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World Report 2024 © Human Rights Watch

Heute wird der World Report von Human Rights Watch veröffentlicht. Es ist unser alljährlicher Blick auf die Lage in rund 100 Ländern weltweit und eine Gesamteinschätzung, wo die Menschheit in Bezug auf ihre Grundfreiheiten steht.

Falls ihr euch für ein bestimmtes Land interessiert, solltet ihr die Homepage des World Reports aufrufen, das entsprechende Land auswählen und euch näher damit beschäftigen. Auf den Hunderten Seiten dieser neuen Veröffentlichung findet ihr reichhaltiges Material mit vielen Details.

Hier möchte ich mich jedoch auf das "große Ganze" konzentrieren. Am Montag habe ich in diesem Newsletter dargelegt, dass es äußerst schwierig ist, globale Trends in einer Welt voller länderspezifischer Besonderheiten zu beschreiben. Heute möchte ich erklären, warum das gleichzeitig auch so wichtig ist: Kurz gesagt, weil die Menschheit aus der Geschichte lernen und es besser machen muss.

In unserem World Report beschreibt unsere geschäftsführende Direktorin, Tirana Hassan, in einem ausführlichen Essay das "große Ganze" der weltweiten Menschenrechtslage. Ich hoffe natürlich, dass ihr den ganzen Text lest, aber lasst mich hier den Kernpunkt hervorheben:

Die führenden Politiker*innen der Welt versagen bei den Grundlagen.

Sowohl die Ursachen als auch die Konsequenzen aller großen Probleme der heutigen Menschheit - von Gräueltaten in zahlreichen Konflikten über die Klimakrise bis hin zu extremer wirtschaftlicher Ungleichheit - überschreiten nationale Grenzen und können nicht alleine von Regierungen gelöst werden.

Nach der letzten globalen Katastrophe der Menschheit, dem Zweiten Weltkrieg, erkannten die Staats- und Regierungschefs, dass sie in Zukunft zusammenarbeiten müssen. Zu diesem Zweck gründeten sie Institutionen wie die UNO. Vor allem aber einigten sie sich auf gemeinsame universelle Prinzipien, auf die sich die internationale Zusammenarbeit stützen sollte.

Sie wussten, dass eine Stärkung der internationalen Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit helfen würde, globale Probleme zu lösen. Im Mittelpunkt dieser multinationalen, multikulturellen und multireligiösen Bemühungen stand vor 75 Jahren die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die Grundlage aller heutigen Menschenrechtskonventionen und -verträge.

Diese vereinende Errungenschaft gemeinsamer Prinzipien ist das Fundament unserer modernen Welt - und doch wird sie von den führenden Politiker*innen der Welt heute zu oft ignoriert.

Natürlich ignorieren sie sie nicht immer. Politiker*innen verweisen oft auf die Erklärung oder das gemeinsame Moralempfinden, das sich aus ihr ergibt. Doch heutzutage tun sie das viel zu oft nur, wenn es ihren jeweiligen geopolitischen Zielen dient.

Anstatt sich konsequent an die Prinzipien zu halten, liefern uns die Staats- und Regierungschefs eine situative Ethik und Doppelmoral. Tirana listet in ihrem Essay und in ihrer Eröffnungsrede bei der Präsentation des World Reports zahlreiche Fälle auf:

Viele Regierungen, die die Kriegsverbrechen der Hamas verurteilt haben, haben zum Beispiel auf die Kriegsverbrechen der israelischen Regierung mit Zurückhaltung reagiert.

Einige Regierungen auf der ganzen Welt verurteilen lautstark die Kriegsverbrechen der israelischen Regierung gegen die Zivilbevölkerung in Gaza, schweigen aber zu den Verbrechen gegen die Menschlichkeit der chinesischen Regierung in Xinjiang.

Andere fordern internationale Strafverfolgung für russische Kriegsverbrechen in der Ukraine, während sie die Rechenschaftspflicht für frühere US-Missbräuche in Afghanistan untergraben.

Ich habe es immer und immer wieder gesagt: Wenn du dich nur dann um Menschenrechtsverletzungen und Gräueltaten sorgst, wenn deine Feinde sie begehen, dann sind dir Menschenrechtsverletzungen und Gräueltaten nicht wirklich wichtig. Du reagierst auf Gräuel mit Politik, nicht mit Prinzipien.

Und es ist nicht nur eine moralische Schande, dass führende Politiker*innen sich nicht konsequent an unsere Grundwerte halten. Es schwächt den allgemeinen Glauben an die Universalität der Menschenrechte und untergräbt das Vertrauen in die Rechtmäßigkeit der Gesetze, die sie schützen sollen. Das hat verheerende, gar tödliche Folgen.

Tirana schreibt: "Wenn Regierungen sich aussuchen, welche Verpflichtungen sie durchsetzen wollen, schaffen sie nicht nur in der Gegenwart, sondern auch in der Zukunft Ungerechtigkeit für diejenigen, deren Rechte geopfert wurden, und können missbräuchliche Regierungen ermutigen, ihre Unterdrückung auszuweiten.

Zu viele Staatsoberhäupter können heute sagen (und tun es auch): "Warum sollten meine Freunde und ich die Regeln befolgen, wenn ihr und eure Freunde die Regeln nicht befolgt?" Diese Haltung ermöglicht und erhält so viele der Gräuel aufrecht, die wir jetzt erleben. Sie schafft auch den Raum für noch größere Katastrophen, die kommen werden.

Angesichts der Tatsache, dass unsere Staats- und Regierungschefs unsere universellen Prinzipien zunehmend aufgeben, verstehen wir alle die Lehren aus der Geschichte, die sie ablehnen.

Die Menschen, die vor uns kamen, wussten, dass die Menschen, die vor ihnen kamen, die Welt mit ihren engstirnigen Neigungen und ihrem Nationalismus in den Ruin getrieben hatten. Sie begannen, internationale Institutionen und vereinbarte Regelwerke zu schaffen, die der Menschheit helfen sollten, dieselben Fehler nicht zu machen. Heute ignorieren wir sie auf eigene Gefahr, und unzählige Menschen zahlen einen schrecklichen Preis.

Wenn wir eine bessere Welt wollen, wenn wir die Schrecken der Vergangenheit vermeiden wollen, müssen wir von unseren Staats- und Regierungschefs eine Umkehr ihrer Tendenz zu Teilzeitprinzipien erwarten und fordern.

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