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A family walks alongside a road at night with their belongings

Flucht vor dem Krieg in der Ukraine

Menschen an der Grenze brauchen humanitäre Hilfe

In der Region Lwiw im Westen der Ukraine ziehen Menschen zur polnischen Grenze, 28. Februar 2022. © 2022 The Yomiuri Shimbun via AP Images

Am Abend des 24. Februar, dem Tag, an dem Wladimir Putin eine volle Invasion der Ukraine ankündigte, waren ein Kollege und ich in Rava-Ruska, einem Grenzübergang zwischen der Ukraine und Polen. Es war nach 22 Uhr und eiskalt.

Mit einer Mischung aus Unglauben und Verzweiflung beobachtete ich Menschen, die vor dem Krieg fliehen. Menschen, die in der Dunkelheit am Straßenrand stehen und sich an Feuern wärmen. Eine Frau, die ein kleines Kind schaukelt. Ein Hund, der aus dem Rucksack eines Mannes lugt. Ein verlassener Kinderwagen am Straßenrand. Ein zurückgelassener Koffer.

Als wir in Richtung Lwiw (eingedeutscht auch bekannt als Lemberg) fuhren, etwa 75 Kilometer von der ukrainischen Grenze zu Polen, sahen wir eine fast unbewegliche Autoschlange auf der Straße nach Polen, die sich über Kilometer erstreckte. Viele Menschen waren zu Fuß zur Grenze unterwegs. Eine Frau namens Sofia aus Lwiw, mit der ich telefonierte, sagte, sie habe sich am frühen Abend mit ihrem Auto in die Schlange eingereiht. Vierzehn Stunden später stand sie immer noch in der Schlange, zusammen mit einer Freundin und den beiden Kindern ihrer Freundin, 2 und 5 Jahre alt. Drei Tage später kamen sie endlich in Polen an.

Eine andere Frau, mit der ich sprach, Oksana, hatte drei Nächte an der rumänischen Grenze in einem Auto mit ihrer Mutter, zwei Hunden, einer 8-jährigen Tochter und einem Kleinkind verbracht. „Wir kommen nur sehr langsam voran“, sagte sie mir am Telefon. „Heute sind wir 200 Meter vorangekommen. Wir haben Lebensmittel und Wasser mitgebracht, aber wir sind erschöpft“.

Wir haben verschiedene Erklärungen dafür gehört, warum die Überfahrt so quälend langsam verläuft. Einige sagten mir, es läge daran, dass viele Menschen zu Fuß über die Grenze gingen, wodurch die Autos langsamer vorankämen. Mariia, eine Freiwillige, die auf polnischer Seite Unterstützung organisiert, sagte, die ukrainischen Grenzbeamten hätten ihnen gesagt, dass ihre elektronischen Systeme immer wieder ausfielen, möglicherweise aufgrund von DDoS-Cyberattacken. Was auch immer der Grund sein mag, die Menschen, die stundenlang zu Fuß oder in Fahrzeugen in kilometerlangen Schlangen bei eisigen Temperaturen ausharren, brauchen dringend Lebensmittel, Wasser, Zugang zu tragbaren Toiletten, Wärmestationen und dergleichen.

Sofia sagte: „Uns geht es gut, aber ich sehe die Leute vorbeilaufen, und das ist zu Fuß eine riesige Strecke.... Die Menschen hier brauchen mehr Betreuung, Essen, Toiletten ... vielleicht Orte zum Aufwärmen.“

Eine Gruppe von Menschen wartet darauf, die Grenze von der Ukraine nach Polen zu überqueren. Sie wärmen sich an einem behelfsmäßigen Feuer in der Nacht des 25. Februar 2022.  © 2022 Jonathan Pedneault / Human Rights Watch © 2022 Jonathan Pedneault / Human Rights Watch

Yulia, eine 41-jährige Frau aus Lwiw, erzählte mir, wie sie am 25. Februar zusammen mit ihrem 5-jährigen Sohn einen Evakuierungszug aus Lwiw nahm: „Wir sind gegangen, weil wir im fünften Stock wohnen und keinen Luftschutzkeller haben. Unser Zug nach Polen sollte nach Mitternacht abfahren, aber wir kamen wegen der Ausgangssperre früher am Bahnhof an.“ Yulia sagte, dass der ganze Vorgang extrem hektisch war.

„Unser Zugfahrplan war auf der elektronischen Anzeigetafel zu sehen, dann verschwand er. Menschen mit kleinen Kindern und Taschen rannten hin und her und versuchten, ihren Bahnsteig zu finden. Man konnte keine Informationen finden, man kann nirgends anrufen.“

Als der Zug kam, durften nur Frauen, Kinder, ältere Menschen und einige nicht-ukrainische Staatsangehörige zusteigen. Dreißig Minuten nach der Abfahrt blieb der überfüllte Zug für etwa 2,5 Stunden stehen. Irgendwann, so Yulia, sammelte ein ukrainischer Grenzbeamter die Pässe der Reisenden ein und verließ den Zug mit der Begründung, dass die Abfertigung aufgrund der über 1.000 Reisenden im Zug sehr lange dauern würde. Als sie und ihr Sohn Polen erreichten, waren sie schon 14 Stunden unterwegs, hatten kaum Wasser und wenig zu essen.

Die Ukrainer*innen, mit denen ich sprach, sagten, ihre Abreise sei nur vorübergehend sei und sie wollten zurückkehren, sobald es sicher sei. „Mein Mann ist zurückgeblieben und hat sich den freiwilligen Verteidigungskräften angeschlossen“, erzählte mir Yulia voller Stolz. „Ich werde nach Hause zurückkehren, sobald ich kann.“

Inzwischen sind über 500.000 Menschen aus der Ukraine nach Polen, Ungarn, Rumänien, Moldawien und in andere Länder geflüchtet und die Zahl steigt weiter rapide an. Die Ukrainer*innen, mit denen ich sprach, die nach Polen und Rumänien gezogen sind, lobten die herzliche und großzügige Aufnahme durch die Menschen vor Ort.

Aber nicht alle, die vor dem Krieg fliehen, sind Ukrainer*innen – Zehntausende Ausländer*innen versuchen, in ihre Heimat zurückzukehren, stehen aber vor gewaltigen Herausforderungen. Am 27. Februar veröffentlichte die nigerianische Regierung eine Erklärung, in der sie sich über die unfaire Behandlung von Nigerianer*innen durch die ukrainische Polizei und den Grenzschutz beklagte sowie über „einzelne Berichte über polnische Beamte, die nigerianischen Staatsbürgern die Einreise aus der Ukraine nach Polen einfach verweigern“. Yulia berichtete, dass sie, als ihr Zug nach Polen stehen blieb, gesehen hat, wie ein ukrainischer Grenzschutzbeamter eine große Gruppe nicht-weißer Menschen, die keine Ukrainer*innen waren, aus dem Zug entfernte.

Als ich mit Ahmed sprach, einem Medizinstudenten aus Indien, stand er vor der gleichen Herausforderung wie Zehntausende von Ukrainer*innen – er steckte fest in der langen Schlange an der Straße zum Grenzübergang. Er saß in einem Auto mit sieben anderen Student*innen, ebenfalls aus Indien, und wartete in der Schlange am Grenzübergang Korczowa-Krakovets nach Polen. Ahmed hatte die ganze Nacht in der Schlange gestanden, war aber nur einen Kilometer vorangekommen. Seine Freund*innen versammelten sich um ihn und hörten unserem Gespräch zu, während sie im eiskalten Wind zitterten. Die ganze Nacht über schalteten sie den Motor ein und aus, um Benzin zu sparen und das Auto trotzdem warmzuhalten.

Ahmed war erst seit zwei Monaten in der Ukraine, als der Krieg begann. Er war Mitte Dezember zum Studium in Kiew eingetroffen. „Als die Explosionen [in Kiew] begannen, konnte ich es nicht ertragen“, sagte er und fügte hinzu, dass seines Wissens mindestens 20.000 indische Student*innen versuchen, das Land zu verlassen. Viele hätten schon Polen erreicht und säßen in einem Flugzeug nach Hause. Er habe nicht gehört, dass es an der Grenze größere Probleme gegeben hätte. „Es waren so viele Menschen unterwegs, dass ich Angst hatte, es würde eine Massenflucht geben. Ich habe meine Tasche auf dem Bahnhof in Kiew gelassen. Mir geht es ums Leben, nicht um Besitztümer“.

„Ich bete zu Gott, dass sie alle durchkommen“, sagte Ahmed und winkte mit der Hand auf die Autoschlange vor ihm.

Zu diesem Zeitpunkt war er noch 30 Kilometer von der Grenze entfernt.

Auch andere nicht-ukrainische Staatsangehörige, die ausreisen wollten, hatten Probleme. Am Bahnhof von Lwiw sprachen ein Kollege und ich mit einer Gruppe marokkanischer Student*innen, die aus Charkiw flohen, das in den letzten Tagen wiederholt schwer beschossen worden war. Die Gruppe war müde und hungrig und sah völlig verängstigt aus. Sie sagten, sie hätten zwei Nächte lang auf dem Boden des Bahnhofs geschlafen, weil die Züge so überfüllt waren, dass sie einfach nicht einsteigen konnten. Einer von ihnen hatte sich den Fuß verletzt. Die marokkanischen Behörden hatten ihnen gesagt, sie sollten in die Slowakei gehen.

Die Ukraine verteidigt sich gegen angreifende russische Truppen. Die ukrainischen Behörden befinden sich verständlicherweise im Krisenmodus, und ihre Reaktionskapazitäten sind sehr knapp bemessen. Aber nach dem, was ich gesehen und gehört habe, brauchen die Menschen, die auf den Grenzübertritt warten, Zugang zu Nahrungsmitteln, Wasser, sanitären Einrichtungen und wenn möglich Wärmestationen. Humanitäre Hilfe wird dringend benötigt, und es sollten alle Anstrengungen unternommen werden, um sicherzustellen, dass diejenigen, die sie leisten können, dies auch tun können. Ebenso sollten die ukrainischen Behörden dafür sorgen, dass es an den Grenzübergängen keine unnötigen Verzögerungen gibt und dass ausländische Staatsangehörige gleichberechtigt mit anderen ausreisen können.

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