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Von Jerusalem bis Gaza stärken israelische Behörden ihren Vorherrschaftsanspruch

Jüngste Eskalation verdeutlicht Apartheid und Verfolgung von Millionen Palästinenser*innen

Ein palästinensischer Mann weicht dem Tränengas aus, das israelische Sicherheitskräfte vor der Felsendom-Moschee auf dem Gelände der al-Aqsa-Moschee im besetzten Ost-Jerusalem am 10. Mai 2021 abfeuern. © 2021 Mahmoud Illean/AP Photo

Gewaltsame Übernahmen von Häusern, brutales Vorgehen gegen Demonstrierende, Angriffe auf Gotteshäuser, identitätsbasierte kommunale Gewalt, wahllose Raketenangriffe, Kinder, die bei Angriffen ums Leben kommen: Was soll man von den erschütternden Schlagzeilen aus Israel und Palästina halten?

Zweifellos haben die jüngsten Ereignisse in Gaza und Jerusalem zu schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen geführt. Wir untersuchen diese und brauchen Zeit, um die entsprechenden Fakten zu sammeln. Aus dem, was wir bislang wissen, lassen sich jedoch einige vorläufige Schlussfolgerungen ziehen.

Auslöser für die Eskalation war Israels Vorhaben, mehrere palästinensische Häuser im Viertel Sheikh Jarrah in Ostjerusalem zu räumen und zu übernehmen. Ostjerusalem wurde 1980 von Israel annektiert. Nach internationalem Recht gilt es als besetztes Gebiet. Israel plante, die palästinensischen Bewohner*innen zu vertreiben und die von ihnen lange bewohnten Häuser jüdischen Siedler*innen zu übertragen. Israelische Gerichte hatten dies mit Verweis auf ein nationales Gesetz von 1970 genehmigt. Dieses Gesetz erleichtert die Rückgabe von Eigentum an jüdische Eigentümer*innen oder ihre Erben, einschließlich jüdischer Gruppierungen, die in ihrem Namen handeln. Voraussetzung ist hier, dass die Betroffenen glaubhaft machen, dass das jeweilige Eigentum bereits vor 1948 in ihrem Besitz gewesen war, als die jordanischen Behörden die Kontrolle bis 1967 übernahmen.

Die betroffenen palästinensischen Familien waren zuvor aus dem Gebiet des heutigen Israels vertrieben worden. Sie haben ihrerseits keine rechtliche Möglichkeit, ihr Land und ihre Häuser zurückzufordern, die die israelischen Behörden zusammen mit dem Land vieler anderer vertriebener Palästinenser*innen als „Eigentum Abwesender“ nach den Ereignissen um die Gründung des Staates Israel zwischen 1947 und 1949 konfisziert hatten. Ein endgültiges Gerichtsurteil in dieser Angelegenheit wird bald erwartet.

Diese diskriminierende Behandlung mit genau entgegengesetzten rechtlichen Ergebnissen für Ansprüche auf Eigentum aus der Zeit vor 1948, je nachdem, ob die Antragstellenden jüdische Israelis oder Palästinenser*innen sind, zeigt, dass die Palästinenser*innen in Ostjerusalem faktisch in Apartheid leben. Fast alle Palästinenser*innen dort haben einen bedingten, widerrufbaren Aufenthaltsstatus, während jüdische Israelis im selben Gebiet Bürger*innen mit gesichertem Status sind. Palästinenser*innen leben in dicht besiedelten Enklaven, die nur einen Bruchteil der Mittel und Ressourcen erhalten, die den jüdischen Siedlungen zur Verfügung stehen. Sie erhalten keine Baugenehmigungen. Gleichzeitig florieren die benachbarten israelischen Siedlungen, die auf enteignetem palästinensischem Land gebaut wurden.

Israelische Beamte haben dieses diskriminierende System vorsätzlich geschaffen, von dem jüdische Israelis auf Kosten der Palästinenser*innen profitieren. Der Plan der Regierung für Jerusalem, der sowohl den westlichen als auch den besetzten östlichen Teil der Stadt umfasst, hat zum Ziel, „eine solide jüdische Mehrheit in der Stadt aufrechtzuerhalten“ und spezifiziert sogar die demographischen Verhältnisse, die es zu erhalten gilt. Diese Absicht liegt Israels Verbrechen gegen die Menschlichkeit der Apartheid und Verfolgung zugrunde, die Human Rights Watch in einem kürzlich erschienenen Bericht dokumentiert hat.

Um gegen die geplante Räumung von Sheikh Jarrah zu protestieren, gingen Palästinenser*innen in Ostjerusalem auf die Straße. Hierbei flogen auch Steine. Die israelischen Streitkräfte setzten Tränengas, Blendgranaten und gummibeschichtete Stahlgeschosse, auch innerhalb der al-Aqsa-Moschee, ein. Laut Angaben des Büros der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) wurden zwischen dem 7. und 10. Mai 1000 Palästinenser verletzt, davon 735 durch Gummigeschosse. Mindestens 32 israelische Beamt*innen wurden demnach ebenfalls verletzt.

Dieses Vorgehen entspricht dem jahrzehntelangen Verhaltensmuster israelischer Behörden, die exzessive und absolut unverhältnismäßige Gewalt anwenden, um gegen Proteste und Unruhen von Palästinenser*innen vorzugehen. Hierbei werden Menschen häufig schwer verletzt oder getötet.

Später kam es auch zu Protesten im Westjordanland und in Israel.

Die Hamas und bewaffnete palästinensische Gruppen im Gazastreifen wollten die Gelegenheit nutzen, um sich als Verteidiger der al-Aqsa-Moschee zu profilieren. Sie feuerten Raketen auf israelische Bevölkerungszentren ab. Bis zum 11. Mai wurden hierbei drei Menschen in Israel getötet. Derart wahllose Angriffe, die das Leben, die Häuser und das Eigentum von zehntausenden israelischen Zivilisten gefährden, kommen Kriegsverbrechen gleich, wie Human Rights Watch bereits seit Jahren ausführlich dokumentiert.

Als Reaktion auf diese Angriffe starteten die israelischen Streitkräfte Luftangriffe auf den Gazastreifen. Das palästinensische Gesundheitsministerium berichtete am 11. Mai, dass bei diesen Angriffen 30 Palästinenser*innen, darunter 10 Kinder, getötet wurden. Es gibt jedoch Berichte, nach denen einige von ihnen durch fehlgeleitete Raketenangriffe bewaffneter palästinensischer Gruppen getötet worden sein könnten. Die Rechtmäßigkeit jedes einzelnen Angriffs muss zwar gründlich untersucht werden, aber zivile Opfer sind sehr wahrscheinlich, wenn Sprengwaffen mit großflächiger Wirkung im dicht besiedelten Gazastreifen eingesetzt werden, wo mehr als 2 Millionen Palästinenser*innen in einem 41 Kilometer langen und zwischen 6 und 12 Kilometer breiten Gebietsstreifen leben und bisweilen Wohngebiete anvisiert werden.

Während der bewaffneten Auseinandersetzungen in den letzten zehn Jahren hat Human Rights Watch den regelmäßigen Einsatz von exzessiver und in hohem Maße unverhältnismäßiger Gewalt durch die israelischen Behörden dokumentiert, die bisweilen konkret auf Zivilisten oder zivile Infrastruktur abzielte.

Seit Jahren dreht sich diese Eskalationsspirale mal schneller und mal langsamer weiter. Auch wenn die unmittelbare Krise nachlässt, wird sich der Teufelskreis weiter fortsetzen, solange Straflosigkeit für schwere Menschenrechtsverletzungen die Norm bleibt und die internationale Gemeinschaft keine adäquaten Maßnahmen ergreift, um sicherzustellen, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.

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