(Brüssel, 17. Oktober 2008) - Spanien will zunehmend Kinder abschieben, die illegal und ohne Begleitung ins Land gekommen sind. Dadurch droht diesen Misshandlung und Festnahme, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Die Regierung soll die Rückführung von Kindern aussetzen, bis sie ein Verfahren entwickelt hat, welches das Wohlergehen dieser Kinder sicherstellt. Zudem soll ihnen sofort das Recht auf einen unabhängigen Anwalt eingeräumt werden, wie dies in Spanien auch erwachsenen Migranten zugestanden wird.
In dem 22-seitigen Bericht „Returns at Any Cost: Spain's Push to Repatriate Unaccompanied Children in the Absence of Safeguards" heißt es, dass die Behörden in Andalusien, der Region im Süden des Landes, über die viele Migranten ins Land kommen, beabsichtigen, 1.000 unbegleitete, unter staatlicher Kontrolle stehende Kinder nach Marokko rückzuführen. Die andalusischen Behörden behaupten, dass die nötigen Sicherheitsvorkehrungen getroffen worden seien. Doch sie konnten nicht begründen, warum die Rückführung im besten Interesse der Kinder sei, wie dies gesetzlich vorgeschrieben ist. Zudem behaupteten sie, die bloße Zustimmung der marokkanischen Regierung zur Rücknahme eines Kindes sei eine ausreichende Garantie für dessen Wohlergehen nach der Repatriierung.
„Spanien setzt die Sicherheit dieser Kinder aufs Spiel", erklärt Simone Troller, Researcherin für Kinderrechte in Europa für Human Rights Watch. „Warum werden diesen besonders verletzlichen Kindern zusätzliche Schutzmaßnahmen verweigert, einschließlich des Rechts auf einen unabhängigen Anwalt, die erwachsenen Migranten zugestanden werden?"
Am 20. Oktober 2008 soll Spanien vor dem Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen erscheinen, der die Umsetzung des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte durch die spanische Regierung überprüft. In ihrem offiziellen Bericht an den Ausschuss erwähnt die spanische Regierung jedoch nicht, Kinder abschieben zu wollen, die ohne Eltern oder andere Betreuungspersonen ins Land gekommen sind. Nachforschungen von Human Rights Watch und anderen Organisationen haben jedoch gezeigt, dass die Regierung durch die Rückführungen regelmäßig gegen Kinderrechte verstößt, wie sie im Internationalen Pakt niedergelegt sind.
Bei der Entscheidung über Rückführungen werden von den Regierungsbeamten Informationen über mögliche Gefahren für die Kinder in ihren Heimatländern meist nicht analysiert und oftmals überhaupt nicht gesammelt. In vielen Fällen werden die Kinder nicht einmal angehört, wenn die Beamten über die Rückführung entscheiden. Spanische Gerichte haben in den vergangenen zwei Jahren mindestens zwei Dutzend Rückführungen gestoppt, weil die Verfahren gegen die spanische Gesetzgebung verstießen.
Obwohl Spanien Erwachsenen, die abgeschoben werden sollen, Anwälte zur Verfügung stellt, wird Kindern rechtlicher Beistand verweigert. Stattdessen werden sie von derselben Amtstelle vertreten, die oftmals ihre Rückführung einleiten. Die Regierung hat auch versucht, Anwälte zu stoppen, die einige wenige Kinder bei Repatriierungsfällen unentgeltlich vertreten wollten.
„Mehr als alle anderen Migrantengruppen benötigen Kinder, die allein nach Spanien gelangen, Rechtsanwälte, um ihre Interessen schützen zu können", sagt Troller. „Spanien soll Kindern einen rechtlichen Beistand stellen, genauso wie das Land dies für Erwachsene tut."
Die meisten unbegleiteten Kinder kommen aus Marokko, weitere Hunderte aus Senegal auf den Kanarischen Inseln an. Um die Rückführung dieser unbegleiteten Kinder nach Marokko und Senegal zu beschleunigen, versucht Spanien, bilaterale Rücknahmeabkommen auszuhandeln, denen hochrangige Treffen von Vertretern der Vertragsstaaten vorangehen. Zudem finanzierte Spanien in Marokko den Bau von Wohnunterkünften für Kinder nach deren Rückführung.
Doch Human Rights Watch und andere spanische Nichtregierungsorganisationen haben wiederholt dokumentiert, dass es auf spanischer und marokkanischer Seite während und nach der Rückkehr nach Marokko zu Misshandlungen von unbegleiteten Kindern gekommen ist.
Statt sie zu ihren Familien zurückzubringen, trieben marokkanische Sicherheitskräfte Kinder einfach auf die Straße und überließen sie ihrem Schicksal.
„Spanien muss überprüfen, was die Kinder nach ihrer Rückkehr erwartet, bevor die Entscheidung über eine Rückführung gefällt wird", sagt Troller.
Human Rights Watch stellt folgende Forderungen an die spanische Regierung:
- alle unbegleiteten Kindern sollen während des gesamten Rückführungsverfahrens kompetenten, unabhängigen Rechtsbeistand erhalten;
- in Richtlinien soll die Pflicht der Regierung klar und deutlich festhalten werden, dass vor dem Entscheid über die Rückführung eines Kindes indivuell dessen Wohlergehen im Zentrum steht und eine Risikoeinschätzung durchgeführt wird, wobei spezifische Verfahren befolgt und Standards eingehalten werden müssen;
- regelmäßige Berichte sollen über die Umsetzung von Rückführungsabkommen für unbegleitete Kinder mit Marrokko und Senegal veröffentlicht werden und eine unabhängige Kontrolle dieser Abkommen soll möglich sein.