. Diese Gesetze sollten ein Verbot von Waren aus bestimmten Regionen wie Xinjiang ermöglichen oder Produkten, die im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen stehen.
Schließlich sollten Deutschland und die EU sich stärker dafür einsetzen, dass der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen sich mit den umfassenden Rechteverletzungen durch China befasst. Erst im Oktober scheiterte der Versuch, eine Debatte über Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang durchzusetzen. Das Abstimmungsergebnis war denkbar knapp.
Europa hat die Chance, Mut und Führungsstärke zu zeigen – Russlands Krieg in der Ukraine erinnert uns ständig daran. Dafür sollte sich Europa auch für Menschenrechte in China einsetzen und auf eine Zukunft hinarbeiten, in der es nicht länger abhängig von mächtigen, unterdrückerischen Regierungen ist.