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Westjordanland: Mehr palästinensische Kinder durch israelische Armee getötet

Systematische Straflosigkeit für rechtswidrige tödliche Gewalt beenden

Von links nach rechts: Adam Ayyad, Wadea Abu Ramuz, Mahmoud al-Sadi und Mohammed al-Sleem. © Private
  • Das israelische Militär und die Grenzpolizei töten palästinensische Kinder, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden.
  • Die israelischen Streitkräfte sollten die routinemäßige rechtswidrige Anwendung tödlicher Gewalt gegen Palästinenser*innen, darunter Kinder, beenden. Israels Verbündete sollten den Druck auf die Regierung erhöhen.
  • Der UN-Generalsekretär sollte die israelischen Streitkräfte in seinem Jahresbericht über schwere Menschenrechtsverletzungen an Kindern in bewaffneten Konflikten für das Jahr 2023 als Verantwortliche für die Tötung und Verstümmelung palästinensischer Kinder aufführen.

(Jerusalem) - Das israelische Militär und die Grenzpolizei töten palästinensische Kinder, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden, so Human Rights Watch heute.

Das Jahr 2022 war das tödlichste Jahr für palästinensische Kinder im Westjordanland seit 15 Jahren. Dieses Jahr könnte die Zahl der Todesfälle sogar noch höher ausfallen. Bis zum 22. August hatten israelische Streitkräfte mindestens 34 palästinensische Kinder im Westjordanland getötet. Human Rights Watch hat vier tödliche Angriffe mit Schusswaffen auf palästinensische Kinder durch israelische Streitkräfte untersucht. Diese hatten sich zwischen November 2022 und März 2023 ereignet.

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17-year-old Mahmoud al-Sadi was shot and killed by Israeli forces while walking to school in the occupied West Bank. 

Mohammed al-Sleem, also 17, was fatally shot in the back while running away from Israeli forces. 

They are two among dozens of unarmed children killed by Israeli forces every year, often during confrontations. 

Israeli security forces have long used unjustified lethal force against Palestinian children with total impunity.

2022 was the deadliest year for Palestinian children in the West Bank at least since 2004.

The number of children killed so far in 2023 by Israeli forces in the West Bank is already at the 2022 figure.

Israel belongs on the UN Secretary-General's "List of Shame" of parties to conflicts that commit grave abuses against children.

 

 

„Israelische Streitkräfte erschießen immer häufiger palästinensische Kinder, die unter der Besatzung leben“, sagte Bill Van Esveld, stellvertretender Direktor für Kinderrechte bei Human Rights Watch. „Wenn Israels Verbündete, insbesondere die USA, keinen Druck auf Israel ausüben, um diesen Kurs zu ändern, werden noch mehr palästinensische Kinder getötet werden.“

Um die vier Tötungen zu dokumentieren, sprach Human Rights Watch mit sieben Zeug*innen, neun Familienmitgliedern, Anwohner*innen, Anwält*innen, Ärzt*innen und Mitarbeitenden von palästinensischen und israelischen Menschenrechtsgruppen. Zudem überprüfte Human Rights Watch Videos und Videomaterial, das in sozialen Medien veröffentlicht wurde, Aussagen israelischer Sicherheitsbehörden, medizinische Aufzeichnungen und Nachrichtenberichte.

Zu einem der von Human Rights Watch untersuchten Fälle gehört der 17-jährige Mahmoud al-Sadi, der am 21. November 2022 von der israelischen Armee auf dem Weg zur Schule in der Nähe des Flüchtlingslagers Jenin getötet wurde. Das israelische Militär ging nicht konkret auf seine Tötung ein, erklärte aber, israelische Soldaten hätten im Lager Razzien durchgeführt, bei denen es zu einem Schusswechsel mit palästinensischen Kämpfern gekommen sei. Nach Aussagen von Anwohner*innen fand der nächste Schusswechsel jedoch bei einem der Häuser der mutmaßlichen Kämpfer statt, etwa 320 Meter von dem Ort entfernt, an dem Mahmoud erschossen wurde.

Mahmoud stand am Straßenrand und wartete darauf, dass die Schüsse am Ende der Straße aufhörten. Er hatte weder eine Waffe noch ein Projektil in der Hand, so ein Zeuge und ein von Human Rights Watch ausgewertetes Video einer Sicherheitskamera. Nachdem die Schüsse in der Ferne aufgehört hatten und die israelischen Streitkräfte sich zurückzogen, traf Mahmoud laut dem Zeugen ein einzelner Schuss, der aus einem etwa 100 Meter entfernten israelischen Militärfahrzeug abgegeben wurde. Es seien keine palästinensischen Kämpfer in der Nähe gewesen, sagte der Zeuge. Mahmoud wurde nur einen Block entfernt von der Straße getötet, in der israelische Streitkräfte am 11. Mai 2022 die Journalistin Shireen Abu Aqla erschossen hatten.

In den anderen untersuchten Fällen töteten israelische Sicherheitskräfte Jungen, nachdem diese sich anderen Jugendlichen angeschlossen hatten, welche die israelischen Streitkräfte mit Steinen, Molotowcocktails oder Feuerwerkskörpern angriffen. Diese Gegenstände können Menschen zwar schwer verletzen oder töten, aber in diesen Fällen feuerten die israelischen Streitkräfte wiederholt auf Brusthöhe, trafen und töteten mehrere Kinder in Situationen, in denen von ihnen offenbar keine Gefahr für Leib und Leben ausging. Eine solche Gefährdung muss laut internationalen Standards jedoch gegeben sein, um den Einsatz tödlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte zu rechtfertigen. Somit wären diese Tötungen rechtswidrig gewesen.

Dem 17-jährigen Mohammed al-Sleem wurde in den Rücken geschossen, als er vor israelischen Soldaten weglief, nachdem eine Gruppe von Freunden, mit denen er unterwegs war, Steine und mutmaßlich auch Molotowcocktails auf Militärfahrzeuge geworfen hatte, die in ein Dorf in der Nähe seiner Heimatstadt Azzun im nördlichen Westjordanland eingedrungen waren. Drei weitere Kinder wurden durch Schüsse aus automatischen Waffen verwundet, als sie vor den israelischen Soldaten wegliefen.

Ein israelischer Offizier schoss von hinten auf den 17-jährigen Wadea Abu Ramuz, als dieser am 25. Januar 2023 gegen 22 Uhr mit einer Gruppe Jugendlicher in Ostjerusalem Steine und Feuerwerkskörper auf Fahrzeuge der Grenzpolizei warf, wie zwei Zeug*innen berichteten. Ein weiterer Junge aus der Gruppe wurde angeschossen und verwundet. Die Sicherheitskräfte fesselten Wadea an sein Krankenhausbett, schlugen ihn und hinderten seine Verwandten daran, ihn zu besuchen. Nach seinem Tod hielten die israelischen Sicherheitskräfte Wadeas Leichnam monatelang zurück und verlangten schließlich von seiner Familie, ihn nachts in aller Stille zu beerdigen.

In allen Fällen schossen die israelischen Streitkräfte auf die Oberkörper der Kinder. Laut Zeugenaussagen wurden vorher weder Warnungen ausgesprochen noch kamen weniger tödlich Mittel wie Tränengas, Erschütterungsgranaten oder Gummigeschosse zum Einsatz. Der 15-jährige Adam Ayyad wurde am 3. Januar im Flüchtlingslager Deheisheh von hinten erschossen, als er mit einer Gruppe von Jungen Steine und mindestens einen Molotowcocktail auf die israelischen Streitkräfte warf. Der Soldat schoss auch auf einen 13-jährigen Jungen und verwundete ihn, wie Zeug*innen berichteten.

Die israelische Zeitung Haaretz berichtete im Januar, dass Soldaten seit „Dezember 2021 auf fliehende Palästinenser schießen dürfen, wenn diese zuvor Steine oder Molotowcocktails geworfen haben“. Human Rights Watch schrieb am 7. August an das israelische Militär und die Polizei und stellte Fragen zu den vier Fällen und den Einsatzvorschriften der Streitkräfte. Die Polizei antwortete, das Militär jedoch nicht. Die Dienstvorschriften der Polizei erlauben den Einsatz von Schusswaffen gegen Personen, die Steine, Molotowcocktails oder Feuerwerkskörper werfen, nur dann, wenn eine „unmittelbare Gefahr für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit“ besteht. Die Polizei erklärte außerdem, dass sie keine Angaben zum Fall von Wadea Abu Ramuz machen könne, da dieser noch untersucht werde.

Die israelischen Behörden gehen seit Jahrzehnten mit exzessiver Gewalt gegen Palästinenser*innen bei Polizeieinsätzen vor. Die Behörden haben es routinemäßig versäumt, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, wenn Sicherheitskräfte Palästinenser*innen, darunter auch Kinder, unter Umständen töten, in denen die Anwendung tödlicher Gewalt nach internationalen Normen nicht gerechtfertigt war. Von 2017 bis 2021 führten weniger als ein Prozent der Beschwerden über Verstöße der israelischen Streitkräfte gegen Palästinenser*innen, einschließlich Tötungen und anderer schwerer Übergriffe, zu Anklageerhebungen, berichtete die israelische Menschenrechtsgruppe Yesh Din.

Israelische Streitkräfte töteten in diesem Zeitraum im Gazastreifen und im Westjordanland mindestens 614 Palästinenser*innen, die von der UN als Zivilist*innen eingestuft wurden. Nach Angaben von Yesh Din wurden jedoch nur drei Soldaten wegen der Tötung von Palästinenser*innen verurteilt. Alle erhielten milde Strafen in Form von gemeinnütziger Militärarbeit. Die israelische Menschenrechtsorganisation B'Tselem, die seit Jahrzehnten dokumentierte Beschwerden über Tötungen beim israelischen Militär einreicht, bezeichnete das israelische Strafverfolgungssystem als einen „Schönfärbungsmechanismus“. Im Jahr 2021 führten von 4.401 Beschwerden bei der Abteilung für interne polizeiliche Untersuchungen, zu denen auch Beschwerden israelischer Bürger gehören, nur 1,2 Prozent zu Anklagen vor Gericht, so die staatliche Aufsichtsbehörde.

Die Tötungen finden in einem Kontext statt, in dem die israelischen Behörden die Verbrechen gegen die Menschlichkeit der Apartheid und der Verfolgung von Palästinenser*innen, einschließlich Kindern, begehen, wie Human Rights Watch und andere Menschenrechtsgruppen dokumentiert haben. Die damalige Anklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), Fatou Bensouda, leitete 2021 eine formelle Untersuchung der in Palästina begangenen schweren Verbrechen ein.

Der UN-Generalsekretär ist vom Sicherheitsrat beauftragt, jährlich eine Liste von Streitkräften und bewaffneten Gruppen aufzustellen, die für schwere Menschenrechtsverletzungen gegen Kinder in bewaffneten Konflikten verantwortlich sind. Zwischen 2015 und 2022 haben die Vereinten Nationen mehr als 8.700 getötete Kinder den israelischen Streitkräften zugeschrieben, jedoch wurde Israel nie in die Liste aufgenommen. In den Berichten wurden jedoch wiederholt andere Streitkräfte aufgeführt, die weit weniger Kinder getötet und verletzt haben als die israelischen.

Das Stigma, das mit der „Liste der Schande“ des Generalsekretärs verbunden ist, ist beträchtlich, und die genannten Parteien müssen einen Aktionsplan mit Reformen zur Beendigung der Menschenrechtsverletzungen erarbeiten und umsetzen, um von der Liste gestrichen zu werden. Die UNO hat eine Gelegenheit verpasst, Kinder zu schützen, indem sie Israel hier ausgelassen hat, sagte Human Rights Watch. Der UN-Generalsekretär sollte bei der Erstellung der Liste für das Jahr 2023 objektive Kriterien anwenden.

„Palästinensische Kinder leben in einer Realität der Apartheid und der strukturellen Gewalt, in der sie jederzeit erschossen werden können, ohne eine realistische Aussicht darauf, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden“, sagte Van Esveld. „Israels Verbündete sollten sich dieser grausamen Realität stellen und auf eine Rechenschaftspflicht drängen.“

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