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Sicherheitskräfte patrouillieren in der Nähe der Id-Kah-Moschee in Kashgar in der westchinesischen Region Xinjiang. (c) 2017 Ng Han Guan/AP Photo

Keine staatliche Investitionsversicherung für ein deutsches Werk in Xinjiang: Berlins China-Politik bekommt neue Akzente. Sophie Richardson setzt deswegen große Hoffnungen auf die zukünftige Menschenrechtspolitik der neuen Bundesregierung. Richardson ist China-Direktorin der NGO Human Rights Watch.

In den letzten Wochen haben Bundeskanzler Olaf Scholz, Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck öffentlich scharfe Kritik an der Menschenrechtsbilanz der chinesischen Regierung geübt. Diese Kritik ist durchaus angebracht, angesichts der Repression unter Xi Jinpings Regierung mit Hightechüberwachung, der Freiheitsbeschränkungen in Hongkong, der Verleugnung der Identität der Menschen in Tibet sowie den Verbrechen gegen die Menschlichkeit, denen Uigurinnen und Uiguren und andere turksprachige Gemeinschaften in Xinjiang ausgesetzt sind.

Wichtiger jedoch als die rhetorische Verurteilung sind harte Entscheidungen, damit der chinesischen Regierung ihre Repression teuer zu stehen kommt.

Baerbock, die eine klare Haltung gegen Autoritarismus einnimmt, antwortete jüngst in sozialen Medien auf einen neuen Datenleak chinesischer Behörden, aus denen schwerwiegende Verbrechen gegen Uiguren hervorgehen, dass diese "die schlimmsten Menschenrechtsverbrechen [zeigten], die in Xinjiang verübt werden". Beim Weltwirtschaftsforum in Davos rief Scholz am 26. Mai 2022 die Welt auf, "nicht wegzuschauen, wenn Menschenrechte verletzt werden, wie wir es derzeit in Xinjiang sehen können".

Keine Staatsbürgschaft für Xinjiang-Werk

Nachdem die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte unter strengen Auflagen nach China gereist war, kritisierte das deutsche Außenministerium sowohl die Hochkommissarin als auch die chinesische Regierung und sagte, dass die Reise dem Ziel einer "transparente[n] Aufklärung der gravierenden Vorwürfe über schwerste Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang […] nicht gerecht werden" konnte.

Eine jüngste Entscheidung des Wirtschaftsministeriums könnte jedoch auf einen tatsächlichen politischen Wandel hinweisen. Erstmals lehnte das Ministerium die durch ein privates Unternehmen beantragte Übernahme einer staatlichen Investitionsversicherung für ein Werk in Xinjiang ab. "Eine Übernahme von Garantien für Projekte in der Provinz Xinjiang ist angesichts der dortigen Menschenrechtslage nicht vorstellbar", ließ das Ministerium verlauten. Der Kern des Disputs hat mit Pekings – nicht Berlins – Blockade der Menschenrechtsverpflichtungen zu tun, in einer Region, zu der sich die Expertinnen und Experten der Vereinten Nationen wiederholt besorgt geäußert haben.

Da Deutschland Wirtschaftsmotor der EU und zweitgrößter Handelspartner Chinas ist, wird diese Entscheidung wahrscheinlich Folgen haben. Sie kommt zu einer Zeit, da ein neues US-Gesetz in Kraft tritt, das Gütern eine "widerlegbare Vermutung" hinsichtlich uigurischer Zwangsarbeit auferlegt, und die Europäische Union neue Sorgfaltsregeln zur Anwendung bringt. Dass nun also Menschenrechtsfragen ins Zentrum der Handelspolitik gestellt werden, hat das Potenzial, die jahrzehntelange deutsche China-Politik auf den Kopf zu stellen.

Jetzt, da die Scholz-Regierung ihre China-Politik überdenkt, gibt es eine Reihe weiterer Schritte in Bezug auf die Menschenrechtslage, die sie in Betracht ziehen könnte. Da eine der größten Diaspora uigurischer und anderer turksprachiger Gemeinschaften aus China in Deutschland lebt, könnte die deutsche Justiz vorläufige Untersuchungen zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit in China anstrengen. Deutsche Uigurinnen und Uiguren verweisen in diesem Kontext auf die jüngste Strafverfolgung ehemaliger syrischer Geheimdienstler in Deutschland aufgrund von Folterwürfen. Dabei hoffen sie, dass auch ihnen in ihrer neuen Heimat Gerechtigkeit widerfahren könnte.

Chinas UN-Diplomaten versuchen, Menschenrechtsfragen zu blockieren

Deutschland sollte darüber hinaus eine Führungsrolle in einer Allianz demokratischer Staaten übernehmen, die sich den chinesischen Bedrohungen gegen das Menschenrechtssystem der Vereinten Nationen entgegenstellt. In den letzten zehn Jahren haben chinesische Diplomaten intensiv daran gearbeitet, die Beteiligung unabhängiger Stimmen aus China in UN-Organen zu verhindern und Berichte zur eigenen Bilanz im Rahmen international bindender Menschenrechtsverträge zu unterlaufen.

Die chinesische Regierung war auch darum bemüht, das System als Ganzes zu schwächen, indem sie etwa "Normen" zu stärken versuchte, die Verantwortung für schwerwiegende Menschenrechtsverbrechen durch einzelne Staaten unterminieren und durch zahnlose bilaterale Dialoginstanzen ersetzen sollten. So bliebe die unabhängige Zivilgesellschaft außen vor. Deutschland hat sowohl im Menschenrechtsrat als auch im Sicherheitsrat stets Kritik an der Menschenrechtsbilanz Chinas geäußert und befindet sich damit in einer hervorragenden Lage, die Führung einer Initiative zum Schutz dieser Institutionen zu übernehmen. Vier Jahre sind vergangen, seit die Künstlerin Liu Xia, die Partnerin des verstorbenen chinesischen Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo, in Berlin landete, nachdem die Bundesregierung zehn Jahre lang Druck auf Peking ausgeübt hatte, damit sie aus ihrem willkürlich verhängten Hausarrest freigelassen wird. In dieser Zeit wurden einige der wichtigsten Verbündeten Berlins zur Gewährleistung besserer Menschenrechtsbedingungen in China verhaftet, ins Exil getrieben oder sind verschwunden. Diese traditionellere Säule der deutschen Menschenrechtspolitik sollte erneut zu einem Schwerpunkt werden; hochrangige deutsche Regierungsbeamte sollten als Teil ihres Dialogs mit ihren chinesischen Gegenübern entschlossen die Freilassung von Menschenrechtsverteidigerinnen fordern.

Nicht zuletzt sollte Berlin entschieden gegen Menschenrechtsverletzungen Chinas auf deutschem Boden vorgehen. Das umfasst nicht nur das Schikanieren von in Deutschland lebenden Kritikerinnen der chinesischen Regierung sowie von Mitgliedern der Diasporagemeinschaften, sondern auch Pekings Bemühungen, die akademische Freiheit in Universitäten einzuschränken.

Xi ist darauf bedacht, seine Präsidentschaft auf einem hochrangigen Treffen der Kommunistischen Partei Chinas weiter zu zementieren. Die größten Hoffnungen auf einen Schutz der Menschenrechte innerhalb – und außerhalb – Chinas könnten auf einer von Prinzipien geleiteten und konsequenten Politik Berlins liegen.

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