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(New York) – Die Regierungszeit des kambodschanischen Premierministers Hun Sen ist seit mehr als zwei Jahrzehnten von Gewalt und Repression geprägt. Unzählige Tötungen und andere schwere Menschenrechtsverletzungen, die nicht bestraft wurden, waren das Ergebnis. Der amerikanische Präsident Barack Obama soll seinen Besuch in Kambodscha im November dazu nutzen, öffentlich systematische Reformen einzufordern. Zudem sollen Beamte zur Rechenschaft gezogen werden, die für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind. Es ist das erste Mal, dass ein amerikanischer Präsident das Land besucht.

Der heute veröffentlichte 68-seitige Bericht „‘Tell Them That I Want to Kill Them’: Two Decades of Impunity in Hun Sen’s Cambodia” dokumentiert Morde an politischen Aktivisten, Journalisten, Oppositionspolitikern und anderen durch kambodschanische Sicherheitskräfte seit dem Abschluss der Pariser Friedensverträge 1991, die von 18 Staaten, darunter auch den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates, unterzeichnet worden waren. Die Friedensverträge und der folgende UN-Friedenseinsatz sollten eine neue Ära in Kambodscha einläuten, eine Ära der Demokratie, der Menschenrechte und der Strafverfolgung von Menschenrechtsverletzungen. Seitdem kamen mehr als 300 Menschen bei politisch motivierten Anschlägen ums Leben. Bei keinem dieser Fälle kam es zu einer ernsthaften Untersuchung oder zu einer Verurteilung, so Human Rights Watch.

Die Verwicklung von führenden kambodschanischen Regierungsbeamten sowie von Mitgliedern des Militärs, der Polizei, der Gendarmerie und des Geheimdienstes in Fälle schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen seit den Friedensverträgen wurde mehrfach von den Vereinten Nationen, dem US-Außenministerium, nationalen und internationalen Menschenrechtsorganisationen und diversen Medien dokumentiert. Human Rights Watch nennt viele dieser Beamten und ihre derzeitige Position namentlich.

„Anstatt die Verantwortlichen für die Morde und andere schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen strafrechtlich zur Rechenschaft zu ziehen, hat Premierminister Hun Sen sie sogar gefördert und belohnt“, so Brad Adams, Direktor der Asien-Abteilung von Human Rights Watch und einer der Autoren des Berichts. „Die Nachricht, die der kambodschanischen Bevölkerung vermittelt wird, lautet somit, dass bekannte Mörder über dem Gesetz stehen, wenn sie Schutz von Kambodschas Politikern und Militärs erhalten. Anstatt darauf zu dängen, dass die Regierung die Verantwortung übernimmt, praktizieren die Geberländer weiterhin 'business-as-usual'.“

„Tell Them That I Want to Kill Them” basiert auf Hunderten von Interviews, die über viele Jahre mit aktuellen und ehemaligen Regierungsbeamten geführt wurden. Auch wurden Mitglieder der Streitkräfte, der Polizei, des Justizwesens, des Parlaments und weiterer stattlicher Institutionen interviewt, ebenso wie Vertreter von Parteien, Gewerkschaften, Medien und Menschenrechtsorganisationen. Grundlage des Berichts waren zudem Informationen aus UN-Dokumenten, Berichten von UN-Sonderbeauftragten und UN-Sonderberichterstattern sowie des Kambodscha-Büros des UN-Hochkomissariats für Menschenrechte. Weiterhin wurden Informationen aus Berichten von Human Rights Watch sowie aus verschiedenen Medien verwendet.

Bei dem Titel des neuen Human Rights Watch-Berichts handelt es sich um ein Zitat von Hing Bun Heang, dem damaligen stellvertretenden Befehlshaber von Hun Sens Leibgarde. Es war seine Reaktion auf die Frage eines Journalisten nach seiner Rolle bei einem koordinierten Granatanschlag gegen den Oppositionsführer Sam Rainsy im März 1997. Hierbei kamen mindestens 16 Menschen ums Leben. Die Vereinten Nationen und das FBI brachten die Leibgarde mit dem Anschlag in Zusammenhang und führten Hing Bun Heang als Chef der Operation an. Hing Bun Heang wurde später zum Generalleutnant ernannt und ist heute stellvertretender Befehlshaber der Royal Cambodian Armed Forces.

Häufig sind die Verantwortlichen für die Morde nicht nur namentlich bekannt, sie wurden sogar befördert. Dies war auch der Fall bei mehreren Mitgliedern der brutalen „A-team“-Todesschwadrone während des UN-Friedenseinsatzes in den Jahren 1992 und 1993. Nach Hun Sens Putsch 1997 wurden Sicherheitsbeamte befördert, die zahlreiche Oppositionsmitglieder ermordet hatten. Die Morde in jüngerer Vergangenheit, darunter der an dem Gewerkschaftsführer Chea Vichea sowie an dem Oppositionspolitiker Om Radsady und dem Umweltaktivisten Chut Wutty, blieben unaufgeklärt. Selbst in Fällen, bei denen kein politisches Motiv erkennbar ist, führen Menschenrechtsverletzungen fast niemals zu einer erfolgreichen Strafverfolgung und einer angemessenen Haftstrafe, wenn der Täter für das Militär oder die Polizei arbeitet oder entsprechende politische Kontakte besitzt.

Der Bericht von Human Rights Watch schildert detailliert außergerichtliche Hinrichtungen und anderer Menschenrechtsverletzungen, die von den Behörden nicht ordnungsgemäß untersucht und verfolgt wurden:

  • Die Ermordung Dutzender Oppositionspolitiker und Aktivisten während des
    UN-Friedenseinsatzes in den Jahren 1992 und 1993.
  • Der Mord an dem Herausgeber der Oppositionszeitung, Thun Bun Ly, in Phnom Penh im Mai 1996.
  • Die außergerichtliche Hinrichtung von über 100 royalistischen Beamten nach Hun Sens Putsch im Jahr 1997, darunter die Hinrichtung des stellvertretenden Innenministers Ho Sok auf dem Gelände des Innenministeriums.
  • Der Säureanschlag der Ehefrau von Svay Sitha, einem führenden Regierungsbeamten, im Jahr 1999 gegen die 16-jährige Tat Marina.
  • Der Mord im Stil einer Hinrichtung an Om Radsady, einem angesehenen Oppositionsmitglied des Parlaments im Jahr 2003. Radsady wurde in einem voll besetzten Restaurant in Phnom Penh erschossen.
  • Der Mord an dem bekannten Gewerkschaftsführer Chea Vichea im Jahr 2004.
  • Der Mord im Jahr 2008 an dem Journalisten Khim Sambo und seinem Sohn, während die beiden in einem öffentlichen Park trainierten.
  • Die Ermordung des Umweltaktivisten Chut Wutty in der Provinz Koh Kong im Jahr 2012.

„Die Liste politischer Morde in den letzten 20 Jahren ist erschütternd“, so Adams. „Obwohl es nach jedem Vorfall einen öffentlichen Aufschrei gibt, unternehmen die Verantwortlichen nichts. Somit gibt es keine Konsequenzen für die Täter oder die Regierung, die ihre Hand über die Täter hält.“
 
Um das gravierende Problem der Straflosigkeit zu bekämpfen, drängt Human Rights Watch die kambodschanische Regierung zu folgenden Maßnahmen:

  • Aufbau einer professionellen, unabhängigen Polizei, deren Führung von einer unabhängigen Polizeikommission bestimmt wird und die das Recht hat, die Arbeitsweise der Polizei zu überprüfen, Beschwerden nachzugehen und Beamte zu entlassen, die gegen den beruflichen Verhaltenskodex verstoßen.
  • Aufbau eines professionellen und unabhängigen Justiz- und Strafverfolgungssystems. Die Richter und Strafverfolger sollen von einer unabhängigen Justizkommission ernannt werden, die Beschwerden nachgehen und Richter sowie Strafverfolger zur Rechenschaft ziehen kann, wenn diese gegen den beruflichen Verhaltenskodex verstoßen.
  • Verbot für leitende Polizeibeamten, Richter und Strafverfolger offiziell oder inoffiziell in der Führung einer politischen Partei tätig zu sein.
  • Professioneller und unvoreingenommener Umgang mit Vorwürfen über
    Menschenrechtsverletzung durch Opfer und deren Familien, durch Menschenrechtsorganisationen, andere Gruppen der Zivilgesellschaft, das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte, andere Einrichtungen der Vereinten Nationen sowie durch alle anderen, deren Anliegen an die Regierung herangetragen werden.

 
„Gerechtigkeit für die Opfer wird es nicht geben, wenn einflussreiche Regierungen nicht nachhaltig und koordiniert Druck ausüben und dabei Seite an Seite mit vielen mutigen Bürgern Kambodschas zusammenarbeiten, die Menschenrechtsverletzungen dokumentieren“, so Adams. „Viele Regierungen sprechen von einer ‚Kultur der Straflosigkeit’ in Kambodscha, dabei sollten sie genauso etwas gegen die Gleichgültigkeit in ihren eigenen Reihen tun.“

Die letzten zwei Jahrzehnte in Kambodscha sind geprägt von verpassten Möglichkeiten, so Human Rights Watch. Jahr um Jahr haben Geber vorgeschlagen – und die Regierung in Kambodscha hat dem zugestimmt- weitreichende Reformen durchzuführen, so zum Beispiel Maßnahmen, die eine Professionalisierung der Polizei und die Unabhängigkeit von Strafverfolgern und Richtern zum Ziel hatten. Dennoch ist das Justizsystem nach wie vor fest in der Hand der Politik, und führende Justizbeamten werden nach politischen Kriterien ausgewählt. Es handelt sich vorrangig um treue Anhänger des Premierministers und der regierenden Cambodian People's Party. Regierungen anderer Staaten, die Vereinten Nationen und die Geber haben bislang keinen nachhaltigen und koordinierten Druck auf führende Regierungsbeamten ausgeübt, die für schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind.

„Die herrschende Straflosigkeit in Kambodscha muss direkt angesprochen werden. Sie darf nicht ignoriert oder heruntergespielt werden, wie es viele Regierungen und Geber während der letzten 20 Jahre getan haben“, sagte Adams. „Ohne Erinnerung kann es keine Gerechtigkeit geben. Regierungen und Geber sollen aufhören, über Rechte allgemein zu sprechen, und endlich damit anfangen, führende Regierungsbeamte mit den Mängeln im Justizsystem zu konfrontieren.“

Die USA gehören zu den schärfsten und klarsten Kritikern der Menschenrechtssituation in Kambodscha in den vergangenen Jahren. Jedoch bleiben die Taten häufig weit hinter den Worten zurück, wenn es um kambodschanische Beamte geht, die in Fälle schwerer Menschenrechtsverletzungen verwickelt sind. Im März 2006 verlieh das FBI dem damaligen kambodschanischen Polizeichef, Hok Lundy, eine Auszeichnung für seine Unterstützung im weltweiten Anit-Terror-Kampf. Hok Lundy, der bei einem Helikopterabsturz 2008 ums Leben kam, war regelmäßig für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich und war der vielleicht meistgefürchtete Mensch des Landes. Diese Auszeichnung wurde von der kambodschanischen Regierung gezielt für Propagandazwecke genutzt, während Menschenrechtsaktivisten die wahren Motive der USA infrage stellten.

Im September 2009 empfing der damalige US-Verteidigungsminister Robert Gates seinen kambodschanischen Amtskollegen Tea Banh im Pentagon in Washington. Tea Banh steht seit mehr als zwei Jahrzehnten an der Spitze des kambodschanischen Militärs. In dieser Zeit kam es zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen durch Angehörige des Militärs, die aber alle ungestraft blieben. Es überrascht wenig, dass Tea Banh bei seiner Rückkehr aus den USA von den durch die Regierung gesteuerten Medien wie ein Held empfangen wurde.

„Hun Sen ist nun seit 27 Jahren an der Macht und sagt, er will noch 30 Jahre lang regieren. So lange können die Opfer von Menschenrechtsverletzungen nicht auf Gerechtigkeit warten“, sagt Adams. „Bei seinem ersten Besuch in Kambodscha hat Obama die einmalige Gelegenheit, Hun Sen öffentlich aufzufordern, wirkliche Reformen durchzuführen, so dass die Bevölkerung Kambodschas dieselben Rechte bekommt, die für Amerikaner selbstverständlich sind.“

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