(New York) – Regierungen aus aller Welt sollen der Meinung der UN-Menschenrechtskommissarin zu Massenüberwachung Beachtung schenken, so Human Rights Watch. Sie sollen die Massenüberwachung einschränken und die Privatsphäre aller Nutzer des Internets achten, ganz egal, woher die Nutzer stammen.
Die Hohe Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Navi Pillay, hat einen ausführlichen Bericht erstellt und am 16. Juli 2014 veröffentlicht. Darin warnt sie, dass Massenüberwachung weltweit immer mehr zu einer gefährlichen Gewohnheit werde und nicht mehr eine außergewöhnliche Maßnahme sei. Der Staat soll nur dann überwachen, wenn es erforderlich und mit Blick auf ein legitimes Ziel angemessen sei. In dem Bericht werden viele weit verbreitete Praktiken genauso kritisiert wie die Begründungen, die die Vereinigten Staaten, Großbritannien und andere Regierungen für die Massenüberwachung anführen.
„Der Bericht der Hohen Kommissarin ist ein wichtiger Schritt, denn er gibt im digitalen Zeitalter dem Recht auf Privatsphäre ein solides rechtliches Fundament“, so Cynthia Wong, Internet-Expertin von Human Rights Watch. „Als Reaktion auf diesen Bericht sollten sämtliche Regierungen sofort ihr Verhalten in Sachen digitaler Überwachung überprüfen und es in Einklang mit internationalen Rechtsstandards bringen.“
Der Bericht zeigt auf, in welcher Form Staaten im digitalen Zeitalter verpflichtet sind, die Privatsphäre zu schützen. Zudem weist er auf Lücken hin, wenn es um den Schutz dieser Rechte im Zusammenhang mit staatlicher Massenüberweisung geht. Regierungen werden aufgefordert, unverzüglich ihre Gesetze, Maßnahmen und Gepflogenheiten zu überprüfen und sicherzustellen, dass internationale Menschenrechtsstandards vollständig eingehalten wird.
Der UN-Bericht macht deutlich, dass speziell die USA und Großbritannien ihre Überwachungsgesetze und Überwachungspraktiken überarbeiten müssen. Die USA hat praktisch überhaupt nichts unternommen, um Art und Umfang der Daten und der Kommunikation einzugrenzen, die Nachrichtendienste von Personen außerhalb der amerikanischen Grenzen sammeln können. Die britische Regierung hat zu diesem Thema vor allem geschwiegen, bis sie vergangene Woche im Eiltempo ein Gesetz verabschiedete, das es auch künftig erlaubt, von Internet- und Telekommunikationsdaten eine Vorratsdatenspeicherung bestimmter Metadaten zu verlangen. Dies betrifft sämtliche Kunden in Großbritannien, unabhängig davon, ob diese Personen im Verdacht stehen, eine Straftat begangen zu haben.
Im Dezember 2013 hatte die Vollversammlung der Vereinten Nationen per Resolution den Bericht bei der Hohen Kommissarin in Auftrag gegeben. Der Bericht sollte für die Vollversammlung und den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen Einschätzungen und Empfehlungen erarbeiten, was das „Recht auf Privatsphäre im Kontext inländischer und extraterritorialer Überwachung“ angeht, und zwar auch „auf Massenebene“. Die Resolution hatten 57 Staaten eingebracht, sie war eine Reaktion auf die fortwährenden Enthüllungen von Edward Snowden, dem ehemaligen Mitarbeiter der amerikanischen National Security Agency, über die Massenüberwachungsprogramme der USA und Großbritanniens.
Im Bericht bestätigte Pillay, dass staatliche Überwachung das Recht auf Privatsphäre zu achten habe, und stellt klar, was diese Verpflichtung für die derzeitigen Praktiken bedeutet. In dem Bericht wird auf mehrere zentrale Punkte hingewiesen:
- Überwachung muss notwendig und angemessen sein: Die Beweislast liegt bei der Regierung. Sie muss nachweisen, dass ihre Überwachungspraktiken nicht willkürlich oder ungesetzlich sind. Die Regierungen müssen also belegen, dass die Überwachung sowohl angemessen ist als auch notwendig, um ein legitimes Ziel zu erfüllen.
- Länder haben extraterritoriale Verpflichtungen: Da die Infrastruktur des Internets weitreichende Möglichkeiten der extraterritorialen Überwachung ermöglicht, müssen Regierungen das Recht des Einzelnen respektieren, unabhängig von der Nationalität oder dem Aufenthaltsort dieser Person. Dies war ein Hauptstreitpunkt, weil einige Regierungen, beispielsweise die US-amerikanische, bei der Durchführung von Überwachsungsmaßnahmen nicht die Verantwortung für das Recht auf Privatsphäre des Einzelnen oder im Ausland lebender Ausländer übernehmen wollen.
- Metadaten verdienen besseren Schutz: Metadaten, Informationen über Kommunikationsdaten, können sehr sensible Informationen enthalten. Das gilt umso mehr, wenn man diese Daten in großem Umfang sammelt. Sie verdienen einen stärkeren Schutz, als ihn einige nationale Gesetze derzeit bieten.
- Allein das Sammeln wirkt sich bereits auf die Privatsphäre aus: In dem Bericht heißt es, allein schon das Erheben von Kommunikations- oder Metadaten könne die Privatsphäre beeinträchtigen, und zwar ungeachtet dessen, ob die Informationen überhaupt genutzt oder betrachtet werden.
- Transparenz und Rechenschaftspflicht: Die Hohe Kommissarin spricht von einem „beunruhigenden Mangel an Transparenz aufseiten der Regierungen, was Überwachungsmaßnahmen, Gesetze und Praktiken anbelangt“. Dies behindere die Bemühungen zu überprüfen, inwieweit das Vorgehen mit internationalen Menschenrechtsstandards in Einklang stehe, und erschwere die Rechenschaftspflicht. Es sei ein deutlich höheres Maß an Transparenz notwendig, heißt es in dem Bericht. Überwachung könne sich nicht mit Geheimgesetzen oder Geheimbestimmungen erklären lassen, die den Behörden ein zu großes Maß an Spielraum einräumen.
- Verantwortung der Technologiefirmen: Technologiefirmen laufen Gefahr, sich zum Komplizen von Menschenrechtsverstößen zu machen, wenn sie der Regierung auf Aufforderung bei der Überwachung helfen und keine ausreichenden Sicherungsmaßnahmen installiert sind. Das macht der Bericht ganz deutlich. Firmen werden aufgefordert, abzuschätzen, „ob und wie ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder ihre Maßnahmen zur Erhebung und Weitergabe von Kundendaten negative Folgen für die Menschenrechte ihrer Nutzer haben könnten“. Damit wird vorsätzlich eine Verbindung hergestellt zwischen den Methoden zur Datenerhebung und dem staatlichen Zugang zu den Daten im Besitz der Unternehmen.
Die Hohe Kommissarin wird die Ergebnisse des Berichts voraussichtlich im September bei der Sitzung des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen zur Diskussion stellen. Schlussfolgerungen und Empfehlungen des Berichts werden voraussichtlich im Laufe des Jahres bei der Vollversammlung der Vereinten Nationen und im Menschenrechtsrat thematisiert.
„Die Vereinten Nationen haben sehr deutlich bestätigt, dass Massenüberwachung das Recht auf Privatsphäre verletzt und dass Regierungen und Unternehmen deutlich mehr tun müssen, um im digitalen Zeitalter die Privatsphäre zu schützen“, so Wong. „Nur weil die entsprechenden Überwachungsmöglichkeiten vorhanden sind, heißt das nicht, dass eine Regierung wahllos und ohne den Schutz der Menschenrechte Menschen bespitzeln kann.“
Als Reaktion auf öffentlichen Druck und öffentliche Empörung verkündete Präsident Obama im Januar 2014 in einer Direktive Änderungen an der Art und Weise, wie die USA künftig Daten erheben wollen. Zu den Neuerungen gehörten Einschränkungen dabei, wie durch Überwachung gewonnene Daten genutzt oder gespeichert werden können. Allerdings haben die USA praktisch keinerlei Schritte unternommen, Art und Umfang der Daten und Kommunikationsdaten zu begrenzen, die Nachrichtendienste von Personen sammeln können, die sich außerhalb der amerikanischen Grenze befinden. Die Feststellungen der Hohen Kommissarin decken sich mit vielen Empfehlungen, die im März der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen in seinen Schlussbemerkungen über die Lage der Menschenrechte in den USA abgab. Der Ausschuss forderte die Vereinigten Staaten auf, dafür zu sorgen, dass die Überwachungsaktivitäten mit ihren Verpflichtungen zum Schutz der Privatsphäre im Einklang stehen, und zwar unabhängig von Nationalität und Aufenthaltsort der überwachten Personen.
„Die USA haben noch viel Arbeit vor sich, bis die Überwachungspraktiken im Einklang mit internationalen Standards stehen. Der erste Schritt besteht darin, anzuerkennen, dass auch Menschen im Ausland Rechte haben“, so Wong.
Die Überwachungsmaßnahmen, die Großbritannien im Eiltempo einführen will, weichen auf dramatische Weise von den Feststellungen und Empfehlungen der Hohen Kommissarin ab. Die Hohe Kommissarin kritisierte insbesondere Aufträge zur Datenvorratsspeicherung, bei denen Mobilfunk- oder Internetanbieter Daten über alle Kunden sammeln und speichern müssen, als unnötig und nicht angemessen. Das vorgeschlagene Gesetz befasse sich zudem nicht mit dem Schutz der Privatsphäre von Menschen im Ausland, obwohl das Gesetz die Reichweite der britischen Abfangmöglichkeiten auf ausländische Internet- und Telekomfirmen ausdehnt.
Weiter kritisierte die Hohe Kommissarin, dass Länder so zusammenarbeiten und nachrichtendienstliche Erkenntnisse austauschen können, dass nationale Einschränkungen der Überwachung ausgehebelt werden und die verbotenen Informationen vom Nachrichtendienst eines kooperierenden Lands bezogen werden. All diese Themen würden schwierige Fragen aufwerfen, was die Überwachungs- und Kooperationspraktiken von Großbritannien und USA anbelangt.
„Die Reaktion der britischen Regierung wirft ernste Fragen auf, inwieweit sich die Regierung online den Menschenrechten verpflichtet fühlt“, so Wong. „Die Regierung soll den Bericht der Hohen Kommissarin nicht ignorieren.“