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Der Internationale Gerichtshof in Den Haag, Niederlande, 27. August 2018. © 2018 Mike Corder/AP Photo

Morgen ist ein wichtiger Tag für die israelische Regierung und die palästinensische Bevölkerung, aber auch für die Geschichte der internationalen Justiz. Das höchste Gericht der Welt wird mit der Anhörung zum Vorwurf des Völkermordes in Gaza beginnen.

Es ist wichtig zu wissen, worum es in diesem Fall geht - und worum nicht. Nur so kann man verstehen, wohin das Verfahren möglicherweise führt und welche Auswirkungen es in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren haben wird. Ich werde die Grundlagen Schritt für Schritt durchgehen.

Am 29. Dezember reichte die südafrikanische Regierung beim Internationalen Gerichtshof (IGH) eine Klage ein, in der sie Israel vorwirft, mit den Gräueltaten gegen die palästinensische Bevölkerung nach dem 7. Oktober gegen die Konvention zur Prävention und Bestrafung des Völkermordes von 1948 zu verstoßen. Die israelische Regierung hat angekündigt, dass sie sich vor dem IGH gegen diese Anschuldigungen verteidigen wird.

Der IGH ist ein unabhängiges Gericht mit Sitz in Den Haag, das für die Beilegung internationaler Rechtsstreitigkeiten zwischen Staaten zuständig ist. Es handelt sich dabei nicht um den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH), der ebenfalls in Den Haag ansässig ist und sich mit der individuellen Verantwortung für besonders schwerwiegende Verbrechen befassen kann. Der IGH befasst sich mit Fragen, die einen Staat gegen einen anderen Staat betreffen, und in diesem Fall geht es um die rechtliche Feststellung der staatlichen Verantwortung für Völkermord.

Die besagte Konvention, die oft nur "Völkermordkonvention" genannt wird, ist ein internationaler Vertrag, dem Israel, Südafrika und die meisten anderen Staaten zugestimmt haben. Sie definiert Völkermord als Handlungen, "die in der Absicht begangen werden, eine nationale, ethnische, oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu vernichten".

Südafrika wirft Israel vor, gegen die Völkermordkonvention verstoßen zu haben, indem es im Gazastreifen einen Völkermord an den Palästinenser*innen begangen und ihn nicht verhindert hat. Dazu gehört laut Südafrika auch, dass hochrangige israelische Beamte und weitere Beteiligte für ihre direkte und öffentliche Aufstachelung zum Völkermord nicht zur Rechenschaft gezogen werden.

In dem südafrikanischen Gesuch an den IGH heißt es, dass Israel Palästinenser*innen im Gazastreifen in großer Zahl tötet, ihnen schwere körperliche und seelische Schäden zufügt, Maßnahmen ergreift, um palästinensische Geburten zu verhindern, und Lebensbedingungen schafft, die auf die Zerstörung der Palästinenser*innen als Gruppe abzielen.

Südafrika führt Ausweisungen und Massenvertreibungen an, den Entzug des Zugangs zu ausreichender Nahrung und Wasser, medizinischer Versorgung, Unterkunft, Kleidung, hygienischen und sanitären Einrichtungen sowie die Zerstörung der palästinensischen Lebensgrundlagen in Gaza.

Südafrika behauptet außerdem, dass die "völkermörderischen Handlungen" in den "breiteren Kontext des Verhaltens Israels gegenüber den Palästinensern während seiner 75-jährigen Apartheid, seiner 56-jährigen kriegerischen Besatzung der palästinensischen Gebiete und seiner 16-jährigen Blockade des Gazastreifens" gestellt werden sollten.

Das sind natürlich riesige, komplexe Fragen, also erwarte keine schnelle Entscheidung. Dieser Fall - und die Entscheidung über Völkermord - könnte sich über Jahre hinziehen.

Südafrika hat das Gericht jedoch gebeten, "vorläufige Maßnahmen" anzuordnen, um die palästinensische Bevölkerung in Gaza vor weiterem Schaden zu bewahren und sicherzustellen, dass Israel die Völkermordkonvention einhält. Südafrika sagt, dass die Palästinenser*innen in Gaza "dringend und ernsthaft den Schutz des Gerichts benötigen".

Dieser unmittelbare Antrag auf vorläufige Maßnahmen wird Gegenstand der Anhörungen am 11. und 12. Januar sein.

Zu den von Südafrika beantragten vorläufigen Maßnahmen gehören die sofortige Aussetzung der israelischen Militäroperationen im Gazastreifen sowie Maßnahmen zur Verhinderung der Zerstörung und Sicherung von Beweismaterial im Zusammenhang mit dem IGH-Fall. Dazu gehört auch, dass Untersuchungsmissionen, internationale Mandate und andere Gremien Zugang zu Gaza erhalten.

Südafrika forderte das Gericht außerdem dazu auf, Israel anzuweisen, innerhalb einer Woche nach Erlass der einstweiligen Verfügung und dann in regelmäßigen Abständen bis zur endgültigen Entscheidung des Gerichts über die getroffenen Maßnahmen Rechenschaft abzulegen. In der morgigen mündlichen Verhandlung könnte Südafrika den IGH ausdrücklich auffordern, die Berichterstattung Israels zu veröffentlichen.

Die Entscheidung des IGH über diesen dringenden Antrag auf vorläufige Maßnahmen könnte relativ schnell fallen - vielleicht in einer Woche oder einem Monat.

Allerdings müssen Regierungen gar nicht so lange warten. Im Moment sind die Lebensbedingungen der Palästinenser*innen in Gaza aufgrund der Kriegsverbrechen der israelischen Regierung katastrophal. Staats- und Regierungschefs auf der ganzen Welt können und sollten sofort handeln.

Wie meine Kollegin und Expertin Balkees Jarrah fragt: "Wie viele Alarmglocken müssen noch läuten und wie viele Zivilist*innen müssen noch zu Unrecht leiden oder getötet werden, bevor Regierungen endlich einschreiten?"

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