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Pham Doan Trang mit zwei von ihr mitverfassten Büchern, 2019.  © Privat

(New York) - Die vietnamesischen Behörden sollten alle strafrechtlichen Anklagen gegen die prominente Menschenrechtsaktivistin und Bloggerin Pham Doan Trang fallen lassen und sie sofort freilassen, so Human Rights Watch heute. Am 14. Dezember 2021 soll ihr vor einem Gericht in Hanoi wegen „Propaganda gegen den Staat der Sozialistischen Republik Vietnam“ gemäß Artikel 88 des Strafgesetzbuches von 1999 der Prozess gemacht werden. Ihr drohen bis zu zwölf Jahre Gefängnis.

„Die erfolgreiche Autorin Pham Doan Trang sieht sich aufgrund ihres jahrzehntelangen Einsatzes für die Meinungsfreiheit, die Pressefreiheit und die Menschenrechte harten Repressalien seitens der Regierung ausgesetzt“, sagte Phil Robertson, stellvertretender Asien-Direktor bei Human Rights Watch. „Mit ihrer Verfolgung zeigen die vietnamesischen Behörden, wie sehr sie populäre kritische Stimmen fürchten.“

Die Polizei nahm Pham Doan Trang, 43, am 6. Oktober 2020 in Ho-Chi-Minh-Stadt fest, nur wenige Stunden nach dem jährlichen Menschenrechtsdialog zwischen den Vereinigten Staaten und Vietnam, und brachte sie nach Hanoi. Nachdem sie angeklagt worden war, wurde sie über ein Jahr lang in Untersuchungshaft gehalten, ohne Zugang zu einem Rechtsbeistand. Das Verfahren gegen sie und der menschenrechtsverletzende Umgang mit ihr verstoßen gegen den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, den Vietnam 1982 ratifiziert hat.

Pham Doan Trang beteiligt sich schon lange an friedlichen Protesten gegen die Regierungspolitik. Sie hat an Demonstrationen vor Polizeistationen und Flughäfen teilgenommen, als andere Aktivist*innen inhaftiert wurden, sie hat an Anti-China-Protesten teilgenommen und stand an der Spitze von Protestmärschen für den Umweltschutz. Sie zeigte sich solidarisch mit anderen Aktivist*innen, indem sie versuchte, Schauprozessen der Regierung beizuwohnen, und besuchte unter großem persönlichem Risiko regelmäßig Familien inhaftierter Regierungskritiker*innen, um ihnen Unterstützung und Hilfe zukommen zu lassen.

Die Sicherheitskräfte der Regierung verfolgten und belästigten sie häufig und griffen sie auch körperlich an. Im Jahr 2009 wurde sie von der Polizei aus Gründen der „nationalen Sicherheit“ neun Tage lang festgehalten. Danach wurde sie mehrfach von Sicherheitsbeamt*innen festgenommen, verhört und unter Hausarrest gestellt. Ziel war es hierbei, sie daran zu hindern, sich an Protesten zu beteiligen oder ausländische Diplomat*innen zu treffen.

Sie humpelt aufgrund einer Verletzung, die sie sich bei der gewaltsamen Auflösung eines Umweltprotests in Hanoi im April 2015 zugezogen hat. Im September 2015 ging sie zum Polizeipräsidium des Bezirks Hai Ba Trung in Hanoi, um gegen die willkürliche Inhaftierung einer anderen Aktivistin, Le Thu Ha, und weiteren zu protestieren. Dort schlugen Sicherheitsbeamt*innen auf Demonstrierende ein. Pham Doan Trang trug eine blutende Wunde am Mund davon.

Im Mai 2016 wurde sie von der Polizei festgenommen und daran gehindert, zu einem Treffen mit US-Präsident Barack Obama zu gehen. Obama hatte sie eingeladen, an einer Versammlung von Aktivist*innen während seines Besuchs in Hanoi teilzunehmen. Im November 2017 wurde sie nach einem Treffen mit einer Delegation der Europäischen Union, die sich auf den jährlichen bilateralen Menschenrechtsdialog zwischen der EU und Vietnam vorbereitete, festgenommen. Die Polizei nahm sie im Februar und Juni 2018 erneut fest und verhörte sie zu ihren Veröffentlichungen und Aktivitäten. Im August 2018 brachen Sicherheitsbeamte ein Konzert, das sie in Ho-Chi-Minh-Stadt besuchte, ab, zerrten sie aus der Menge und brachten sie auf eine Polizeistation, wo sie verhört und geschlagen wurde. Danach ließen sie sie am Straßenrand zurück, wo sechs Männer in Zivil sie erneut schlugen.

Im Januar 2020 veröffentlichten Pham Doan Trang und andere Aktivist*innen die erste Ausgabe des Dong-Tam-Berichts, der die gewaltsamen Auseinandersetzungen um Land in der Gemeinde Dong Tam untersucht. Im Juni 2020 verhafteten die Behörden drei Mitwirkende des Berichts, Can Thi Theu und ihre Söhne Trinh Ba Phuong und Trinh Ba Tu. Die Polizei klagte sie wegen staatsfeindlicher Propaganda gemäß Artikel 117 des Strafgesetzbuchs an. Im Mai 2021 verurteilte ein Gericht in der Provinz Hoa Binh Can Thi Theu und Trinh Ba Tu zu jeweils acht Jahren Haft, an die sich drei weitere Jahre auf Bewährung nach Verbüßung der Strafe anschließen sollen. Trinh Ba Phuong befindet sich seit Juni 2020 immer noch in Polizeigewahrsam. Ein Gericht in Hanoi soll am 3. November 2021 ihren Fall zusammen mit dem der Landrechtsaktivistin Nguyen Thi Tam verhandeln. Nguyen Thi Tam wurde im Juni 2020 unter demselben Vorwurf verhaftet. Pham Doan Trang veröffentlichte die dritte Ausgabe des Dong Tam Report am 25. September 2021.

In der Anklageschrift wirft die Staatsanwaltschaft von Hanoi Pham Doan Trang vor, zwischen November 2017 und Dezember 2018 gegen Artikel 88 des Strafgesetzbuchs von 1999 verstoßen zu haben. Ihr wird vorgeworfen, unrechtmäßig folgende Materialien in englischer Sprache aufbewahrt zu haben: 1) “Brief Report on the Marine Life Disaster in Vietnam”, 2) “General Assessments on the Human Rights Situation in Vietnam”, 3) “Report Assessment of the 2016 Law on Belief and Religion in Relation to the Exercise of the Right to Freedom of Religion and Belief in Vietnam”, und 4) die vietnamesische Version des Berichts über das “2016 Law on Belief and Religion”. In der Anklageschrift heißt es: „Diese Dokumente zielen darauf ab, einen psychologischen Krieg zu propagieren, falsche Informationen zu verbreiten, Verwirrung in der Bevölkerung zu stiften; es werden Informationen verbreitet, welche die Richtlinien und die Politik des Staates der Sozialistischen Republik Vietnam verfälschen und die Volksregierung verleumden.“ Die Behörden beschuldigten Pham Doan Trang auch, an einer Diskussionsrunde auf BBC Vietnamese teilgenommen und ein Interview für RFA Vietnamese gegeben zu haben.

„Es ist kein Verbrechen, über Umweltkatastrophen, Menschenrechtsverletzungen, die fehlende Religionsfreiheit und Gespräche mit internationalen Medien zu schreiben. Die Behörden aber haben beschlossen, dass es doch eins ist“, sagte Robertson. „Die Regierung sollte Pham Doan Trangs Untersuchungen über Fehlverhalten, Menschenrechtsverletzungen und Missstände begrüßen, anstatt sie für diese zu bestrafen.“

Pham Doan Trang war Redakteurin von „Tuan Vietnam“, einer Online-Wochenzeitung, die Teil von VietnamNet ist, einer der beliebtesten Nachrichten-Websites des Landes. Sie hat Artikel sowohl in Print- als auch in Online-Medien veröffentlicht. Sie ist Mitautorin der Autobiography of a Gay Man (Bong, Tu truyen cua mot nguoi dong tinh), einem 2008 erschienenen Bestseller über die Diskriminierung schwuler Männer in Vietnam und deren Forderungen nach Gleichberechtigung.

Sie hat einen Beitrag zu Vietnam and the Conflict on the Eastern Sea (Vietnam & Tranh chap Bien Dong) geleistet, das 2012 veröffentlicht wurde. Sie ist Autorin von zwei weiteren Büchern, die auf Samisdat-Weise veröffentlicht wurden: Anh Ba Sam, ein Buch über die Arbeit und die Inhaftierung des prominenten Bloggers Nguyen Huu Vinh, und From Facebook Down to the Street (Tu Facebook xuong duong), das Menschenrechtsaktivismus und Proteste in Vietnam von 2011 bis 2016 dokumentiert.

Pham Doan Trang ist eine freimütige Bloggerin zu Themen wie Lesben-, Schwulen-, Bisexuellen- und Transgender-Rechten, Frauenrechten, Umweltfragen, dem Territorialkonflikt zwischen Vietnam und China, Polizeigewalt, Unterdrückung von Aktivist*innen und Menschenrechten. Sie setzt sich für Wahlreformen und Menschenrechtserziehung ein. In ihren Artikeln und Blogs befasst sie sich häufig mit der Rolle der Medien im sozialen und politischen Leben.

Mit Hilfe anderer Blogger*innen hat sie eine kurze Geschichte der vietnamesischen „Blogosphäre“ geschrieben und in ihrem Blog veröffentlicht. Sie hat in Echtzeit über die willkürlichen und illegalen Verhaftungen von Aktivist*innen, Demonstrant*innen und Blogger*innen sowie über die erzwungene Schließung einer Online-Zeitung geschrieben. Sie fordert die Menschen immer wieder auf, die sozialen Medien verantwortungsvoll zu nutzen, um eine gewaltfreie, florierende zivilgesellschaftliche Bewegung zu fördern.

Pham Doan Trang hat sich auch stets für ein unparteiisches, die Menschenrechte respektierendes Justizsystem eingesetzt. Sie war Redakteurin eines Online-Rechtsmagazins, das zahlreiche Artikel und Übersetzungen über Anwält*innen und Menschenrechte, den Kampf gegen erzwungene Geständnisse, körperliche Strafen durch den Staat, häusliche Gewalt, Rechtsreformen in China, aufsehenerregende Todesurteile in Vietnam, den Schutz vor Selbstbezichtigung und viele andere Themen veröffentlicht hat.

Sie hat auch über internationale Themen geschrieben, z.B. über die Demokratiebewegung in Hongkong, für die sie für vietnamesische Leser*innen, die keine Fremdsprachen beherrschen, eine Zeitleiste der Ereignisse und der wichtigsten Themen erstellt hat, und über die Menschenrechtskrise auf der Krim. In beiden Fällen übersetzte sie auch englischsprachige Artikel über diese Themen ins Vietnamesische, die andere dann in Vietnam in Umlauf brachten.

Pham Doan Trang versucht mit ihrer Arbeit auch, die internationale Aufmerksamkeit auf die prekäre Menschenrechtslage in Vietnam zu lenken. Ihr Blog enthält englische Übersetzungen ihrer vietnamesischen Veröffentlichungen, darunter auch Aufrufe zur Freilassung von politischen Gefangenen. Weitere englischsprachige Inhalte sind "Report on Suppression of Bloggers Celebrating International HR Day in Vietnam,” "Refoulement When Vietnam Hands Uighur Immigrants Back to China?,” “The Laws of State Impunity,” “Media Censorship in Vietnam,” and “Chronology of Blogging Movement in Vietnam.” Außerdem ist sie Mitherausgeberin der englischsprachigen Website Vietnam Right Now, die „objektive, präzise und aktuelle Informationen über die aktuellen sozialen und politischen Bedingungen im heutigen Vietnam“ verbreiten will.

Im Februar 2019 war Pham Doan Trang Mitgründerin des Liberalen Verlags, der eine Reihe von Sachbüchern vietnamesischer Autor*innen zu Themen wie Politikwissenschaft, öffentliche Ordnung und andere soziale Fragen veröffentlicht, z.B. Politics of a Police State, Non-Violent Resistance, Politics for the Common People, Life Behind Iron Bars und A Handbook for Families of Prisoners. Die Regierung betrachtet diese Bücher als heikel und hat ihre Veröffentlichung de facto verboten. Pham Doan Trang verließ den Verlag im Juli 2020. Im Mai 2021 gab die Polizei bekannt, dass sie eine Person verhaftet hat, die angeblich vom Liberalen Verlag herausgegebene Bücher vertrieben haben soll.

„Die vietnamesische Regierung muss sich derzeit in keiner Weise für die jahrzehntelange Unterdrückung von Kritiker*innen wie Pham Doan Trang rechtfertigen“, sagte Robertson. „Die Geber und Handelspartner des Landes wie die USA, die EU, Australien und Japan müssen aufhören, die systematischen Verstöße Vietnams gegen die Menschenrechte unter den Teppich zu kehren.“

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