Zwar stellt Al-Shabaab die Hauptbedrohung für die Medien dar. Journalisten wurden jedoch auch von einer Reiher staatlicher und nicht-staatlicher Akteure angegriffen. Ein Journalist in Galkayo, Puntland sagte: „Die Behörden, die Öffentlichkeit und die Milizen verhalten sich alle feindselig uns gegenüber. Wir sind wie Fische in vergiftetem Wasser, wir können jederzeit angegriffen oder getötet werden.“
Human Rights Watch führte Interviews mit 50 Journalisten, Redakteuren und Medienchefs, die in Süd- und Zentralsomalia und in Puntland arbeiten. Seit 2014 wurden zehn Journalisten getötet, davon vier bei offenbar gezielten Anschlägen. Sechs weitere Journalisten überlebten Mordanschläge. Andere wurden während ihrer Berichterstattung verletzt. Dutzende wurden willkürlich festgenommen, gegen einige wurden Strafverfahren eingeleitet. Zudem wurde Journalisten durch Anrufe oder Textnachrichten mit Konsequenzen gedroht, sollten sie die Art ihrer Berichterstattung nicht ändern.
Ein Journalist, der einen Anschlag im Oktober 2014 in Mogadischu überlebte, hatte keinen Zweifel daran, dass er das Ziel des Anschlags war: „Ich hörte mehrere Stimmen, die dem Schützen sagten, er solle besser zielen. Ich hörte, wie sie sagten: ‚Er lebt noch!‘” Er wurde bei dem Anschlag so schwer verletzt, dass er nicht mehr als Journalist arbeiten kann.
In Mogadischu haben Sicherheitsbeamte die Berichterstattung zu bestimmten Themen, so z.B. Aussagen der Al-Shabaab, untersagt. Zudem haben die Beamten mindestens drei Medieneinrichtungen vorübergehend zwangsgeschlossen und Journalisten verhaftet, die sich nicht an die Regierungsanweisungen hielten. Lokale Behörden in umkämpften Städten haben Journalisten willkürlich festgenommen und bedroht und fünf Medieneinrichtungen geschlossen, um die politische Berichterstattung zu kontrollieren.
Regierungsbeamte haben wiederholt versucht, die Einschränkungen der Pressefreiheit damit zu begründen, die Medien würden unprofessionell arbeiten oder die nationale Sicherheit sei gefährdet. Trotz der schwierigen politischen und Sicherheitslage haben die Behörden versucht, eine legitime Berichterstattung zu torpedieren. Hierbei bedienen sich Behörden Taktiken, die Journalisten häufig der Gefahr von Vergeltungsakten aussetzen, so das Ergebnis der Human Rights Watch-Recherchen.
Al-Shabaab behandelt Journalisten unrechtmäßig als indirekt Angehörige der somalischen Regierung oder ausländischer Streitkräfte. Laut Kriegsrecht sind Journalisten jedoch Zivilisten. Al-Shabaab hat Journalisten bedroht und Gewalt gegen sie angewendet, um sie zu einer positiven Berichterstattung zu zwingen.
Journalistinnen sind weiteren Problemen ausgesetzt. Sie kämpfen gegen soziale und kulturelle Einschränkungen ebenso wie gegen die Diskriminierung durch ihre Kollegen und gezielte Drohungen der Al-Shabaab, deren Ziel es ist, die Rolle der Frau in öffentlichen Angelegenheiten zu beschneiden.
Somalische Journalisten geben an, dass sie häufig mit Selbstzensur auf die Bedrohungen, Einschüchterungen und die Gewalt reagierten. Viele meiden es, über brisante Themen zu berichten, darunter Themen wie Sicherheit, Korruption und politische Abläufe, insbesondere in Verbindung zum Föderalismus.
„Jetzt haben wir es mit einer sehr gefährlichen Gruppe zu tun, die jedes einzelne Wort in den Medien auf die Goldwaage legen will. Sowohl Al-Shabaab als auch die Regierungsbehörden wollen uns unterdrücken, anstatt uns zu schützen”, sagte ein Journalist in Galkayo. „So bleibt mir nur die Selbstzensur, und das ist sehr traurig.“
Die Hoffnung, dass neue Behörden in Mogadischu, Puntland und die neu geschaffenen Regionalregierungen die Menschenrechtsverletzungen an Journalisten ahnden würden, haben sich zerschlagen. Die föderale Regierung hat nur jene Angriffe auf Journalisten untersucht und Strafermittlungen eingeleitet, wenn sie Al-Shabaab zugeschrieben wurden. Hierbei verließ sie sich auf den nationalen Geheimdienst, der kein Mandat zur Strafverfolgung hat, und den nationalen Militärgerichtshof, dessen Verfahren nicht internationalen
Standards entsprechen. Im April 2016 wurden drei Menschen zum Tode verurteilt wegen ihrer vermeintlichen Beteiligung an der Ermordung von sechs Journalisten.
Human Rights Watch hat bei kürzlich erfolgten Gerichtsverfahren Verstöße identifiziert, die das Recht der Angeklagten auf einen fairen Prozess untergraben. Gegen keinen Regierungsbeamten wurde bislang ermittelt oder eine Strafe verhängt aufgrund von Angriffen, Bedrohungen, Misshandlungen oder unrechtmäßigen Festnahmen von Journalisten.
Die problematischen Gerichtsverfahren und die einseitigen Ermittlungen, die Opfer von Angriffen dem Risiko von Vergeltungsakten aussetzen, vergrößern die Angst unter Journalisten. Viele gaben Human Rights Watch gegenüber an, keinen Sinn darin zu sehen, die Vorfälle der Polizei zu melden, da diese die Angreifer ohnehin nicht verfolgen würde. Zudem würde es weitere Risiken mit sich bringen, zur Polizei zu gehen.
Im Januar 2016 unterzeichnete Präsident Hassan Sheikh ein neues Mediengesetz, das die Meinungsfreiheit weiter einschränken könnte, so Human Rights Watch. Zwar hat das Gesetz auch einige positive Aspekte, es enthält jedoch viele vage formulierte Einschränkungen der Medien. Es ist wahrscheinlich, dass dieses neue Gesetz zu einer weiteren Selbstzensur führt, da Journalisten nicht absehen können, was dem neuen Gesetz nach genau strafbar ist und was nicht.
Somalias Regierungsmitglieder sollen die Angriffe auf Journalisten und andere Medienschaffende deutlich und einstimmig verurteilen, so Human Rights Watch. Zudem sollen zügige, transparente und unabhängige Ermittlungen erfolgen. Die Regierung soll sich verpflichten, vollständig und offen über Themen, die von öffentlichem Interesse sind, zu berichten, und Gesetze ändern oder abschaffen, die das Recht auf Meinungsfreiheit und die Freiheit der Medien einschränken. Internationale Geber sollen die somalische Regierung dazu drängen, Journalisten vor Menschenrechtsverletzungen zu schützen, relevante Gesetze zu überprüfen und technische Unterstützung zu bieten, die menschenrechtskonforme Strafermittlungsverfahren gewährleisten.
„Zu versprechen, dass die Freiheit der Medien verbessert wird, ist ein guter erster Schritt, aber es ist nicht genug“, so Bader. „Somalias Behörden müssen die Gewalt und die Einschüchterung durch alle Seiten aktiv ansprechen, so dass Journalisten ihrer Arbeit nachgehen können, ohne ständig über ihre Schulter blicken zu müssen.“