(Juba) – Unfaire Gerichtsverfahren, unrechtmäßige Haft und katastrophale Bedingungen in südsudanesischen Gefängnissen zeigen, dass der junge Staat dringend sein Justizsystem reformieren muss, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht.
Der 105-seitige Bericht „Prison Is Not for Me: Arbitrary Detention in South Sudan“ dokumentiert die Verletzung von Verfahrensrechten, systematischen und widerrechtlichen Freiheitsentzug und inakzeptabel harte Haftbedingungen. Er stützt sich auf Untersuchungen in einem Zeitraum von zehn Monaten vor und nach der Unabhängigkeit des Südsudan am 9. Juli 2011.
„Was Gefangene im Südsudan erleben, enthüllt massive Probleme im gerade entstehenden Justizsystem“, sagt Daniel Bekele, Leiter der Afrika-Abteilung von Human Rights Watch. „Der Südsudan ist ein neuer Staat. Er braucht dringend ein funktionierendes Rechtssystem, das die Menschenrechte und die Würde des Einzelnen schützt. Das ist die Grundlage für Rechtsstaatlichkeit und Verantwortlichkeit.“
Untersucht wurden 12 der 79 Gefängnisse, die sich in Regionen mit den größten Gefangenenzahlen befinden. Der Bericht stützt sich auf die Aussagen von mehr als 250 Insassen und zahlreichen Justizbeamte, Gefängnispersonal, Polizisten, Staatsanwählten und traditionellen Autoritäten.
Unzählige Menschenrechtsprobleme bestehen auf allen Ebenen des Justizsystems.
Ein Drittel der etwa 6.000 im Südsudan inhaftierten Menschen wurde nicht verurteilt. Zum Teil wird ihnen nicht einmal ein Verbrechen zur Last gelegt. Dennoch befinden sie sich über lange Zeit in Haft und warten darauf, dass Polizisten, Staatsanwälte und Richter ihre Fälle bearbeiten.
Die überwiegende Mehrheit der Häftlinge hat keinen Rechtsbeistand, weil sie sich keinen Anwalt leisten kann und kein funktionierendes Rechtshilfesystem existiert. Richter haben Menschen zu langen Gefängnisstrafen oder sogar zum Tod verurteilt, obwohl sie die Anklage ohne Unterstützung nicht verstehen konnten. Sie konnten auch keine Zeugen benennen, um sich zu verteidigen.
Das Strafrechtssystem frustriert und verwirrt die meisten Gefangenen. Ein männlicher Insasse, der wegen Mordes angeklagt ist, sagt: „Ich bin hier jetzt seit fünf Jahren […] und habe noch keinen Richter gesehen. Das Gericht hat den Fall noch nicht aufgerufen. Der Generalstaatsanwalt hat keine Ahnung von den Gesetzen. Die Polizei auch nicht.“
Im pluralen Rechtssystem des Südsudan bestehen neben offiziellen auch traditionelle Gerichte. Ob diese rechtsstaatliche Verfahren garantieren können, ist zweifelhaft. Ihre Vorsitzenden sind nicht juristisch ausgebildet und haben zahlreiche Menschen für Taten zu Gefängnisstrafen verurteilt, die im südsudanesischen Strafrecht keine Verbrechen darstellen. Zwar sind traditionelle Gerichte teilweise zugänglicher und effizienter als staatliche, aber ihre Rechtssprechungs- und Verurteilungskompetenzen sind nicht klar geregelt.
Vielen Häftlingen werden eheliche oder sexuelle Vergehen wie Ehebruch oder heimliche Heirat vorgeworfen. Dass diese Tatbestände im geschriebenen Recht und im Gewohnheitsrecht existieren, verletzt die international geschützten Rechte auf Privatsphäre und darauf, den Ehepartner selbst zu wählen. Andere Personen befinden sich auf unbestimmte Zeit in Haft, weil sie Rechnungen, gerichtlich festgesetzte Bußgelder oder Entschädigungen, häufig in Form einer bestimmten Anzahl Rinder, nicht begleichen können. Die meisten wissen nicht, wann sie entlassen werden.
Darüber hinaus wird einigen Menschen, die sich derzeit in Haft befinden, gar kein Verbrechen zur Last gelegt. Andere wurden an Stelle von Verwandten oder Freunden festgenommen. Etwa 90 Häftlinge sind nur deswegen im Gefängnis, weil sie anscheinend geistige Behinderungen haben. Die Menschen im Südsudan haben jahrzehntelang Kriegstraumata erlebt, aber das Land hat keine psychosozialen Einrichtungen. Personen mit psychischen Beeinträchtigungen werden kurzerhand in Gefängnisse gesteckt, weil sie nirgends die notwendige Behandlung erhalten.
„Viele südsudanesische Häftlinge sind rechtswidrigen Verhaftungen und Verfahren zum Opfer gefallen. Sie werden ohne jede Rechtsgrundlage festgehalten. Manche werden für Taten verurteilt, die schlicht und ergreifend nicht kriminalisiert werden dürfen, weil das in ihre Grundrechte und -freiheiten eingreift“, so Bekele. „Solche Verhaftungen sind nach dem Völkerrecht willkürlich - also illegal - und verletzen oft auch die Verfassung und Gesetze des Südsudan selbst.“
Katastrophale Zustände in den Gefängnissen verschlimmern die Lage derjenigen, die ungerechtfertigt in Haft sind. Die Infrastruktur in den Gefängnissen ist rudimentär, in manchen Fällen sogar völlig zerstört oder in Auflösung begriffen. Die Zellen sind unhygienisch, stark überfüllt und nicht ausreichend belüftet.
Die Gefangenen bekommen nicht genug zu essen, in manchen Gefängnissen auch nicht genug Wasser. Sie erkranken leicht, werden dann aber selten angemessen behandelt, wenn sie die Medikamente nicht selbst bezahlen können. Zehn Insassen des Gefängnisses in Aweil und mindestens fünf des Gefängnisses in Bentiu starben allein im vergangenen Jahr an behandelbaren Krankheiten.
Auch berichten Insassen, dass Gefängniswärter sie oft mit Stöcken oder Peitschen schlagen, um sie für Regelverstöße zu bestrafen. Manche werden dauerhaft mit schweren Ketten gefesselt. Dies verletzt nationale und internationale Standards für die Anwendung von Zwangsmitteln und stellt verbotene grausame, unmenschliche und erniedrigende Strafen dar.
In allen von Human Rights Watch besuchten Gefängnissen werden Kinder gemeinsam mit Erwachsenen festgehalten. Ihnen werden weder Rehabilitierungsprogramme noch ausreichende Bildungsmöglichkeiten angeboten, obwohl der südsudanesischen Child Act beides vorsieht.
Internationale Geber haben sich darauf konzentriert, Gefängnisse zu bauen. Sie müssen sich auch dafür einsetzen, die Haftbedingungen zu verbessern, und gewährleisten, dass die Einrichtungen Minimalstandards einhalten. Weiterhin ist ihre Unterstützung erforderlich, um Lebensmittel-Notrationen und Medikamente in ausreichender Menge anzuschaffen. Dieser Bedarf ist umso größer, seit die Regierung im Februar die Ölproduktion und den -export gestoppt und die Budgets aller Regierungsinstitutionen gekürzt hat.
Das Justiz- und das Innenministerium sowie die Judikative sollen unverzüglich die Akten aller Häftlinge überprüfen - und dabei von internationalen Organisationen und Gebern unterstützt werden. Sie müssen unrechtmäßig inhaftierte Personen identifizieren und alle entlassen, deren andauernde Haft nicht gerechtfertigt ist. Einzelfallprüfungen und eine bessere Zusammenarbeit innerhalb des Justizsektors können dazu beitragen, willkürliche Haft zu verhindern. Das würde auch die Anzahl der Gefangenen verringern und erfordert keine substantiellen Ausgaben.
Zusätzlich soll der Südsudan gewährleisten, dass sich Polizisten, Staatsanwälte und Richter ausreichend über Verfahrensgarantien und Standards für faire Verfahren weiterbilden. Die bestehenden Ausbildungsprogramme sind zu oberflächlich und sprechen einige der genannten Probleme nicht an. Die Regierung muss darüber hinaus ein funktionierendes Rechtshilfesystem einrichten. Auch dabei ist die Unterstützung von Gebern erforderlich.
Nur weitreichende Justiz- und Gesetzesreformen können die Haftzeit vor dem eigentlichen Verfahren begrenzen, die strafrechtlichen Kompetenzen von traditionellen Gerichten definieren und Haftstrafen für Ehebruch und Zahlungsverzug bei Schulden abschaffen. Auch die Haft von Menschen, die Anzeichen geistiger Behinderungen zeigen, muss unverzüglich beendet werden. Es ist dringend notwendig, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen Zugang zu Behandlung erhalten.
„Menschen, die Verbrechen begehen, müssen rechtskräftig verurteilt werden“, sagt Bekele. „Aber Freiheitsentzug ist eine der härtesten Sanktionen, die eine Regierung über eine Person verhängen kann. Sie soll nur nach einem rechtsstaatlichen, fairen Verfahren angewandt werden, das dem südsudanesischen Recht und internationalen Menschenrechtsverpflichtungen entspricht.“