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Serbien: Pride-Verbot aufheben, Schutz der Teilnehmer*innen garantieren

Gewaltandrohungen gegen Teilnehmer*innen von LGBT-Events rechtfertigen keine Versammlungsbeschränkungen

Teilnehmer*innen der Euro Pride 2019 Parade in Wien, Österreich, am 15. Juni 2019.   © JOE KLAMAR/AFP via Getty Images

(Berlin) – Die serbische Regierung sollte ihr Verbot der EuroPride und aller damit verbundenen Veranstaltungen, die im September 2022 in Belgrad stattfinden sollen, unverzüglich aufheben, so Human Rights Watch heute. Stattdessen sollten die Behörden mit den Organisator*innen zusammenarbeiten, um angemessene Sicherheitsvorkehrungen für die Teilnehmer*innen zu treffen.

Präsident Aleksandar Vucic kündigte am 27. August an, dass seine Regierung die EuroPride absagen werde, eine regionale Veranstaltung zur Förderung der Gleichberechtigung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender-Personen (LGBT), die vom 12. bis 18. September inklusive einer Demonstration am 17. September in Serbien stattfinden sollte. Vucic räumte ein, dass es sich um eine „Verletzung von Minderheitenrechten“ handele, begründete seine Entscheidung jedoch mit Drohungen rechter Gruppen, die Veranstaltung zu stören, sowie mit den wachsenden Spannungen an der Grenze zum Kosovo. Ministerpräsidentin Ana Brnabic, die lesbisch und die erste Frau in diesem Amt ist, unterstützte die Absage mit den Worten: „Das Wichtigste ist, Frieden und Stabilität im Land zu wahren.“

„Die Entscheidung der serbischen Regierung, die EuroPride abzusagen, ist eine beschämende Kapitulation vor und implizite Duldung von Bigotterie und der Androhung von Gewalt“, erklärte Graeme Reid, Direktor der Abteilung für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender bei Human Rights Watch. „Es gab bereits Proteste von rechtsextremen Gruppen und religiösen Organisationen. Nun ist Serbien in der Pflicht, auch die Sicherheit und Würde der EuroPride-Teilnehmer zu gewährleisten.“

Die Ankündigung der Regierung folgte auf eine Demonstration von Tausenden von Personen am 27. August in Belgrad, die gegen die Ausrichtung der EuroPride protestierten und Slogans wie „Rettet unsere Kinder und unsere Familie“ skandierten.

Die Organisator*innen gaben an, keine formelle Mitteilung über ein Verbot erhalten zu haben und zu beabsichtigen, die Veranstaltung wie geplant durchzuführen. „Präsident Vucic kann nicht die Veranstaltung von jemand anderem absagen“, sagte Kristine Garina, Präsidentin der European Pride Organizers Association. „Die EuroPride ist nicht abgesagt und wird auch nicht abgesagt. Während des Bewerbungsverfahrens für die EuroPride 2022 hat Ministerpräsidentin Brnabic die volle Unterstützung der serbischen Regierung zugesagt […] und wir erwarten, dass dieses Versprechen auch eingehalten wird.“

Die Ko-Vorsitzende der Intergruppe des Europäischen Parlaments zu LGBTI-Rechten hat angedeutet, dass sie ungeachtet der Absage von Vucic teilnehmen werde. Serbische zivilgesellschaftliche Gruppen kündigten Ende August an, dass sie gegen jegliches Verbot vor Gericht klagen wollen. Ohne Einzelheiten zu nennen, reagierte Vucic auf die Kritik mit der Ankündigung, dass die Regierung das Verbot durchsetzen werde: „Wenn eine Versammlung verboten wird, dann wird sie auch verboten. Es wird keine Spielchen mit staatlichen Entscheidungen geben.“

Nachdem die serbische Regierung bereits zwischen 2011 und 2013 Pride-Veranstaltungen verboten hatte, erlaubte sie ab 2014 die Ausrichtung solcher Events in Belgrad, die dann auch friedlich verliefen. Die Begründung der serbischen Behörden für die Absage der EuroPride 2022 ähnelt auffallend den Argumenten Russlands für sein Verbot der Proteste von LGBT-Personen, wonach diese zu gewaltsamen Zusammenstößen mit Gegendemonstrant*innen führen könnten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat dieses Argument im Fall Alekseyev gegen Russland 2010 als Verstoß gegen das Recht auf friedliche Versammlung abgelehnt.

Der Gerichtshof wies das Argument der russischen Regierung zurück, indem es bekräftigte, dass es „keinerlei Zweideutigkeiten“ über „das Recht von Einzelpersonen gibt, sich offen als schwul, lesbisch oder zu einer anderen sexuellen Minderheit zugehörig zu bezeichnen und für ihre Rechte und Freiheiten einzutreten, insbesondere durch die Ausübung ihrer Freiheit, sich friedlich zu versammeln“. Das Gericht betonte, dass Behörden, die LGBT-Aktivist*innen das Recht auf friedliche Versammlung verweigern, „die Absichten von Personen und Organisationen, die eindeutig und absichtlich eine friedliche Demonstration unter Verstoß gegen das Gesetz und die öffentliche Ordnung stören wollten, faktisch unterstützen“.

Anstatt Demonstrationen zu verbieten, weil Dritte die öffentliche Ordnung bedrohen, sollten die Behörden ihrer Pflicht nachkommen und sicherstellen, dass die Polizei friedliche Demonstrierende bei der Ausübung ihres Rechts auf Versammlungsfreiheit schützt, so Human Rights Watch. Die Strafverfolgungsbehörden sollten sich mit Blick auf die Rechtsprechung zu Menschenrechtsverletzungen bei Gay-Pride-Paraden in Erinnerung rufen, dass es ihre Aufgabe ist, die Teilnehmer*innen der Veranstaltung zu schützen.

Als Mitglied des Europarates sollte Serbien die Standards des Rates zur Bekämpfung von Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung oder der Geschlechtsidentität einhalten. Dazu gehört auch, dass die Mitgliedsstaaten das Recht auf friedliche Versammlung ohne Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung und der Geschlechtsidentität gewährleisten. Die Standards des Europarats besagen außerdem, dass Regierungen Rechts- und Verwaltungsvorschriften nicht missbrauchen sollten, um die Freiheit der Meinungsäußerung und der friedlichen Versammlung aus Gründen der öffentlichen Gesundheit, der öffentlichen Sittlichkeit und der öffentlichen Ordnung einzuschränken.

Artikel 21 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte, den Serbien im Jahr 2001 ratifiziert hat, schützt ausdrücklich das Recht auf friedliche Versammlung. In einem Bericht aus dem Jahr 2016 stellte der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf friedliche Versammlungs- und Organisationsfreiheit fest: „Das Versäumnis des Staates, Teilnehmer einer friedlichen Kundgebung vor gewalttätigen, fundamentalistischen Gegendemonstranten zu schützen, stellt beispielsweise eine Verletzung des Rechts auf friedliche Versammlung dar.“ Dem Sonderberichterstatter zufolge habe die Regierung „eine positive Pflicht, diejenigen zu schützen, die ihr Recht auf friedliche Versammlung ausüben, selbst wenn sie unpopuläre Positionen vertreten (z. B. Rechte für LGBTI-Personen oder Angehörige einer religiösen Minderheit)“.

In einem Bericht aus dem Jahr 2022 betonte der Sonderberichterstatter, dass „Proteste besonders wichtig sind, um die Teilnahme von ansonsten ausgeschlossenen Gruppen wie […] LGBTQI+-Personen und anderen marginalisierten Gemeinschaften und Opfergruppen zu ermöglichen […] Wenn Staaten sicherheitsorientierte, feindselige Ansätze gegenüber Protesten verfolgen, anstatt sie als wichtigen Teil des demokratischen Lebens zu begrüßen, führt dies oft zu einer Vertiefung der zugrunde liegenden Krisen“.

„Anstatt sich opportunistisch bei menschenrechtsfeindlichen Gruppen anzubiedern, sollten die serbischen Behörden mit den Organisatoren der EuroPride zusammenarbeiten, um die Veranstaltung sicher zu machen und das Recht auf friedliche Versammlung zu garantieren“, so Reid. „Drohungen gegen die Würde und Rechte von LGBT-Personen sollten von der Regierung ernst genommen werden. Die Absage einer regionalen Veranstaltung ist der falsche Schritt.“

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