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Olympia: Menschenrechtsagenda für neuen IOK-Präsident Bach

Politik des Vorgängers Rogge führte zu vermeidbaren Menschenrechtskrisen in Peking und Sotschi

(New York) – Die Wahl von Thomas Bach zum neuen Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOK) sollte einen Kurswechsel im Hinblick auf die Durchsetzung der Olympischen Charta und der darin festgelegten Menschenrechtsprinzipien einleiten, so Human Rights Watch.

Bach übernimmt den Posten von Jacques Rogge, dessen 12-jährige Amtszeit als IOK-Präsident von Menschenrechtsverletzungen überschattet war, zu denen es in Verbindung mit den Olympischen Spielen in Gastgeberländern wie Russland und China kam. Diese setzten sich offen über Menschenrechtsnormen zum Diskriminierungsverbot und zur Pressefreiheit hinweg.

„Die schweren und vermeidbaren Menschenrechtsverletzungen während der Spiele in Peking 2008 und die fortdauernden Verstöße in Russland im Vorfeld der Spiele in Sotschi 2014 unterstreichen, dass wir einen IOK-Chef brauchen, der über genügend Weitblick verfügt, um Menschenrechtsreformen einzuleiten, und über den nötigen Willen, diese auch durchzusetzen“, so Minky Worden, Direktorin für Globale Initiativen bei Human Rights Watch.

Zu den Menschenrechtsverletzungen, die im Vorfeld der Spiele in Peking und Sotschi dokumentiert wurden, gehören die Ausbeutung von Arbeitsmigranten auf Olympia-Baustellen, Zwangsräumungen ohne faire Entschädigung, Repressalien gegen freie Medien und Druckmittel gegen regierungskritische zivilgesellschaftliche Aktivisten.

Das in Russland im Juni 2013 eingeführte Gesetz gegen „homosexuelle Propaganda“ verstößt in eklatanter Weise gegen das Olympische Prinzip der Nicht-Diskriminierung und verletzt das Recht von Athleten, Sponsoren, Journalisten und Zuschauern auf freie Meinungsäußerung und Gleichbehandlung. Dies gilt für russische Staatsbürger und ausländische Besucher gleichermaßen.

Das IOK weigerte sich dennoch, Russland zur Abschaffung des Gesetzes zu drängen. Es holte lediglich „Zusicherungen“ von den russischen Behörden ein, die versicherten, die Teilnehmer der Spiele in Sotschi würden keiner Diskriminierung begegnen. Gleichzeitig erklärten die russischen Behörden jedoch wiederholt, das diskriminierende Gesetz gelte für jeden, der sich in Russland aufhalte, insbesondere auch für Olympia-Besucher.

„Wenn ein Athlet bei olympischen Wettkämpfen gegen die Regeln verstößt, wird er streng bestraft“, so Worden. „Wenn ein Gastgeberland sich offen über Regeln hinwegsetzt, sollte das IOK seine Stimme erheben, statt zu erklären, ihm seien die Hände gebunden.“

Bach sollte seine neue Rolle als IOK-Präsident nutzen, um zu einer prinzipenbasierten Politik im Hinblick auf die Durchsetzung der Olympischen Charta überzugehen. Dazu sollte die Einrichtung eines ständigen IOK-Ausschusses zur Beobachtung von Menschenrechtsfragen gehören, wie sie etwa von Human Rights Watch im Jahr 2009 vorgeschlagen wurde. Das IOK sollte auch dafür sorgen, dass künftige Gastgeberländer Benchmarks für die Einhaltung von Menschenrechtsprinzipen und der Olympischen Charta erreichen müssen, was bei Qualitätsstandards für Skisprungschanzen oder Schwimmbecken bereits Gang und Gäbe ist.

„Bei olympischen Sportveranstaltungen – aber sogar beim Fußballspielen nach der Schule – gilt das einfache Prinzip, dass alle sich an die Spielregeln halten müssen“, so Worden. „Doch als China und Russland unter Rogges Ägide gegen Regeln verstießen, hatte dies keine Sanktionen zufolge, was eine gefährliche Doppelmoral gegenüber Gastgeberländern etablierte. Bach hat nun die Gelegenheit die IOK-Präsidentschaft zu prägen, indem er deutlich macht, dass Länder, die den Zuschlag für die Ausrichtung der Olympischen Spiele erhalten, hohen Ansprüchen gerecht werden müssen.“

Human Rights Watch fordert das IOK und Präsident Thomas Bach auf, folgende in der Olympischen Charta festgeschriebene Prinzipien zu schützen:

  • Das Prinzip der Menschenwürde, ein Schlüsselbestandteil des Zweiten Grundlegenden Prinzips des Olympismus („Ziel des Olympismus ist es, den Sport in den Dienst der harmonischen Entwicklung des Menschen zu stellen, um eine friedliche Gesellschaft zu fördern, die der Wahrung der Menschenwürde verpflichtet ist.“). Im Rahmen der Auswahlverfahren für künftige Gastgeberländer soll vollständig und gründlich geprüft werden, inwieweit Regierungen sich zur Achtung der Menschenrechte im Sinne dieses Prinzips und internationaler Menschenrechtsstandards verpflichten. Dazu sollte ein neuer IOK-Menschenrechtsmechanismus geschaffen werden, wie ihn etwa Human Rights Watch anlässlich des Olympischen Kongresses in Kopenhagen im Jahr 2009 vorgeschlagen hatte.
  • Das Prinzip des Diskriminierungsverbots, das im Sechsten Grundlegenden Prinzip des Olympianismus eindeutig definiert wird („Jede Form von Diskriminierung eines Landes oder einer Person aufgrund von Rasse, Religion, Politik, Geschlecht oder aus sonstigen Gründen ist mit der Zugehörigkeit zur Olympischen Bewegung unvereinbar.“). Das IOK soll dafür sorgen, dass alle Athleten, einschließlich Frauen und Schwuler, Lesbischer, Bisexueller und Transgender (LGBT), aus allen teilnehmenden Staaten an den olympischen Spielen teilnehmen können. In diesem Sinne sollte das IOK unter Bachs Führung an Russland appellieren, seine LGBT-feindliche Gesetzgebung zurückzuziehen und keine anderen diskriminierenden Gesetze und Richtlinien zu verabschieden, welche gegen die Olympische Charta und internationale Menschenrechtsnormen verstoßen.
  • Das Prinzip der Pressefreiheit, das durch Regel Nr. 48 (ehem. Regel 49, Amn. d. Übersetzers) der Olympischen Charta geschützt ist („Das IOK ergreift alle notwenigen Maßnahmen, um für die Olympischen Spiele eine möglichst vollständige Berichterstattung durch die verschiedenen Medien und das größtmögliche Publikum weltweit sicherzustellen.“). Das IOK soll alle aktuellen und künftigen Gastgeberländer verpflichten, heimischen und ausländischen Journalisten eine freie Berichterstattung, auch über Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen, zu berichten. Dies gilt im Vorfeld, während und nach den Spielen.

„Während seiner Amtszeit als Chef des IOK erklärte Jacques Rogge immer wieder, die Olympischen Spiele seien eine ‚Kraft für das Gute‘“, so Worden. „Sein Nachfolger Thomas Bach kann diesen blumigen Worten konkrete Gestalt geben, indem er die Menschenrechtsfolgen der Winter- und Sommerspiele in den Blick nimmt.“

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