(Straßburg) – Die aserbaidschanische Regierung soll die klare Botschaft einer der wichtigsten Menschenrechtsinstitutionen Europas akzeptieren und ihren dringenden Ruf nach Reformen befolgen, so Human Rights Watch heute.
Die in Straßburg tagende Parlamentarische Versammlung des Europarats verabschiedete am 23. Januar 2013 eine schon lange erwartete Resolution zur Menschenrechtslage in Aserbaidschan. Die Resolution greift viele ausstehende Probleme auf und fordert die aserbaidschanische Regierung auf, eine ganze Reihe längst überfälliger Reformen durchzuführen.
„Die Parlamentarische Versammlung hat deutlich gemacht, wie besorgniserregend und inakzeptabel die Situation in Aserbaidschan ist“, so Giorgi Gogia, Süd-Kaukasus-Experte von Human Rights Watch. „Die Verantwortung liegt nun bei der aserbaidschanischen Regierung, die von der Versammlung als notwendig erachteten Schritte durchzuführen. Zudem sollen die internationalen Partner Aserbaidschans deutlich machen, dass diese Schritte für eine erfolgreiche Partnerschaft zwingend erforderlich sind.“
Große Enttäuschung herrschte darüber, dass eine zweite Resolution zu politischen Gefangenen in Aserbaidschan keine Mehrheit erhielt, nachdem die aserbaidschanische Regierung unnachlässig dagegen interveniert hatte.
Der Einsatz von Strafverfolgung durch die aserbaidschanische Regierung als Instrument der politischen Vergeltung ist ein gut dokumentiertes Problem. Doch die Behörden weigern sich seit langem, dies einzugestehen.
Die Parlamentarische Versammlung des Europarates besteht aus 636 Mitgliedern der 47 Mitgliedstaaten, einschließlich Aserbaidschan, das im Jahr 2001 aufgenommen wurde. Aserbaidschan hatte sich damit auch dazu verpflichtet, alle politischen Gefangenen freizulassen und Regierungskritiker nicht durch politisch motivierte Strafverfolgung zum Schweigen zu bringen.
„Zwölf Jahre nach seiner Aufnahme in den Europarat hat Aserbaidschan es nicht nur versäumt, seine Versprechen einzulösen. Es hat auch alles daran gesetzt, die Arbeit des Europarats zu politischen Gefangenen zu behindern“, so Gogia. „Doch die Schikanen der Regierung verändern nicht die Tatsache, dass das Problem weiter besteht und nun nur noch dringender thematisiert werden muss.“
Drei Jahre lang verweigerte die aserbaidschanische Regierung dem Sonderberichterstatter für politische Gefangene, das Land zu besuchen. Die Regierung kritisierte, das Mandat hebe Aserbaidschan auf ungerechte Weise hervor. Somit musste der Sonderberichterstatter, der deutsche Abgeordnete Christoph Strässer, seinen Bericht verfassen, ohne Aserbaidschan jemals besucht zu haben. Der detaillierter Bericht jedoch ist eindeutig und das Resultat umfangreicher, gründlicher Recherche, die mit Hilfe aserbaidschanischer Rechtsanwälte sowie lokaler und internationaler Menschenrechtsgruppen ausgeführt wurde.
Durch Begnadigung durch den Präsidenten wurden im Dezember 2012 zahlreiche Häftlinge freigelassen, einschließlich 13 Gefangener, die in den Arbeitsbereich des Sonderberichterstatters für politische Gefangene fielen. Unter ihnen waren fünf unrechtmäßig inhaftierte unabhängige Journalisten, Menschenrechtsverteidiger und Aktivisten, deren Fälle Human Rights Watch intensiv mitverfolgt hatte. Viele andere jedoch bleiben weiter auf Grund verschiedener fingierter Anklagen in Haft, so Human Rights Watch.
Die Resolution zu politischen Gefangenen in Aserbaidschan verdeutlicht die Sorge, dass das Thema trotz kontinuierlicher Bemühungen der Parlamentarischen Versammlung ungelöst bleibt. Es werden eine Reihe neuer Fälle erwähnt, in denen die Behörden Aktivisten, Journalisten, Blogger und friedliche Demonstranten zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt haben, und fordert die aserbaidschanische Regierung dazu auf, diese unverzüglich und bedingungslos freizulassen.
Bezeichnenderweise thematisiert auch die allgemeinere Resolution, die von der Parlamentarischen Versammlung verabschiedet wurde, das Problem politischer Gefangener in Aserbaidschan. In ihr wird abschließend bemerkt, dass die restriktive Umsetzung von Freiheitsrechten in unfairen Gerichtsprozessen und die unzulässige Einflussnahme durch die Regierung dazu führe, dass Menschen, die als politische Gefangene eingestuft werden können, systematisch inhaftiert werden.
Die Resolution bestätigt die Unterzeichnung und Ratifizierung zentraler rechtlicher Instrumente des Europarats durch Aserbaidschan. Zugleich werden jedoch auch Bedenken geäußert, dass eine selektive Anwendung einiger Gesetze zu wachsender Besorgnis im Hinblick auf den Rechtsstaat und die Wahrung der Menschenrechte führe.
Unter den spezifischen Kritikpunkten, die in der Resolution hervorgehoben werden, finden sich Aserbaidschans Versäumnis, demokratische Wahlen nach internationalen Standards abzuhalten, die mangelnde Unabhängigkeit der Justiz, Folter und Misshandlung sowie fingierte Anklagen gegen Aktivisten und Journalisten. Die Resolution formuliert konkrete Empfehlungen, um Aserbaidschans Menschenrechtssituation mit seinen Beitrittsversprechen in Einklang zu bringen.
Im Dezember hat Human Rights Watch in einer Vorlage an das Monitoring-Kommittee, das dafür zuständig war, die Resolution zu Aserbaidschans allgemeinen Menschenrechtsverpflichtungen als Mitglied des Europarates zu formulieren, eine Reihe von zentralen Menschenrechtsproblemen hervorgehoben. Dazu gehörten die politisch motivierte Verfolgung von Aktivisten, die Verletzung der Meinungs- und Pressefreiheit einschließlich der Schikane, Einschüchterung und Angriffe gegen Journalisten. Regierungskritiker werden mit Verleumdungsklagen strafrechtlich verfolgt. Zudem werden die starken Einschränkungen des Rechts auf Versammlungsfreiheit kritisiert, unter anderem durch die Anwendung neuer, härterer Sanktionen für die Teilnahme an und Organisation von nicht genehmigten Demonstrationen, die Misshandlung und Folter in Polizeigewahrsam, illegale Enteignungen von Privatbesitz und Zwangsvertreibungen der Einwohner Bakus sowie Verletzungen des Rechts auf Religionsfreiheit.
„Die heutige Abstimmung war ein Test für die Parlamentarische Versammlung, ob Fakten politischem Druck standhalten“, so Gogia. „Obwohl sie diesen Test zum Teil nicht bestanden hat, könnte die Botschaft kaum klarer sein: Die Menschenrechtslage muss dringend verbessert werden, einschließlich der Notwendigkeit politische Haft zu beenden.“
Aserbaidschans internationale Partner sollen die Durchsetzung der von der Parlamentarischen Versammlung geforderten Reformen, einschließlich der Freilassung politischer Gefangener, zu einem zentralen Aspekt ihrer Gespräche mit Baku machen.
„Die nächste Prüfung stellt sich denen, die unmittelbar dabei helfen können, dass die zurzeit dringend benötigte Aufmerksamkeit für Aserbaidschans katastrophale Menschenrechtssituation sich in einer echten Veränderung für diejenigen bemerkbar macht, die unter der Verfolgung durch die aserbaidschanische Regierung leiden“, so Gogia.