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(Washington, DC) – Die Weltbank verschließt die Augen vor Gefahren für die Menschenrechte eben derjenigen Menschen, die sie unterstützen soll, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Der Bank fehlt ein angemessenes Kontrollsystem, um nicht Menschenrechtsverletzungen zu finanzieren. Der Vorstand der Weltbank trifft sich am 23. Juli 2013 in Washington. Bei dem Treffen geht es um die derzeit laufende Überprüfung grundlegender Richtlinien, welche der Bank die Gelegenheit bietet, diese Lücke zu schließen.

Der 59-seitige Bericht „Abuse-Free Development: How the World Bank Should Safeguard Against Human Rights Violations“ beruht auf Human Rights Watch-Recherchen, die Fälle dokumentieren, in denen von der Weltbank finanzierte Programme schutzbedürftige Gruppen schaden. Der Bericht enthält drei Fallstudien – eine aus dem Vietnam, zwei aus Äthiopien– die zeigen, wie die Weltbank Gefahren für die Menschenrechte weder anerkannte noch Maßnahmen ergriff, um sie zu verringern.

„Die Weltbank gibt jedes Jahr zweistellige Milliardenbeträge aus, um weltweit Entwicklungsprojekte zu fördern“, so Jessica Evans, Expertin für Internationale Finanzinstitutionen von Human Rights Watch. „Doch sie schadet ihren eigenen Programmen, wenn diese zu Menschenrechtsverletzungen führen.“

Die von der Weltbank kürzlich verabschiedeten Ziele – Auslöschung der Armut und Förderung von geteiltem Wohlstand – sind untrennbar verbunden mit dem Recht auf einen angemessenen Lebensstandard, insbesondere auf eine adequate Versorgung mit Nahrung, Wasser und Wohnraum. Die Weltbank kann diese Ziele gerade unter komplexen Rahmenbedingungen nicht erreichen, solange sie nicht garantiert, dass die Rechte der Menschen, die sie unterstützen möchte, geachtet werden.

Der von der Weltbank im Oktober 2012 eingeleitete zweijährige Prozess zur Prüfung und Aktualisierung von Schutzrichtlinien bietet Gelegenheit, Regeln für angemessene Sorgfaltspflicht (due diligence) zu schaffen. Dadurch sollte dannn gemessen werden, welche Auswirkungen die Projekte auf die Menschenrechte der betroffenen Personen haben. Ein solches System würde es der Weltbank erlauben, mögliche negative Auswirkungen einzudämmen, positive Effekte zu maximieren und zu verhindern, dass Projekte finanziert werden, die zu Menschenrechtsverletzungen beitragen oder bereits andauernde Menschenrechtsverletzungen verschlimmern. Die Weltbank soll internationale Menschenrechtsstandards als zentralen Bestandteil ihrer Entwicklungsagenda aufnehmen.

Den Recherchen von Human Rights Watch zufolge hat die Weltbank in mehreren Fällen die Menschenrechtsrisiken ihrer Programme weder anerkannt noch Maßnahmen ergriffen, um sie einzudämmen. So hat die Weltbank etwa in Vietnam Programme in staatlichen Drogenhaftzentren gefördert, in denen Human Rights Watch Menschenrechtsverletzungen wie willkürliche Inhaftierung, Zwangsarbeit und Folter dokumentierte.

In Äthiopien konnte die Weltbank negative Auswirkungen von Regierungsmaßnahmen nicht verhindern, etwa die massive Einschränkung der freien Meinungsäußerung, die Verweigerung grundlegender staatlicher Leistungen an mutmaßliche oder tatsächliche politische Gegner oder die Zwangsumsiedlung indigener Bevölkerungsgruppen.

Im Rahmen eines mit 2 Milliarden US-Dollar ausgestatteten Projekts fördert die Weltbank in Äthiopien Maßnahmen in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Wasserversorgung, Hygiene, Straßenbau und Landwirtschaft. Nach Ansicht vieler Weltbank-Mitarbeiter kommen diese Maßnahmen den Menschenrechten zugute. Doch in der west-äthiopischen Region Gambella dokumentierte Human Rights Watch, dass bei einem zentralen Programm zur Erreichung der Entwicklungsziele die Menschenrechte massiv verletzt wurden.

Dort werden im Rahmen des sogenannten „Villagization“-Programms 1,5 Millionen indigene Bewohner und andere marginalisierte Gruppen in neu geschaffene Dörfer umgesiedelt, in denen ihnen laut den Verprechen der Regierung eine bessere Infrastruktur und bessere staatliche Leistungen zur Verfügung stehen sollen, die jedoch häufig ein Wunschtraum bleiben. Das „Villagization“-Projekt wird immer wieder von Gewalt überschattet.

Ein 20-Jähriger, der vor der Gewalt in den Südsudan floh, erklärte gegenüber Human Rights Watch: „Die Soldaten kamen und fragten mich, warum ich mich nicht umsiedeln lassen wollte... Sie begannen, auf mich einzuschlagen, bis meine Hände gebrochen waren... Ich rannte zu meinem Vater, um ihm zu sagen, was passiert war, doch die Soldaten folgten mir. Wir rannten beide davon... Dann hörte ich Schüsse.“

Nachdem er seinen Vater zurücklassen musste, rannte der junge Mann weiter und versteckte sich in einem Gebüsch. Als er am nächsten Tag zurückkehrte, erfuhr er, dass sein Vater getötet worden war.

Die Weltbank soll sich verpflichten, die Menschenrechte zu achten und zu schützen. Insbesondere soll sichergestellt werden, dass die Kreditvergabe und sonstige Aktivitäten nicht zu Menschenrechtsverletzungen beitragen bzw. diese verschlimmern. Um zu prüfen, dass sie diesen Verpflichtungen gerecht wird, soll die Weltbank systematische und sorfältige Risikoprüfungen durchführen.

Hätte die Weltbank diese Maßnahmen in Projekten durchgeführt wie dem „Villigization“-Programm, das von der äthiopischen Regierung umgesetzt wurde, wären Risiken wie drohende willkürliche Inhaftierungen, Zwangsumsiedlung, Prügel, Folter und Tötungen bekannt gewesen. Ebenso hätte sie im Voraus erkennen können, dass an den Orten, an welche die Dorfbewohner umgesiedelt wurden, möglicherweise ein eingeschränkter oder unzureichender Zugang zu Nahrung, medizinischer Versorgung und Wasser besteht. Derartige Risikoabschätzungen hätten es der Bank erlaubt, Maßnahmen zur Vermeidung dieser Risiken in ihre Projektplanung aufzunehmen.

„Eine sorgfältige Abschätzung möglicher Menschenrechtsrisiken bedeutet nicht, Regierungen bloßzustellen, die Entwicklungsgelder benötigen“, so Evans. „Es geht vielmehr darum, die Auswirkungen der Kreditvergabe und anderer Fördermaßnahmen durch die Weltbank auf die Achtung der Menschenrechte zu berücksichtigen und zu untersuchen, wie sich Menschenrechtsrisiken verringern oder vermeiden lassen.“

In ihrer aktuellen Form sind die Schutzrichtlinien der Weltbank unzureichend, da sie nicht garantieren, dass die Menschenrechte bei Weltbank-Projekten geachtet werden. Die Weltbank hat sich zwar verpflichtet, keine Projektaktivitäten zu finanzieren, die den vertraglichen Verpflichtungen der Kreditempfänger im Rahmen internationaler Umweltschutzabkommen widersprechen würden. Sie schweigt jedoch zu entsprechenden Verpflichtungen im Rahmen internationaler Menschenrechtsabkommen. Die Bank verfügt über Richtlinien zu unfreiwilliger Umsiedlung und indigenen Bevölkerungen, die jedoch hinter internationalen Menschenrechtsstandards zurückbleiben. Bei Entscheidungen über die Vergabe von Mitteln, welche Menschenrechtsfragen berühren, fehlt es an Transparenz; sie wirken häufig willkürlich und widersprüchlich.

Da es keine klare Selbstverpflichtung gibt, Projekte nicht unterstützen, wenn diese zu Menschenrechtsverletzungen beitragen oder diese verschlimmern, verfügen Weltbank-Mitarbeiter nicht über Richtlinien für den Umgang mit Menschenrechtsverletzungen und bleiben im Unklaren über ihre Pflichten. Weltbank-Angestellte verfügen über einen uneingeschränkten Ermessensspielraum hinsichtlich des Ausmaßes, in dem Menschenrechtsrisiken berücksichtigt, Präventions- oder Gegenmaßnahmen ergriffen und Probleme an Vorstand und Geschäftsführung gemeldet werden. Das Fehlen klarer Abläufe und Richtlinien zu Menschenrechtsfragen bedeutet zudem, dass Menschen, deren Rechte beeinträchtigt werden, die Bank nicht zur Rechenschaft ziehen können.

Mit einer Herangehensweise, welche auch die Menschenrechtsfolgen berücksichtigt, könnte die Weltbank vermeidbares Leid, insbesondere unter marginalisierten, ausgegrenzten und schutzbedürftigen Gruppen, minimieren und ihre Entwicklungshilfe nachhaltiger gestalten. Die Bank soll Regierungen dabei unterstützen, Menschenrechtsverpflichtungen zu erfüllen, und so gleichzeitig für mehr Verlässlichkeit in der Regierungspolitik sorgen. Die Reduzierung von Menschenrechtsrisiken trägt auch zur Verringerung rechtlicher und finanzieller Risiken sowie einer möglichen Schädigung des Rufs der Bank bei.

Um auch in Zukunft eine führende Entwicklungsinstitution zu bleiben und die rechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen, muss die Weltbank auch die Menschenrechtsstandards anheben, die sie sich selbst gesetzt hat. Mitgliedstaaten haben ähnliche bzw. zusätzliche spezifische Menschenrechtsverpflichtungen, die sie als Mitglieder der Bank und besonders auch als Mitglieder des Vorstands unterliegen, welcher jedes neue Projekt genehmigen muss.

Die Weltbank soll ihre Schutzrichtlinien deshalb ergänzen:

  • Sie soll sich verpflichten, keine Aktivitäten zu unterstützen, die zu Menschenrechtsverletzungen beitragen oder bereits andauernde Menschenrechtsverletzungen verschlimmern. Sie soll sich zudem verpflichten, bei allen Aktivitäten, unabhängig von dem jeweiligen Förderungsmechanismus, internationale Menschenrechtsstandards einhalten.
  • Die Weltbank soll sorgfältige Risikoprüfungen einführen, um die Einhaltung dieser Verpflichtungen zu gewährleisten, auch durch Abschätzung der Menschenrechtsfolgen ihrer Aktivitäten, welche die Vermeidung oder Verringerung negativer Auswirkungen ermöglichen. Die Bank kann derartige Abschätzugen auch dazu nutzen, die positiven Auswirkungen ihrer Tätigkeit für die Menschenrechte zu maximieren, was auch ihrem Mandat zur Armutsbekämpfung entspricht.
  • Sie soll bestehende Schutzmechnismen verbessern, damit diese internationalen Menschenrechtsstandards gerecht werden. Dies gilt insbesondere für ihre Bestimmungen zu indigenen Bevölkerungen und unfreiwilliger Umsiedlung, um die Normen zu erfüllen, welche in den relevanten Menschenrechtsabkommen und -erklärungen und Dokumenten der Vertragsorgane und UN-Sonderberichterstatter festgelegt werden, welche diese Pflichten in konkreten Fällen interpretieren.
  • Die Weltbank soll sicherstellen, dass sie niemanden auf der Grundlage der im internationalen Recht definierten Merkmale diskriminiert und dass alle Mitglieder betroffener Gruppen Gelegenheit haben, an der Gestaltung der entwicklungspolitischen Agenda und Politik in allen Phasen der Projekte und Programme mitzuwirken.

„Die Weltbank hat früher gesagt, sie könne aufgrund ihres unpolitischen Mandats Menschenrechtsfragen bei Entscheidung über die Mittelvergabe nicht berücksichtigen“, so Evans. „Heute akzeptiert sie zwar, dass sie Menschenrechtsaspekte berücksichtigen darf, fühlt sich dazu aber nicht verpflichtet. Die Weltbank muss jetzt verstehen, dass Menschenrechte nicht optional, sondern universell gelten.“

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