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(São Paulo) - Die Abholzung der Regenwälder im brasilianischen Amazonasgebiet geht großenteils auf das Konto von kriminellen Netzwerken. Alle die sich ihnen in den Weg stellen, werden attackiert oder eingeschüchtert. Die Regierung wiederum schützt weder die Aktivisten noch den Regenwald, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht.

Der 165-seitige Bericht “Rainforest Mafias: How Violence and Impunity Fuel Deforestation in the Brazil’s Amazon” dokumentiert, wie illegale Rodungen durch kriminelle Netzwerke und die daraus resultierenden Waldbrände in Verbindung stehen mit Gewalt und Einschüchterung gegen Aktivisten und dem Versäumnis des Staates, diese Verbrechen angemessen zu untersuchen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.
 
„Wenn Brasilianer den Regenwald im Amazonasgebiet verteidigen, dann sind sie Bedrohungen und Angriffen durch kriminelle Netzwerke ausgesetzt, die in illegale Abholzungen verwickelt sind”, sagte Daniel Wilkinson, stellvertretender Leiter der Abteilung Umwelt und Menschenrechte bei Human Right Watch. „Die Situation wird unter Präsident Bolsonaro nur noch schlimmer. Sein Angriff auf die Umweltbehörden des Landes bringen den Regenwald und die dort lebenden Menschen in noch größere Gefahr.”
 
Die Recherchen von Human Rights Watch haben ergeben, dass kriminelle Netzwerke über die Logistik verfügen, um die groß angelegte Gewinnung, Verarbeitung und den Verkauf von Holz zu koordinieren. Zudem setzen sie bewaffnete Männer ein, um diejenigen einzuschüchtern und in einigen Fällen zu töten, die den Regenwald verteidigen wollen.
 
Am 23. September 2019 werden die Vereinten Nationen ein Gipfeltreffen abhalten, um die globalen Bemühungen gegen den Klimawandels zu diskutieren. Als Beitrag dazu hat sich Brasilien 2016 verpflichtet, der illegalen Abholzung im Amazonasgebiet bis 2030 ein Ende zu setzen.

Human Rights Watch führte Interviews mit über 170 Personen, darunter 60 Mitglieder indigener Gemeinschaften und andere Einwohnern der Bundesstaaten Maranhão, Pará und Rondônia. Zudem wurden Dutzende Regierungsbeamte in Brasília und im gesamten Amazonasgebiet befragt, von denen viele berichteten, wie die Politik von Präsident Jair Bolsonaro Gesetzen zum Umweltschutz untergräbt.

Während seines ersten Jahres im Amt hat Bolsonaro nicht nur die Durchsetzung von Umweltgesetzen heruntergefahren. Er hat auch die Umweltbehörden des Landes geschwächt und Organisationen und Einzelpersonen, die sich für den Erhalt des Regenwaldes einsetzen, scharf kritisiert.
 
Mehr als 300 Menschen wurden in den letzten zehn Jahren im Zusammenhang mit Konflikten um die Nutzung von Land und Ressourcen im Amazonasgebiet getötet. Viele von ihnen wurden Opfer von Menschen, die an illegalen Abholzungen beteiligt waren, so die Comissão Pastoral da Terra (CPT), eine gemeinnützige Organisation, die von der Generalstaatsanwaltschaft zitiert wird.

Human Rights Watch dokumentierte 28 Tötungen, 4 Tötungsversuche und über 40 Fälle von Morddrohungen, in denen es glaubwürdige Beweise dafür gab, dass die Verantwortlichen an illegalen Rodungen beteiligt waren und die Opfer als Hindernisse für die kriminellen Machenschaften galten. Die meisten Fälle ereigneten sich innerhalb der letzten fünf Jahre. Einige der Opfer waren Umweltschützer, die meisten waren Mitglieder indigener Gemeinschaften oder andere Bewohner des Regenwaldes, die illegale Rodungen den Behörden gemeldet hatten.
 
In der Terra Nossa-Siedlung im Bundesstaat Pará wurde 2018 ein Bewohner getötet und ein weiterer verschwand. Beide hatten zuvor angekündigt, den Behörden von illegalen Abholzungen zu berichten. Der Bruder eines der Opfer, der das Verbrechen untersuchte, wurde ebenfalls getötet, ebenso der Vorsitzende einer Kleinbauerngewerkschaft, nachdem auch er angekündigt hatte, die illegalen Abholzungen melden zu wollen. Bewohner der Siedlung berichteten, dass alle vier Männer von einer bewaffneten Miliz getötet wurden, welche für ein kriminelles Netzwerk von Grundbesitzern arbeitete, die laut einem internen Regierungsbericht an illegalen Abholzungen beteiligt waren.

Die Verantwortlichen für diese Gewalttaten werden nur selten zur Rechenschaft gezogen. Von den mehr als 300 Tötungen, die von CPT registriert wurden, kam es nur in 14 Fällen zu einem Gerichtsverfahren. Von den 28 Tötungen, die Human Rights Watch dokumentiert hat, wurde in nur zwei Fällen Anklage erhoben. Nicht einer der 40 dokumentierten Fälle von Drohungen landete vor Gericht.

Die Straflosigkeit ist weitgehend darauf zurückzuführen, dass die Polizei nicht ordnungsgemäß ermittelt. Die lokale Polizei erkennt dies an und sieht den Grund darin, dass die Tötungen in abgelegenen Gebieten stattfinden. Human Rights Watch dokumentierte jedoch auch eklatante Versäumnisse, wie etwa nicht durchgeführte Autopsien, bei der Untersuchung von Tötungen in städtischen Gebieten, unweit von Polizeirevieren.

Die Untersuchung von Morddrohungen verläuft nicht besser, da sich die Beamten an einigen Orten weigern, Beschwerden über Drohungen offiziell aufzunehmen. In mindestens 19 von 28 dokumentierten Tötungen gingen den Angriffen Drohungen gegen die Opfer oder ihre Gemeinschaft voraus. Hätten die Behörden angemessen ermittelt, so hätten die Tötungen möglicherweise verhindert werden können.

Indigene Gemeinschaften und andere Einwohner spielen seit langem eine wichtige Rolle bei den Bemühungen Brasiliens, die Abholzung des Regenwalds einzudämmen, indem sie die Behörden auf illegale Rodungen aufmerksam machen, die andernfalls unentdeckt bleiben würden. Die Lockerung der Umweltschutzauflagen fördert die illegale Abholzung und führt zu einem größeren Druck auf die lokale Bevölkerung, eine noch aktivere Rolle bei der Verteidigung ihrer Wälder zu übernehmen. Damit laufen die Betroffenen Gefahr, Opfer von Vergeltungsmaßnahmen zu werden.

Seit 2004 gibt es in Brasilien ein Programm zum Schutz von Menschenrechten und Umweltschützern. Die befragten Regierungsvertreter sind sich jedoch einig, dass dieses Programm kaum effektiven Schutz bietet.
 
Laut vorläufigen offiziellen Angaben hat sich die Abholzung während der ersten acht Monate von Bolsonaros Amtszeit im Vergleich zum gleichen Zeitraum im Jahr 2018 fast verdoppelt. Im August 2019 wüteten im ganzen Amazonasgebiet durch Abholzung verursachte Waldbrände. Es handelt sich um die verheerendsten Brände dieser Art seit 2010.

Zu solchen Bränden kommt es im feuchten Ökosystem des Amazonasbeckens nicht auf natürliche Weise. Vielmehr werden sie von Menschen gelegt, die den Prozess der Rodung dort abschließen wollen, wo die wertvollen Bäume bereits gefällt wurden. Die Brände breiten sich über die kleinen Lichtungen und abgelegene Straßen aus, die von Holzfällern angelegt wurden, und hinterlassen so Streifen von trockenerer, leicht brennbarer Vegetation, die zum Zündfunken für die Regenwaldbrände werden.

Als größter tropischer Regenwald der Welt spielt der Amazonas eine wichtige Rolle im Kampf gegen den Klimawandel, da er Kohlendioxid aufnimmt und speichert. Wird der Regenwald abgeholzt oder brennt er nieder, kann er diese Funktion nicht mehr erfüllen und gibt sogar das zuvor gespeicherte Kohlendioxid wieder an die Atmosphäre ab.  

„Die Auswirkungen der Angriffe auf Brasiliens Regenwaldaktivisten reichen weit über das Amazonasgebiet hinaus”, sagte Wilkinson. „Solange das Land nicht die Gewalt und die Gesetzlosigkeit bekämpft, die illegale Abholzungen erleichtern, wird die Zerstörung des größten Regenwaldes der Welt ungebremst weitergehen.“
 
 
Eine Auswahl der im Bericht dokumentierten Fälle:

  • Gilson Temponi, Präsident eines Bauernverbandes in Placas, Bundesstaat Pará, berichtete den Strafverfolgungsbehörden 2018 über illegale Abholzungen und Morddrohungen von den Holzfällern. Im Dezember 2018 dieses Jahres klopften zwei Männer an seine Tür und erschossen ihn.
  • Eusebio Ka'apor, ein Anführer des Volks der Ka'apor, der bei der Organisation von Waldpatrouillen half, um zu verhindern, dass Holzfäller in das Alto Turiaçu Indigenengebiet im Bundesstaat Maranhão gelangen, wurde 2015 getötet. Kurz nach seinem Tod erhielten sechs der sieben Mitglieder des Gemeinschaftsrats der Ka´apor, der die Patrouillen koordiniert, Morddrohungen von Holzfällern.
  • Osvalinda Pereira und ihr Mann, Daniel Pereira, beide Kleinbauern, erhalten seit fast einem Jahrzehnt Morddrohungen, als sie begannen, illegale Abholzungen durch ein kriminelles Netzwerk im Bundesstaat Pará zu melden. Im Jahr 2018 fanden sie zwei ausgehobene Gräber in ihrem Hof, an denen Holzkreuze angebracht waren.
  • Dilma Ferreira Silva, Umweltaktivistin im Bundesstaat Pará, und fünf weitere Menschen wurden 2019, laut Polizei, auf Befehl eines an illegalen Abholzungen beteiligten Grundbesitzers getötet, der befürchtete, dass Silva und die anderen seine kriminellen Machenschaften melden würden.

 

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