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Der gestürzte ägyptische Präsident Mohammed Morsi in einem Käfig für Angeklagte in einem provisorischen Gerichtsraum der nationalen Polizeiakademie, Kairo, Ägypten. Human Rights Watch hat dokumentiert, dass Morsi jahrelang in Einzelhaft festgehalten wurde und dass seine Rechte als Gefangener missachtet wurden. © 2016 AP Photo/Amr Nabil

(Beirut) – Gegen die ägyptischen Behörden sollte wegen der Misshandlung des ehemaligen Präsidenten Mohammed Mursi, der am 17. Juni 2019 starb, ermittelt werden, so Human Rights Watch heute. Mursi hatte jahrelang nur unzureichenden Zugangs zu medizinischer Versorgung.

Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen, dessen nächste Sitzung am 24. Juni beginnt, sollte eine Untersuchung der aktuellen, schweren Menschenrechtsverletzungen in Ägypten einleiten, einschließlich der weit verbreiteten Misshandlungen in Gefängnissen sowie des Todes von Ex-Präsident Mursi.

„Der Tod des ehemaligen Präsidenten folgte Jahren schlechter Behandlung, langer Isolationshaft, inadäquater medizinischer Versorgung, dem Entzug von Familienbesuchen und fehlendem Zugang zu Anwälten“, sagte Sarah Leah Whitson, Leiterin der Abteilung Nahen Osten und Nordafrika bei Human Rights Watch. „Auf jeden Fall hat die ägyptische Regierung die Menschenrechte Mursis schwer verletzt, indem sie ihm die Häftlingsrechte verweigerte, die den Mindeststandards entsprechen.“

Das ägyptische Staatsfernsehen verkündete, dass Mursi, 68, starb, nachdem er während eines seiner Prozesse in einem Käfig im Gerichtssaal in ein Koma gefallen war. Am späten Abend veröffentlichte die ägyptische Generalstaatsanwaltschaft eine Erklärung, wonach der Richter Mursi fünf Minuten lang im Gerichtssaal sprechen ließ, bevor dieser das Bewusstsein verlor. Die Erklärung besagt, dass ein Team von Ermittlern, darunter der Direktor der Forensic Medical Authority, die Kameraaufnahmen aus dem Gerichtssaal und Mursis Gesundheitsakte untersuchen werde. Eine konkrete Todesursache wurde in der Erklärung nicht genannt.


Die ägyptische Regierung hat es sechs Jahre lang versäumt, Mursi seine Grundrechte als Häftling zu gewähren, darunter das Recht auf eine ausreichende medizinische Versorgung und Familienbesuche. Diese wurden ihm trotz seines sich offenbar verschlechternden Gesundheitszustands und seiner wiederholten Forderungen an die Justiz nach Zugang zu medizinischer Versorgung nicht gewährt. Diese Behandlung verstößt gegen den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und gegen die UN-Mindestregeln für die Behandlung von Gefangenen. Die Misshandlung Mursis könnte gemäß des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter einer ebensolchen gleichkommen.

Mursi wurde bei den ersten und einzigen fairen und freien Präsidentschaftswahlen in Ägypten nach dem Aufstand von 2011 zum Präsidenten gewählt. Mursi blieb ein Jahr lang im Amt. Nachdem bei Massenprotesten vorgezogene Wahlen gefordert wurden, stürzten die Streitkräfte unter der Führung von General Abd al-Fattah al-Sisi, Mursis ehemaligem Verteidigungsminister, den Präsidenten. Hierbei erhielten die Streitkräfte Unterstützung von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Kurz darauf wurde Al-Sisi Präsident. Im Juli 2013 wurde Mursi von Al-Sisis Truppen verhaftet. Mursis Familie gab Human Rights Watch gegenüber an, dass sie ihn in den folgenden sechs Jahren nur dreimal im Gefängnis besuchen durfte.

Bei ihrem letzten Besuch im September 2018 begleiteten drei Mitglieder von Sicherheitsbehörden die Familie während des gesamten Besuchs. Ein Sicherheitsbeamter machte Notizen zu dem Gespräch zwischen Mursi und seiner Frau und seinen Kindern, so einige Familienmitglieder. Mursi erzählte seiner Familie, er habe kein Bett in seiner Zelle in Kairos al-Molhaq-Gefängnis, einem Teil des Tora-Gefängniskomplexes. Zudem berichtete er von Rücken- und Nackenschmerzen durch das Schlafen auf dem nackten Boden. Er erzählte seiner Familie auch, dass er ein Leiden auf dem linken Auge entwickelt habe und dass dieses laut Gefängnisarzt möglicherweise operativ behandelt werden müsse. Es seien jedoch keine weiteren Untersuchungen erfolgt. Seine Anträge auf eine medizinische Untersuchung durch unabhängige Ärzte wurden wiederholt ignoriert.

Mursi war Diabetiker und hatte den Richtern bei früheren Gelegenheiten erklärt, er sei aufgrund der fehlenden angemessenen medizinischen Versorgung in Bezug auf seine Insulindosis und seine Ernährung wiederholt in ein diabetisches Koma gefallen. Er sagte auch, dass er Gefängnismahlzeiten zeitweise mied, weil er um sein Leben fürchtete und sich nur auf Konserven verließ. Die vorsitzenden Richter in den verschiedenen Verfahren gegen Mursi haben zu keinem Zeitpunkt eine Untersuchung seiner Haftbedingungen angeordnet. Selbst als Gefängnisbeamte angewiesen wurden, ihm Besuche zu erlauben, hätten die Sicherheitsbeamten diese Anweisungen der Richter ignoriert, so ein Familienmitglied.

Ein Familienmitglied sagte Human Rights Watch, dass die Sicherheitskräfte den ehemaligen Präsidenten sogar während der Gerichtsverhandlungen in Glasbarrieren hielten, die ihn von anderen Gefangenen und seinen Anwälten isolierten. Den Medien war es weitgehend verboten worden, über seine Verhandlungen zu berichten.

Das Familienmitglied beschrieb Mursis Situation als „völlige Isolation“ und gab an, dass Mursi auch während der Übungsstunden im Gefängnis keine anderen Gefangenen sehen durfte. Auch hätten die Gefängnisbehörden es Mursi nicht erlaubt, fernzusehen oder Zeitungen zu lesen, sodass dass er von wichtigen Nachrichtenereignissen in den letzten zwei Jahren nichts wusste, wie zum Beispiel, als die Regierung 2016 das ägyptische Pfund freigab und damit seinen Wert erheblich reduzierte.

Das Familienmitglied sagte, dass sich die Isolation von Mursi nach der Ermordung des Generalstaatsanwalts Hisham Barakat im Juni 2015 deutlich verschärft habe. Anscheinend hatte Al-Sisi zu dieser Zeit strengere Sicherheitsmaßnahmen gegen Gefangene angeordnet.

Ägyptische Gerichte hatten Mursi u.a. wegen angeblicher Spionage und Anstiftung zur Gewalt verurteilt. Er hatte seine Rechtsbehelfe in mindestens drei der Fälle erschöpft und war zu 48 Jahren Gefängnis verurteilt worden, befand sich aber mitten in einem Wiederaufnahmeverfahren in einem anderen Spionagefall. Human Rights Watch kam zu dem Schluss, dass das Verfahren gegen Mursi nicht den grundlegenden Maßnahmen eines ordentlichen Verfahrens entsprach und politisch motiviert zu sein schien.

Unter der Regierung von Al-Sisi verhafteten die Sicherheitskräfte Zehntausende von Dissidenten, viele von ihnen willkürlich. Human Rights Watch und andere Organisationen dokumentieren seit langem die systematischen Misshandlungen in ägyptischen Gefängnissen, die unzureichende medizinische Versorgung sowie die systematische, weit verbreitete Folter in  nicht offiziellen Haftanstalten durch die Beamten der Polizei und der National Security Agency.

„Die ägyptische Regierung hat den ehemaligen Präsidenten Mohammed Mursi bewusst für eine besonders harte Behandlung und Isolation ausgewählt“, so Whitson. „Was auch immer man von Mursis Politik hält, er wurde schrecklich behandelt und gegen die Verantwortlichen sollte ermittelt werden und sie sollten angemessen strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden. 

 

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