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Die Schweizer Nationalflagge weht über dem Eingang des Bundesstrafgerichts in Bellinzona. 5. März 2020. © REUTERS/Arnd Wiegmann
  1. Wer ist Alieu Kosiah und wie lautet die Anklage gegen ihn?
  2. Warum findet der Prozess gegen Kosiah in der Schweiz statt?
  3. Welche internationalen Verbrechen wurden während der Bürgerkriege in Liberia begangen?
  4. Sollten Verbrechen, die während der beiden Bürgerkriege begangen wurden, nicht in Liberia selbst untersucht und strafrechtlich verfolgt werden?
  5. Wurde jemand für Verbrechen, die während der Bürgerkriege in Liberia begangen wurden, vor Gericht gestellt?
  6. Was ist bisher in Kosiahs Prozess passiert?
  7. Welchen Herausforderungen mussten sich die Justizbehörden in der Schweiz stellen, um diesen Fall vor Gericht zu bringen?
  8. Was sind „Privatkläger“ und welche Rolle spielen sie im Prozess?
  9. Ist der Prozess für die Öffentlichkeit zugänglich? Können Liberianer das Verfahren in der Schweiz verfolgen?
  10. Wie lange wird der Prozess voraussichtlich dauern und was sind die möglichen Ergebnisse?
  11. Wer ist in der Schweiz für die Untersuchung und Strafverfolgung von internationalen Verbrechen zuständig?
  12. Wie viele solche Verfahren laufen bereits in der Schweiz?
  13. Wie sieht die Schweizer Praxis der universellen Gerichtsbarkeit im Vergleich zu anderen Ländern in Europa aus?
  14. Welche Möglichkeiten gibt es für eine weitere Rechenschaftspflicht für in Liberia begangene internationale Verbrechen?

Am 3. Dezember 2020 begann der Strafprozess gegen Alieu Kosiah, einen ehemaligen liberianischen Rebellenkommandanten, in der Stadt Bellinzona, Schweiz, vor dem Bundesstrafgericht des Landes. Kosiah ist die erste Person, die vor einem nicht-militärischen Strafgericht in der Schweiz wegen Kriegsverbrechen angeklagt wird, und er ist der erste Liberianer, dem wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen während des ersten liberianischen Bürgerkriegs von 1989 bis 1996 der Prozess gemacht wird.

Dieses Frage-und-Antwort-Dokument liefert einige Hintergrundinformationen zum Prozess, zum Angeklagten und zu den allgemeinen Bemühungen der Schweiz, schwere Verbrechen nach internationalem Recht durch ihre nationalen Gerichte untersuchen und strafrechtlich verfolgen zu lassen.

  1. Wer ist Alieu Kosiah und wie lautet die Anklage gegen ihn?

Alieu Kosiah ist ein 45-jähriger liberianischer Staatsangehöriger und ein ehemaliger Kommandant der bewaffneten Gruppe United Liberation Movement of Liberia for Democracy, bekannt als ULIMO, eine Rebellengruppe, die während des ersten liberianischen Bürgerkriegs aktiv war.

Kosiah wurde am 10. November 2014 in der Schweiz, wo er seit 1999 lebte, verhaftet, wegen seiner mutmaßlichen Rolle bei Kriegsverbrechen zwischen 1993 und 1995 in Lofa County im Nordwesten Liberias begangen. Die Verhaftung folgte auf Strafanzeigen gegen ihn durch sieben liberianische Opfer, die nun als sogenannte „Privatkläger“ am Verfahren teilnehmen. Vier von ihnen werden durch zwei Anwälte der Schweizer Nichtregierungsorganisation Civitas Maxima vertreten. Kosiah wurde im Rahmen der mehrjährigen Strafermittlungen verhaftet. Diese Ermittlungen führten dann im März 2019 zu der Anklage gegen ihn.

Die Schweizer Staatsanwaltschaft wirft ihm zahlreiche Verbrechen vor, darunter die Anordnung von Mord und grausamer Behandlung von Zivilisten, Vergewaltigung, Rekrutierung von Kindersoldaten und Plünderung. Die Anklageschrift gegen Kosiah umfasst insgesamt 25 Punkte.

  1. Warum findet der Prozess gegen Kosiah in der Schweiz statt?

Kosiahs Prozess in der Schweiz ist möglich, weil das schweizerische Gesetz die universelle Gerichtsbarkeit für bestimmte schwere Verbrechen nach internationalem Recht anerkennt. Diese ermöglicht eine Untersuchung und Verfolgung solcher Verbrechen, unabhängig davon, wo sie begangen wurden, und unabhängig von der Nationalität der Verdächtigen oder der Opfer.

Normalerweise können die nationalen Behörden nur dann ein Verbrechen untersuchen, wenn es eine Verbindung zwischen ihrem jeweiligen Land und dem Verbrechen gibt. Die übliche Verbindung ist territorial, was bedeutet, dass die Straftat oder ein wesentliches Element der Straftat im Staatsterritorium des Landes begangen wurde, das die Gerichtsbarkeit ausüben möchte (Territorialitätsprinzip). Viele Länder strengen zudem Strafverfolgungen an auf der Grundlage der Personalität, was bedeutet, dass entweder der mutmaßliche Täter (aktives Personalitätsprinzip) oder ein Opfer (passives Personalitätsprinzip) Staatsbürger des jeweiligen Landes ist. Einige Länder, darunter die Schweiz,  haben jedoch ihre nationalen Gerichte ermächtigt, auch dann tätig zu werden, wenn kein territorialer oder personaler Bezug besteht.

In einer Reihe europäischer Länder laufen Ermittlungen und Strafverfolgungen im Zusammenhang mit schwerwiegenden Straftaten, die im Ausland begangen wurden, z.B. in der Demokratischen Republik Kongo, im Irak, in Liberia und in Syrien. Fälle der universellen Gerichtsbarkeit werden immer wichtiger, um die Verantwortlichen für Gräueltaten zur Rechenschaft zu ziehen, den Opfern, die sich nirgendwo anders hinwenden können, zu Gerechtigkeit zu verhelfen, von künftigen Verbrechen abzuschrecken und dazu beizutragen, dass Länder nicht zu sicheren Zufluchtsorten für Täter werden, die die Menschenrechte verletzen.

  1. Welche internationalen Verbrechen wurden in Liberia während der Bürgerkriege begangen?

Liberias Bürgerkriege (1989-1996 und 1999-2003) waren durch weit verbreitete und systematische Verletzungen der internationalen Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts gekennzeichnet. Nationale und internationale Menschenrechtsgruppen, ausländische Botschaften, die Medien und die Wahrheitskommission Liberia (TRC) haben unter anderem folgende Menschenrechtsverletzungen identifiziert: standesrechtliche Hinrichtungen, Massaker, Vergewaltigungen und andere Formen sexueller Gewalt, Verstümmelungen und Folter sowie die Zwangsrekrutierung und den Einsatz von Kindersoldaten.

Verantwortlich für die Verbrechen waren Angehörige aller Konfliktparteien, sowohl der Regierung als auch der Rebellengruppen, darunter folgende: National Patriotic Front of Liberia (NPFL), Independent National Patriotic Front of Liberia (INPFL), United Liberation Movement of Liberia for Democracy (ULIMO) und deren Splittergruppen ULIMO-K und ULIMO-J,  Armed Forces of Liberia (AFL), Liberian Peace Council (LPC), die Regierung von Liberia (einschließlich verschiedener Sicherheitskräfte), Milizen und die von der Regierung unterstützte Anti-Terror-Einheit (ATU), Movement for Democracy in Liberia (Model), Lofa Defense Force und Liberians United for Reconciliation and Democracy (LURD).

Kämpfer erschossen liberianische Männer, Frauen und Kinder in ihren Häusern, Dörfern, auf Marktplätzen und in Gotteshäusern. In einigen Fällen massakrierten sie Hunderte von Zivilisten innerhalb weniger Stunden. Sie setzten Mädchen und Frauen grausamer sexueller Gewalt aus, einschließlich Vergewaltigung, Gruppenvergewaltigung, sexueller Sklaverei, Folter und Verletzung der persönlichen Würde. Sie zerstörten und plünderten Dörfer, verschleppten Kinder aus ihren Häusern und Schulen und zwangen sie zum Dienst an der Waffe, oft nachdem sie ihre Eltern vor ihren Augen ermordet hatten. Die Gewalt zerstörte das Leben von Zehntausenden von Zivilisten und zwang fast die Hälfte der Bevölkerung zur Flucht.

Die Economic Community of West African States Monitoring Group (ECOMOG), eine multinationale Streitkraft, die 1990 nach Liberia entsandt wurde, war an Plünderungen, Schikanen und willkürlichen Verhaftungen von Zivilisten sowie an wahllosen Luftangriffen auf Zivilisten und zivile Einrichtungen beteiligt.

  1. Sollten Verbrechen, die während der beiden Bürgerkriege begangen wurden, nicht in Liberia selbst untersucht und strafrechtlich verfolgt werden?

Die Strafverfolgung sollte so nah wie möglich an dem Ort erfolgen, an dem die Verbrechen begangen wurden, um die größtmögliche Wirkung in den von den Straftaten am stärksten betroffenen Gemeinschaften zu erreichen. Eine strafrechtliche Verfolgung vergangener Gräueltaten im Land selbst ist jedoch nicht immer möglich, da es bisweilen an Kapazitäten, an politischem Willen oder beidem mangelt.

Liberia hat keine einzige Person für die schweren Verbrechen, die während seiner beiden bewaffneten Konflikte begangen wurden, strafrechtlich verfolgt.

Die Wahrheitskommission Liberia (TRC), die zwischen 2006 und 2009 tätig war, empfahl die Einrichtung eines mit internationalen und liberianischen Fachleuten besetzten Kriegsverbrechertribunals - des Extraordinary Criminal Court for Liberia - mit Sitz in Liberia, um die Verantwortlichen für schwere Verbrechen vor Gericht zu stellen. Trotz lauter werdender Forderungen nach Gerechtigkeit für die Verbrechen im In- und Ausland wurde die Empfehlung für ein Kriegsverbrechertribunal bislang nicht umgesetzt.

  1. Wurde jemand für die Verbrechen, die während der Bürgerkriege in Liberia begangen wurden, vor Gericht gestellt?

Die wenigen Fälle, in denen es um Verbrechen aus der Bürgerkriegszeit ging, wurden alle außerhalb Liberias vor europäischen und US-amerikanischen Gerichten verhandelt. Zusätzlich zu den Fällen der universellen Gerichtsbarkeit haben die Behörden auch gegen Einzelpersonen wegen Delikten im Zusammenhang mit ihrer Einwanderung ermittelt, z.B. falsche Angaben auf Einwanderungsformularen bezüglich ihrer Beteiligung an Menschenrechtsverletzungen in Liberia.

Im Jahr 2008 verurteilte ein US-Bundesgericht Chuckie Taylor, den ehemaligen Leiter der ATU und Sohn des ehemaligen liberianischen Präsidenten Charles Taylor, wegen Folter, die während des zweiten Bürgerkriegs des Landes begangen wurde. US-Gerichte verurteilten zudem den ehemaligen ULIMO-Führer Mohammed Jabbateh und den NPFL-Sprecher Jucontee Thomas Smith Woewiyu wegen Betrugs und Meineids im Zusammenhang mit ihrem Versäumnis, den US-Einwanderungsbehörden ihre Beteiligung an mutmaßlichen Kriegsverbrechen während des ersten Bürgerkriegs des Landes mitzuteilen. Moses Thomas steht zudem ein Zivilprozess in den USA bevor, wo Opfer eine Klage gegen ihn eingereicht haben, weil er als Oberst der liberianischen Streitkräfte außergerichtliche Tötungen, Folter, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Liberia angeordnet haben soll.

Im Jahr 2014 verhafteten die belgischen Behörden Martina Johnson, eine ehemalige Kommandantin der NPFL, wegen ihrer mutmaßlichen Beteiligung an Kriegsverbrechen. Dieser Fall scheint jedoch ins Stocken geraten zu sein. 2017 klagten die britischen Behörden Agnes Reeves Taylor wegen ihrer mutmaßlichen Rolle bei Folterungen in Liberia zwischen Dezember 1989 und Januar 1991 an, das Verfahren wurde jedoch 2019 eingestellt. 2018 verhafteten die französischen Behörden Kunti Kamara, einen ehemaligen ULIMO-Kommandanten, in Paris wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen in Liberia. Medienberichten zufolge soll Kamara vor Gericht gestellt, ein genaues Datum wurde jedoch noch nicht bekannt gegeben.

Die Zivilgesellschaft hat einen Großteil dieser gerichtlichen Aktivitäten angestoßen, unter anderem die Zusammenarbeit zwischen dem Global Justice and Research Project mit Sitz in Monrovia und der Civitas Maxima in Genf sowie mit dem Center for Justice and Accountability in San Francisco.

Ferner gibt es einen Fall, in dem ein niederländischer Staatsbürger wegen illegalen Waffenhandels nach Liberia und Beteiligung an Kriegsverbrechen durch die Bereitstellung militärischer Unterstützung, verurteilt wurde.

Darüber hinaus hat der von den Vereinten Nationen unterstützte Sondergerichtshof für Sierra Leone den ehemaligen liberianischen Präsidenten Charles Taylor im Jahr 2012 wegen schwerer Verbrechen in Sierra Leone vor Gericht gestellt und zu 50 Jahren Haft verurteilt.

  1. Was ist bisher in Kosiahs Prozess passiert?

Seit seiner Verhaftung im Jahr 2014 befindet sich Kosiah in Schweizer Gewahrsam. Sein Prozess sollte ursprünglich im April 2020 beginnen, wurde aber immer wieder verschoben. Aufgrund der Covid-19-Pandemie war es den sieben liberianischen Opfern, die als „Privatkläger“ offizielle Prozessbeteiligte sind, und den Zeugen nicht möglich, für das Verfahren aus Liberia anzureisen. Das Schweizer Bundesstrafgericht teilte mit, dass Bemühungen, die Zeugenaussagen per Videokonferenz aus Liberias Hauptstadt Monrovia zu arrangieren, erfolglos blieben.

Die Länge der Untersuchungshaft wirft menschenrechtliche Bedenken auf, sowohl im Hinblick auf die Rechtfertigung, einer nicht angeklagten Person, für die die Unschuldsvermutung gilt, jahrelang die Freiheit zu entziehen, als auch in Bezug auf die Fairness des Verfahrens. Kosiahs Haft wurde nach Schweizer Recht alle drei bis sechs Monate gerichtlich überprüft und zwischen November 2014 und März 2019, als er schließlich angeklagt wurde, mehrfach verlängert. Einige der Faktoren, die zu den wiederholten Verlängerungen beigetragen haben, könnten die Schwierigkeiten bei der Durchführung von Ermittlungen zu schweren, im Ausland begangenen Straftaten gewesen sein, aber Informationen zu den Details sind nicht öffentlich zugänglich. Um ihren internationalen Menschenrechtsverpflichtungen nachzukommen, diese Bedenken auszuräumen und ein faires Verfahren zu gewährleisten, sollten die Schweizer Behörden mehr Informationen über die Grundlage für die Inhaftierung zur Verfügung stellen.

Die internationalen und europäischen Menschenrechtsvorschriften verlangen von den Behörden, dass eine Untersuchungshaft die Ausnahme und nicht die Regel ist. Sie soll nur dann Anwendung finden, wenn sie aus bestimmten Gründen, darunter Fluchtgefahr und Bedrohung von Zeugen, nachweislich notwendig ist und nur so lange währt werden, wie unbedingt nötig. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, an den die Schweiz als Vertragspartei der Europäischen Menschenrechtskonvention gebunden ist, hat entschieden, dass die Justizbehörden bei der Gewährung einer Verlängerung der Untersuchungshaft nicht nur prüfen müssen, ob die Gründe für die Verlängerungen sachdienlich und ausreichend sind, sondern auch, ob die Behörden bei der Verfolgung des Falles besondere Sorgfalt walten lassen. Zudem müssen die Gerichte die Genehmigung von Haftverlängerungen begründen.

Um weitere Verzögerungen zu vermeiden, entschied das Gericht, Kosiahs Prozess in zwei Teile aufzuteilen: einer fand im Dezember 2020 statt, der zweite wurde für Februar 2021 angesetzt. Während des ersten Teils des Prozesses, zwischen dem 3. und 10. Dezember, prüfte das Gericht eine Reihe von Anträgen, die von verschiedenen Verfahrensbeteiligten vorgebracht wurden, bevor es Kosiah anhörte.

Die Anträge waren unterschiedlicher Natur. Zum Beispiel beantragten die Anwälte der Opfer, die Anhörung von Kosiah zu verschieben, bis ihre Mandanten physisch anwesend sein könnten. Sie argumentierten erfolglos, dass dies das gesamte Verfahren, ihre Fähigkeit, ihre Mandanten zu vertreten, und die Rechte der Opfer, aktiv am Prozess teilzunehmen und persönlich zu erscheinen, beeinträchtigen würde. Die Verteidigung ihrerseits beantragte  u.a. die Entlassung eines der Anwälte der Opfer wegen eines Interessenkonflikts im Zusammenhang mit seiner separaten Rolle als Direktor der Schweizer Nichtregierungsorganisation Civitas Maxima. Das Gericht wies diesen Antrag später zurück.

Nachdem verschiedene Verfahrensfragen angesprochen worden waren, hörte das Gericht Kosiah an. Er sagte auf Englisch aus und seine Einlassungen wurden von einem Gerichtsdolmetscher ins Französische - die offizielle Verfahrenssprache - übersetzt. Er wurde von den vorsitzenden Richtern, dem Bundesstaatsanwalt und seinem eigenen Anwalt befragt. Die Anwälte der Opfer lehnten es ab, Kosiah Fragen zu stellen, und entschieden sich stattdessen, dies in der zweiten Phase des Prozesses in Anwesenheit ihrer Mandanten zu tun, damit sie sich mit ihnen zu Kosiahs Antworten beraten können.

Im Allgemeinen befragten die Richter Kosiah zu: (i) seinem persönlichen Hintergrund; (ii) seiner Reise in die Schweiz; (iii) seinem Wissen über den liberianischen Bürgerkrieg und die Kriegsparteien; und (iv) seiner Beteiligung am Bürgerkrieg, auch in Bezug auf jeden der 25 Anklagepunkte. Kosiah bestritt jeden einzelnen Vorwurf gegen ihn.

In der zweiten Phase des Prozesses, die am 15. Februar beginnen soll, wird das Gericht die sieben Privatkläger und neun Zeugen anhören, die dieses Mal persönlich anwesend sein werden. Die Parteien werden zudem ihre Plädoyers halten.

  1. Welchen Herausforderungen mussten sich die Justizbehörden in der Schweiz stellen, um diesen Fall vor Gericht zu bringen?

Die Untersuchung und strafrechtliche Verfolgung schwerer Verbrechen, insbesondere solcher, die sich in einem tausende von Kilometern entfernten Land ereignet haben, ist ein komplexes Unterfangen, das besondere Kenntnisse, Fachwissen und Ressourcen erfordert. Zusätzlich zu einer angemessenen Gesetzgebung sind komplexe Ermittlungen der nationalen Strafverfolgungsbehörden zu Verbrechen von großem Ausmaß erforderlich, die sich Jahre zuvor in einem anderen Land ereignet haben. Dies kann äußerst schwierig und kostspielig sein. Das Zusammentragen von Beweisen - meist Aussagen von Opfern und Zeugen der Verbrechen - erfordert in der Regel eine Reise in das Land, in dem die Verbrechen stattgefunden haben. Dies bringt eine Reihe von Herausforderungen mit sich, einschließlich sprachlicher und kultureller Hürden und potentiellem Widerstand der nationalen Behörden, die möglicherweise verhindern wollen, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wird.

Die Schweizer Staatsanwälte sagten, dass sie bei der Untersuchung der Verbrechen, um die es in Kosiahs Prozess geht, besondere Schwierigkeiten hatten, da diese Jahrzehnte zurückliegen. Darüber hinaus berichteten die Behörden, dass sie während ihrer Ermittlungen keine Unterstützung seitens der Behörden in Liberia erhalten hatten. Dennoch konnten sie mehr als 25 Zeugen vernehmen, unter anderem durch rechtlichen Beistand, der ihnen von anderen Ländern und internationalen Organisationen gewährt wurde. Die langwierigen Ermittlungen führten jedoch letztendlich dazu, dass Kosiah sechs Jahre in Untersuchungshaft saß.

Die Schweizer Behörden hatten auch unerwartete Schwierigkeiten, den Strafprozess zu eröffnen. Das Verfahren sollte ursprünglich im April 2020 beginnen, wurde aber verschoben, weil die Covid-19-Pandemie es den Privatklägern und sieben Zeugen unmöglich machte, zum Prozess aus Liberia anzureisen. Das Schweizer Bundesstrafgericht teilte mit, dass Bemühungen, die Zeugenaussagen per Videokonferenz aus Liberias Hauptstadt Monrovia zu arrangieren, erfolglos blieben. Schließlich beschloss das Gericht, den Prozess gegen Kosiah in zwei Teile aufzuteilen, um weitere Verzögerungen zu vermeiden.

In der Verhandlungsphase stehen die Schweizer Behörden vor neuen Herausforderungen. Zunächst müssen sich die Richter in Bellinzona mit der Geschichte des bewaffneten Konflikts und der Verbrechen in Liberia sowie mit einem für sie fremden Kontext und fremden Kulturen vertraut machen. Das Erscheinen von Zeugen aus Liberia vor Gericht wird eine sorgfältige Vorbereitung erfordern. Opfer und Zeugen von schweren Verbrechen werden wahrscheinlich besondere Schutzmaßnahmen sowie psychologische Unterstützung benötigen. Das Gericht wird auch sicherstellen müssen, dass die Rechte des Angeklagten gewahrt werden und ihm alle Mittel zur Verfügung stehen, um eine effektive Verteidigungsstrategie zu entwickeln.

  1. Was sind „Privatkläger“ und welche Rolle spielen sie im Prozess?

Das Schweizer Recht kennt zwei Arten von Personen, die von Straftaten betroffen sind: (1) „Geschädigte“ (jeder Mensch, dessen Rechte durch eine Straftat unmittelbar verletzt werden); und (2) „Opfer“ (jeder Mensch, der unmittelbar körperlichen, sexuellen oder geistigen Schaden erleidet). Opfer werden als eine Unterkategorie der größeren Gruppe der geschädigten Personen betrachtet. Sowohl Geschädigte als auch Opfer können beantragen, als Privatkläger formell Partei in einem Strafverfahren zu werden, indem sie vor Abschluss der Ermittlungen eine entsprechende Erklärung gegenüber der Bundesanwaltschaft abgeben. Eine solche Erklärung kann auch die Absicht des Geschädigten erkennen lassen, im Zusammenhang mit dem Strafverfahren eine zivilrechtliche Schadenersatzklage zu erheben.

Sieben Privatkläger sind an dem Verfahren gegen Kosiah beteiligt. Sie haben eine Reihe von Rechten als formelle Verfahrensbeteiligte, darunter das Recht: (i) von einem Anwalt vertreten zu werden; (ii) Prozessdokumente einzusehen; (iii) an Verfahrenshandlungen teilzunehmen; (iv) die Aufnahme weiterer Beweise zu beantragen; (v) sich zum Fall und zum Verfahren zu äußern; und (vi) Entscheidungen der Bundespolizei und der Staatsanwaltschaft anzufechten.

  1. Ist der Prozess für die Öffentlichkeit zugänglich? Können Liberianer das Verfahren in der Schweiz verfolgen?

In der Regel sind die Verhandlungen vor dem Bundesstrafgericht öffentlich. Gleichzeitig erlaubt das Schweizer Recht dem Gericht jedoch, Maßnahmen zu ergreifen, um den Zugang einzuschränken, sollte dies aus Gründen der öffentlichen Sicherheit oder zum Schutz einer Einzelperson geboten sein. Angesichts der Covid-19-Pandemie war die Gewährleistung der Sicherheit von Zeugen, Opfern und Justizpersonal eine große Herausforderung für das Gericht. Zwar waren die Anhörungen im Dezember für die Öffentlichkeit zugänglich, die Anzahl der im Gerichtssaal zugelassenen Personen war jedoch begrenzt. Das Gericht lässt auch in der zweiten Phase des Prozesses kein Saalpublikum zu, da es Bedenken hinsichtlich der öffentlichen Gesundheit gibt. Nur akkreditierte Medien dürfen das Verfahren in einem separaten Raum des Gerichtsgebäudes verfolgen, der für die Presse reserviert ist.

Eine zentrale Herausforderung für die Schweizer Justizbehörden ist es, sicherzustellen, dass betroffene Gemeinden in Liberia, deren Mitglieder nicht nach Bellinzona reisen können, Zugang zu Informationen über den Prozess bekommen. Dies kann Formen der Kommunikation erfordern, die für ein Schweizer Gericht ungewöhnlich sind, wie z.B. die Herausgabe von Pressemitteilungen in englischer Sprache oder die Bereitstellung von Abschriften von Zeugenaussagen (wenn es die Sicherheit erlaubt) in der Originalsprache der Opfer und Zeugen.

Solange niemand die Möglichkeit hat, persönlich am Prozess gegen Kosiah teilzunehmen, sind Medienartikel die einzige Informationsquelle über das Verfahren. Eine Handvoll Schweizer, internationaler und liberianischer Journalisten konnte während der ersten Phase des Prozesses anwesend sein. Obwohl das Gericht die Aussage von Kosiah im Dezember aufzeichnete, war der Zugang zu dieser Aufzeichnung den Privatklägern und ihren Anwälten vorbehalten, da diese nicht an der ersten Anhörung teilnehmen konnten. Civitas Maxima veröffentlichte zudem täglich Prozessberichte, wurde aber am 10. Dezember vom Gericht angewiesen, die bereits online gestellten Berichte zu entfernen.

Das Gericht sollte alle Anstrengungen unternehmen, um diese Lücke zu schließen und Informationen über den Prozess der Öffentlichkeit und den von den Verbrechen der ULIMO betroffenen Gemeinden zugänglich zu machen. Untersuchungen von Human Rights Watch in anderen Situationen haben gezeigt, dass eine unzureichende Einbindung der Betroffenen sich direkt auf die Bemühungen auswirken kann, die Verantwortlichen für schwere internationale Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen.

  1. Wie lange wird der Prozess voraussichtlich dauern und was sind die möglichen Ergebnisse?

Der Prozess wird voraussichtlich am 5. März enden, das entspricht dann einer Gesamtdauer von etwas über drei Wochen. Sobald die zweite Phase des Prozesses beendet ist, werden die vorsitzenden Richter in ihre Beratungen eintreten. Das Gericht wird dann sein Urteil über Kosiahs Schuld in Bezug auf die gegen ihn erhobenen Vorwürfe, ein mögliches Strafmaß und alle weiteren Konsequenzen einschließlich der Behandlung möglicher zivilrechtlicher Ansprüche fällen. Im Falle einer Verurteilung drohen Kosiah bis zu 20 Jahre Gefängnis.

Jede am Verfahren beteiligte Partei kann gegen die Entscheidung des Gerichts Berufung einlegen. Privatkläger können jedoch keine Berufung gegen die vom Gericht verhängte Strafe einlegen. Berufungen werden zunächst von der höheren Berufungskammer des Bundesstrafgerichts verhandelt. Entscheidungen der Berufungskammer können vor dem Bundesgericht, dem höchsten Gericht in der Schweiz, angefochten werden.

  1. Wer ist in der Schweiz für die Untersuchung und Strafverfolgung von internationalen Verbrechen zuständig?

Seit 2011 fällt die strafrechtliche Verfolgung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen in der Schweiz unter die Bundesstrafgerichtsbarkeit. Somit ermitteln die Schweizerische Bundeskriminalpolizei und die Bundesanwaltschaft in Bern in solchen Fällen. Die Bundesanwaltschaft ist in verschiedene Abteilungen gegliedert, wobei schwere Straftaten von der Abteilung Rechtshilfe, Terrorismus, Völkerstrafrecht und Cyberkriminalität bearbeitet werden.

Das Bundesstrafgericht in Bellinzona verhandelt Fälle der allgemeinen Gerichtsbarkeit.

  1. Wie viele solche Verfahren laufen bereits in der Schweiz?

In ihrem Jahresbericht von 2019 berichtet die Bundesanwaltschaft von 13 laufenden völkerstrafrechtlichen Ermittlungen. Neben Kosiah sind drei weitere Personen bekannt, gegen die ermittelt wird: Khaled Nezzar, ehemaliger algerischer Verteidigungsminister; Rifaat al-Assad, Onkel des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad und ehemaliger Kommandeur der syrischen Verteidigungsbrigaden; und Ousman Sonko, ehemaliger Innenminister von Gambia.

  1. Wie sieht die Praxis der universellen Gerichtsbarkeit in der Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern in Europa aus?

In den letzten zwei Jahrzehnten haben die nationalen Gerichte einer zunehmenden Anzahl von Ländern Fälle von Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord, Folter, Verschwindenlassen und außergerichtlichen Hinrichtungen strafrechtlich verfolgt, die im Ausland begangen wurden. Gleichzeitig haben Schweizer Nichtregierungsorganisationen, ehemalige Bundesstaatsanwälte, Parlamentsmitglieder und andere die Schweizer Justizbehörden für ihre zu langsamen Fortschritte kritisiert, obwohl sie über eine solide Gesetzgebung zur Verfolgung schwerer Verbrechen verfügen.

Kritisiert wurde ein Mangel an Kapazität und politischem Willen und unangemessene Verzögerungen. Zudem stehen Vorwürfe der politischen Einmischung im Raum. Die Behörde, die die Generalstaatsanwaltschaft beaufsichtigt, hat sich in der Vergangenheit zu einer Reihe dieser Punkte in Antworten auf Anfragen von Parlamentariern geäußert. Die jüngste parlamentarische Anfrage wurde gestellt, nachdem der erste Teil des Prozesses gegen Kosiah im Dezember zu Ende ging. In der Anfrage wurde darauf hingewiesen, dass nicht wirklich klar sei, welche Ressourcen genau die Bundesstaatsanwaltschaft für Fälle von schweren Verbrechen bereitstellt.

Die Berichterstattung von Human Rights Watch in verschiedenen Ländern zeigt, dass die faire und effektive Ausübung der universellen Gerichtsbarkeit mit der richtigen Kombination aus geeigneten Gesetzen, angemessenen Ressourcen, institutionellem Engagement, wie z.B. speziellen Einheiten für Kriegsverbrechen, und politischem Willen erreicht werden kann. Insbesondere der politische Wille ist für die strafrechtliche Verfolgung von Kriegsverbrechen notwendig angesichts der Empfindlichkeiten und diplomatischen Spannungen, die oft auftreten, wenn gegen hochrangige ausländische Beamte ermittelt wird.

  1. Welche Möglichkeiten gibt es für eine weitere Rechenschaftspflicht für in Liberia begangene internationale Verbrechen?

Liberianische und internationale Menschenrechtsverteidiger haben den liberianischen Präsidenten George Weah aufgefordert, die Vereinten Nationen um Unterstützung bei der Schaffung eines Kriegsverbrechertribunals zu bitten, um schwere internationale Verbrechen zu verfolgen, die während der beiden Konflikte im Land begangen wurden.

Der Vorschlag der Wahrheitskommission Liberia für einen Außerordentlichen Strafgerichtshof für Liberia bietet eine gute Grundlage, um voranzukommen. Allerdings müssten eine Reihe von Änderungen am Gericht und seinem Mandat vorgenommen werden, um sicherzustellen, dass es internationalen Standards und Praktiken entspricht.

Im Jahr 2019 verbreitete Präsident Weah Hoffnung unter den Opfern, als er vor der UN-Generalversammlung über die Einrichtung eines Kriegsverbrechertribunals für Liberia sprach. Er sagte, dass die Beratungen mit der nationalen Legislative bereits im Gange seien und dass man sich mit dem Justizsystem und internationalen Partnern über die Schaffung eines solchen Tribunals unterhalten werde.

Seitdem hat die Regierung damit begonnen, ausländischen Ermittlern die Einreise nach Liberia zu erlauben, um Kriegsverbrechen für die Strafverfolgung im Ausland zu untersuchen. Es gibt jedoch noch keine Fortschritte bei der Schaffung eines Kriegsverbrechertribunals in Liberia selbst. In der Zwischenzeit haben sich ehemalige Warlords gegen ein Kriegsverbrechertribunal eingesetzt, und der Sprecher der liberianischen Legislative lehnte es ab, eine Resolution über das Gericht einzubringen, trotz starker Unterstützung unter den Gesetzgebern. Menschenrechtsaktivisten, die sich für die Rechenschaftspflicht eingesetzt haben, werden zunehmend bedroht, ebenso wie Zeugen von Verbrechen aus der Bürgerkriegszeit.

Liberianer sind auf die Straßen gezogen, um für ein Kriegsverbrechertribunal zu demonstrieren. Auch Liberias Traditional Chiefs Council hat sich für ein solches Gericht ausgesprochen. Der Nationale Wirtschaftsdialog Liberias, an dem 350 Liberianer teilnahmen, darunter Mitglieder der Regierung, der politischen Parteien, der Jugend und der Zivilgesellschaft, empfahl 2019 ebenfalls die Einrichtung eines solchen Gerichts. Die Gruppen veröffentlichten 2018 einen Videoaufruf, der das entsprechende Interesse der Liberianer deutlich macht.

Die steigende Zahl von im Ausland verhandelten Fällen für in Liberia begangene Verbrechen sollte den liberianischen Behörden verdeutlichen, dass auch Liberia Menschen für schwere Verbrechen strafrechtlich verfolgen kann und dies auch tun sollte. Darüber hinaus haben viele der internationalen Partner Liberias in den letzten Jahrzehnten Mechanismen der gerichtlichen Rechenschaftspflicht unterstützt und Erfahrungen im Umgang mit den Herausforderungen gesammelt. Diese Expertise, die für die Rechenschaftspflicht für vergangene Verbrechen in Liberia genutzt werden sollte, umfasst den Schutz und die Unterstützung von Zeugen und Opfern, die Sicherheit von Richtern und Gerichtsmitarbeitern, die Gewährleistung eines fairen Verfahrens und die Unterrichtung der lokalen Bevölkerung über das Verfahren.

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