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Covid, Frauen und der „Build back better“-Plan

Interview zum Internationalen Frauentag

Arbeiterinnen einer Textilfabrik mit Schutzmasken am Ende ihrer Schicht, nahe Phnom Penh, Kambodscha, 20. März 2020. (c) 2020 AP Photo/Heng Sinith

Arbeiterinnen einer Textilfabrik mit Schutzmasken am Ende ihrer Schicht, nahe Phnom Penh, Kambodscha, 20. März 2020. (c) 2020 AP Photo/Heng Sinith

Die Covid-19-Pandemie trifft Frauen besonders hart. Sie werden etwa aus dem Arbeitsleben gedrängt, weil sie für Kinder, ältere Menschen und andere sorgen müssen. An diesem Internationalen Frauentag stehen Frauen an vorderster Front im Kampf gegen die Pandemie mit ihrer bezahlten Arbeit und ihrer unbezahlten Care-Arbeit. Sie müssen auch in den weltweiten wirtschaftlichen Aufschwung einbezogen werden. Die Interims-Direktorinnen für Frauenrechte von Human Rights Watch, Heather Barr und Amanda Klasing, sprachen im Interview mit Amy Braunschweiger über das Leben von Frauen während der Pandemie und darüber, wie eine gerechtere Zukunft gestaltet werden kann.

Eine Schülerin, die mit ihrer Mutter zu Hause Online-Kurse besucht in Nonthaburi, Thailand, Mai 2020. © 2020 Vachira Vachira/NurPhoto via AP

Welche Auswirkungen hatte Covid weltweit auf Frauen und Mädchen?

Barr: Dies war ein verheerendes Jahr für die Rechte der Frauen. Für einige mag das widersprüchlich wirken, weil mehr Männer als Frauen gestorben sind, aber die Auswirkungen auf das Leben von Frauen waren viel gravierender als auf das von Männern. Ungefähr 1,4 Milliarden Kinder konnten nicht mehr zur Schule gehen. Für noch viel mehr fiel die Betreuung weg. Natürlich muss sich jemand um diese Kinder kümmern, und das waren überwiegend Frauen. Schon vor Covid leisteten Frauen 2,5 Mal so viel häusliche Care-Arbeit wie Männer. Und so waren es auch Frauen, die sich um die Kinder kümmerten, die nicht zur Schule gehen konnten. Das drängte Millionen von Frauen aus dem Arbeitsleben.

Frauen wurden auch insgesamt überproportional aus dem Arbeitsmarkt gedrängt, weil sie schlechter bezahlt werden und häufiger als Männer im informellen Sektor arbeiten, wo es keine Arbeitsplatzsicherheit gibt. Für Frauen war das vergangene Jahr eine wirtschaftliche Katastrophe. Deshalb geht die UN davon aus, dass die Pandemie bis September 2021 weitere 47 Millionen Frauen in extreme Armut stürzen wird.

Es gab auch einen erheblichen Anstieg der gemeldeten Fälle von geschlechtsspezifischer Gewalt auf der ganzen Welt und einen enormen Anstieg bei den Frauen, die von der sexuellen und reproduktiven Gesundheitsversorgung ausgeschlossen sind. Außerdem könnten die Schulschließungen Mädchen mehr schaden als Jungen, denn sie sind einem erhöhten Risiko für eine Kinderheirat und andere Formen geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt. Zudem kann es für Mädchen schwieriger sein, von zu Hause aus zu lernen, weil sie eher für die Pflege- und Hausarbeit herangezogen werden. All dies bedeutet, dass wahrscheinlich weniger Mädchen als Jungen in die Schule zurückkehren werden und der Bildungserfolg von Mädchen langfristig beeinträchtigt wird.

Kassiererin mit Maske, während sie hinter einer klaren Schutzbarriere zwischen ihr und einem Kunden im Lebensmittelgeschäft El Rancho in Dallas arbeitet, Donnerstag, 26. März 2020. (c) LM Otero/AP Photo

Es gibt die ernste Sorge, dass wir Jahrzehnte des Fortschritts verloren haben.

Klasing: Manche Frauen hat es härter getroffen als andere. Frauen of color, indigene Frauen, ethnische Minderheiten, Transgender-Frauen und Frauen mit Behinderungen oder mit Migrationshintergrund haben die wirtschaftlichen Folgen und das Risiko, krank zu werden, aufgrund der mehrfachen Diskriminierungen, stärker zu spüren bekommen.

Heather, Du hast gerade gesagt, dass Covid die Rechte der Frauen um Jahrzehnte zurückgeworfen hat. Aber wir sind auch in einer besseren Lage als vor Jahrzehnten, was die Gesetze zum Schutz von Frauen angeht. Was haben wir jetzt, was wir damals nicht hatten?

Klasing: Das globale Abkommen, das die Diskriminierung von Frauen verhindert, das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, war in den 80er Jahren neu. Es gibt regionale Verträge, die sich auf Frauenrechte beziehen, das Maputo-Protokoll in Afrika, die Belém do Pará-Konvention in Amerika und die Istanbul-Konvention in Europa, die sich alle mit geschlechtsspezifischer Gewalt oder den Rechten von Frauen befassen. Wir haben Instrumente, die Regierungen dazu drängen, Gesetze zum Schutz von Frauen vor Diskriminierung am Arbeitsplatz zu erlassen, wie etwa die neue Konvention C190 der Internationalen Arbeitsorganisation. In vielen Ländern gibt es bezahlten Urlaub aus familiären Gründen, und es gibt einen zunehmenden gesetzlichen Schutz für die Eigentumsrechte von Frauen im Falle einer Scheidung oder Erbschaft.

Außerdem gehen mehr Mädchen zur Schule als je zuvor. Wir haben die Lücke zwischen Mädchen und Jungen, die die Grundschule besuchen, in den meisten Ländern schließen können. Daran arbeiten wir auch für die weiterführenden Schulen.

Heute weiß man, dass die Gleichberechtigung der Frauen die wirtschaftliche Sicherheit fördert. All das bedeutet, dass sich unsere Ausgangslage geändert hat. Das ist die Infrastruktur, mit der wir nach der Pandemie arbeiten werden und das ist wichtig.

Barr: Außerdem hat die Pandemie die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern sichtbarer gemacht, sogar für Frauen selbst. Sie hat die Menschen wachgerüttelt und aufgebracht, und ich denke, sie hat Frauen und Feministinnen aller Geschlechter mobilisiert, um zu fordern, dass wir nach der Pandemie eine gerechtere Welt für alle schaffen.

Die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern während einer Feier zum chinesischen Mondneujahr in Auckland, Neuseeland am 2. Februar 2019. © 2019 Getty Images

Es gibt jetzt mehr weibliche Führungskräfte als früher. Hilft das?

Barr: Ich bin vorsichtig mit dem Argument, dass Frauen bessere Führungskräfte sind. Das ist nicht der Grund, warum Frauen Führungskräfte sein sollten. Frauen sollten Führungskräfte sein, weil sie ein Recht darauf haben. Fünfzig Prozent der Führungskräfte sollten Frauen sein, weil wir 50 Prozent der Bevölkerung sind.

Aber ich denke, die Pandemie war ein faszinierendes, unbeabsichtigtes Experiment, das uns vielleicht Daten darüber liefert, ob männliche oder weibliche Führung in Krisen besser funktioniert. Und Daten zeigen, dass, wenn man den Erfolg im Umgang mit der Pandemie daran misst, wie viele Menschenleben gerettet wurden, Frauen an der Spitze einen besseren Job machen.

Klasing: Repräsentation ist wichtig. Das heißt nicht, dass eine vielfältige Führung immer das beste Ergebnis bringt. Aber Vielfalt ist wichtig bei der Entscheidungsfindung, da die Menschen Entscheidungen auf der Grundlage ihrer gelebten Erfahrung treffen können und basierend darauf, wie sich Dinge in ihren Gemeinschaften auswirken.

[Lacht] Außerdem waschen Frauen sich die Hände. Hierzu gibt es Untersuchungen. Frauen befolgen die Richtlinien der öffentlichen Gesundheit besser. Und Frauen tragen Masken, und zwar nicht nur unterm Kinn.

2020 jährte sich zum 25. Mal die Peking-Konferenz, ein wegweisender Moment für die Frauenrechte. Welche Rolle spielt diese globale Konferenz für die Förderung der Frauenrechte?

Klasing: Peking 1995 war die vierte globale Frauenkonferenz, die von den Vereinten Nationen einberufen wurde. Auf ihr verabschiedeten die Regierungen den fortschrittlichsten globalen Entwurf zur Förderung der Frauenrechte, den es je gab. Hillary Clinton, damals die First Lady der USA, hielt eine berühmte Rede, in der sie sagte, Frauenrechte seien Menschenrechte. Diese Plattform schuf den Rahmen für Regierungen und das UN-System, um zu versuchen, eine gerechtere und gleichberechtigtere Gesellschaft in Bezug auf die Geschlechter zu schaffen.

2020 jährte sich Peking zum 25. Mal, und es gab Pläne für einen globalen Prozess, das sog. Generation Equality Forum, um die Erfolge und Misserfolge bei der Umsetzung der Plattform zu betrachten und die nächsten Schritte zu entwickeln. Wegen der Pandemie konnten die Menschen nicht persönlich zusammenkommen, aber der Prozess schreitet voran, und die Menschen treffen sich Ende dieses Monats hauptsächlich online.

Barr: Diese Kämpfe für die Rechte der Frauen werden immer lokal und national geführt. Diskussionen und Bemühungen wie Peking+25 sind also wichtig, aber sie wirken erst, wenn sie die lokale und nationale Ebene erreichen. Und das Tolle an der Frauenbewegung ist, dass sie zunehmend vernetzt ist, und zwar auf allen Ebenen. Das Internet hilft dabei, indem es zum Beispiel Solidarität zwischen Menschen schafft, die sich in Lateinamerika und Südkorea für die reproduktiven Rechte von Frauen einsetzen. Diese Bewegung ist in vollem Gange und das liegt teilweise auch an Covid. Das wird ein interessantes Jahr.

Klasing: Ich habe das Gefühl, dass in Peking eine Schwesternschaft von Feministinnen entstanden ist, und so etwas ist wichtig für eine neue Generation von Feministinnen. Zum Glück gibt es das Internet, so dass so etwas auch virtuell entstehen kann.

Barr: Ganz genau. Das muss nicht unbedingt im Rahmen einer internationalen Konferenz vor Ort sein, das kann auch online stattfinden. Und dadurch, dass die Konferenz nicht an einem einzigen Ort stattfindet, ist sie vielleicht CO2-neutraler, basisorientierter, inklusiver und nachhaltiger.

Ihr arbeitet schon lange in diesem Bereich. Was hat Euch in diesem Jahr am meisten überrascht?

Barr: Ich bin überrascht, dass schwangere Menschen so ein Durcheinander in Bezug auf ihren Zugang zu Impfstoffen erlebt haben, wobei einige Länder ihnen das Impfen verbieten oder wechselnde und widersprüchliche Ratschläge geben. Das habe ich nicht kommen sehen. Ich denke, wir müssen sicherstellen, dass Bemühungen, schwangere Menschen zu „schützen“ - wie z.B. sie von klinischen Studien auszuschließen - nicht dazu führen, dass sie einem größeren Risiko ausgesetzt werden.

Klasing: Das überrascht mich nicht, aber ich stimme dir zu, dass sich da jetzt etwas tun muss.

Die Entkriminalisierung der Abtreibung in Argentinien ist von großer Bedeutung. Lateinamerika hat viele der restriktivsten Abtreibungsgesetze der Welt, daher ist der Erfolg einer Fraueninitiative dort enorm.

Barr: Kamala Harris [als US-Vizepräsidentin] hat mich überrascht.

Klasing: Ich war überrascht, wie erstaunt die führenden Politiker, Wirtschaftsexperten und Gesundheitsbehörden weltweit über die Auswirkungen der Pandemie auf Frauen waren. Es zeigt einfach, wie unterbewertet und unsichtbar unbezahlte Care-Arbeit bislang war.

Eine Bewohnerin des Southeast Nursing and Rehabilitation Center wird in einen Krankenwagen in San Antonio, Texas, geladen, Mittwoch, 1. April 2020. © 2020 AP Photo/Eric Gay

Barr: Da stimme ich zu. Im ganzen Spektrum, von der makroökonomischen Ebene bis hin zur Familienebene gibt es viel mehr Menschen als wir dachten, die leugnen, dass es Care-Arbeit gibt. Dies sind Menschen, die selbst nicht viel Care-Arbeit leisten, häufig sind es Männer.

Klasing: Eine andere Sache. Ich bin überrascht, wie viele Regierungen es versäumt haben, in Kinder und Bildung zu investieren, damit die Menschen gesund bleiben und auch die Kinder sicher sind und lernen können.

Barr: Absolut. Wo ich wohne, wurden die Schulen im März geschlossen, im Oktober für drei Wochen wieder geöffnet und dann vor ein paar Wochen wieder geöffnet. Restaurants und Einkaufszentren hingegen mussten überhaupt nicht schließen, auch die Moscheen nicht - nur die Schulen. In vielen Ländern, in denen die Schulen zuerst geschlossen wurden, hat man sich nicht genügend Gedanken darüber gemacht, wie die Schulen für die Kinder und das Personal sicher geöffnet bleiben könnten. Das ist meiner Meinung nach eine Unterbewertung der Bildung und auch eine Unterbewertung der Arbeit von Frauen und der Tatsache, dass Kinder, die nicht zur Schule gehen können, unweigerlich dazu führen, dass viele Frauen ihrer bezahlten Arbeit überhaupt nicht mehr nachgehen können.

Viele der Probleme, die Frauen ausbremsen, gab es schon vor Covid. Was können wir tun, um sie anzugehen und eine Gesellschaft wiederaufzubauen, die Frauen unterstützt?

Barr: Wir müssen das Problem beheben, dass Teile der Wirtschaft sich auf die schlecht oder gar nicht bezahlte Arbeit von Menschen stützen, die sich um Kinder, Kranke und ältere Angehörige kümmern. Und dass die Menschen, die diese Arbeit leisten, fast immer Frauen sind. Wir müssen hier global denken und einen Weg finden, sodass diese Arbeit gerechter verteilt und bezahlt wird.

Kinderbetreuung sollte nicht mehr kosten, als manche Menschen mit schlecht bezahlten Jobs im Monat verdienen, was es unmöglich macht, zu arbeiten. Menschen, die Unterstützung brauchen, sollten Zugang zu dieser Betreuung haben. Und überall auf der Welt müssen wir den Menschen, die Betreuung leisten, existenzsichernde Löhne zahlen und sie respektieren und schätzen.

Arbeiterinnen tragen Gesichtsmasken in einer Bekleidungsfabrik in Dhaka, Bangladesch, während des Lockdowns, 3. Mai 2020. © 2020 Photo by Zabed Hasnain Chowdhury / SOPA Images/Sipa USA via AP Images

Klasing: Wir müssen auch herausfinden, wie wir die digitale Kluft zwischen Frauen und Männern beim Zugang zum Internet überbrücken können, die immer größer wird. Sie wird Frauen zunehmend erdrücken, ebenso wie Mädchen, die versuchen, während der Pandemie zu lernen.

Barr: Man kann die digitale Kluft gut sehen, wenn man auf etwa auf den Smartphone-Besitz blickt. Wenn eine Familie Zugang zum Internet hat, die Familienmitglieder sich die Geräte jedoch teilen müssen, wie es oft in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen der Fall ist, sieht man, dass die Geräte von Männern und Jungen dominiert werden, nicht von Frauen und Mädchen.

Da viele Menschen nach der Pandemie weiterhin von zu Hause aus arbeiten werden, wird diese Kluft immer größer werden. Sehr viele Menschen müssen bereits jetzt online gehen, um sich für einen Job zu bewerben, Miete und Stromrechnungen zu bezahlen, Zugang zu sozialen Schutzmaßnahmen zu erhalten, Flugtickets zu kaufen und sich für eine Covid-19-Impfung anzumelden. Die Pandemie hat die Verlagerung ins Internet beschleunigt.

Das betrifft auch die zusätzlichen 47 Millionen Frauen, die durch die Pandemie in extreme Armut rutschen könnten. Sie sind möglicherweise nicht in der Lage, ein Smartphone zu kaufen oder für Daten zu bezahlen.

Klasing: Es wird schwer sein, Frauen danach wieder in Arbeit zu bringen. Und weil es weniger Arbeitsplätze und mehr Frauen gibt, die ihre Arbeit verloren haben, werden die Verantwortlichen mehr Macht haben. Wenn Frauen verzweifelt nach bezahlter Arbeit suchen und es nur wenige Jobs gibt, kann diese Situation die Löhne drücken und sexuelle Belästigung und sexuelle Ausbeutung ermöglichen - es sei denn, Regierungen und Unternehmen sorgen dafür, dass dies nicht geschieht.

Barr: Die Frage ist also, wie machen wir das? Wie graben wir uns aus dieser Pandemie heraus und beharren auf dieser "Build back better"-Idee? Deshalb habe ich so viel darüber nachgedacht, wie dieses Jahr Menschen mobilisiert und neue Feministinnen hervorgebracht hat - nicht alle von ihnen sind Frauen. Die Regierungen werden Pläne für den wirtschaftlichen Aufschwung erstellen, und wir müssen im Raum sein, während sie das tun oder die Tür eintreten, und zwar in jedem Dorf und in jeder Stadt. Wir müssen ihnen klarmachen, was uns widerfahren ist und dass wir so etwas nicht noch einmal durchmachen werden.

Gibt es Länder, die es richtig machen?

Barr: Wir haben noch nicht gesehen, dass Regierungen offizielle Wiederaufbaupläne auf den Weg gebracht haben, also hoffe ich, dass wir der Zeit etwas voraus sind. Aber ich werde genau beobachten, ob gute Modelle aus Ländern kommen, die von Frauen geführt werden und die Pandemie gut bewältigt haben, wie Neuseeland, Taiwan, Deutschland und einige nordische

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