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(Washington DC) – Wegen der umfangreichen Sanktionen der Trump-Regierung ist der Iran kaum noch in der Lage, humanitäre Importe, darunter auch Medikamente, zu finanzieren. Das stellt die iranische Bevölkerung vor große Probleme und bedroht ihr Recht auf Gesundheit, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Die US-Regierung soll unverzüglich Schritte einleiten, damit der Handel mit humanitären Gütern mit Iran möglich ist.

Der 47-seitige Bericht „‘Maximum Pressure’: US Economic Sanctions Harm Iranians’ Right to Health“ dokumentiert, dass iranische Unternehmen und staatliche Stellen wegen der weitreichenden Einschränkungen finanzieller Transaktionen und der aggressiven Rhetorik der USA kaum mehr humanitäre Importe finanzieren können. Dies betrifft auch lebenswichtige Medikamente und medizinische Ausrüstung. Zwar sind humanitäre Importe von den Sanktionen der US-Regierung ausgenommen, aber diese Ausnahmen erweisen sich in der Praxis als wirkungslos. US-amerikanische und europäische Unternehmen und Banken befürchten Sanktionen und rechtliche Schritte, wenn sie eigentlich nicht von den Sanktionen betroffene humanitäre Güter exportieren und finanzieren. Dadurch verliert die iranische Bevölkerung Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten und ihr Recht auf Gesundheit wird beeinträchtigt. Völkerrechtliche Bestimmungen verpflichten die USA dazu, die Auswirkungen ihrer Sanktionen auf die Menschenrechte der iranischen Bevölkerung zu prüfen und bei Beeinträchtigungen Abhilfe zu schaffen.

„Mitarbeiter der Trump-Regierung behaupten, sie stünden an der Seite der Iraner. Aber das viel zu weitreichende und belastende US-Sanktionsregime verletzt das Recht der Iraner auf eine angemessene Gesundheitsversorgung, etwa den Zugang zu lebenserhaltenden Medikamenten“, sagt Sarah Leah Whitson, Leiterin der Abteilung Naher Osten bei Human Rights Watch. „Wegen des lückenlosen Sanktionsnetzes der USA nehmen Banken und Unternehmen auch vom humanitären Handel mit dem Iran Abstand. Iraner mit seltenen oder komplexen Erkrankungen erhalten nicht mehr die Medikamente und die Behandlung, die sie brauchen.“

Zwischen November 2018 und Oktober 2019 befragte Human Rights Watch 21 Personen, darunter iranische Ärzte, ehemalige und aktuelle Mitarbeiter iranischer und internationaler Arzneimittelimporteure sowie Anwälte und Nichtregierungsorganisationen mit Fachkenntnis über humanitäre Maßnahmen im Iran. Einige Befragte leben im Iran, viele lebten entweder bislang im Iran und/oder reisen regelmäßig dorthin, leben aber in einem anderen Land. Zudem befragte Human Rights Watch Experten für US-Regierungspolitik, die direkt oder indirekt mit dem Iran befasst sind. Auch flossen Aussagen mehrerer Iraner in den Bericht ein, die sich in sozialen Netzwerken darüber beklagt hatten, keine Medikamente für sich oder Familienangehörige mehr bekommen zu können. Einbezogen wurden auch die verfügbaren offiziellen Stellungnahmen der US-amerikanischen und der iranischen Regierung. Außerdem analysierte Human Rights Watch Wirtschafts- und Handelsdaten der iranischen Zentralbank, der iranischen staatlichen Gesundheitsorganisation Sazman-e-Ghaza-va-Daroo und von Eurostat, der Statistikbehörde der Europäischen Union mit Sitz in Luxemburg.

Seit die US-Regierung im Mai 2018 offiziell aus dem internationalen Atomabkommen ausstieg, reaktivierte sie zuvor ausgesetzte Wirtschaftssanktionen unter anderem auf den Öl-Export und erließ weitere Sanktionen. Das US-Finanzministerium prognostizierte, dass die Sanktionen zu zunehmender finanzieller Isolation des Irans und zum wirtschaftlichen Stillstand führen würden. „Sanktionen, die so umfassend sind wie die der Trump-Regierung und auf unbestimmte Zeit erlassen werden, wirken sich negativ auf die humanitäre Versorgung von Millionen Iranern aus. Zudem beeinträchtigen sie deren Recht auf Gesundheit“, sagt Human Rights Watch.

Als am 25. Oktober 2019 neue Sanktionen gegen Iran angekündigt wurden, sagte Finanzminister Steven T. Mnuchin, dass sich die amerikanische Regierung weiter für den uneingeschränkten Handel mit humanitären Gütern für die iranische Bevölkerung einsetzen werde. Die Menschen in dem Land hätten 40 Jahre lang unter dem Mismanagement des korrupten Regimes gelitten. Doch andere Vertreter der amerikanischen Regierung haben entgegengesetzte Signale gesendet. Demnach sei es die Strategie der USA, genug Leid in der Bevölkerung zu verursachen, damit die iranische Regierung ihr Verhalten ändere – was die wirtschaftlichen Rechte der Bevölkerung verletzen würde. Am 14. Feburar 2019 sagte US-Außenminister Mike Pompeo gegenüber CBS News: „Die Lage der Menschen im Iran hat sich [angesichts der US-Sanktionen] deutlich verschlechtert. Wir sind überzeugt, dass die Menschen aufstehen und das Verhalten des Regimes ändern werden.“

„Das US-Finanzministerium und das Außenministerium haben vor kurzem einen neuen humanitären Mechanismus für den Handel mit Iran angekündigt. Dies ist ein seltenes und stillschweigendes Eingeständnis, dass die weitreichenden Sanktionen den Zugang zu humanitären Gütern im Iran eingeschränkt haben“, so Whitson. „Die amerikanische Regierung sollte endlich das Leid anerkennen, dass sie durch ihr grausames Sanktionsregime verursacht hat und einen praktikablen Finanzierungskanal öffnen. Dieser soll vernünftige Kriterien für Unternehmen, Banken und andere Einrichtungen erhalten, damit die Bevölkerung im Iran mit humanitären Gütern versorgt werden kann – aber nicht neue Hürden errichten.“

Am 25. Oktober wurde Iran unter dem Abschnitt 311 des USA PATRIOT Act als eine Jurisdiktion bezeichnet, in der Geldwäsche ein großes Problem sei. Dies stellt eine Verschärfung der amerikanischen Sanktionen gegen Iran dar. Zu den damit verbundenen Maßnahmen gehören ein neuer Mechanismus, um die Transparenz für zulässigen Handel mit Iran zu erhöhen. Dies dürfte zu weiteren Hürden für Unternehmen führen. Es ist auch unklar, ob die Einhaltung der neue Kriterien das Handelsverbot, auch für humanitäre Güter, mit spezifischen Einrichtungen gemäß den Anti-Terror-Verordnungen ersetzt. Ein früherer US-Beamter, der mit dem Sanktionsregime befasst war, sagte dazu, dass die meisten wohl den Mechanismus nicht mit dem Handel für humanitären Gütern in Verbindung bringen dürften. Vielmehr dürften sie ihn dafür nutzen, um Informationen für weitere Sanktionen zu erhalten. Für diejenigen, denen es um die humanitären Güter gehe, sei dies nicht der richtige Weg.

Die Wirtschaftssanktionen verursachen trotz der humanitären Ausnahmen unnötiges Leid bei Iranern, die unter unterschiedlichen Krankheiten und Beeinträchtigungen leiden. Am stärksten betroffen sind Iraner mit seltenen Krankheiten, die besonderer Behandlung bedürfen und ihre bisherigen Medikamente und Versorgung nun nicht mehr erhalten. Dazu zählen unter anderem Patienten mit Leukämie, Epidermolysis bullosa (EB, eine Hautkrankheit), Epilepsie und chronischen Augenkrankheiten, die von chemischen Kampfstoffen im Iran-Irak Krieg verursacht wurden.

Menschen mit einer schweren Form von EB bekommen ihre Spezialverbände nicht mehr, wodurch sie einem deutlich erhöhten Infektions- und Blutvergiftungsrisiko ausgesetzt sind. Kinder mit Epilepsie, die nicht auf die verbreitete Behandlung ansprechen und nun keine importierten Medikamente mehr bekommen, erleiden häufiger unkontrollierte Anfälle, bei denen sie sich verletzen und die im Laufe der Zeit zu schweren, dauerhaften Hirnschäden führen können.

Im Verlauf des letzten Jahres erweiterte das US-Finanzministerium die Liste der zu sanktionierenden „Specially Designated Nationals and Blocked Persons“ um zahlreiche Institutionen, darunter staatliche und private iranische Banken. US-amerikanische und andere Unternehmen und Finanzinstitute, die Geschäftsbeziehungen zu gelisteten Institutionen unterhalten, können in den USA strafrechtlich verfolgt werden. Wenn internationale Unternehmen Geschäftsbeziehungen zum Iran unterhalten, müssen sie sehr umfangreiche regulatorische Anforderungen und Sorgfaltspflichten erfüllen. Ausreichend Kapazitäten dafür, Handel mit dem Iran zu finanzieren und die zunehmenden wirtschaftlichen und rechtlichen Risiken in Kauf zu nehmen, haben nur wenige Unternehmen und Banken.

Zudem handeln Banken und Pharmazieunternehmen übervorsichtig und in vorauseilendem Gehorsam. Beispielsweise weigerte sich ein europäisches Unternehmen trotz der humanitären Ausnahmen, die Spezialverbände zu verkaufen, die EB-Patienten benötigen. Aus Schriftwechseln geht hervor, dass es auch zwei Banken ablehnten, Geldverkehr für humanitäre Güter mit dem Iran zu genehmigen.

Darüber hinaus gefährden die weitreichenden „Terrorismus“-Einstufungen der Trump-Regierung den Handel mit dem Iran. Im April wurde die Islamische Revolutionsgarde, ein Teil der iranischen Streitkräfte, offiziell als ausländische terroristische Organisation klassifiziert. Davon können laut Berichten der New York Times bis zu 11 Millionen Iraner betroffen sein. Solche Einstufungen betreffen zwar Medikamente nicht, aber sie erhöhen das Risiko für Unternehmen, die Geschäftsbeziehungen mit gelisteten Individuen und Körperschaften unterhalten. Zudem erließ die US-Regierung am 20. September weitere Sanktionen gegen die iranische Zentralbank. Diese schränken das letzte verbliebene iranische Finanzinstitut massiv ein, das in der Lage ist, Devisengeschäfte etwa für humanitäre Importe durchzuführen. Dadurch sind die „humanitären Ausnahmen“ praktisch bedeutungslos.

„Wir haben ein ganzes Jahr lang versucht, Banken zu finden, die fähig und bereit dazu sind, Gelder [für unsere humanitären Maßnahmen] zu überweisen“, sagte Jan England, Generalsekretär des norwegischen Flüchtlingsrats, der Tausende afghanische Flüchtlinge im Iran unterstützt, im August. „Aber wir rennen gegen Mauern. Norwegische und internationale Banken fürchten die US-Sanktionen, wenn sie Gelder überweisen, die Regierungen uns für unsere lebenswichtige Arbeit zur Verfügung gestellt haben.“

Das Völkerrecht sieht vor, dass ein Staat oder ein Staatenbündnis, das Wirtschaftssanktionen durchsetzt, deren Folgen für die Menschenrechte der betroffenen Bevölkerung berücksichtigen muss, insbesondere den Zugang zu lebenswichtigen Gütern wie Medikamente und Nahrung. Human Rights Watch spricht sich gegen Sanktionen aus, die unverhältnismäßig negative Auswirkungen auf die Menschenrechte haben oder unnötiges Leid verursachen, insbesondere bei verletzlichen Bevölkerungsgruppen.

Die US-Regierung soll funktionierende Finanzkanäle für humanitären Handel mit dem Iran schaffen und unverzüglich Schritte einleiten, um sicherzustellen, dass die humanitäre Ausnahmen funktionieren. Insbesondere soll sie ermöglichen, dass die iranische Bevölkerung wieder Medikamente und medizinisches Equipment erhält.

„Die iranische Bevölkerung trägt die ganze Last des amerikanischen Sanktionsregimes. Und sie wird diejenigen, die für das Leid verantwortlich sind, nicht vergesssen“, so Whitson.

Zwar führen die Sanktionen dazu, dass die iranische Regierung den Bedarf ihrer Bevölkerung nicht mehr decken kann, aber das entbindet sie nicht von ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen. Die iranische Regierung soll gewährleisten, dass alle Staatsbürger und Bewohner des Landes ihr Recht auf Gesundheit ohne Diskriminierung ausüben können. Zudem soll sie alle möglichen Maßnahmen ergreifen, um die negativen Auswirkungen der Sanktionen auf verletzliche Gruppen abzumildern. Das umfasst auch die Pflicht der Regierung, Korruption und Ressourcenmissbrauch zu verhindern.

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