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Armenien: Gewalt von 2008 nur einseitig untersucht

Human Rights Watch fordert unabhängige Untersuchung der Gewalt gegen Demonstranten

(New York, 25. Februar 2009) – Ein Jahr nach den blutigen Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Polizisten, die mindestens 10 Todesopfer forderten, hat Armenien die Polizei noch immer nicht für ihren übermäßigen Gewalteinsatz zur Rechenschaft gezogen, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht.

Der 64-seitige Bericht „Democracy on Rocky Ground: Armenia’s Disputed 2008 Presidential Election, Post-Election Violence, and the One-Sided Pursuit of Accountability“ untersucht die Zusammenstöße zwischen Demonstranten und der Polizei in der armenischen Hauptstadt Eriwan, zu denen es am 1. März 2008 infolge der umstrittenen Präsidentschaftswahlen im Februar 2008 kam. Der Bericht dokumentiert die Misshandlung von Personen, die während der Auseinandersetzungen festgenommen wurden, und untersucht, warum umfassende Untersuchungen bzw. strafrechtliche Maßnahmen wegen des übertrieben harten Vorgehens der Polizei am 1. März ausblieben. Er stützt sich auf mehr als 80 Interviews, die im Rahmen von drei Ermittlungsmissionen in Armenien in den Jahren 2008 und 2009 durchgeführt wurden.

„Es muss aufgedeckt werden, was vor einem Jahr in Eriwan wirklich geschah“, so Giorgi Gogia, Researcher bei Human Rights Watch und Autor des Berichts. „Eines steht fest: Die Sicherheitskräfte sind am 1. März wiederholt mit übertriebener Härte gegen Demonstranten vorgegangen.“

Am 1. März 2008 stieß die Polizei in der Innenstadt von Eriwan mit Demonstranten zusammen, die gegen den umstrittenen Ausgang der Präsidentschaftswahlen protestierten. Bei mehreren Vorfällen an verschiedenen Orten in der Innenstadt gingen die Polizisten ohne Vorwarnung auf Demonstranten los, auch wenn diese keinen Widerstand leisteten, verhandelten mit ihnen, zogen sich zurück und gingen wieder in die Offensive. Schließlich kam es zur gewaltsamen Konfrontation mit einer kleinen Anzahl von Demonstranten. Die Gewalt forderte zehn Todesopfer – darunter acht Demonstranten und zwei Polizisten – sowie zahlreiche Verletzte.

In Verbindung mit den Protesten und Auseinandersetzungen ermittelten die armenischen Behörden zwar gegen Dutzende Oppositionelle; viele von ihnen wurden in teils mangelhaften und politisch motivierten Verfahren angeklagt und verurteilt. In keinem einzigen Fall wurde jedoch ein Vertreter der Sicherheitsbehörden wegen übermäßiger Gewaltanwendung zur Verantwortung gezogen.

Aus den Präsidentschaftswahlen am 19. Februar 2008 ging Premierminister Serj Sargsyan als Sieger über den Oppositionskandidaten Levon Ter-Petrossian hervor. Unmittelbar nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses begann eine Gruppe von Demonstranten, die Sargsyans Sieg für Wahlbetrug hielt, eine ständige Protestaktion mit täglichen Kundgebungen auf dem Platz der Freiheit in Eriwan. Einige Teilnehmer übernachteten in Zelten auf dem Platz.

Die Ermittlungen von Human Rights Watch ergaben, dass die Polizei bei einer Razzia in dem Zeltlager am Morgen des 1. März, die sie mit der Suche nach Waffen rechtfertigte, mit unnötiger Härte vorging. Diese Polizeiaktion provozierte eine weitaus größere Kundgebung vor der französischen Botschaft in der Innenstadt von Eriwan. Bis zum Abend hatte die Gewalt auf den Straßen der Hauptstadt so weit um sich gegriffen, dass der scheidende Präsident Robert Kocharyan einen 20-tägigen Ausnahmezustand verhängte. Während dieser Zeit blieben öffentliche Versammlungen und Streiks verboten und die Pressefreiheit unterlag erheblichen Einschränkungen.

„Die Behörden haben einseitig auf die Ereignisse des 1. März reagiert“, so Gogia. „Dass die Polizei teilweise selbst angegriffen wurde, entschuldigt in keiner Weise ihr übertriebenes gewaltsames Vorgehen in einigen Fällen.“

Der Bericht belegt auch die Misshandlung von Festgenommenen und andere Verletzungen von Verfahrensrechten in Folge des 1. März. Im Gespräch mit Human Rights Watch berichteten Betroffene, sie seien während der Haft geschlagen worden oder in Polizeigewahrsam beleidigt, bedroht und angegriffen worden. Vielen Inhaftierten wurde verboten, ihre Angehörigen über ihren Verbleib zu informieren, und man verweigerte ihnen den Zugang zu einem Rechtsanwalt ihrer Wahl.

Human Rights Watch appellierte an die armenische Regierung, eine Untersuchung der Polizeiübergriffe bei den Zusammenstößen vom 1. März einzuleiten, und betonte, dass jede Aktion der Polizei an jenem Tag einzeln bewertet werden soll. Wenn es Belege dafür gibt, dass die angewendete Härte ein im Rahmen normaler Polizeiarbeit vertretbares Maß überschritten hat, sollen alle Verantwortlichen, einschließlich der Befehlsgeber, strafrechtlich verfolgt werden. Human Rights Watch forderte außerdem eine Untersuchung aller Vorwürfe von Misshandlungen inhaftierter Demonstranten im Zusammenhang mit den Vorfällen des 1. März, damit die Verantwortlichen gefunden und angeklagt werden können.

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