(Moskau) – Die ukrainischen Behörden sollen bei den andauernden Protesten keine übermäßige Gewalt gegen Demonstranten ausüben und auch die Protestierenden sollen keine Gewalt anwenden, so Human Rights Watch heute.
„Die Polizei hat sich gestern offensichtlich überwiegend zurückgehalten, jedoch ist der brutale Polizeieinsatz der vergangenen Woche allen noch frisch in Erinnerung”, sagte Julia Gorbunowa, Ukraine-Expertin von Human Rights Watch. „Beide Seiten sollen Zurückhaltung üben – die Polizei soll das Recht auf friedlichen Protest respektieren und auch die Demonstranten sollen Gewalt ablehnen.“
In den frühen Morgenstunden des 11. Dezembers 2013 räumte die Polizei mehrere Barrikaden der Demonstranten, welche die Straßen zum Unabhängigkeitsplatz und zu den Regierungsgebäuden blockierten. Die Polizei versuchte zudem, ins Rathaus einzudringen, das seit mehr als einer Woche von Aktivisten der Opposition besetzt wird. Demonstranten versuchten, die Polizei vom Abbau der Barrikaden und vom Betreten des Rathauses abzuhalten. Bei den darauffolgenden Zusammenstößen wurden laut Berichten auf beiden Seiten mehrere Personen verletzt.
Augenzeugen berichteten Human Rights Watch, dass die Polizei um ca. 01:30 Uhr am Unabhängigkeitsplatz eintraf und laut eine Gerichtsentscheidung verlaß, in der die Demonstranten aufgefordert wurde, alle Objekte, die die Gehwege und Straßen blockierten, zu beseitigen. Mehr Bereitschaftspolizei und Sicherheitskräfte trafen ein und rückten gegen die Demonstranten vor. Die Zusammenstöße mit der Polizei auf dem Unabhängigkeitsplatz und den angrenzenden Straßen dauerten fast die ganze Nacht an, berichteten Augenzeugen.
Ein Augenzeuge berichtete Human Rights Watch, dass er sah, wie Polizisten die Demonstranten mit Händen schlugen und mit Schutzschilden wegdrängten – auch solche, die nicht gewalttätig waren. Ein anwesender Aktivist berichtete Human Rights Watch, wie die Polizei Demonstranten mit Tränengas besprühte. Er sagte außerdem, die Polizei habe die Demonstranten, welche die Polizei davon abhielten die Barrikaden zu räumen, mit ihren Händen geschlagen. Die Augenzeugen berichteten, nicht gesehen zu haben, dass die Polizei Knüppel benutzt habe.
Ein dritter Augenzeuge berichtete, dass er Bereitschaftspolizisten dabei beobachtet habe, wie sie willkürlich Menschen aus der Menge packten und in einen in der Nähe geparkten Polizeitransporter zerrten.
Laut Berichten des Innenministeriums wurden während der Zusammenstöße zehn Polizeibeamte verletzt. Nach Medienberichten wurden 30 Demonstranten verletzt und acht Aktivisten festgenommen und wegen Rowdytums angeklagt.
Die UN-Grundprinzipien für die Anwendung von Gewalt und den Gebrauch von Schusswaffen schreiben vor, dass die Polizei bei der Kontrolle von Menschenmengen zurückhaltend agieren soll, um eine angemessene Reaktion auf jede Gewaltandrohung sicherzustellen und eine Verschärfung der Situation zu verhindern. Die Versammlungs- und Meinungsfreiheit werden durch Menschenrechtsabkommen geschützt, an die auch die Ukraine gebunden ist, einschließlich der Europäischen Menschenrechtskonvention und des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte.
Die weitgehend friedlichen Demonstrationen und Kundgebungen begannen am 21. November in Kiew und anderen ukrainischen Städten, als Zehntausende Menschen auf die Straße gingen, nachdem die Regierung überraschend die Vorbereitungen für ein Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Ukraine ausgesetzt hatte. Das Assoziierungsabkommen wurde als wichtiger Schritt für die Integration der Ukraine in die EU angesehen. Am 30. November und 01. Dezember wendeten die Behörden übermäßige Gewalt an, um die Proteste aufzulösen, wobei Dutzende Demonstranten verletzt wurden.
Nach den Zusammenstößen am 11. Dezember sagte Ministerpräsident Mykola Asarow, die Polizei hätte keine Gewalt gegen Demonstranten angewendet, und versicherte, dass die Behörden keine Gewalt anwenden würden, um friedliche Demonstrantionen aufzulösen.
„Immer mehr Menschen schließen sich den Protesten in Kiew an. Deshalb ist es unerlässlich, dass die Polizei Zurückhaltung übt und die Demonstranten keine Gewalt anwenden”, so Gorbunowa. „Die Behörden haben eine Untersuchung der übermäßigen Gewaltanwendung durch die Polizeit in der vergangenen Woche eingeleitet und sie müssen die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen.“