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Burma: Unterdrückung hemmt Zivilgesellschaft und Aufbauhilfe nach Wirbelsturm Nargis

Immer weniger Freiraum für humanitäre Hilfe in ganz Burma im Vorfeld der Wahlen

(Bangkok, 29. April 2010) – Die burmesische Regierung missachtet weiterhin grundlegende Freiheitsrechte und unterwirft Hilfsorganisationen unzulässigen Einschränkungen trotz bedeutender Fortschritte beim Wiederaufbau von Gebieten, die durch den Wirbelsturm Nargis vor zwei Jahren zerstört worden sind, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht.

Human Rights Watch fordert, den internationalen Druck auf die burmesische Regierung wieder zu verstärken, um die Freilassung inhaftierter Mitarbeiter von Hilfsorganisationen und anderer politischer Häftlinge zu erreichen und dafür zu sorgen, das humanitäre Hilfe das gesamte Land erreicht.

„Zwei Jahre nach der furchtbaren Naturkatastrophe leiden die Helfer vor Ort an den anhaltenden Repressalien der Militärregierung“, so Elaine Pearson, stellvertretende Leiterin der Asien-Abteilung von Human Rights Watch. „Der intensive internationale Druck hat die Militärs zwar veranlasst, ausländische Hilfsorganisationen ins Land zu lassen – Kritik von innen dulden Burmas Generäle jedoch nach wie vor nicht. Viele Menschen sitzen weiterhin im Gefängnis, weil sie ihre Stimme für notleidende Mitbürger erhoben haben.“

Der 102-seitige Bericht „‘I Want to Help My Own People’: State Control and Civil Society in Burma after Cyclone Nargis“ basiert auf 135 Interviews mit Überlebenden des Wirbelsturms, Mitarbeitern von Hilfsorganisationen und anderen Augenzeugen. Er dokumentiert die Reaktion der burmesischen Militärregierung auf den Zyklon Nargis und die Folgen für die Menschenrechtslage und die Entwicklung in Burma heute. So wollte die Regierung in den ersten drei Wochen nach dem Wirbelsturm, der die burmesische Küste am 2. Mai 2008 im Irrawaddy-Delta erreichte, humanitäre Hilfe unterbinden. Auch hat die sich immer mehr behauptende burmesische Zivilgesellschaft in einer konzertierten Gegenreaktion versucht, die Regierung zu bewegen, die Einschränkungen für humanitäre Hilfsleistungen aufzuheben. Der Bericht schildert anhaltende Verletzungen der Redefreiheit, der Vereinigungsfreiheit und der Freizügigkeit von burmesischen Katastrophenhelfern und Hilfsorganisationen durch den regierenden Staatsrat für Frieden und Entwicklung (SPDC).

Der Zyklon Nargis forderte mehr als 140.000 Todesopfer und hatte verheerende Folgen für weitere 2,4 Millionen Bewohner des Irrawaddy-Deltas und der ehemaligen Hauptstadt Rangun. Unmittelbar nach der Katastrophe verzögerte und behinderte die Militärregierung internationale Hilfsbemühungen. Im Zuge des „Referendums“ über einen neuen Verfassungsentwurf am 10. und 24. Mai 2008 verschärfte die Führung ihr repressives Vorgehen noch weiter.

Erst ein diplomatisches Abkommen zwischen dem SPDC, den Vereinten Nationen und dem Verband Südostasiatischer Nationen (ASEAN) konnte die Blockade der internationalen Katastrophenhilfe beenden. Die Vereinbarung ermöglichte einen beispiellose Steigerung von humanitärer Hilfe in die Katastrophengebiete sowie die Einreise von ausländischen Helfern, deren Zugang für die Nothilfe erleichtert wurde.

Human Rights Watch begrüßte diese Öffnung Burmas zwar, wies jedoch auch auf anhaltende Schwierigkeiten beim Wiederaufbau im Irrawaddy-Delta hin. Zu den Problemen, die besonders Bauern- und Fischerdörfer betreffen, gehören der begrenzte Zugang zu sanitären Einrichtungen, medizinischer Versorgung und Wohnraum, die mangelnde Verfügbarkeit von Wasser und das Fehlen von Einkommensquellen. Der SPDC unterstützt Aufbaubemühungen, welche der Bevölkerung zugute kommen, nur unzureichend. Obwohl der Staatsrat über bedeutende Mittel aus den lukrativen Erdgasexporten verfügt, trägt er nur mit geringen Summen zu den Hilfsmaßnahmen bei.

Hilfsorganisationen erklärten gegenüber Human Rights Watch, die Hoffnung auf eine erhebliche Ausweitung der internationalen Hilfe für ganz Burma nach dem Zyklon Nargis habe sich nicht erfüllt und es gebe im Vorfeld der voraussichtlich Ende des Jahres stattfindenden Wahlen immer weniger Freiraum für humanitäre Hilfe in ganz Burma. Anhaltende Einschränkungen der humanitären Hilfe sowie repressive, gegen Oppositionsparteien gerichtete Wahlbestimmungen unterstreichen die Haltung der Militärregierung, die bei der inneren Sicherheit die Aufrechterhaltung von Kontrolle über das Wohl ihrer Bürger stellt.

„Die humanitären Bedürfnisse der burmesischen Bevölkerung nach Nahrungsmitteln, Trinkwasser und grundlegender medizinischer Versorgung sind gewaltig, denn die Militärregierung betriebt seit langem Misswirtschaft und erlaubt Hilfsleistungen nur unter strengen Bedingungen“, so Pearson. „Erfreulicherweise haben burmesische Hilfsorganisationen nach dem Tropensturm ihre Fähigkeiten ausgebaut und geholfen, diese Lücke zu schließen. Umso bedauerlicher ist es, dass die Fortschritte in den Katastrophengebieten dem Rest des Landes kaum zugute kommen. Dort leben Millionen Menschen aufgrund der systematischen Korruption und Repression unnötigerweise in Armut.“

Der Bericht schildert, wie der SPDC in den ersten Wochen nach Nargis trotz der Naturkatastrophe ein Referendum über einen neuen Verfassungsentwurf vorangetrieben und dessen Ergebnis manipuliert hat, wodurch es für gewöhnliche Burmesen noch schwieriger wurde, Überlebenden zu helfen. Angesichts der Gleichgültigkeit der Regierung gegenüber der Not der Bevölkerung sammelten Organisationen und Privatpersonen aus der burmesischen Zivilgesellschaft Spenden und Hilfsgüter und reisten in die am schwersten betroffenen Gebiete im Irrawaddy-Delta, um den Überlebenden in den zerstörten Dörfern zu helfen.

In den darauffolgenden Monaten ließ der SPDC unzählige burmesische Aktivisten und Journalisten inhaftierten, die das schlechte Krisenmanagement der Regierung nach Nargis kritisiert hatten. Mehr als 20 Menschen, die sich in der Katastrophenhilfe engagiert hatten, befinden sich weiter in Haft, unter ihnen auch der bekannte burmesische Kabarettist, Zargana, der zu 35 Jahren Haft verurteilt wurde. Human Rights Watch setzt deshalb die Kampagne „2100 bis 2010: Freiheit für Burmas politische Gefangene“ fort und fordert die unverzügliche Freilassung der politischen Häftlinge.

„Die Reaktion der burmesischen Zivilgesellschaft auf den Tropensturm war beeindruckend. Umso beschämender ist es, dass Helfer, die sich politisch geäußert haben, nun mit überzogenen Strafen im Gefängnis sitzen“, so Pearson. „Im Vorfeld der Wahlen in diesem Jahr soll die internationale Staatengemeinschaft mit einer Stimme die Freilassung von Zargana, den anderen inhaftierten Helfern und den über 2.100 politischen Gefangenen fordern.“

Aussagen von Überlebenden des Zyklons und von ausländischen Helfern, die im Rahmen des Berichts befragt wurden:


„Nargis war das schlimmste Erlebnis meines Lebens. Das letzte, woran ich mich erinnere, sind die Blitze und der heftige Wind und dann die riesige Welle, die über mich und meine Tochter hereinbrach, als wir zum Kloster rannten. Dann wurden wir getrennt. Ich wurde von der Welle weggespült und verlor das Bewusstsein. Als ich wieder zu mir kam, hatte ich keine Kleider mehr am Körper, und ich war zu schwach, um zu laufen. Neben mir lag eine Leiche. Ich glaube, ich lag zwei Tage lang so da. Ich versuchte mit aller Kraft, meine Tochter zu finden. Später kam ein Boot und rettete mich. Es gab keine Warnung vor dem Sturm.“

- May Khin, eine 45-jährige Überlebende des Zyklons Nargis aus der Gemeinde Laputta


„Nachdem Nargis die Küste getroffen hatte, gab es selbst in Rangun keine sichtbare Behördenstruktur mehr, so verheerend war die Zerstörung. Es war offensichtlich, dass die Regierungsvertreter den Menschen nicht helfen konnten, also beschlossen sie, sich herauszuhalten. Dies beunruhigte die Menschen – plötzlich sahen wir keine Soldaten und Beamten mehr auf den Straßen. Die Menschen waren völlig sich selbst überlassen – in einer solchen Lage hatten wir uns nie zuvor befunden.“

- „Myo Nyunt“, eine burmesische Helferin, die Human Rights Watch im März 2010 in Rangun befragte


„Ich möchte meinen Mitbürgern helfen. Deshalb nehmen wir jede Spende, die wir bekommen können. Aber der Regierung gefällt unsere Arbeit nicht. Sie hat kein Interesse daran, den Menschen zu helfen. Sie versucht, der Welt und dem Rest des Landes zu vermitteln, sie habe alles unter Kontrolle und die Bevölkerung sei bereits versorgt.“

- Der Kabarettist und freiwillige Katastrophenhelfer Zargana am 4. Juni, nur wenige Tage vor seiner Verhaftung, im Gespräch mit burmesischen Journalisten, die im Exil leben


„Ich habe keine Ahnung, was in der Verfassung steht. Aber wir sind wählen gegangen nach Nargis. Man sagte uns, wir sollten einfach mit ‚Ja‘ stimmen. Ich weiß nicht, was das Ergebnis war. Damals kämpften die Menschen ums Überleben. Wir taten einfach, was man uns sagte.“

- „Ma Mei Mei“, eine junge Frau aus der Gemeinde Dedaye über das Verfassungs-Referendum drei Wochen nach dem Wirbelsturm Nargis


„Die Erfahrungen im [Irrawaddy-]Delta haben nichts daran geändert, dass wir keinen Zugang zum Rest des Landes haben. Doch die Lehren aus Nargis haben die Beziehungen zwischen einigen Hilfsorganisationen und gewissen Personen in der Regierung verbessert und Vertrauen geschaffen. Wir sind uns jedoch nicht sicher, wie weit dieses Vertrauen in die oberen Ebenen der Regierung reicht. Die Annäherung hat uns auch keinen verbesserten Zugang zu anderen Teilen Burmas gebracht.“

- Leiter einer führenden internationalen Hilfsorganisation im Gespräch mit Human Rights Watch in Rangun, März 2010

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