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Kuba: Friedliche Demonstrant*innen systematisch inhaftiert und misshandelt

Willkürliche Verhaftungen, Misshandlungen und unfaire Verfahren

Ein Mann wird während einer Demonstration gegen die kubanische Regierung in Havanna am 11. Juli 2021 verhaftet. © 2021 Adalberto Roque/AFP via Getty Images

(Washington, DC) - Die kubanische Regierung hat als Reaktion auf die größtenteils friedlichen Proteste gegen die Regierung im Juli 2021 Menschen systematisch verhaftet, misshandelt und menschenrechtsverletzende Strafverfolgungen gegen sie eingeleitet. Die Übergriffe durch verschiedene Sicherheitskräfte an unterschiedlichen Orten in Kuba folgten alle dem gleichen Muster. Dies deutet stark darauf hin, dass die kubanischen Behörden Demonstrationen systematisch unterdrücken bzw. unterbinden wollen.

Am 11. Juli gingen Tausende Menschen in ganz Kuba auf die Straße, um gegen die seit langem bestehenden Einschränkungen ihrer Rechte, den Mangel an Lebensmitteln und Medikamenten sowie die Reaktion der Regierung auf die Covid-19-Pandemie zu protestieren. Die kubanischen Behörden reagierten mit der Verhaftung von Hunderten von Demonstrierenden und Zuschauenden. Unter den Festgenommenen waren sowohl prominente Regierungskritiker*innen als auch einfache Bürger*innen. Die Beamt*innen setzten viele von ihnen routinemäßig brutalen Misshandlungen aus, einschließlich geschlechtsspezifischer Gewalt. Dutzende landeten vor Gericht. Die Prozesse verstießen dann gegen die grundlegenden Prinzipien eines ordnungsgemäßen Verfahrens. Mindestens ein Demonstrant kam ums Leben. Hunderte von ihnen sitzen nach wie vor im Gefängnis oder stehen unter Hausarrest, darunter auch einige Kinder unter 18 Jahren.

„Als im Juli Tausende Menschen in Kuba auf die Straße gingen, reagierte die Regierung mit einer brutalen Strategie der Unterdrückung, die darauf abzielt, den Menschen Angst zu machen und abweichende Meinungen zu unterdrücken“, sagte Juan Pappier, Senior Americas Researcher bei Human Rights Watch. „Friedliche Demonstrierende und andere Kritiker*innen wurden systematisch inhaftiert, ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten und unter entsetzlichen Bedingungen misshandelt sowie Scheinprozessen unterworfen. Das alles deutet darauf hin, dass diese Menschenrechtsverletzungen nicht das Werk einzelner böswilliger Regierungsbeamter sind.“

Human Rights Watch hat Menschenrechtsverletzungen wie willkürliche Verhaftungen, Misshandlungen in Haft und menschenrechtsverletzende Strafverfahren gegen 130 Opfer in 13 der 15 kubanischen Provinzen sowie auf der Insel der Jugend, einer kleinen kubanischen Insel, die als „Sonderverwaltungsgebiet“ gilt, dokumentiert. Zwischen Juli und Oktober führte Human Rights Watch telefonische Interviews mit mehr als 150 Personen, darunter Aktivist*innen, Opfer, Angehörige, Journalist*innen und Anwält*innen mit direkter Kenntnis der Fälle; Human Rights Watch prüfte Fallakten, gegen Demonstrierende verhängte Geldstrafen, Presseberichte und Veröffentlichungen kubanischer Rechtsgruppen und verifizierte Foto- und Videomaterial.

Zu den an den Übergriffen beteiligten Beamt*innen gehören Angehörige des Geheimdienstes, der in Kuba als „Staatssicherheit“ bekannt ist, Angehörige des Militärs, der Nationalpolizei und der nationalen Sonderbrigade des Innenministeriums, auch „Schwarzhelme“ genannt. Von der Regierung organisierte Gruppen von Zivilist*innen, die als „schnelle Eingreifbrigaden“ bekannt sind, waren ebenfalls an mehreren Schlägereien beteiligt. Staatsanwaltschaft und Richter*innen, die nicht unabhängig von der Regierung agieren, ermöglichten und beteiligten sich an menschenrechtsverletzenden Strafverfahren.

Am 11. Juli, als die Demonstrationen begannen, forderte Präsident Miguel Díaz-Canel seine Anhängerschaft und die Sicherheitskräfte auf, mit Gewalt auf die Proteste zu reagieren. „Wir rufen alle Revolutionäre auf, auf die Straße zu gehen und die Revolution zu verteidigen“, sagte er. „Der Befehl zum Kampf ist gegeben.“ Mehrere Organisationen berichteten von landesweiten Internetausfällen an diesem Tag, gefolgt von instabilen Verbindungen und Einschränkungen bei sozialen Medien und Messaging-Plattformen. Die kubanische Regierung hat in der Vergangenheit Internetbeschränkungen eingesetzt, um die Mobilisierungsmöglichkeiten von Kritiker*innen einzuschränken.

Human Rights Watch stellte fest, dass Beamt*innen wiederholt friedlich Demonstrierende und Umstehende festnahmen und Menschen am Protestieren hinderten, indem sie Kritiker*innen auf dem Weg zu den Demonstrationen verhafteten. Nach Angaben der kubanischen Menschenrechtsorganisation Cubalex wurden mehr als 1.000 Menschen festgenommen. Mehr als 500 sitzen noch immer in Haft, zahlreiche andere stehen unter Hausarrest.

Diubis Laurencio Tejeda, ein 36-jähriger Sänger, starb am 12. Juli während einer Demonstration in La Güinera, einem einkommensschwachen Viertel am Rande von Havanna. Nach Angaben der kubanischen Menschenrechtsbeobachtungsstelle, einer Nichtregierungsorganisation, hatte ein  Polizeibeamter ihm in den Rücken geschossen. Niemand wurde für seinen Tod zur Rechenschaft gezogen.

Nach den Recherchen von Human Rights Watch verliefen die Demonstrationen im Juli überwiegend friedlich. Viele Demonstranten skandierten „Freiheit!“ oder „Mutterland und Leben“ und bezogen sich dabei auf ein von kubanischen Künstlern gesungenes Lied, das den alten Slogan der kubanischen Regierung „Mutterland oder Tod“ (patria o muerte) aufgreift und die Repressionen im Land kritisiert. In den 130 von Human Rights Watch dokumentierten Fällen beschuldigten die kubanischen Behörden nur eine Handvoll Inhaftierter, sich an Gewalt beteiligt zu haben, meist durch Steinwürfe während der Proteste. In den meisten dieser Fälle leugneten die Inhaftierten oder ihre Angehörigen die Anwendung von Gewalt. In allen untersuchten Fällen war die strafrechtliche Verfolgung durch schwerwiegende Verstöße gegen ein ordnungsgemäßes Verfahren geprägt. Die von den kubanischen Behörden geforderten oder verhängten Strafen gegen die Inhaftierten erschienen allesamt unverhältnismäßig.

In den meisten der dokumentierten Fälle wurden die Inhaftierten tagelang oder sogar wochenlang in Isolationshaft gehalten, gewaltsam festgenommen und in einigen Fällen während der Haft misshandelt. Einige wurden gezwungen, nackt in der Hocke zu sitzen, sie wurden offenbar mutwillig am Schlafen gehindert, brutal geschlagen und in Zellen ohne Tageslicht festgehalten, wo sie nach eigenen Angaben jegliches Zeitgefühl verloren. Anderen wurde mit Repressalien gegen sie oder ihre Familien gedroht, sollten sie erneut protestierten.

Die meisten Inhaftierten wurden unter menschenrechtsverletzenden Bedingungen und wiederholt verhört, manchmal mitten in der Nacht, wobei sie oft zur „Organisation“ und „Finanzierung“ von Demonstrationen befragt wurden und man ihnen mit langen Haftstrafen drohte.

Gabriela Zequeira Hernández, eine 17-jährige Schülerin, sagte, sie sei am 11. Juli in San Miguel de Padrón, Provinz Havanna, festgenommen worden, als sie an einer Demonstration vorbeiging. Während der Festnahme zwangen zwei Beamtinnen sie, sich auszuziehen, fünfmal nackt in die Hocke zu gehen, während sie hustete, und drückten auf ihren Bauch. Eine von ihnen forderte sie auf, ihre eigene Vagina mit dem Finger zu untersuchen. Tage später drohte ihr ein männlicher Beamter, sie mit zwei Männern in den so genannten „Pavillon“ zu bringen, in dem Häftlinge Besuch von ihren Partner*innen bekommen. Die Beamt*innen weckten sie wiederholt nachts, um sie zu verhören, sagte Zequeira. Sie wurde gefragt, warum sie protestiert habe und wer sie „finanziere“.

Am 22. Juli wurde sie wegen „Störung der öffentlichen Ordnung“ zu acht Monaten Gefängnis verurteilt. Erst wenige Minuten vor der Anhörung konnte sie sich mit ihrer Anwältin austauschen. Im Berufungsverfahren wurde ihr erlaubt, ihre Haftstrafe als Hausarrest zu verbüßen. Zequeira und ihre Familie erklärten, sie hätten keine Kopien der Urteile erhalten.

Viele Inhaftierte wurden in dunklen, überfüllten und unhygienischen Gefängniszellen festgehalten und hatten kaum Zugang zu sauberem Wasser oder Masken, um die Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern. Die Zahl der bestätigten Fälle von Covid-19 in Kuba erreichte im Juli und August einen Höchststand. Einige Demonstrierende haben sich offenbar in Haft angesteckt.

Viele friedlich Demonstrierende wurden in „Schnellverfahren“ verurteilt, die gegen grundlegende Prinzipien für ein ordnungsgemäßes Verfahren verstießen. Die Demonstrierenden wurden gemeinsam vor Gericht gestellt, oft in Gruppen von mehr als 10 Personen, in weitgehend geschlossenen Anhörungen, in denen die Staatsanwält*innen ihnen häufig vage definierte Straftaten wie „öffentliche Unruhen“ vorwarfen. Diese Vorwürfe stützen sich ausschließlich auf Zeugenaussagen von Polizeibeamt*innen.

Die Behörden verletzten systematisch das Recht der Inhaftierten auf ein faires Verfahren. Die Beamten informierten die Festgenommenen regelmäßig erst nach mehreren Tagen über die Gründe für ihre Verhaftung. Die Angehörigen und Anwält*innen der Inhaftierten hatten nur selten Zugang zu den Akten der Strafverfahren oder zu Kopien der Urteile, was eine wirksame Verteidigung praktisch unmöglich machte. In den wenigen Fällen, in denen die Inhaftierten einen Rechtsbeistand hatten, durften ihre Anwält*innen nur wenige Minuten vor der Verhandlung mit ihnen sprechen.

Am 19. August gaben die kubanischen Behörden bekannt, dass 67 Personen im Zusammenhang mit den Protesten verurteilt wurden. In den meisten Fällen wurden die friedlich Demonstrierenden zu Haftstrafen zwischen 10 Monaten und einem Jahr verurteilt. Einige wenige wurden nach ihrer Berufung unter Hausarrest gestellt oder nach Zahlung einer Geldstrafe freigelassen, so Human Rights Watch.

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