(New York, 3. Oktober 2011) – Die beiden Untersuchungsrichter der „Außerordentlichen Kammern an den Gerichten von Kambodscha“ (ECCC), an denen die Massenverbrechen der Roten Khmer angeklagt werden und die der Bevölkerung Kambodschas Gerechtigkeit bringen sollen, haben klar gegen ihre Pflichten verstoßen und sollen deshalb zurücktreten, so Human Rights Watch heute.
Die Untersuchungsrichter You Bunleng (Kambodscha) und der von den Vereinten Nationen ernannte Siegfried Blunk (Deutschland) sind ihrer Pflicht nicht nachgekommen, glaubwürdige, unabhängige und wirksame Untersuchungen zu zwei von vier verbleibenden ECCC-Fälle durchzuführen. Es ist zu erwarten, dass beide Anklagen fallen gelassen werden, ohne dass je ernst gemeinte Ermittlungen durchgeführt wurden.
Die ECCC-Fälle 003 und 004 betreffen fünf Angeklagte und wurden im Jahr 2009 vom internationalen Co-Ankläger beim Büro der gemeinsamen Ermittlungsrichter eingereicht. Im April 2011 erklärten die Ermittlungsrichter, sie hätten ihre Ermittlungen im Fall 003 abgeschlossen. Ein formaler Einstellungsbefehl, wonach gegen die Beschuldigten kein Prozess eröffnet werden soll, wird für die nahe Zukunft erwartet. Amtierende und ehemalige ECCC-Mitarbeiter zufolge planen die Richter, ihre Arbeit auch im Fall 004 ohne glaubwürdige, unabhängige und wirksame Ermittlungen einzustellen.
„Die Ermittlungsrichter haben ihre Untersuchung des Falls 003 beendet, ohne die Verdächtigten zu benachrichtigen, wichtige Zeugen zu vernehmen oder an den Tatorten zu ermitteln“, so Brad Adams, Leiter der Asien-Abteilung von Human Rights Watch. „Was schon bei einem gewöhnlichen Verbrechen schockierend wäre, ist im Angesicht der schlimmsten Gräueltaten des 20. Jahrhunderts unfassbar. Solange diese Richter beteiligt sind, gibt es für das kambodschanische Volk keine Hoffnung auf Gerechtigkeit.“
Seit seiner Einrichtung wurde das Tribunal regelmäßig zum Ziel politischer Einmischung durch die regierende Kambodschanische Volkspartei. Mehrere amtierende Regierungsmitglieder sind ehemalige Funktionäre der Roten Khmer. Premierminister Hun Sen, dem die kambodschanische Justiz einschließlich der ECCC untersteht, hat wiederholt erklärt, er lehne eine Fortführung der Fälle 003 und 004 ab. Quellen innerhalb der ECCC gaben gegenüber Human Rights Watch an, seine politische Einmischung sei für die mangelhafte Untersuchung der Fälle durch die Ermittlungsrichter sowie zahlreiche Kündigungen von Mitarbeitern des Tribunals verantwortlich.
„Wir haben wiederholt die Befürchtung geäußert, dass den kambodschanischen Richtern im Rote Khmer-Tribunal keine andere Wahl bleiben würde, als zu tun, was Hun Sen und andere Spitzenbeamte von ihnen verlangen“, so Adams. „Damit war klar, dass die ECCC nur so stark sein würde wie sein schwächstes internationales Glied. Dieses schwächste Glied ist Richter Blunk.“
Sollten die Ermittlungsrichter in einem der Fälle die Einstellung der Untersuchungen beantragen, kann der internationale Co-Ankläger bei der Vorverfahrenskammer Berufung einlegen, die jedoch angesichts der politischen Einflussnahme auf das Tribunal, mit hoher Wahrscheinlichkeit abgewiesen würde.
Laut dem Gesetz über die Einrichtung der ECCC ist es Aufgabe des Tribunals, „Strafverfahren einzuleiten gegen die Führungsspitzen des Demokratischen Kampuchea [des Rote Khmer-Regimes] und gegen die Hauptverantwortlichen für die Verbrechen und schweren Verstöße gegen das kambodschanische Strafrecht, das humanitäre Völkerrecht und die von Kambodscha anerkannten internationalen Konventionen im Zeitraum vom 17. April 1975 bis 6. Januar 1979“. In dieser Zeit, in der Kambodscha unter der Herrschaft der Roten Khmer stand, wurden bis zu zwei Millionen Menschen getötet oder starben an Krankheit oder Hunger.
Bislang wurde nur im Fall 001, dem Prozess gegen Kaing Guek Eav (bekannt als „Duch“), den Leiter des berüchtigten S-21-Folterzentrums („Tuol Sleng“), ein Urteil gesprochen. Der Angeklagte wurde wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu einer Freiheitsstrafe von 35 Jahren verurteilt, die jedoch um die bereits abgeleistete Haftdauer sowie durch einen Straferlass auf 19 Jahre verringert wurde. Im Fall 002, in dem die ehemaligen Spitzen der Roten Khmer Nuon Chea, Khieu Samphan, Ieng Sary und Ieng Thirith wegen Völkermordes, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen angeklagt sind, soll die Hauptverhandlung im Jahr 2012 eröffnet werden.
Human Rights Watch erklärte, die Richter Blunk und Bunleng hätten durch ihr Versäumnis, angemessene und gutgläubige Untersuchungen durchzuführen, gegen ihre Verpflichtung zu unparteiischem Handeln verstoßen. Die gemeinsamen Ermittlungsrichter sind nach dem Statut der ECCC, internen Bestimmungen und nach internationalem Recht verpflichtet, die durch den Ankläger eingereichten Anklagepunkte zu untersuchen. Gemäß internationaler Rechtsprechung müssen die dazu notwendigen Untersuchungen neben anderen Anforderungen unabhängig, zeitnah, wirksam bei der Identifizierung und Bestrafung der Täter und transparent für die Öffentlichkeit erfolgen.
Während der zur Zeit der Einrichtung der ECCC im Jahre 2003 amtierende UN-Generalsekretär Kofi Annan erkannte, dass die Kontrollfunktion der UN für die erfolgreiche Strafverfolgung der Massenverbrechen der Roten Khmer durch das Tribunal entscheidend ist, haben die derzeit amtierenden UN-Vertreter in dieser Funktion versagt. Human Rights Watch ruft die UN auf, eine ernsthafte und unabhängige Untersuchung des Verhaltens der Ermittlungsrichter zu veranlassen und alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, damit die Fälle 003 und 004 nicht ohne ordnungsgemäße Ermittlungen abgeschlossen werden.
Das Abkommen zwischen der UN und Kambodscha, in dem eine Strafverfolgung der „Hauptverantwortlichen“ für die Verbrechen der Roten Khmer gefordert wird, zielt in seinen Formulierungen ausdrücklich auf die Art von Personen, die in den Fällen 003 und 004 angeklagt sind. Sollte das Gericht nur gegen die oberste Führungsspitze der Roten Khmer ermitteln, könnten Massenmörder aus niedrigeren Rängen weiter in Freiheit leben – häufig sogar in den gleichen Dörfern wie die Angehörigen ihrer Opfer.
„Die UN steckt den Kopf in den Sand, wenn sie auf die zahlreichen, ernstzunehmenden Vorwürfe über richterliches Fehlverhalten nicht reagiert“, so Adams. „Wenn die UN nicht rasch dafür sorgt, dass diese Fälle vollständig untersucht werden, läuft sie Gefahr, die Glaubwürdigkeit des Tribunals endgültig zu verspielen.“
Im Folgenden finden Sie Details zu den Versäumnissen der ECCC in den Rote Khmer-Prozessen Nr. 003 und 004 sowie Zusammenfassungen der Anklagepunkte in diesen Fällen.
Mangelhafte Untersuchung der Fälle 003 und 004
Die ECCC-Fälle 003 und 004 befassen sich nicht mit der obersten Führungsspitze der Roten Khmer, deren Mitglieder im Fall 002 angeklagt sind, sondern mit anderen Führungskräften, die ebenfalls zu den Hauptverantwortlichen für die Gräueltaten der Rote Khmer-Ära gehören. Im Jahr 2008 erhob der internationale Co-Ankläger im Fall 003 Anklage gegen den Luftwaffenkommandeur Sou Met und den Marinechef Meas Muth, denen er Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorwarf. In Fall 004 beschuldigte er drei Regionalbeamte der Roten Khmer, Aom An, Yim Tith und Im Chem der gleichen Verbrechen. Die Anklageschriften in den beiden Fällen umfassen mehr als 40 verschiedene Straftatbestände (s. Zusammenfassungen der Anklagen gegen die fünf Beschuldigten weiter unten)
Hun Sen hat sich in zahlreichen Erklärungen ablehnend über die Anklagen 003 und 004 geäußert. Schon 1999, noch vor der Einrichtung des Tribunals, erklärte er, er lehne es ab, gegen mehr als maximal vier bis fünf Mitglieder der Roten Khmer ein Verfahren zu eröffnen. Nach einem Treffen zwischen Hun Sen und UN-Generalsekretär Ban Ki-moon im Oktober 2010, sagte Außenminister Hor Namhong, der Premierminister habe „deutlich bekräftigt“, dass keine weiteren Verfahren zugelassen würden. Obwohl der Premierminister nicht berechtigt ist, eine solche Entscheidung für die Richter zu treffen, machten Hun Sen und andere Beamte durch entsprechende Anweisungen ihren Einfluss bei den kambodschanischen Mitarbeitern der ECCC geltend, so Human Rights Watch.
Die Entscheidung über die Aufnahme von Ermittlungen in den Fällen 003 und 004 war von Anfang an kontrovers. Der erste internationale Co-Ankläger Robert Petit kam nach einer Prüfung der Fälle zu der Einschätzung, es liege ausreichend Beweismaterial vor, um sie an die Untersuchungsrichter zu übergeben. Die kambodschanische Co-Anklägerin Chea Leang versuchte daraufhin – offenbar in einer politisch motivierten Entscheidung, welche die Haltung Hun Sens widerspiegelte, – die Einreichung der Anklagen zu blockieren. Leang behauptete, die Angeklagten entsprächen nicht der Definition von „Hauptverantwortlichen“ nach dem ECCC-Gesetz. Diese Einschätzung steht in klarem Widerspruch zum Urteil der Kammern im Fall „Duch“, den die Richter – obwohl er nicht zur obersten Führungsriege gehört hatte – wegen seiner direkten Beteiligung an den schwersten Gräueltaten als „Hauptverantwortlichen“ einstuften.
Die Vorverfahrenskammer der ECCC, der drei kambodschanische und zwei ausländische Richter angehören, beurteilte die Beweislage schließlich als ausreichend für eine Fortführung des Verfahrens. Während alle drei kambodschanischen Richter für eine Blockade des Falls stimmten, entschieden die beiden ausländischen Richter zugunsten einer Übergabe der Ermittlungen an die gemeinsamen Untersuchungsrichter. Die Bestimmungen der ECCC verlangen für die Abweisung einer Anklage eine 4:1-Supermajorität. Diese Regelung geht auf Bedenken der kambodschanischen Öffentlichkeit, der UN und der internationalen Geber zurück, die befürchteten, die Regierung könne den kambodschanischen Richtern politische Vorgaben machen. Da jedoch nur drei Richter gegen die Zulassung der Anklage stimmten, wurde er schließlich den Untersuchungsrichtern übergeben.
Am 7. September 2009 übergab der internationale Co-Ankläger die Fälle der fünf Beschuldigten an die gemeinsamen Untersuchungsrichter. Die „einleitenden Erklärungen“, in denen die Beweislage umrissen wird, umfassten bereits 200 Seiten sowie Tausende Seiten zusätzlicher, die Anklagen stützender Informationen. Dennoch scheint bis zum 29. April 2011, dem Tag, an dem die Untersuchungsrichter den Abschluss der Ermittlungen im Fall 003 bekanntgaben, keine ernstzunehmende Ermittlungsarbeit mehr stattgefunden zu haben. Die Untersuchungsrichter lieferten keine Erklärung für ihre Entscheidung und behaupteten vielmehr, sie müssten diese nicht begründen.
Eine Woche gab der führende Rote Khmer-Experte Stephen Heder in einem Schreiben an Richter Blunk schriftlich seinen Rücktritt von der Tätigkeit als Berater des Büros der gemeinsamen Untersuchungsrichter bekannt. Er begründete seinen Schritt unter anderem mit „der Entscheidung der Richter, die Untersuchung des Falls 003 zu beenden, ohne tatsächlich ermittelt zu haben, die ich und andere für unvernünftig halten“. Sämtliche UN-Rechtsexperten und andere UN-Mitarbeiter im Büro der Untersuchungsrichter reichten ebenfalls ihre Kündigung ein.
Am 9. Mai legte der internationale Co-Ankläger Andrew Cayley Berufung gegen die Entscheidung der Richter ein und beantragte offiziell weitere Ermittlungen. Cayley legte zudem einen Fahrplan für eine ernsthafte und effektive Untersuchung vor. Darin empfahl er den Richtern Bunleng und Blunk folgende Schritte:
- Vorladung und Befragung der in den einleitenden Erklärungen zur Prozessakte 003 genannten Verdächtigten sowie Benachrichtigung der Beschuldigten, dass gegen sie ermittelt wird;
- Befragung weiterer Personen, die als potentielle Zeugen benannt wurden;
- Befragung bzw. erneute Befragung von Zeugen, die in der Prozessakte 002 genannt sind, mit Schwerpunkt auf den spezifischen, in den einleitenden Erklärungen zur Prozessakte 003 enthaltenen Anschuldigungen;
- weitere Untersuchung der Tatorte (einschließlich Suche nach Massengräbern);
- Aufnahme zusätzlichen Beweismaterials in die Prozessakte, etwa durch Übernahme von Beweismitteln aus der Prozessakte 002; und
- weitere Untersuchung der Rolle der Beschuldigten im Fall 003 bei den ihnen angelasteten Straftaten, einschließlich der Überstellung von Gefangenen, die unter ihrer Befehlsgewalt standen, in das Verhörzentrum S-21, der Annahme von „Geständnissen“ von Gefangenen, die in S-21 ermordet wurden, und der Beteiligung an weiteren Festnahmen.
Auf die ursprüngliche Einreichung bei den Untersuchungsrichtern Bezug nehmend benannte Cayley mutmaßliche Tatorte und Vorfälle, darunter das von „Duch“ geleitete Folterzentrum S-21, die Baustelle des Flughafens Kampong Chhnang, wo es zum massenhaften und oft todbringenden Einsatz von Zwangsarbeitern gekommen sein soll, Säuberungsaktionen innerhalb der Roten Khmer und Vorstöße der Roten Khmer nach Vietnam. Cayley schlug zudem die Untersuchung weiterer Tatorte und Vorfälle vor, darunter:
- Das Sicherheitszentrum S-22 in der Nähe von Phnom Penh;
- Das Sicherheitszentrum Wat Eng Tea Nhien in der Provinz Kampong Som;
- Der Steinbruch und Stung Hav in Kampong Som, in dem angeblich Zwangsarbeit eingesetzt wurde;
- Die Festnahme ausländischer Staatsbürger an der kambodschanischen Küste, ihre unrechtmäßige Inhaftierung, Überstellung in das Verhörzentrum S-21 bzw. ihre Ermordung; und
- die in der Provinz Rattanakiri betriebenen Sicherheitszentren.
Zur Erläuterung seines Antrags schrieb Cayley:
„Der internationale Co-Ankläger wird diese Maßnahmen beantragen, da er der Ansicht ist, dass die in den einleitenden Erklärungen vorgebrachten Straftaten nicht vollständig untersucht wurden. Er [Cayley] ist nach den internen Bestimmungen und dem Gesetz über die ECCC gesetzlich verpflichtet alle angemessenen ermittlerischen Maßnahmen zu benennen und zu beantragen, die von den gemeinsamen Untersuchungsrichtern ergriffen werden sollten, bevor eine Entscheidung darüber getroffen wird, ob gegen bestimmte Personen Anklage erhoben und ein Verfahren eröffnet werden soll.“
Blunk und Bunleng reagierten nicht auf Cayleys Ausführungen. Sie wiesen seinen Antrag am 7. Juni ab und forderten ihn auf, diesen zurückzuziehen. In einem höchst ungewöhnlichen Schritt schlugen sie sogar vor, Cayley wegen Missachtung des Gerichts zu belangen – mit der fadenscheinigen Begründung, er habe mit seiner Zusammenfassung der notwendigen Schritte für eine ernsthafte Untersuchung Amtsgeheimnisse verletzt. Cayley weigerte sich dennoch, seinen Antrag zurückzuziehen.
Diese Versuche, den Ankläger zu zensieren und ihm mit rechtlichen Schritten zu drohen, zeigen wie weit die Richter Blunk und Bunleng zu gehen bereit sind, um eine Untersuchung der Fälle zu verhindern.
Vertreter des Gerichts, die von der Regierung berufen wurden, ließen sowohl privat als auch öffentlich keinen Zweifel daran, dass eine Fortführung der Fälle 003 und 004 nicht zugelassen würde. Am 17. März erklärte der stellvertretende nationale Co-Ankläger der ECCC Chan Dararasmey auf einer Pressekonferenz über Opfer-Partizipation bei den ECCC, es werde keine weiteren Untersuchungen geben. „Es wird keinen Fall 003 und 004 geben“, so Dararasmey.
Am 8. August gaben Blunk und Bunleng bekannt, sie hätten „ernsthafte Zweifel“ daran, dass gegen die Beschuldigten im Fall 004 ein Verfahren eröffnet werde, da keiner von ihnen als „Hauptverantwortlicher“ unter die Rechtsprechung des Gerichts falle. Die Grundlage dieser Zweifel ist unklar, da die ECCC in ihrem Urteil gegen „Duch“, bei dem es sich nicht um einen hochrangigen Rote Khmer-Funktionär handelte, klarstellten, dass der Begriff „Hauptverantwortliche“ auch Mitglieder der unteren Hierarchieebenen einschließt, wenn sie direkt an den schwersten Gräueltaten beteiligt waren. Ein endgültiger Einstellungsbefehl für den Fall 003 wird für die nahe Zukunft erwartet, obwohl – wie die weiter unten gegebenen Zusammenfassungen zeigen – die verfügbare Beweislast gegen die Beschuldigten in den Fällen 003 und 004 auf eine Beteiligung an Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit extrem hohen Opferzahlen hindeutet.
Sollten die Untersuchungsrichter in einem der Fälle einen Einstellungsbefehl erlassen, kann Cayley zwar bei der Vorverfahrenskammer in Berufung gehen, angesichts der Politisierung der ECCC ist jedoch zu erwarten, dass die Fälle abgewiesen werden, da bei Berufungsentscheidungen keine Super-Majorität notwendig ist und sich die kambodschanischen Richter mit ihrer 3:2-Mehrheit in der Kammer durchsetzen können. Die drei kambodschanischen Richter in aus fünf Richtern bestehenden Kammer haben sich seit der Einrichtung der ECCC stets streng an die offizielle Linie der Regierung gehalten.
Missachtung von Opfern und Nebenklägern
Human Rights Watch ist besorgt über die empörende Behandlung von Nebenklägern durch die gemeinsamen Untersuchungsrichter. Das ECCC-Gesetz enthält wegweisende Regelungen, die es den Opfern von Verbrechen der Roten Khmer erlauben, an den Verfahren teilzunehmen, um Beweise einzubringen, Ermittlungsschritte zu beantragen und Entschädigung zu beanspruchen. Die Untersuchungsrichter haben jedoch unverhohlen versucht, sämtliches durch Opfer-Partizipation hervorgebrachte Beweismaterial zu unterdrücken und so eine Einstellung des Verfahrens durchzusetzen. Zu diesem Zweck wiesen sie alle Anträge ziviler Kläger mit fadenscheinigen Begründungen ab, die sowohl dem kambodschanischen Recht als auch der internationalen Rechtsprechung, einschließlich der Urteile des ECCC in den Fällen 001 und 002, widersprechen.
Nach dem Erkenntnisstand von Human Rights Watch gaben die Untersuchungsrichter keinem einzigen der Hunderten Anträge von zivilen Klägern in den Fällen 003 und 004 statt. Damit verweigerten sie nicht nur den Opfern ihr Recht auf Partizipation und sondern behinderten auch die Ermittlungen. Die Richter wiesen mindestens drei Anträge von Personen ab, die als Opfer an den Verfahren teilnehmen wollten. Gegenüber einem der Antragssteller, einer kambodschanischen Frau, deren Ehemann von den Roten Khmer zur Zwangsarbeit gezwungen und später getötet wurde, erklärten die Richter, ihr angeblicher psychologischer Schaden sei „höchst wahrscheinlich nicht echt“. Sie definierten zudem die Voraussetzungen für „direkten“ Schaden so eng, dass alle Personen außer den Opfern selbst ausgeschlossen wurden und keiner der überlebenden Angehörigen Klage einreichen konnte.
Fehlende Reaktion der UN
Die Vereinten Nationen haben keine nennenswerten Maßnahmen ergriffen, um den Pflichtverletzungen der Untersuchungsrichter in den Fällen 003 und 004 zu begegnen. Dies ist besonders enttäuschend, wenn man bedenkt, dass die Einbeziehung der UN bei den ECCC die Grundlage für deren Erfolg bei der Strafverfolgung der Massenverbrechen der Roten Khmer bilden sollte. Im Jahr 2002 zogen sich der damalige UN-Generalsekretär Annan und der Leiter des UN-Büros für Rechtsangelegenheiten Hans Corell aus den Verhandlungen mit Kambodscha über die Einrichtung eines Rote Khmer-Tribunals zurück, da sie nach dem vorgesehenen Entwurf einen Mangel an Kompetenz, fehlende richterliche Unabhängigkeit und Korruption befürchteten. Die UN-Vertreter beharrten auf der Einsetzung eines einzigen unabhängigen, internationalen Anklägers anstelle mehrerer Co-Ankläger und einer mehrheitlichen Besetzung des Tribunals mit ausländischen Richtern, um es von der Einflussnahme durch die kambodschanische Regierung abzuschirmen.
Ungeachtet dessen, stimmte die UN-Vollversammlung auf Dringen Japans, Australiens, Frankreichs und der USA einer Resolution zu, die den Generalsekretär zum Abschluss eines Abkommens mit der kambodschanischen Regierung aufforderte. Die Konsequenz war die Einrichtung der ECCC in ihrer heutigen Form mit Co-Anklägern, einer Mehrheit von kambodschanischen Richtern und eine Super-Majoritäts-Formel zur Beilegung von Streitigkeiten. Annan fügte sich zwar, fällte jedoch ein vernichtendes Urteil über die Struktur des Tribunals und die Rolle internationaler Geberstaaten bei der Untergrabung internationaler Standards. In einem Bericht an die UN-Vollversammlung vom 31. März 2003 erklärte er:
„Ich kann nur an die Berichte meines Sonderberichterstatters für Menschenrechte in Kambodscha erinnern, der bei den kambodschanischen Gerichten durchweg auf eine geringe Achtung für die grundlegendsten Merkmale des Rechts auf ein faires Gerichtsverfahren gestoßen ist. Infolgedessen trage ich die Sorge, dass diese wichtigen Regelungen in dem Vertragsentwurf, von den Außerordentlichen Kammern nicht vollständig respektiert werden und dass etablierte internationale Justiz-, Fairness- und Verfahrensrechtsstandards deshalb nicht gesichert sind. Desweiteren hätte ich es, angesichts der eindeutigen Erkenntnis der Vollversammlung […], dass es fortdauernde Probleme im Hinblick auf die Rechtsstaatlichkeit und das Funktionieren der Justiz in Kambodscha gibt, die aus der Einmischung der Exekutive in die Unabhängigkeit der Judikative resultieren, vorgezogen, wenn der Vertragsentwurf vorgesehen hätte, dass beide Außerordentlichen Kammern mehrheitlich aus internationalen Richtern bestehen.“
Die Beteiligung und Kontrolle durch die UN wird, aufgrund ihrer Fähigkeit dem Prozess Professionalität und Unabhängigkeit zu verleihen, als entscheidende Voraussetzung betrachtet, um die ECCC zu einem fairen und kompetenten Tribunal zu machen. An dieser Annahme sind nun Zweifel angebracht.
Annan erkennt schon in seinem Bericht aus dem Jahr 2003, dass das Tribunal bei der Gewährleistung einer fairen Rechtsprechung vor großen Schwierigkeiten stehen würde, und legt bereits nahe, dass die UN sich möglicherweise eines Tages aus den ECCC zurückziehen müssten:
„Jede Abweichung der Regierung von den angenommenen Verpflichtungen könnte dazu führen, dass die Vereinten Nationen dem Prozess ihre Zusammenarbeit und Unterstützung entziehen müssten.“
Im Gegensatz zu ihren Vorgängern haben der amtierende Generalsekretär Ban Ki-moon und die Vertreter des UN-Büros für Rechtsangelegenheiten nur eine geringe Bereitschaft gezeigt, die ECCC zur Einhaltung ihrer Verpflichtungen nach kambodschanischem und internationalem Recht anzuhalten. Trotz wiederholter Hinweise von ECCC-Mitarbeitern, Human Rights Watch und andere NGOs zeigten die UN-Vertreter sich nicht willens, eine glaubwürdige Untersuchung zu veranlassen, um zu gewährleisten, dass der von der UN ernannte Richter Blunk seine richterlichen Pflichten ordnungsgemäß erfüllt. Obwohl die UN bereits zwei Ermittlungsmissionen nach Phnom Penh entsandt hat, ließ sie bislang keine konkreten Schritte folgen.
Statt aktiv für den Schutz der ECCC einzutreten veröffentlichte der Generalsekretär am 14. Juni eine Erklärung, in der er eine Verantwortung der UN für den ECCC-Skandal abstreitet. In der Erklärung heißt es:
„Die Bekanntmachung der gemeinsamen Untersuchungsrichter vom 29. April 2011, wonach diese entschieden haben, ihre Untersuchung im Fall 003 abzuschießen, ist ein prozeduraler Zwischenschritt. Fragen hinsichtlich dieser Entscheidung werden Gegenstand weiterer Prüfung durch die gemeinsamen Untersuchungsrichter, die Co-Ankläger und die Vorverfahrenskammer sein. Jedes andere von den gemeinsamen Untersuchungsrichtern eingeleitete Verfahren wird zudem dem unabhängigen Rechtsprozess unterworfen.“
Die Erklärung des Generalsekretärs übergeht die lange zurückreichende, unverhohlene Einmischung der kambodschanischen Regierung bei den ECCC und das Stillschweigen der gemeinsamen Untersuchungsrichter bezüglich dieser Einmischung.
Zusammenfassung der Fälle 003 und 004
Die Informationen in diesem Abschnitt stammen hauptsächlich aus den öffentlich zugänglichen Akten zu den Fällen 003 und 004. Zusätzlich wurde Material aus öffentlichen und privaten Quellen, einschließlich Human Rights Watch-Recherchen, herangezogen. Aus den in diesen Zusammenfassungen erhobenen Anschuldigungen wird deutlich, dass alle Beschuldigten in die Kategorie der „Hauptverantwortlichen“ im Sinne des ECCC-Statuts fallen.
Sou Met, alias Sou Samet, Beschuldigter im Fall 003
Der internationale Co-Ankläger wirft Sou Met Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen vor.
Met, der Sohn eines Ende der 1960er Jahre gestorbenen Rote Khmer-Führers, zählt zu den Veteranen in der Bewegung. Während des Bürgerkriegs zwischen den Roten Khmer und der Khmer-Republik in den Jahren 1970-75 war Met leitender Kader der Südwestzonen-Division 1, die in den Provinzen Kampong Chhnang und Kampong Speu kämpfte. Teile der Division bzw. andere Einheiten unter ihrem Kommando waren an der Einnahme von Phnom Penh und der Provinzhauptstadt Kampong Chhnang am 17. April 1975, der Zwangsumsiedlung von Stadtbewohnern in den ländlichen Raum und der massenhaften außergerichtlichen Hinrichtung von Offizieren und Beamten der unterlegenen Khmer-Republik beteiligt.
Nach dem 17. April 1975 wurde Met Sekretär der 502. Division, einer der Zentrumsdivisionen der Roten Khmer zu der auch die neu geschaffene Luftwaffe und zugeordnete Spezialeinheiten gehörten. Die Einheit hatte ihr Hauptquartier am Pochentong-Flughafen in Phnom Penh. Met war zudem Assistent beim Zentralkomitee. Die 502. Division unterstand dem Generalstab und dem Militärkomitee der Roten Khmer, denen wiederum Son Sen, ein Mitglied des ständigen Ausschusses, bzw. der Parteisekretär Pol Pol (beide verstorben) vorstanden. Sie bestand aus mehreren Regimentern und anderen untergeordneten Einheiten und hatte eine Gesamtstärke von 5.000 bis 6.000 Kämpfern. Kontingente der Division wurden zu verschiedenen Zeiten in allen Teilen des Landes eingesetzt. Met durchlief eine politische Ausbildung auf der Ebene des Zentralkomitees.
Met besuchte häufig vom Generalstab anberaumte Treffen auf denen die Sekretäre anderer Zentrumsdivisionen und Militäreinheiten über die Aktivitäten ihrer Einheiten berichteten, Anweisungen von der Partei erhielten und Parteirichtlinien zustimmten. Bei den Treffen ging es insbesondere um Methoden und Praktiken der Roten Khmer zur Eliminierung ihrer angeblichen internen und externen Feinde, die als „nationale Verteidigungsarbeit“ bezeichnet wurden und die Exekution interner Feinde sowie grenzüberschreitende Angriffe auf Dörfer in Vietnam beinhalteten.
Met war bis zu seiner Beförderung und Übernahme zusätzlicher Verpflichtungen Ende 1978 direkt für die 502. Division verantwortlich. Anschließend wurde er Mitglied des Generalstabs, Berichten zufolge sogar als Stellvertreter des Vorsitzenden Son Sen. Zudem soll er auch eine formale Mitgliedschaft im Zentralkomitee erhalten und zumindest zeitweise ein wichtiges Feldkommando an der vietnamesisch-kambodschanischen Grenze übernommen haben.
Die 502. Division war – wie andere Militäreinheiten auf allen Hierarchieebenen und in allen Teilen des Landes – dafür verantwortlich, zumindest im Umkreis ihrer Einsatzorte für Sicherheit zu sorgen. Sie verhaftete gewöhnliche Menschen, die für verdächtig gehalten wurden, etwa in der Nähe des Pochentong-Flughafens, um sie anschließend zu verhören und gegebenenfalls zu exekutieren bzw. sie in das Verhörzentrum S-21 zu überstellen. Eine weitere zentrale Aufgabe der Einheit war es, mutmaßliche „Feinde“ in den eigenen Reihen zu identifizieren und sie entweder in das divisionseigene Sicherheitsbüro S-22 für Pochentong-Phnom Penh, an einen anderen Ort zum Verhör oder ins S-21 zu schicken. Als Einheit des zentralen Militärs arbeitete die 502. Division auch darüber hinaus mit dem S-21 zusammen, indem sie Kader und Soldaten der Division, welche als „Feinde“ identifiziert wurden, verhaftete. Diese Festnahmen, die im Jahr 1975 begannen und bis 1978 andauerten, verwickeln Met in die massenhafte Folter und Ermordung im S-21.
Die 502. Division war seit mindestens 1976 auch für die Beaufsichtigung eines Zwangsarbeitslagers in der Provinz Kampong Chhnang verantwortlich, wo ein strategisches Ersatz-Rollfeld gebaut wurde. Das Lager wurde jedoch in zunehmendem Maße als Umerziehungslager genutzt, in dem Militärs, die als „ungute Elemente“ aus ihren Einheiten entfernt wurden, und andere Personen, die für politisch problematisch befunden wurden, inhaftiert und bestraft wurden. Den größten Zuwachs erhielt das Arbeitslager in Kampong Chhnang im Jahr 1978 im Zusammenhang mit einer weitreichenden Säuberungsaktion innerhalb der Roten Khmer und ihrer Streitkräfte in der östlichen Zone. Während einige derer, die willkürlich zu schwerer Strafarbeit gezwungen wurden, schließlich für hinreichend rehabilitiert befunden wurden, um wieder ihren Einheiten zugewiesen zu werden, starben viele andere unter den äußerst unmenschlichen Bedingungen des Lagers, wurden vor Ort von Mitgliedern der 502. Division oder in deren Auftrag in zivilen Sicherheitsbüros in der Umgebung hingerichtet oder in das S-21 geschickt – entweder durch die Division selbst oder auf Anfrage des S-21. Von Ende 1978 bis Anfang 1979 kam es zu einem dramatischen Anstieg der Exekutionen, die vor Ort ausgeführt wurden.
Ende 1978 wurde der frisch beförderte Met schließlich in den 505. Gefechtssektor an der vietnamesischen Grenze entsandt, wo er angeblich an einer neuen Welle von Säuberungen innerhalb des vor stationierten zentralen Militärs und der lokalen Verwaltungskader beteiligt war. Einige der Opfer wurden in das S-21 geschickt, weil sie angeblich vietnamesische Vorstöße auf kambodschanisches Territorium zugelassen hatten.
Meas Muth, alias Achar Nen, Beschuldigter im Fall 003
Der internationale Co-Ankläger wirft Meas Muth Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen vor.
Muths Engagement in der kommunistischen Bewegung Kambodschas reicht bis spätestens in die 1960er Jahre zurück, während derer er einem revolutionären Netzwerk buddhistischer Mönche in Phnom Penh angehörte, deren Mitglieder mehrheitlich aus der Südwestzone stammten und Verbindungen zum späten Chhit Choeun, auch bekannt als Ta Mok, hatten. Mok hatte als Mönch in Phnom Penh gewirkt, bevor er sich in den 1940er Jahren der kommunistischen Bewegung anschloss. In den späten 1960er Jahren wurde er Sekretär der Südwestzone. Er gehörte zudem dem obersten Führungsorgan der Roten Khmer, dem Ständigen Ausschuss, an. Muth wurde schließlich stellvertretender Sekretär des Zentralkomitees der Roten Khmer und stieg damit an die dritthöchste Position in der Parteihierarchie auf.
Nach Ausbruch des Bürgerkriegs zwischen den Roten Khmer und der Khmer-Republik im Jahr 1970 wurde Muth Vize-Sekretär des 13. Sektors in der Südwestzone, in dem auch Moks Heimatprovinz Takeo lag. Zu dieser Zeit hatte Muth bereits Moks Tochter Khom geheiratet, die als Parteikader im Distrikt Tram Kak aktiv war. Im Jahr 1973 wurde Muth zum Sekretär der 3. Division in der Südwestzone ernannt, die in den Provinezen Takeo, Kampot und Kampong Speu gegen Truppen der Khmer-Republik kämpfte. Am 17. April 1975 marschierten einige Abteilungen der Division nach Phnom Penh ein, während andere auf die Hafenstadt Kampong Som vorrückten. Die 3. Division war an der Zwangsumsiedlung von Bewohnern beider Städte in den ländlichen Raum sowie an der massenhaften außergerichtlichen Hinrichtung von Offizieren und Beamten der unterlegenen Khmer-Republik beteiligt.
Nach dem 17. April 1975 wurde Muth Sekretär der 164. Zetrumsdivision, der die neu geschaffene Marine sowie zugeordnete Spezialeinheiten angehörten. Die Division hatte ihr Hauptquartier im Gebiet von Kampong Saom und unterhielt Stützpunkte an mehreren Häfen entlang der Küste und auf Inseln im Golf von Thailand. Muth war Befehlshaber über 8.000 bis 10.000 Soldaten. Er wurde zudem Sekretär der Stadtverwaltung von der Hafenstadt Kampong Saom, die nach der Zwangsvertreibung ihrer ursprünglichen Bewohner mit mehreren Tausend Hafenarbeitern und anderen zivilen Arbeitern, die den örtlichen Industriebetrieben zugewiesen waren, teilweise neu besiedelt wurde. Berichten zufolge soll Muth die Verantwortung für die neue Arbeiterbevölkerung zwar mit verschiedenen nationalen Ministerien geteilt, für die Sicherheit in Kampong Saom jedoch die Hauptverantwortung getragen haben. Angeblich war Muth außerdem für Teile des 37. Sektors der benachbarten westlichen Zone verantwortlich, in den viele ehemalige Bewohner von Kampong Saom als „neues Volk“ umgesiedelt wurden und wo die Lebensbedingungen zu den härtesten in ganz Kambodscha gehörten. Wie Sou Met war auch Muth Assistent beim Zentralkomitee.
Die 164. Division war dem Generalstab und dem Militärkomitee verantwortlich, die von Son Sen, einem Mitglied des Ständigen Ausschusses, bzw. dem Parteisekretär Pol Pot geleitet wurden. Muth durchlief eine politische Schulung auf der Ebene des Zentralkomitees. Er besuchte häufig vom Generalstab anberaumte Treffen, auf denen die Sekretäre anderer Zentrumsdivisionen und Militäreinheiten über die Aktivitäten ihrer Einheiten berichteten, Anweisungen von der Partei erhielten und Parteirichtlinien zustimmten. Bei den Treffen ging es insbesondere um Methoden und Praktiken der Roten Khmer zur Eliminierung ihrer mutmaßlichen internen und externen Feinde, die als „nationale Verteidigungsarbeit“ bezeichnet wurden und die Exekution interner Feinde sowie grenzüberschreitende Angriffe auf Dörfer in Vietnam beinhalteten.
Muth war bis zu seiner Beförderung und Übernahme weiterer Pflichten Ende 1978 direkt für die 164. Division verantwortlich. Anschließend wurde er Mitglied des Generalstabs und soll zudem eine formale Mitgliedschaft im Zentralkomitee erhalten haben. Darüber hinaus wurde ihm die volle militärische und politische Verfügungsgewalt über einen Teil der kambodschanisch-vietnamesischen Grenze (505. Sektor) sowie das Kommando über die dort stationierten Militäreinheiten übertragen.
Die 164. Division war – wie viele anderen Militäreinheiten auf allen Hierarchieebenen und in allen Teilen des Landes – dafür verantwortlich, zumindest im Umkreis ihrer Einsatzorte im Gebiet von Kampong Saom für Sicherheit zu sorgen. Sie verhaftete Arbeiter, die als „Feinde“ beschuldigt wurden, und nahm angeblich auch im benachbarten 37. Sektor gewöhnliche Menschen, die für verdächtig gehalten wurden, fest, um sie zu verhören und gegebenenfalls zu exekutieren oder um sie an örtliche Sicherheitsbüros zu übergeben. Nach einer Säuberungsaktion im Jahr 1977, die sich gegen gegen Rote Khmer richtete, die nicht der 164. Division angehörten, und an der auch Muth teilnahm, soll die Division sich zunehmend direkt für die „Sicherheit“ der Bevölkerung von Kampong Saom verantwortlich gezeigt haben. Zu ihren Hauptaufgaben gehörte auch das Aufspüren mutmaßlicher „Feinde“ in den eigenen Reihen und ihre Überstellung in das divisionseigene Sicherheitsbüro in Wat Entanhean, in das Zwangsarbeits- und Umerziehungslager in Stung Hav, in andere Strafanstalten unter der Kontrolle der Division oder in das Verhörzentrum S-21.
Muth und seine unmittelbaren Untergebenen sollen Hinrichtungen sowohl von Angehörigen der Division als auch gewöhnlichen Bürgern befohlen haben, ohne sich vorher an höhere Hierarchieebenen zu wenden. Aufgrund der menschenunwürdigen Bedingungen in Einrichtungen wie Stung Hav starben zahlreiche Arbeiter an Unterernährung und Krankheiten. Bei der Verhaftung von Divisionskadern und Soldaten, bei denen es sich nach Informationen aus dem S-21 um „Feinde“ handelte, arbeitete die 164. Division auch eng mit dem Verhörzentrum zusammen. Solche Verhaftungen begannen bereits 1976 und dauerten bis Ende 1978 an. Viele derer, die bei den frühen Säuberungsaktionen ins S-21 geschickt wurden, waren Kader und Kämpfer der 164. Division aus der Ostzone. Ab 1976 wurden Kader der 164. Division anderen zentralen Einheiten zugewiesen, um deren Säuberungen zu unterstützen oder beseitigte Kader zu ersetzen. Muth nahm auch an Treffen des Generalstabs teil, bei denen über Säuberungsaktionen in anderen Landesteilen gesprochen wurde.
Als oberste militärische Instanz der Roten Khmer bei den Marineoperationen nach dem 17. April 1975 war Muth direkt für die Abteilungen der 164. Division verantwortlich, die in weiten Teilen des Golf von Thailand patrouillierten. Dort stießen sie zwar gelegentlich mit Schiffen der vietnamesischen oder thailändischen Marine zusammen, griffen aber weitaus häufiger vietnamesische und thailändische Fischerboote oder Boote mit vietnamesischen Flüchtlingen an, die versuchten ins Ausland zu gelangen. Bei diesen Angriffen wurden thailändische und vietnamesische Zivilisten getötet. Gefangen genommene vietnamesische Soldaten und Zivilisten wurden zur Hinrichtung ins S-21 gebracht, vor allem nach Angriffen der Roten Khmer in Vietnam. Auch eine geringe Anzahl thailändischer und westlicher Staatsbürger, die von der 164. Division vor der Küste aufgegriffen wurden, wurden im S-21 getötet.
Ende 1978 führte Muth mit Autorisierung des Zentralkomitees und des Generalstabs eine Säuberungsaktion in den Reihen der örtlichen Roten Khmer und in der lokalen Bevölkerung durch. Die Opfer wurden teilweise ins S-21 gebracht, teilweise vor Ort hingerichtet. Frei gewordene Posten im 505. Sektor und in den zentralen Divisionen, die in seinem Befehlsgebiet stationiert waren, besetzte Muth mit neuen Kadern.
Aom An, alias Tho An, Beschuldigter im Fall 004
Der internationale Co-Ankläger wirft Aom An Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor.
An schloss sich den Roten Khmer an, nachdem er als buddhistischer Mönch in einer Pagode in der Südwestzone gewirkt hatte, die unter dem Einfluss der Bewegung stand. Nach dem Sieg der Roten Khmer am 17. April 1975 wurde An zum Sekretär des Distrikts Kandal Steung im 25. Sektor der Südwestzone ernannt und unterstand damit dem Zonensekretär Mok. Der 25. Sektor bestand aus Gebieten südlich und östlich von Phnom Penh deren Einwohner nach dem 17. April in Gebiete zwangsumgesiedelt wurden, die bereits unter der Kontrolle der Roten Khmer gestanden hatten.
Anfangs wurde ein großer Teil der Bevölkerung von Phnom Penh als „neues Volk“ nach Kandal Steung und in andere Distrikte des 25. Sektors umgesiedelt, wo viele als Offiziere oder Bemte der Khmer-Republik beschuldigt und in lokalen Sicherheitsbüros exekutiert wurden. Viele andere wurden unmenschlichen Bedingungen und Zwangsarbeit unterworfen und starben an Unterernährung und Krankheiten. Ein großer Teil dieses „neuen Volkes“ und der anderen Bewohner des 25. Sektors wurden Ende 1975 Opfer einer weiteren Welle von Zwangsumsiedlungen, in deren Rahmen sie in großen Zahlen und unter menschenunwürdigen Bedingungen in entlegene Landesteile geschickt wurden. Ein erheblicher Teil der Betroffenen starb bereits auf dem Weg dorthin oder kurz nach der Ankunft.
Im Jahr 1976 wurde An in den 35. Sektor verlegt, wo er als Mitglied des Sektorkomitees tätig war. In dieser Eigenschaft oblag ihm die Aufsicht über die Zwangsarbeit, einschließlich des Baus von Bewässerungsanlagen und anderen Anlagen zur Wasserversorgung auf sektoraler Ebene und in den Distrikten, wo die unmenschlichen Arbeitsbedingungen zu zahllosen Todesopfern durch Hunger und Krankheiten führten. An soll zudem gemeinsam mit anderen Funktionären im 35. Sektor die Befehlsgewalt über die Sektoralen Sicherheitsbüros, die zahlreichen Distrikts-Sicherheitsbüros und kleinere Hafteinrichtungen gehabt haben, die wie ihre Pendants in anderen Teilen Kambodschas für außergerichtliche Hinrichtungen in großem Umfang und für die Folter und unmenschliche Behandlung von Personen verantwortlich waren, die als „Verräter“, „Feinde“ oder „ungute Elemente“ beschuldigt und willkürlich festgenommen wurden.
Während den man den meisten Personen, die zu dieser Zeit im 35. Sektor Opfer der Säuberungen wurden, vorwarf, politische, soziale oder familiäre Verbindungen zur unterlegenen Khmer-Republik zu unterhalten, gerieten ab 1976 auch Personen aus den Reihen der Roten Khmer, ihrer Lokalverwaltung und ihrer Streitkräfte ins Visier der Säuberungen. Sie wurden wegen mutmaßlicher Verbindungen zur Khmer-Republik, angeblicher Kontakte nach Vietnam oder wegen nicht belegter „verräterischer Tendenzen“ durch die Distrikts-, Sektor- oder Zonenbehörden inhaftiert. Zu den Opfern gehörten auch Mitglieder der örtlichen Cham-Bevölkerung, einer islamischen Minderheit, die ebenfalls zum Ziel der Repression wurde, insbesondere nachdem sie sich mit Aufständen gegen die Verfolgung zur Wehr gesetzt hatte.
Irgendwann zwischen März und Mai 1977 wurde An versetzt und erhielt eine bedeutende Beförderung. Er wurde Sekretär der 41. Sektors in der Nordzone (später Zentralzone). Unter Ke Pork, einem Mitglied des Zentralkomitees der Roten Khmer wurde er zudem zum Vize-Sekretär der gesamten Zone ernannt. In dieser Eigenschaft soll An dem Zonensekretär Pork auch ins Zentralkomitee – das nach dem Ständigen Ausschuss zweithöchste Führungsorgan der Roten Khmer mit landesweiter Befehlsgewalt – gefolgt sein. Das Komitee trat in der Regel mindestens halbjährlich in Phnom Penh zusammen, um dem Ständigen Ausschuss Bericht zu erstatten und dessen Anweisungen entgegenzunehmen.
Als an im 41. Sektor ankam, war dort bereit seine umfangreiche Säuberungsaktion in den Reihen der Roten Khmer im Gange. Auch die Säuberungen unter den Angehörigen des „neuen Volks“, das aus ehemaligen Gebieten der Khmer-Republik umgesiedelt worden war, und innerhalb des alteingesessenen „Veteranenvolks“ nahmen dramatisch zu. All dies geschah auf Befehl des Ständigen Ausschusses unter der Kontrolle von Pork und unter maßgeblicher Beteiligung von An. Zeugenaussagen zufolge, soll An persönlich Anordnungen zur Aufspürung mutmaßlicher „Feinde“ und ähnlicher Elemente gegeben haben.
Viele Opfer der innerparteilichen Säuberungen in der Nord-/Zentralzone wurden in das Gefängnis S-21 in Phnom Penh gebracht, wo sie unter Folter verhört und anschließend exekutiert wurden. Niederrangige Rote Khmer-Kader, „neues Volk“ und Angehörige der lokalen Bevölkerung wurden standrechtlich hingerichtet oder auf unbestimmte Zeit und unter äußerst unmenschlichen Bedingungen vor Ort inhaftiert, zumeist in Distrikts- oder sektoralen Sicherheitsbüros im 41. Sektor und anderswo. Als Sekretär des 41. Sektors hatte An die direkte Befehlsgewalt über die dem Sektor untergeordneten Distrikte und untergeordnete administrative Ebenen. In den Gebieten unter seiner Führung, wurden der Bevölkerung immer unmenschlicherer Praktiken aufgezwungen. Als stellvertretender Zonensekretär war er zumindest mitverantwortlich für die außerhalb des 41. Sektors gelegenen Teile der Zone.
An verwaltete auch den Distrikt Kang Meas, wo in der zweiten Hälfte des Jahres 1977 angeblich der Völkermord an den Cham begann, der sich im folgenden Jahr auf das ganze Land ausweitete. An war auch in die allgemeine Eskalation der Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Zentralzone und im 41. Sektor verwickelt, der im Jahr 1978 Menschen aus allen Bevölkerungsteilen, einschließlich Mitglieder der Roten Khmer, zum Opfer fielen. Als stellvertretender Zonensekretär war An auch für die wichtigste Zwangsarbeitsstätte der Zone verantwortlich, die Baustelle des „Erster-Januar-Staudamms“ und angeschlossener Bewässerungsanlagen, einem Projekt zur Wasserversorgung der Sektoren 42 und 43. Das Projekt war zwar vor seinem Amtsantritt begonnen worden, wurde jedoch erst unter seiner Führung fertiggestellt. An den Arbeitsstätten wurden zahllose Arbeiter außergerichtlich hingerichtet oder starben an Hunger und Krankheiten.
Yim Tith, Beschuldigter im Fall 004
Der internationale Co-Ankläger beschuldigt Yim Tith wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Tith stammt aus dem Distrikt Tram Kak in der Provinz Takeo. Nachdem er zuerst in Takeo, dann in Phnom Penh als buddhistischer Mönch wirkte, engagierte er sich mindestens seit den 1960er Jahren in der kommunistischen Bewegung. Er heiratete schließlich eine Schwester von Mok. Während des Bürgerkriegs zwischen den Roten Khmer und der Khmer-Republik in den Jahren 1970-75 wurde Tith leitender Kader im Distrikt Kirivong im 13. Sektor der Südwestzone, wo Mok seine Machtbasis hatte. Am 17. April 1975 war Tith bereits zum Parteisekretär für den Distrik Kirivong an der Grenze zu Vietnam aufgestiegen. Zu einem gewissen Zeitpunkt soll Tith zumindest Mitglied des Sektorkomitees im 13. Sektor gewesen sein, was ihm eine gewisse Verantwortung für den gesamten Sektor verliehen hätte.
Als Parteisekretär für Kirivong hatte Tith die direkte Hoheitsgewalt über die Bevölkerung des Distrikts, zu der ab April 1975 auch das aus ehemals von der Khmer-Republik kontrollierten Gebieten zwangsumgesiedelte „neue Volk“ gehörte. Tith unterstanden zudem ein Distrikts-Sicherheitsbüro, das sich schließlich in War Pratheat befand, und untergeordnete Sicherheitsoperationen zur Aufspürung und Hinrichtung ehemaliger Offiziere und Beamter der Khmer-Republik sowie Einheimischer, die für „Verräter“ oder „Feinde gehalten wurden. „Neues Volk“, Einheimische, die beschuldigt wurden, „ungute Elemente“ zu sein oder unerwünschte politische „Tendenzen“ zu haben, und andere Personen wurden festgenommen, in Sicherheitsbüros oder Hafteinrichtungen im gesamten Distrikt inhaftiert und durch schwere Zwangsarbeit „umerzogen“. Viele von ihnen starben. Tith überwachte auch die Distriktsverwaltung von Kirivong, die für unmenschliche Lebensbedingungen und zahllose Todesopfer verantwortlich war.
Mitte 1978 wurde Tith befördert und in die Nordwestzone versetzt, wo er Sekretär des 1. Sektors wurde. Er wurde zudem ein wichtiges Mitglied des Zonenkomitees, in dem Mok in Konkurrenz zu seinen vielen anderen Führungspositionen und nach einer langen Serie blutiger Säuberungen, die praktisch alle ursprünglichen Kader in der Nordwestzone beseitigt hatten, als Sekretär den Vorsitz hielt. Tith hatte zumindest den 1. Sektor sowie dessen untergeordnete Distrikte und Einheiten unter seiner direkten Kontrolle. Man geht davon aus, dass darüber hinaus zumindest bestimmte Gebiete im Nordwesten unter seinem Befehl standen. Tith soll den Abschluss einer Säuberungsaktion alteingesessener lokaler Kader überwacht haben und die „Reinigung“ der Bevölkerung als Ganzes stark ausgeweitet haben. Infolgedessen wurden unzählige Menschen zur Exekution in die Sicherheitsbüros der Distrikte oder des Sektors gebracht oder an anderen Ort getötet.
Bestimmte Gruppen, insbesondere die Minderheit der Khmer Krom und die verbleibende vietnamesische bzw. als vietnamesisch wahrgenommene Bevölkerung, sollten offenbar vollständig eliminiert werden. Auch Personen, die in Verbindung mit den Säuberungen Mitte 1978 aus der Ostzone zwangsumgesiedelt wurden, wurden in großer Anzahl ermordet. Die Lebensbedingungen im Nordwesten verschlechterten sich immer weiter und führten zu einem steilen Anstieg der Opferzahlen, die auf Unterernährung und Krankheit zurückzuführen waren.
Im Chem, alias Srei Chem, Beschuldigte in Fall 004
Der internationale Co-Ankläger wirft Im Chem Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor.
Chem stammt aus Moks Heimatdistrikt Tram Kak im 13. Sektor der Südwestzone. Ihre Familie engagierte sich spätestens seit den 1960er in der kommunistischen Bewegung Kambodschas. Seit Ausbruch des Bürgerkriegs 1970 war sie als Kader in der Bewegung aktiv.
Im Jahr 1976 zog Chem als Vertreterin der Kleinbauern in der Südwestzone in die von den Roten Khmer zusammengestellte Volksversammlung ein, während ihr Ehemann Nop Nhen Sekretär eines Distrikts in der Zone wurde. Mitte 1977 wurden Chem und Nhen in den 5. Sektor in der Nordwestzone versetzt, wo Chem Sekretärin des Distrikts Preah Net Preah und Nhen Sekretär des Distrikts Sisophon wurde. Chem behielt diesen Posten bis Ende 1978.
Die Versetzung Chems und ihres Ehemannes in die Nordwestzone fiel mit dem Beginn einer ausufernden Säuberungswelle innerhalb der ursprünglichen Rote Khmer-Kader in der Region sowie mit der Ankunft zahlreicher Rote Khmer-Beamter aus anderen Regionen zusammen, die beseitigte Kader ersetzen sollten. Chem und andere neue Kader waren angeblich an weiteren Säuberungen Anfang 1979 beteiligt.
Die Opfer der Säuberungen im Distrikt Preah Net Preah und in benachbarten Teilen des 5. Sektors wurden – nachdem Chem ihre Führungsposition eingenommen hatte – zum Teil zur außergerichtlichen Hinrichtung in das S-21-Zentrum gebracht, zum Teil vor Ort getötet oder zur Umerziehung und Zwangsarbeit inhaftiert, unter anderem in einer Reihe von Einrichtungen in Preah Net Preah, über die Chem die Aufsicht oder zumindest einen gewissen Einfluss hatte, etwa Phnom Trayoung. Die Säuberungen weiteten sich Mitte 1978 stark aus und eskalierten am Jahresende in blutigen Flügelkämpfen zwischen rivalisierenden Netzwerken innerhalb der Roten Khmer.
Chem soll zudem den Einsatz von Zwangsarbeit beim Bau von Wasserversorgungsanlagen in Verbindung mit dem Trapeang Thmar-Staudammprojekt im 5. Sektor überwacht haben. Die Bauarbeiten hatten zwar bereits vor ihrer Ankunft begonnen, wurden jedoch erst abgeschlossen, nachdem ihr die Verantwortung für den Distrikt Preah Net Preah übertragen wurde. Die äußerst rauen Bedingungen die den unter Chems Kontrolle stehenden Arbeitern zugemutet wurden, forderten zahlreiche Todesopfer. Manche Zwangsarbeiter wurden direkt an der Arbeitsstätte exekutiert, weil sie sich über die Arbeitsbedingungen beklagt hatten oder den Anforderungen nicht mehr gerecht wurden. Die allgemeinen Lebensbedingungen für die Bevölkerung von Preah Net Preah waren unter Chems Führung außerordentlich schlecht. Sie verschlechterten sich in vielen Teilen des Distrikts noch weiter und führten zu zahlreichen Todesfällen durch Hunger und Krankheit. Personen, die sich beklagten oder die für „faul“ befunden wurden, weil sie das geforderte Arbeitspensum nicht erfüllten, wurden in den im gesamten Distrikt verteilten Zwangsarbeits- und Umerziehungsstätten inhaftiert oder exekutiert.
Chem soll als sich die Herrschaft der Roten Khmer angesichts der Vorstöße des vietnamesischen Militärs Ende 1978/Anfang 1979 bereits im Zerfall befand eine Welle von Morden an Personen geleitet haben, denen regimekritische Ansichten unterstellt wurden. Während Chems gesamter Amtszeit als Sekretärin des Distrikts Preah Net Preah wurden Personen, denen Verbindungen zur unterlegenen Khmer-Republik nachgesagt wurden, Personen mit Kontakten zu „beseitigten“ lokalen Kadern und Personen, die für Vietnamesen gehalten wurden, Opfer von Exekutionen und Zwangsarbeit.