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Es war ein heißer Sommertag in Berlin, als ich mein Fahrrad an einem Zaun in der Nähe des Bundestags anschloss. Ich hatte einen Termin mit Johannes Kahrs, SPD-Bundestagsabgeordneter und Beauftragter seiner Fraktion für die Belange von Schwulen und Lesben. Die Wahlen standen kurz bevor und ich wollte von ihm hören, ob die SPD es ernst meint mit ihrem Parteiprogramm. Darin versprach sie ihren Wählern die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe.

Kahrs war ein sehr offener Gesprächspartner. „Wir meinen es todernst. Das ist ein sehr wichtiges Thema für uns, wir sind nicht die FDP. Wir werden das nicht aufgeben.“ - „Aber was, wenn die Wahlergebnisse Sie zu einer Koalition mit Angela Merkels CDU zwingen? Die ist gegen eine Öffnung der Ehe“, fragte ich ihn. Kahrs sah mir in die Augen. „Es wird keinen Koalitionsvertrag ohne die gleichgeschlechtliche Ehe geben. Punkt.“

Gut gelaunt ging ich aus dem Treffen. Während ich zum Human Rights Watch-Büro zurück fuhr, zählte ich in Gedanken die westeuropäischen Länder, die sich bereits von ihrem diskriminierenden Eherecht verabschiedet haben und alle Paare gleich behandeln: die Niederlande, Belgien, Spanien, Portugal, Schweden, Norwegen, Dänemark, Island, Großbritannien, Frankreich.

Deutschland sollte sich diesem Club anschließen. In Deutschland wird Schwulen und Lesben das Recht verwehrt, den Menschen zu heiraten, den sie lieben. Dabei sind Gleichberechtigung und Nichtdiskriminierung Grundrechte, die auch das deutsche Eherecht wahren muss.

Vor kurzem veröffentlichten CDU/CSU und SPD ihren Koalitionsvertrag. Gespannt überflog ich die Paragraphen, aber nein, eine Vereinbarung über die gleichgeschlechtliche Ehe gibt es nicht. Allerdings ist der Vertrag noch nicht endgültig, weil die 474.000 Mitglieder der SPD ihn zuerst in einer Abstimmung bestätigen müssen. Am 14. Dezember wird das Endergebnis veröffentlicht.

Ich bin von der SPD enttäuscht. Schließlich hatte mir ihr Sprecher klar und deutlich zugesagt, gegenüber der CDU/CSU keine Zugeständnisse zu machen. Und natürlich enttäuscht mich die CDU/CSU, die sich offensichtlich gegen die gleichgeschlechtliche Ehe ausgesprochen hat. Genaugenommen finde ich den Ansatz der CDU/CSU erschreckend undemokratisch. Im Deutschen Bundestag gibt es eine Mehrheit für die Öffnung der Ehe aus SPD, Grünen, Linken und sicherlich auch einigen CDU-Mitgliedern. Eine Gesetzesinitiative wäre zweifellos erfolgreich, wenn alle Abgeordneten entsprechend ihrer persönlichen Überzeugung abstimmen würden. Aber derzeit hält eine Minderheit im Parlament die Mehrheit in Geiselhaft. Den Preis zahlen nicht nur homosexuelle Paare, sondern alle Menschen in Deutschland, die an Gleichberechtigung glauben.

Ich tue mich schwer damit, die Logik hinter der Ablehnung der gleichberechtigten Ehe zu verstehen? Schadet es heterosexuellen Paaren, wenn Homosexuelle fordern, dass ihre Liebe, Verpflichtung und Verantwortung für einen anderen Menschen gesetzlich genauso anerkannt wird wie bei heterosexuellen Partnerschaften? Im übrigen Westeuropa sind die meisten Parlamente dem Ruf nach Gleichheit und Nichtdiskriminierung gefolgt. Eine Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe würde es Schwulen und Lesben ermöglichen, den Menschen zu heiraten, den sie lieben. Sie wäre zudem ein Bekenntnis zu den Grundrechten aller Deutschen auf Gleichheit und Nichtdiskriminierung.

Im Jahr 2001 waren die Niederlande das erste Land der Welt, das die Ehe gesetzlich öffnete. Gleichgeschlechtliche Hochzeiten sind seitdem kein Streitthema mehr. Eine überwältigende Mehrheit in der Bevölkerung unterstützt sie. Sogar Abgeordnete der niederländischen Christlich Demokratischen Partei (CDP) haben ihre Meinung geändert. Mehrere CDP-Mitglieder haben öffentlich erklärt, dass sie das niederländische Eherecht nicht mehr ändern wollen, seit ihnen zahllose schwule und lesbische Paare begegnet sind, die einander Verantwortung, Liebe und Verbundenheit schwören.

Ähnlich äußerte sich auch der britische Premierminister David Cameron im Oktober 2011 auf einer Konferenz der Konservativen Partei in Manchester:

„Wir beraten darüber, die gleichgeschlechtliche Ehe zu ermöglichen. Allen, die Vorbehalte haben, sage ich: Ja, es geht um Gleichberechtigung, aber auch um etwas anderes: Verbundenheit und Verantwortung. Konservative glauben an Verpflichtungen, daran, dass eine Gesellschaft stärker wird, wenn wir uns aneinander binden und gegenseitig unterstützen. Deswegen unterstütze ich die gleichgeschlechtliche Ehe, nicht obwohl ich konservativ bin. Ich unterstütze die Öffnung der Ehe, weil ich konservativ bin."

Zwei Jahre später, im Juli 2013, beschlossen die Parlamente in England und Wales die Öffnung der Ehe.

Den politischen Entscheidungsträgern in Europa wird allmählich klar, dass Schwule und Lesben keine besondere Gruppe mit einer anderen sexuellen Orientierung sind.

Es ist Zeit, dass die SPD-Mitglieder das Versprechen einfordern, die Ehe zu öffnen. Die große Koalition muss den unhaltbaren Zustand beenden, der gleichgeschlechtliche Paare zu Bürgern zweiter Klasse macht.

Boris Dittrich ist Advocacy-Direktor der Abteilung Schwulen-, Lesben-, Bisexuellen- und Transgender-Rechte bei Human Rights Watch

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