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(Johannesburg, 6. Juni 2011) – In Darfur haben in den vergangenen sechs Monaten schwere Menschenrechtsverletzungen zugenommen, während sich die Weltöffentlichkeit auf die bevorstehende Unabhängigkeit des Süd-Sudan konzentriert hat, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, der am 8. Juni über die Lage in Darfur informiert wird, und die Afrikanische Union sollen gewährleisten, dass die Verantwortlichen für die anhaltenden Kriegsverbrechen in Darfur zur Rechenschaft gezogen werden. Sie sollen darauf drängen, dass die sudanesische Regierung die Angriffe auf die Zivilbevölkerung einstellt, willkürliche Verhaftungen von Aktivisten beendet und den Sicherheitsapparat reformiert.

Der 28-seitige Bericht „Darfur in the Shadows: The Sudanese Government’s Ongoing Attacks on Civilians and Human Rights“ dokumentiert, dass sich der seit acht Jahren andauernde Konflikt in den vergangenen sechs Monaten intensiviert hat. Seit Dezember 2010 greifen Regierungstruppen immer häufiger bewohnte Gebiete an. Auch durch Luftangriffe wurden unzählige Zivilisten getötet und verletzt, Gebäude zerstört und mehr als 70.000 Menschen vertrieben, insbesondere Angehörige der ethnischen Gruppen Zaghawa und Fur, die mit den Rebellengruppen in Verbindung gebracht werden.

„Darfur hat eine Zeit lang alle Schlagzeilen dominiert und scheint nun in Vergessenheit zu geraten“, so Daniel Bekele, Leiter der Afrika-Abteilung von Human Rights Watch. „Einen Monat vor der Teilung des Sudan ist es wichtiger als je zuvor, dass internationaler Druck auf die Regierung ausgeübt wird. Misshandlungen und Straflosigkeit für Kriegsverbrechen in Darfur müssen beendet werden.“

Am 8. Juni berichtet der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) den UN-Sicherheitsrat über internationale Verbrechen in Darfur. Das ist eine wichtige Gelegenheit für alle Regierungen, von Sudan die Zusammenarbeit mit dem IStGH einzufordern und den Druck auf Khartum zu erhöhen. Niemand im Sudan, der vom IStGH wegen Verbrechen in Darfur angeklagt wurde, ist bislang zur Verantwortung gezogen worden, auch nicht Präsident Omar al-Bashir.

Der Bericht beruht auf Untersuchungen, die zwischen Januar und Mai 2011 in Khartum, Nord- und Süd-Sudan durchgeführt wurden. Human Rights Watch befragte mehr als 50 Zeugen und Betroffene von Angriffen und Menschenrechtsverletzungen, Regierungsvertreter, Anwälte und Mitglieder der Zivilgesellschaft in Städten, Dörfern und Flüchtlingslagern.

Die erneuten Kämpfe in Darfur begannen am 10. Dezember 2010 mit Regierungsangriffen auf Khor Abeche in Süd-Darfur und Shangil Tobayi in Nord-Darfur. Zuvor hatten sich die Beziehungen zwischen der Regierung und Minni Minawi verschlechtert, dem einzigen bedeutenden Rebellenführer der Sudanesischen Befreiungsarmee (SLA), der 2006 das Friedensabkommen für Darfur unterzeichnet hat.

Regierungstruppen verletzen bei Militäroperationen gegen Rebellen weiterhin straflos Kriegsrecht. Es kam in Nord- und Süd-Darfur sowie in Jebel Marra im Osten Darfurs zu Angriffen auf Zivilisten. Seit dem Frühjahr 2010 sind Zehntausende Zivilisten vor den Kämpfen in Jebel Marra in die Berge geflohen. Allein Mitte Mai haben Luftangriffe der Regierung in Nord- und Süd-Darfur nachweislich mehr als 20 Zivilisten getötet.

„Die erneuten Kämpfe werden von systematischen Misshandlungen, häufig auf Grund der ethnischen Zugehörigkeit, begleitet“, so Bekele. „Die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen werden anscheinend dadurch begünstigt, dass die Regierung die Täter weiterhin nicht zur Verantwortung zieht.“

Human Rights Watch dokumentierte unter anderem, dass etwa 20 Soldaten während eines Regierungsangriffs auf Shangil Tobayi am 21. Dezember 2010 das Haus eines Gemeindeführers umstellt und gestürmt haben. Sie drohten, „alle [männlichen Zaghwa] zu töten und ihre Frauen zu vergewaltigen“. Die Soldaten stahlen die landwirtschaftlichen Geräte des Gemeindeführers und entführten seinen 22-jährigen Cousin, den sie beschuldigten, ein Mitglied der SLA zu sein.

Menschenrechtsverletzungen gegen Vertreter der Zivilgesellschaft haben ebenfalls zugenommen. Am 6. Mai haben Staatssicherheitskräfte Hawa Abdallah verhaftet, eine Aktivistin im Flüchtlingslager Abu Shouk in El Fasher und Mitarbeiterin der Friedenstruppen der Afrikanischen Union und der Vereinten Nationen in Darfur (UNAMID). Am 8. Mai veröffentlichte der staatliche Pressedienst einen Artikel, in dem ihr vorgeworfen wurde, Kinder in Flüchtlingslagern zu „christianisieren“ und mit einer Rebellengruppe in Verbindung zu stehen – ein Verbrechen, auf das nach sudanesischem Recht die Todesstrafe steht. Auf einem nebenstehenden Photo zeigte Abdallah, die eine Bibel in den Händen hält, deutliche Zeichen von Erschöpfung. Auch scheint sie blaue Flecken im Gesicht zu haben.

Dutzende andere Aktivisten und Vertriebene sind in Khartum inhaftiert, viele von ihnen ohne Anklage und weit länger, als nach sudanesischem Recht erlaubt ist. Seit dem 24. April hält der staatliche Geheim- und Sicherheitsdienst einen weiteren sudanesischen Mitarbeiter der Friedenstruppen fest, der ein bekannter Aktivist ist. Auch zwei Männer aus Abu Shouk, die im Vorfeld des Besuchs von Vertretern des UN-Sicherheitsrats im Oktober verhaftet worden waren, befinden sich in El Fasher in Haft. Vier Führer einer Flüchtlingsgruppe werden seit fast zwei Jahren auf der Grundlage von Notstandsgesetzen festgehalten.

In einigen Fällen haben die Sicherheitskräfte der Regierung Bewohner von Flüchtlingslagern überfallen, friedliche Studentendemonstrationen niedergeschlagen und sexuelle Gewalt verübt. Allerdings sind die tatsächlichen Dimensionen menschlichen Leids und das exakte Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen weiterhin unbekannt, weil die Regierung sowohl Angehörigen der Friedenstruppen als auch humanitären Hilfsorganisationen den Zugang zu weiten Teilen Darfurs verwehrt.

Die sudanesische Regierung strebt in Darfur offenbar einen fragwürdigen „nationalen politischen Prozess“ an, in dem Mitglieder der Zivilgesellschaft an Gesprächen zur Lösung des Konflikts beteiligt werden sollen. Die Auswirkungen dieser Dialoge auf Friedensgespräche mit Rebellengruppen und auf die neue Verfassung des Nord-Sudan nach der Trennung vom Süden sind unklar. Darüber hinaus hat die Regierung angekündigt, zwei Bundesstaaten in West- und Süd-Darfur zu schaffen und im Juli ein Referendum über den verwaltungsrechtlichen Status von Darfur abzuhalten. Sowohl Rebellenführer als auch Beobachter befürchten, dass dadurch die Friedensgespräche erschwert werden.

Am 9. Juli wird sich der Süd-Sudan formell von der Regierung in Khartum trennen. Die Sezession ist das Ergebnis eines Referendums über die Unabhängigkeit des Südens im Januar. Es erfolgte auf der Grundlage des Friedensabkommens aus dem Jahr 2005, das den 22-jährigen Krieg im Sudan beendete.

Sowohl die Afrikanische Union als auch die Vereinten Nationen haben ihre Unterstützung für den neuen, nationalen politischen Prozess in Darfur unter der Voraussetzung zugesagt, dass „Rahmenbedingungen“ geschaffen werden, unter denen die Rechte und Freiheiten aller Beteiligten gewährleistet werden. Messbare Indikatoren, die eine veränderte Situation in Darfur anzeigen können, wurden noch nicht entwickelt.

„Die Afrikanische Union und die Vereinten Nationen spielen eine wesentliche Rolle in Darfur. Sie müssen sicherstellen, dass die gemeinsam aufgestellte Friedenstruppe die Menschenrechtslage tatsächlich überwachen kann“, so Bekele. „Jedwede Unterstützung für den Sudan muss die Menschenrechte fördern und schützen, statt sie zu unterminieren.“

Im März sagte die sudanesische Regierung zu, den Notstand zu beenden, der sie ermächtigt, Menschen ohne gerichtliche Überprüfung zu inhaftieren. Damit reagierte sie offensichtlich auf Reformforderungen im Vorfeld des politischen Prozesses in Darfur. Allerdings sind die Notstandsgesetze immer noch in Kraft.

Menschenrechtsorganisationen haben den Sudan wiederholt aufgefordert, den staatlichen Geheim- und Sicherheitsdienst zu reformieren. Dieser ist berechtigt, Menschen für lange Zeit ohne gerichtliche Überprüfung festzuhalten, und für die Misshandlung und Folter von Gefangenen bekannt.

Der UN-Sicherheitsrat hat die Situation in Darfur im Jahr 2005 an den IStGH verwiesen. Seitdem hat der Gerichtshof gegen drei Verdächtige internationale Haftbefehle wegen Genozid, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erlassen. Neben Präsident al-Bashir handelt es sich um Ahmed Haroun, den Governeur des Bundesstaates Südkordofan, und Ali Kosheib, einen Führer der Dschandschawid-Miliz. Die sudanesische Regierung behindert die Arbeit des IStGH und nimmt Verdächtige nicht fest. In Folge dessen hat der Gerichtshof im Jahr 2010 formell festgestellt, dass sie in den Fällen Haroun und Kosheib nicht kooperiert.

Darüber hinaus hat der Sudan keine der Empfehlungen umgesetzt, die der Darfur-Ausschuss der Afrikanischen Union im Oktober 2009 ausgesprochen hat. Er unterstrich, dass die schwerwiegendsten in Darfur begangenen Verbrechen strafrechtlich verfolgt werden müssen.

„Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat die Situation in Darfur vor den IStGH gebracht“, so Bekele. „Jetzt muss er sein Versprechen gegenüber Tausenden Opfern einhalten und die sudanesische Regierung zur Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof drängen.“

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