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Irakisch-Kurdistan: Angriff auf Meinungsfreiheit

Regierungskritiker und Journalisten wegen kritischer Äußerungen willkürlich verhaftet und verfolgt

(Bagdad) – Die Regierung der Autonomen Region Kurdistan im Norden des Irak soll umgehend die willkürliche Inhaftierung von Journalisten, Aktivisten und Oppositionellen beenden. Auch sollen Journalisten wegen Beleidigung oder Verleumdung öffentlicher Personen nicht verfolgt werden, so Human Rights Watch. Die Asayesh – der kurdische Geheimdienst – und die Polizei haben, ohne entsprechenden Haftbefehl, Journalisten und andere Personen verhaftet, die Artikel veröffentlicht hatten, in denen hochrangige Beamte kritisiert worden waren. Die Betroffenen wurden ohne Anklage oder Prozess über mehrere Wochen bis hin zu einem Jahr inhaftiert.

In einem offensichtlich eklatanten Verstoß gegen die geltenden Rechtsnormen wollen Mitglieder des Justizministeriums und des Ministeriums für Stiftungen und religiöse Angelegenheiten einen Gesetzesentwurf durchsetzen, der die „Beleidigung” von religiösen und politischen Führungspersönlichkeiten verbietet, und das obwohl der allgemeine Rechtsausschuss und der Menschenrechtsausschuss des kurdischen Parlaments dessen Inkraftsetzung bislang blockiert haben. Sollte der Entwurf verabschiedet werden, würde dieses neue Gesetz einen schweren Verstoß gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung in Irakisch-Kurdistan bedeuten. Investigativer Journalismus und Enthüllungen über Korruption auf höchster Ebene wären in der Region damit praktisch unmöglich.

„Es sind düstere Tage für das Recht auf freie Meinungsäußerung in Irakisch-Kurdistan“, so Sarah Leah Whitson, Direktorin der Abteilung Naher Osten von Human Rights Watch. „Die Regierung soll dafür Sorge tragen, dass die Justiz Fälle von Korruption auf höchster Ebene untersucht. Stattdessen ignoriert sie ihre eigenen Gesetze zum Schutz der Meinungs- und Versammlungsfreiheit und bedient sich ‚Gesetzen’, die nicht in Kraft sind, um jede Äußerung von Kritik zu unterbinden.“

Im Jahr 2012 sollen Sicherheitskräfte der Regierung mindestens 50 Journalisten, Kritiker and Oppositionelle festgenommen und inhaftiert haben. Mindestens sieben der Betroffenen wurden wegen Beleidigung oder Verleumdung strafrechtlich verfolgt. Dies geht aus Informationen hervor, die Human Rights Watch im Laufe von sechs Besuchen in Irakisch-Kurdistan gesammelt hatte. Die letzten dieser Besuche fanden im November und Dezember statt. Ein ehemaliger Zollbeamter, Akram Abdulkarim, sitzt seit mehr als einem Jahr im Gefängnis, ohne dass ihm bislang der Prozess gemacht wurde. Er hatte führende Mitglieder der Demokratischen Partei Kurdistans, eine der beiden regierenden Koalitionsparteien, beschuldigt, Zolleinnahmen unterschlagen zu haben.

Im November und Dezember führte Human Rights Watch Interviews mit insgesamt 16 Journalisten, politischen Aktivisten und anderen Personen, die seit Beginn des Jahres 2012 verhaftet worden waren, nachdem sie Kritik an der Regionalregierung geäußert hatten. Manche wurden ohne Anklage aus der Haft entlassen, andere wurden wegen Beleidigung oder Verleumdung strafrechtlich verfolgt.

Hierbei wurde manchen eine Geld-, anderen eine Freiheitsstrafe auferlegt. Einer der Betroffenen, der Rechtsanwalt Zana Fatah, berichtete, die Polizei hätte ihn im letzten Oktober sechs Tage lang in ein Gefängnis in Dschamdschamāl gesperrt. Grund dafür sei ein von Zana Fatah verfasster Artikel gewesen, in dem er die Justiz beschuldigt hatte, nicht unabhängig von den großen politischen Parteien zu agieren. Die Polizei bezichtigte ihn daraufhin der Verleumdung der Richter, weitere rechtliche Schritte wurden jedoch nicht eingeleitet.

Bei diversen Treffen im November mit Regierungsbeamten der Auslandsabteilung sowie mit Vertretern der Asayesh äußerte sich Human Rights Watch besorgt über Einschränkungen der Meinungsfreiheit. Als Reaktion hierauf sagte ein Beamter: „ Korruptionsvorwürfe werden nicht geduldet.“ Die Beamten behaupteten, die inhaftierten Journalisten würden lügen und, so wörtlich, „die Menschenrechte der Regierung verletzen“.

Artikel 2 des Pressegesetzes Kurdistans (Gesetz 35 aus dem Jahr 2007) gewährleistet Journalisten das Recht, Informationen, die von Bedeutung für die Bürger und von öffentlichem Interesse sind, aus diversen Quellen einzuholen. Das Gesetz sieht ebenso vor, dass Journalisten aufgrund der Veröffentlichung dieser Informationen nicht festgenommen werden dürfen. Weiterhin soll, laut jenem Gesetz, die Regierung Ermittlungen einleiten gegen jeden, der einen Journalisten aufgrund seiner Arbeit beleidigt oder verletzt. Ein solches Handeln soll bestraft werden. Auch darf kein Journalist der Verleumdung bezichtigt werden, sollte er Artikel über die Arbeit eines Beamten oder eines Mitarbeiters im öffentlichen Dienst verfassen oder veröffentlichen. Dies gilt, solange der Inhalt des Veröffentlichten nicht über berufliche Angelegenheiten hinausgeht. Dieser Begriff der „beruflichen Angelegenheiten” wird im Gesetz jedoch nicht definiert.

Die Regionalregierung soll sich an dieses Pressegesetz halten und die Einschüchterung von Journalisten und anderen Kritikern beenden, so Human Rights Watch. Das Parlament soll ein Gesetz zur Informationsfreiheit auf den Weg bringen, das der Öffentlichkeit Zugang zu Informationen gewährleisten. Ferner muss der Zugang für Journalisten zu Informationen, über die die Regierung und andere öffentliche Einrichtungen verfügen, gesichert werden.

„Anstatt Journalisten und andere Personen, die sich kritisch äußern, zu verhaften oder auf andere Art zu schikanieren, weil sie Kritik üben oder Fälle von vermeintlicher Korruption aufdecken, soll die Regierung das Recht auf freie Meinungsäußerung stärken”, so Whitson. „Die Behörden müssen Fälle, in denen dieses Recht verletzt wird, untersuchen und die Betroffenen zur Rechenschaft ziehen und bestrafen.“

Festnahmen, Inhaftierungen und andere Maßnahmen gegen Journalisten und Regierungskritiker in Irakisch-Kurdistan spielen sich in einem gesetzlosen und dementsprechend straffreien Raum ab. Kein Mitglied der Asayesh oder anderer Sicherheitsdienste muss eine strafrechtliche Verfolgung fürchten, sollten Kompetenzen überschritten oder Rechte der Inhaftierten missachtet werden.

Niyaz Abdullah vom Metro Center for Defending Journalists, eine lokale Arbeitsgruppe, die sich für die Freiheit der Medien einsetzt, sagte Human Rights Watch, dass das Center mehr als 100 Beschwerden über rechtswidrige Maßnahmen gegen Journalisten dokumentiert habe, denen die Behörden nicht nachgegangen sind. „Die Regierung ignoriert ihre eigenen Gesetze, die verlangen, dass Fälle von Missbrauch und Einschüchterung von Journalisten untersucht werden und die Betroffenen zur Verantwortung gezogen werden müssen“, so Abdullah.

In seinem Jahresabschlussbericht hat das Metro Center 21 Fälle von mutmaßlichen tätlichen Angriffen auf Journalisten dokumentiert, darunter ein bewaffneter Angriff. Ebenso dokumentierte das Center 50 Festnahmen, 34 Fälle, in denen Sicherheitskräfte die Ausrüstung von Journalisten beschlagnahmten, sowie fünf Morddrohungen gegen Journalisten. Auf die Anfrage von Human Rights Watch, warum Beschwerden über die Misshandlung Inhaftierter nicht nachgegangen wurde, gab ein hochrangiger Asayesh-Beamter an, es hätte nie Beschwerden über die Asayesh gegeben. Als er mit den Gegenbeweisen konfrontiert wurde, sagte er, die Personen, die diese Beschwerden eingereicht hatten, seien Lügner.

Im März dokumentierte Human Rights Watch Fälle von Polizeigewalt gegen Journalisten und Fälle von Verhaftungen von Journalisten, als diese Demonstrationen begleiteten, die den Jahrestag des Beginns der Proteste am 17. Februar 2011 markierten. Diese hatten sich damals schnell über ganz Irakisch-Kurdistan ausgebreitet. In der Zeit, die seit dem Beginn der Proteste vergangen ist, haben Sicherheitskräfte mindestens zehn Demonstranten und Passanten getötet. Mehr als 250 Menschen wurden durch Sicherheitskräfte verletzt.

„Bedauerlicherweise gleicht die heutige Regierung von Irakisch-Kurdistan immer weniger der offenen und aufstrebenden Demokratie, als die sich selbst gern darstellt”, sagte Whitson. „Indem die Regierung das Recht auf freie Meinungsäußerung mit Füßen tritt, untergräbt sie auch eine der Grundlagen einer freien Gesellschaft.“

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