(Genf) - Die Verurteilung eines ehemaligen liberianischen Rebellenführers durch ein Schweizer Gericht aufgrund von Kriegsverbrechen während des ersten liberianischen Bürgerkriegs ist ein wichtiger Schritt für die liberianischen Opfer und für die Bemühungen der Schweiz, die Verantwortlichen für schwere Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen, so Human Rights Watch heute.
Am 18. Juni 2021 verkündete das Schweizer Bundesstrafgericht in Bellinzona sein Urteil im Prozess gegen Alieu Kosiah, einen ehemaligen Kommandanten der bewaffneten Gruppe United Liberation Movement of Liberia for Democracy, bekannt als ULIMO. Kosiah ist die erste Person, die vor einem nicht-militärischen Strafgericht in der Schweiz wegen Kriegsverbrechen angeklagt wurde. Er ist der erste Liberianer, der für Kriegsverbrechen, die während des ersten liberianischen Bürgerkriegs von 1989 bis 1996 begangen wurden, angeklagt und verurteilt wurde.
„Mehr als 20 Jahre nach den Verbrechen haben die Opfer eine entscheidende Rolle bei der ersten Verurteilung aufgrund von Kriegsverbrechen während des liberianischen Bürgerkriegs gespielt“, sagte Balkees Jarrah, stellvertretende Direktorin für internationale Justiz bei Human Rights Watch. „Das Urteil ist ein Durchbruch für die liberianischen Opfer und das Schweizer Justizsystem, um die Straflosigkeit zu beenden.“
Kosiahs Prozess in der Schweiz war möglich, weil die Gesetze des Landes die universelle Gerichtsbarkeit für bestimmte schwere Verbrechen nach internationalem Recht anerkennen. Diese ermöglicht die strafrechtliche Verfolgung solcher Verbrechen, egal wo sie begangen wurden und unabhängig von der Nationalität der Verdächtigen oder der Opfer.
Kosiah wurde am 10. November 2014 in der Schweiz, wo er seit 1999 lebt, wegen seiner mutmaßlichen Rolle bei Kriegsverbrechen zwischen 1993 und 1995 in Lofa County im Nordwesten Liberias festgenommen. Zuvor hatte es Strafanzeigen gegen ihn von sieben liberianischen Opfern gegeben. Diese haben dann als sogenannte „Privatkläger“ als formelle Verfahrensparteien am Prozess teilgenommen.
Nach einer fast fünfjährigen Untersuchung erhob die Schweizer Generalstaatsanwaltschaft im März 2019 Anklage gegen Kosiah. Ihm wurden diverse Verbrechen vorgeworfen, darunter die Anordnung von Mord und grausamer Behandlung von Zivilist*innen, Vergewaltigung und Plünderung.
Kosiahs Prozess sollte ursprünglich im April 2020 beginnen, wurde aber mehrfach verschoben, weil es für die Privatkläger*innen und Zeug*innen aufgrund der Covid-19-Pandemie nicht möglich war, für das Verfahren aus Liberia anzureisen. Der Prozess wurde schließlich in zwei Phasen abgehalten, die erste vom 3. bis 10. Dezember 2020 und die zweite vom 15. Februar bis 5. März 2021.
Eine der Herausforderungen beim Prozess waren die Zugangsbeschränkungen. Das Verfahren wurde weder gestreamt noch auf Video aufgezeichnet, und der Zugang zur zweiten Phase war aufgrund von Covid-19-Beschränkungen auf akkreditierte Medien beschränkt. Human Rights Watch beantragte im Februar, das Verfahren zu beobachten, das Gericht lehnte den Antrag jedoch mit der Begründung ab, dass die Organisation weder Partei noch Vertreter einer Partei des Verfahrens oder Mitglied der akkreditierten Medien sei.
Kosiah befindet sich seit seiner Festnahme im Jahr 2014 in Schweizer Untersuchungshaft. Human Rights Watch zeigte sich enttäuscht, dass die Schweizer Behörden keine detaillierten Angaben zur Rechtfertigung der langen Untersuchungshaft gemacht haben. Die Regierung ist dazu verpflichtet, ein zügiges Verfahren zu gewährleisten und die Untersuchungshaft nur als letztes Mittel einzusetzen. Mit einer öffentlichen Begründung der langen Untersuchungshaft hätte die Schweiz sich zu ihren Verpflichtungen hinsichtlich der internationalen Menschenrechte und der Prinzipien eines fairen Verfahrens bekennen können. Die Dauer der Untersuchungshaft von Kosiah sollte bei der Festlegung des Strafmaßes berücksichtigt werden, wie es das Schweizer Recht vorsieht.
Während Liberias bewaffneten Konflikten von 1989-96 und 1999-2003 litten die Menschen im Land unter massiven Verletzungen der internationalen Menschenrechte und des Völkerrechts. Es kam zu Massentötungen, Vergewaltigungen und anderen Formen sexueller Gewalt sowie zu standesrechtlichen Hinrichtungen, Verstümmelungen und Folter. Auch Kindersoldaten wurden rekrutiert und eingesetzt.
Liberia selbst hat bislang niemanden für die schweren Verbrechen, die während der beiden bewaffneten Konflikte begangen wurden, strafrechtlich verfolgt und hat auch noch kein Kriegsverbrechertribunal eingerichtet, wie es die Wahrheits- und Versöhnungskommission des Landes 2009 empfohlen hatte. Justizbehörden in den Vereinigten Staaten, Belgien, Frankreich, Finnland und Großbritannien haben in den letzten Jahren Strafverfahren mit Bezug zu Liberia angestrengt, oft angestoßen durch das Engagement der Zivilgesellschaft.
„Fälle der universellen Gerichtsbarkeit können ein wichtiger - wenn auch schmaler - Weg zur Gerechtigkeit für Opfer sein, die sich sonst nirgendwohin wenden können“, sagte Jarrah. „Die Schweiz sollte auf dem Kosiah-Prozess aufbauen und ähnliche Fälle strafrechtlich verfolgen. Allerdings tragen die liberianischen Behörden die Hauptverantwortung dafür, die massive Lücke in der Rechenschaftspflicht für brutale Verbrechen, die während der Bürgerkriege des Landes begangen wurden, zu schließen.“