(London, 15. Juli 2004) – Gastarbeiter in Saudi Arabien – die ein Drittel der Gesamtbevölkerung des Königreichs ausmachen – müssen, wenn sie eines Verbrechens bezichtigt werden, mit Folter, Geständniserzwingung und unfairen Gerichtsverhandlungen rechnen. Dies gab Human Rights Watch heute in einem Bericht bekannt, der einen seltenen Blick in das saudische Justizsystem ermöglicht.
Der 135-seitige Bericht: „Bad Dreams: Exploitation and Abuse of Migrant Workers in Saudi Arabia”, liefert einen umfassenden Einblick in die weitverbreiteten Missstände, denen Gastarbeiter in Saudi Arabien ausgesetzt sind, und das völlige Unvermögen der Justiz Abhilfe zu schaffen.
Human Rights Watch dokumentiert, dass Ausländern, die in Saudi Arabien in Haft geraten, Besuche ihrer Konsulate verweigert werden und dass die Betroffenen oft Geständnisse in Arabisch unterzeichnen müssen, obwohl sie diese nicht lesen können. Auch sind Fälle von Enthauptungen von Ausländern belegt, bei denen sowohl die Botschaft als auch die Familie des Hingerichteten erst nach der Exekution davon erfuhren.
„Die Probleme Saudi Arabiens liegen noch viel tiefer als die Terroranschläge, die unschuldige Zivilisten treffen,“ sagte Sarah Leah Whitson, Direktorin der Mittlerer Osten- und Nordafrika-Abteilung von Human Rights Watch. „Die Tatsache, dass ausländische Arbeiter so behandelt werden können, zeigt, dass es im saudischen Strafrechtssystem fundamentale Lücken gibt.“
Letztes Jahr wurden Vertreter von Human Rights Watch zwar von der saudischen Regierung zu einem Besuch der Monarchie und zu Gesprächen mit Regierungsbeamten eingeladen. Auf die Anfragen hin, Untersuchungen vor Ort führen zu dürfen, bei denen die Menschenrechtsdelegation auch mit den Opfern des Missbrauchs gesprochen hätte, wurde jedoch nicht reagiert. Die Interviews für den Bericht wurden in Indien, Bangladesch und den Philippinen mit Arbeitern durchgeführt, die kurz zuvor aus Saudi Arabien zurück gekehrt waren.
Angesichts der extrem hohen Anzahl von Missbrauchsfällen von ausländischen Arbeitern durch ihre Arbeitgeber ist klar, so geht aus dem Bericht hervor, dass die saudische Regierung ihr eigenes Arbeitsrechts nicht unter Kontrolle hat.
„Wir fanden Männer und Frauen, die wie Sklaven gehalten werden“, so Whitson. „Mit jedem Fall bestätigt sich, dass die Saudis beim Thema Missbrauch von Gastarbeitern einfach Augen und Ohren verschließen.“
Human Rights Watch untersuchte auch das Problem der Frauendiskriminierung. Die Informationen stammen unmittelbar von asiatischen Frauen, die bis vor kurzem in Saudi Arabien gearbeitet haben. Der Bericht verdeutlicht, dass Frauen sehr oft rund um die Uhr unter strengem Arrest stehen – gegen ihren Willen und unter höchst bedenklichen Sicherheitsbedingungen.
In einem Fall arbeiteten ungefähr 300 Frauen aus Indien, Sri Lanka und den Philippinen in 12-Stunden-Schichten an sechs Tagen in der Woche als Reinigungskräfte in Krankenhäusern in Jiddah. An jedem Wochenende wurden sie in ihr völlig überfülltes Wohnheim zurückgebracht, wo sich jeweils 14 Frauen zusammen einen kleinen Raum mit Stockbetten teilten. Die Zimmertüren wurden von außen abgeschlossen, so dass die Frauen während der Dauer ihrer zwei- oder dreijährigen Arbeitsverträge keinerlei Bewegungsfreiheit hatten.
Human Rights Watch forderte, dass ein solcher erzwungener Arrest von Arbeitern, besonders von Frauen, in Saudi Arabien unter Strafe gestellt wird.
In dem Bericht wird auch das Schicksal von vier Frauen geschildert, die nicht nur im Arrest leben mussten, sondern auch das Opfer von sexuellem Missbrauch und Vergewaltigung wurden. In allen vier Fällen hatte dies für die Täter – von denen drei schon als mutmaßliche Vergewaltiger bekannt waren – keinerlei strafrechtliche Folgen, es wurde nicht einmal gegen sie ermittelt. Außerdem gibt der Bericht Informationen über Frauen her, die in Riad wegen „illegaler Schwangerschaft“ im Gefängnis saßen.
„Wegen der weitverbreiteten Frauendiskriminierung im saudischen Rechtssystem und der Untätigkeit der Gesetzeshüter gegenüber Beschwerden von Frauen, sind diese einer großen Gefahr ausgesetzt,“ so Whitson. „Dazu kommt ein Leben im ständigen Arrest, das die Gefahr von sexuellen Übergriffen auf Frauen noch vervielfacht.“
Im Mai wurde die Anzahl der im Land lebenden Ausländer vom saudischen Arbeitsminister, Ghazi al-Ghosaibi, mit 8.8 Millionen angegeben. Diese Zahl ist erheblich höher als von der Regierung zuvor veröffentlichte Zahlen. Bei einer einheimischen Bevölkerung von 17 Millionen heißt dies, dass fast ein Ausländer auf zwei saudische Staatsbürger kommt.
Die am zahlreichsten vertretenen Nationalitäten kommen mit je 1,5 Millionen Menschen aus Bangladesch, Indien und Pakistan. Weitere 900.000 kommen jeweils aus Ägypten, dem Sudan und den Philippinen. Außerdem gibt es 500.000 Arbeiter aus Indonesien, sowie 350.000 aus Sri Lanka, von denen die meisten Frauen sind.
Der Bericht enthält mehr als 25 konkrete Empfehlungen an verschiedene saudische Regierungsbeamte, unter anderem auch an den Kronprinzen Abdullah sowie an den Innen-, Justiz-, und Arbeitsminister.
Folgende Schritte werden unter anderem empfohlen:
- Alle Gastarbeiter müssen umgehend über die ihnen im Königreich Saudi Arabien und gemäß dem Völkerrecht zustehenden Rechte aufgeklärt werden.
- Die Verhängung von Todesstrafen gegen saudische Staatsbürger und Ausländer muss ausgesetzt werden, bis durch eine unabhängige Untersuchung feststeht, dass vor und während der Verhandlungen weder Folter benutzt noch Geständnisse erzwungen wurden. Human Rights Watch wendet sich unter allen Umständen gegen die Todesstrafe.
- Frauen dürfen nicht mehr inhaftiert werden, wenn sie freiwillig oder aufgrund von Vergewaltigung schwanger werden.
- Der erzwungene Arrest von Arbeitskräften muss umgehend abgeschafft werden. Arbeitgeber, die an der Praxis festhalten müssen bestraft werden und ihre Opfer einen angemessenen Schadensersatz erhalten.
- Das Innenministerium muss sein Handeln mit den Bestimmungen des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen in Einklang bringen. In diesem völkerrechtlichen Vertrag wird festgelegt, dass Konsulate über die Verhaftung eines ihrer Staatsangehörigen sofort zu benachrichtigen sind.